Raymond Queneau (1903-1976) wurde hierzulande leider allein durch den von Louis Malle verfilmten Roman »Zazie in der Metro« bekannt. Einmal davon abgesehen, daß dem Film aufgrund der vielen Spezialeffekte der kritische Inhalt so ziemlich abhanden kommt und dieser auf Klamauk reduziert wird. Der Roman greift das Thema Vorurteil auf und zwar an einem ganz ungewöhnlichen Fall, so daß ein gewöhnlicher Fall eines Vorurteils zum Nachdenken anregen muß. Und dann die geforderte Antizipation eines Vorurteils, eine Zumutung sondergleichen für den, der mit Vorurteilen gar nichts am Hut hat. Man sieht schon an diesem Roman das kritische Durchdenken der Gesellschaft. Aber das ist noch lange nicht alles, was sich Queneau alles gedacht und zu Papier gebracht hat.
Seine Einordnung in die Schublade »Surrealismus« zeigt das gezielte und einigermaßen »hilflose« Vorurteil (»hilflos« insofern, als man nicht daran vorbei kann, sein Werk anzuerkennen, andrerseits es aber in seinem kritischen Inhalt nicht wahrhaben, vielmehr gerade deshalb unterbuttern will) all der Literaturrezensenten (und wohl auch des Filmemachers Malle). Eine gesalzene Abrechnung mit dem bürgerlichen Literaturzirkus liefert Queneau mit »Der Flug des Ikarus«. Andere Absurditäten des bürgerlichen Alltags kommen in all den anderen Romanen nicht zu kurz. Es sind nicht Queneaus Absurditäten, vielmehr die dieser schönen kapitalistischen Gesellschaft. Und diese Werke sind noch besser als »Zazie«: »Sonntag des Lebens« [u. v. a. darin eine sehr delikate Diskussion: vor dem WK II gehen die Meinungen auseinander, ob es zwischen Frankreich und Deutschland wieder zum Krieg kommt – in kaum anderer Hinsicht heute eine wieder sehr aktuelle Diskussion], »Hundszahn«, »Die kleinen Geschäfte des Monsieur Brabbant«, »Ein Winter in Le Havre« (auch betitelt: »Ein strenger Winter«), »Odile« (darin mit einem kleinen Stich gegen die ideologisierte Kommunistische Partei Frankreichs) faszinieren unglaublich. Man erkennt eben diese heutige Welt – auch wenn in Queneaus Zeiten schon eine kleine Weile her sind – aus einer gar nicht üblichen, distanzierten Perspektive, Ausgangspunkt für eine kritische Sicht auf ihre, der Welt Zusammenhänge.
Bemerkenswert der Zuschnitt auf Individuen mit all ihren Eigentümlichkeiten: Ein Individuum eignet sich Dinge an und stößt andere ab, entwickelt sich. Ein anderes Individuen hat sich aufgegeben, entwickelt sich nicht mehr. Diesen Gegensatz zwischen den Personen kann man in fast allen Romanen sehr zugespitzt miterleben: Auch in dem »Das intime Tagebuch der Sally Mara«, eines zur Frau heranwachsenden Mädchens, und in dessen zweiten Teil, der mit dem ersten so gut wie nichts zu tun hat (dafür sehr viel mit dem Krieg in der irischen Provinz Ulster) »Man ist immer zu gut zu den Frauen«. Wer von einen gesellschaftskritischen Liebesroman gefesselt werden will, greift zu »Mein Freund Pierrot«. Queneaus Sympathie für die Arbeiterklasse läßt sich auch darin nicht verhehlen.
Kurzum, Queneau ist viel zu genial für einen eingefleischten Spießbürger, einen Politiker, einen Kirchenfürsten, einen Investmentbanker.
Upton Sinclair (1878-1968) war sehr beeindruckt von den Romanen Émile Zolas.Er wollte allerdings sein Vorbild weiterentwickeln und zwar zu einem reportierenden Dichter, zu einem dichtenden Reporter. So ganz nach dem Motto Zolas »Wir müssen bei der einfachen Tatsache bleiben. Das Publikum freilich dürstet nach – Lügen und die Dichter lügen! Wir aber wollen der Wahrheit dienen!«
Aus dem Nachwort (»Präsident der U.S.A*.«, Universal-Bücherei, 1927) von Gerhart Pohl:
»» … DER MENSCH. DER AMERIKANER, der den Kampf aufnahm gegen die Glanzwelt der Börsen-Barone und Kohlen-Könige, der und Baumwoll-Magnaten, dem aus der Liebe zu den Arbeitenden unauslöschlicher Haß gegen die Besitzenden wuchs, für den Wallstreet, dieses Symbol der heutigen U.S.A., Kampffanal der revolutionären Sozialismus wurde, ist ein echter Amerikaner. Dieses Lebenswerk eines fast Fünfzigjährigen kann man in seiner ganzen Größe nicht erfassen, ohne die Entwicklung Amerikas zu kennen und das Menschenmaterial, das diese Entwicklung formte.
… In einer mittellosen Familie wuchs der junge Upton auf, lernte früh die Not kennen, die hinter kleinbürgerlicher Dollar-Gläubigkeit lauerte. Der Vater Arthur Stirlings, des Helden seines autobiografischen Romans, endet als Trunkenbold.
Kaum fünfzehnjährig bricht Upton mit der Familie und stellt sein Leben auf sich selbst. Unermüdlich fabriziert er Magazin-Geschichten und Humoresken, Skizzen und Artikel, "Schauer-Romane" und Kinder-Verse, um durch Unterhaltung der Bourgeoisie seinen Unterhalt zu verdienen und das Geld für Schule und Studium. Sinclair hat oft gesagt, daß er einundzwanzigