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Ivo Andrić

 

Hier ein Auszug aus der umfassenden, reich illustrierten und dokumentierten Chronik von Radovan Popović »Sein Leben«, erschienen im Verlag Zadužbina Ive Andrića, Belgrad, 1989, auch in deutscher Sprache:

"….Im März 1933 wurde er wieder versetzt, diesmal als Ministerialrat ins Belgrader Außenministerium. Zwar schrieb er, doch veröffentlichte er seine neuen Texte nur selten. Lediglich den Posten eines Redakteurs von »Srpski književni glasnik« nahm er an. Zum Leiter der politischen Abteilung des Außenministeriums wurde er 1935 befördert. Er wohnte im Belgrader Hotel »Excelsior«, in unmittelbarer Nähe des königlichen Hofes. Einen neuen und bedeutenden Schritt in seiner Karriere machte et im November 1937 die Ernennung zum stellvertretenden Außenminister. Der Präsident der polnischen Republik zeichnete ihn mit den Orden des großen Kommandeurs des erneuerten Polens aus und der französische Präsident mit dem Orden eines Großoffiziers der Ehrenlegion. In Warschau erschienen Erzählungen von ihm. Er fand etwas Zeit, um nach Wien zu reisen, wo er im Staatsarchiv die Berichte der österreichischen Konsuln in Travnik (1808-1817) Paul von Mittesser und Jakob von Paulich studierte. Systematisch sammelte er Material über die Zeit der Konsuln in Travnik und über seine engere Heime Anfang 1938 erschien in Belgrad auch die erste Studie über das Werk von Ivo Andrić. Ihr Verfasser war Dr. Nikola Mirković, Lehrer und Übersetzer aus dem Deutschen. Andrić hielt diese Arbeit für korrekt. Am 16. Februar 1939 wurde Andrić auf der Jahreshauptversammlung der Serbischen königlichen Akademie auf den Vorschlag des Essayisten und Professors der Belgrader Universität Bogdan Popović, des Malers Uroš Predić und des Bildhauers Djordje Jovanović einstimmig zum ordentlichen Mitglied der Akademie gewählt. Das war gerade der Zeitraum, als Andrić neue Ernennung vorbereitet wurde. Am 1. April wurde bekanntgegeben, daß Ivo Andrić zum neuen bevollmächtigter. Minister und außerordentlichen Gesandten Jugoslawiens in Berlin ernannt sei.

In Berlin traf er am 12. April ein, und am 19. April übergab er sein Beglaubigungsschreiben dem Reichskanzler Adolf Hitler. Er wurde sowohl als Autor als auch als Diplomat mit Respekt und Hochachtung empfangen. In deutscher Sprache erschien (Wien-Leipzig) ein Band mit Andrić-Erzählungen übersetzt von einem der führenden Slawisten der damaligen Zeit, Dr. Alois Schmaus. Auch in Sofia wurden seine Erzählungen in bulgarischer Sprache publiziert.

Nachdem die Deutschen im Herbst Polen besetzt hatten, wurden mehr als hunden namhafte Wissenschaftler und Kulturschaffende aus Krakau in Lager verschleppt. Über seine diplomatischen Kanäle und dank persönlicher Kontakte setzte sich Andrić bei den deutschen Stellen dafür ein, die polnischen Wissenschaftler und Autoren frei zu lassen und in andere Länder zu schicken, darunter auch nach Jugoslawien.

Er selbst genoß allerdings nicht das Vertrauen der Belgrader Regierung, die viele Kontakte mit den höchsten deutschen Amtsträgern ohne sein Wissen unterhielt. Beleidigt wandte sich Andrić im Frühjahr 1941 mit einem Schreiben an seinen Minister in Belgrad: »… Heute verlangen in erster Linie dienstliche und dann auch zahlreich zwingende persönliche Gründe von mir, um meine baldige Ablösung von diesem Posten nachzusuchen …«

Seinem Wunsch wurde nicht stattgegeben. Man berief ihn nach Wien, wo er am 25. März 1941 der Unterzeichnung des Dreierpaktes beiwohnte. In Jugoslawien flammte die antideutsche Stimmung auf, und es kam zu Demonstrationen. Andrić traf in Belgrad ein kehrte jedoch schon am 3. April nach Konsultationen in die deutsche Hauptstadt zurück. Er benachrichtigte die Leitung des Auswärtigen Amtes, die jugoslawische Regierung sei bereit, »jede Konzession« anzubieten, »die im Einklang mit der nationalen Ehre« stünde Im Morgengrauen des 6. April 1941 bombardierten die Deutschen Belgrad. Am 7. April verließ Andrić mit dem Personal der Gesandtschaft Berlin. Er wurde nach Konstanz an der deutsch-schweizerischen Grenze gebracht. Man machte ihm das Angebot, in die Schweiz zu gehen, allerdings ohne die übrigen konsularischen Vertreter Jugoslawiens und ihre Familien. Da er das ablehnte, wurde er Ende Mai mit seinen Mitarbeitern nach Belgrad deportiert. Auf dem Belgrader Bahnhof verhaftete man die meisten Diplomaten. Andrić wurde freigelassen. Er wohnte in der Straße Prizrenska Nr. 9, im ersten Stock bei seinem Freund, dem Advokaten Brana Milenković.

Im November 1941 wurde er in den Ruhestand versetzt, lehnte es jedoch ab, seine Pension in Empfang zu nehmen. Er wies auch die Forderung der Kollaborateure zurück den sog. »Appell an das serbische Volk« zu unterzeichnen, mit dem jeder Akt gegen die Besatzer, insbesondere die bewaffneten Aktionen der Volksbefreiungsbewegung verurteilt wurden.
So lebte er in völliger Isolation. Am häufigsten kam er mit alten Freunden, Autoren und pensionierten Diplomaten zusammen. Für kurze Zeit hielt er sich in den Kurorten Vrnjačka Banja und Soko Banja auf.

Bereits im Frühjahr 1942 schloß er den Roman Die Travniker Chronik [hat 3 verschiedene Titel in der deutschen Übersetzung: Travniker Chronik, Audienz beim Wesir, Wesire und Konsuln] ab, zu dessen Vorarbeiten ein mehrjähriges Studium der Berichte der Gesandten aus Travnik gehörte. Als ihn der Schriftsteller und Übersetzer Svetislav Stefanović um die Genehmigung ersuchte, eine seiner Erzählungen in eine Anthologie aufnehmen zu dürfen, die er 1942 veröffentlichen wollte, lehnte Andrić das kurz ab: »… Das ist mir heute nicht möglich denn unter den gegenwärtigen außergewöhnlichen Umständen will und kann ich mich nicht an Publikationen beteiligen, weder mit neuen noch mit schon früher veröffentlichten Arbeiten …«

Ende 1944 vollendete er den Roman Die Brücke über die Drina [Foto von 1963, Andrić neben eben dieser Brücke bei Višegrad: aus: Prospekt zur Ausstellung Ivo Andrić, Nationalbibliothek von Serbien, Beograd 1983]. Nach der Befreiung Belgrads am 20. Oktober 1944 begann seine intensive Tätigkeit in der Literatur und im öffentlichen Leben überhaupt.

Die neue Staatsmacht wollte Andrić für sich gewinnen, was ihr auch gelang. Der Autor übergab dem neu gegründeten Verlag »Prosveta« [Bildung] das Manuskript der Brücke über die Drina (Chronik von Višegrad). Das Buch wurde im März 1945 als erste Ausgabe in der Reihe Südslawische Autoren in einer Auflage von 5000 Exemplaren gedruckt.

Bald darauf wählte man ihn in die höchste Führung der Republik Bosnien und Herzegowina. Dann reiste er in einer Schriftstellerdelegation des neuen Jugoslawien nach Bulgarien. Zum erstenmal in seinem Leben kam er nach Sofia und Plovdiv; nach seiner Rückkehr sandte man ihn dienstlich nach Sarajevo. Er wohnte im Hotel »Europa«, in dessen Gartenrestaurant er als Gymnasiast den großen Schriftsteller und Volkstribunen Petar Kočić betrachtet hatte. Er reiste auch ins heimatliche Travnik und dessen Umgebung.

Die Brücke über die Drina fand in der Öffentlichkeit ein außerordentlich starkes Echo. Er selbst schrieb in seiner Widmung für die verehrte Isidora Sekulić: »Asien in meiner Seele… « (M. Barres)
Seinem Freund aus Sarajevo, dem Schriftsteller Marko Marković, verfaßte er folgende Zueignung: »1. Alle Drinen winden sich dahin; 2. Niemals wird man sie ganz begradigen können; 3. Niemals dürfen wir aufhören, sie zu begradigen.«

Der Staatsverlag Jugoslawiens in Belgrad veröffentlichte Die Travniker Chronik (Zeit der Konsuln). Erneut reiste Andrić nach Bulgarien, wo er Ilja Erenburg, den bekannten sowjetischen Autor, kennenlernte. Auch Ende 1945 erschienen zwei neue Bücher von Andrić: in Sarajevo der Roman Das Fräulein und anschließend Ausgewählte Erzählungen.
In der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste hielt er seine Inaugurationsrede und zwar sprach er über Vuk Stefanović Karadžić, den berühmten Schöpfer der serbischen Literatur.
Er wohnte in Sarajevo und Belgrad. Der Schriftstellerverband Jugoslawiens wählte ihn 1945 zum Vorsitzenden und die Gesellschaft für kulturelle Zusammenarbeit zwischen Jugoslawien und der Sowjetunion zu ihrem stellvertretenden Präsidenten. Er unternahm eine Reise in die UdSSR, nach Moskau, Leningrad und Stalingrad, und hielt nach seiner Rückkehr eine Vortragsreihe über seine Reiseeindrücke. …"

In das neu entstandene Jugoslawien ist Andrić (1892-1975) hineingewachsen. Er sah in ihm einen wesenlichen Fortschritt zur Überwindung des Nationalismus. So war er insbesondere der neuen Republik nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden. Die Sprache wurde 1955 im Abkommen von Novi Sad, das auch Andrić unterzeichnet hat, zur serbokroatischen Sprache zusammengeführt (ausgenommen Slowenisch und Makedonisch sowie die Sprachen nationaler Minderheiten wie der Sinti & Roma, der Ungarn in der Vojvodina, der Deutschen im Banat und der Albaner vorwiegend im Kosovo). –
In Travnik geboren, in Višegrad an der Drina ging er zur Volksschule. 

 

Hier die Zeittafel, ebenfalls aus der oben genannten Chronik:
STEGE 
Am Anfang aller Steige und Wege, im Grunde des Gedanken darüber steht scharf und unverwischbar der Steig, worauf ich mich zum ersten Mal frei erging.

Es war in Višegrad auf harten, regellosen Wegen, die aussehen, als ob sie abgenagt wären, wo alles dürr und elend ist, ohne Schönheit, ohne Freude, ohne Hoffnung auf Freude, ohne Recht auf Hoffnung, wo ein bitterer Bissen, den der Mensch nie gemacht hat, mit jedem Schritt im Halse aufhüpft, wo die Hitze und der Wind und der Schnee und der Regen die Erde und den Samen in ihr verzehren und wo sie alles, was trotzdem aufkeimt und gedeiht, so sehr brandmarken und krümmen und beugen, daß sie es, wenn sie könnten, mit dem anderen Ende in die Erde schlagen würden nur um es in die Formlosigkeit und Finsternis zu stoßen, aus welcher es entrung und welcher es entsproß.

Das sind zahlreiche Pfade, welche wie Fäden und Schnuren die Berge und Abhänge um die Stadt bunt färben, in die weiße Straße einmünden, oder neben dem Wasser und in den grünen Weiddichten verschwinden. Der Trieb der Menschen und Tiere hat diese Wege entworfen, während die Not sie festgetreten hat. Es ist schwer von hier wegzugehen und her zurückzukehren. Hier sitzt man auf Steinen und schützt sich unter einem Baum, an einem trockenen Platz oder im spärlichen Schatten um sich auszuruhen, um zu beten oder das am Markt erwirtschaftete Geld zu zählen. Auf diesen Steigen, worüber der Wind fegt, die der Regen wäscht und die Sonne verpestet und entpestet, wo man nur dem abgerackerten Vieh und schweigenden Leuten mit harten Gesichtszügen begegnet, hier wurde meine Idee vom Reichtum und von der Schönheit der Welt geboren. Hier war ich, unerfahren und schwach und arm, vom Glück berauscht bis zur Ohnmacht, glücklich über alles, was es hier nicht gibt, nicht geben kann und nie geben wird.

Auf allen Straßen und Wegen, die ich später im Leben beschritten habe, habe ich von diesem dürftigen Glück gelebt, von meinem aus Višegrad stammenden Gedanken vom Reichtum und der Schönheit der geschaffenen Welt. Unter allen Straßen der Erde erstreckte sich der nur für mich sichtbare und fühlbare scharfe Pfad aus Višegrad seit dem Tage, an dem ich ihn verlassen hatte bis heute. Ich habe ihm eigentlich meinen Schritt und meinen Gang angepaßt. Er hat mich mein ganzes Leben lang nicht verlassen.

In den Augenblicken, in denen mich die Welt in der ich durch einen böscn Zufall lebte und durch ein Wunder am Leben blieb, ermüdete und vergiftete, breitete ich fromm wie ein Gläubiger seinen Gebet-Teppich ausbreitet, den harten, armen, erhabenen Pfad aus Višegrad aus, der jeden Schmerz stillt und alle Leiden gutmacht, da er sie alle in sich enthält und der Reihe nach überragt. So benutzte ich jede Windstille im Leben um mich, jede Unterbrechung im Gespräch um mehrmals am Tage einen Teil dieses Weges zurückzulegen, den ich nie hätte verlassen sollen. Und so werde ich bis zum Ende meines Lebens, ungesehen und heimlich, die vom Schicksal bestimmte Länge des Steige enden, wo es kein Gehen und keine Anstrengungen mehr gibt, wo alle Lebens auch der Steig abbrechen. Er wird dort aufhören, wo alle Wege und Steige enden, wo es kein Gehen und keine Anstrengungen mehr gibt, wo alle irdischen Wege sich zu einem unsinningen Knäuel zusammenrollen und wie ein Funken verbrennen werden in unseren Augen, die auch selbst erlöschen, da sie uns zum Ziel und zur Wahrheit geführt haben.
[aus: Prospekt zur Ausstellung Ivo Andrić, Nationalbibliothek von Serbien, Beograd 1983]

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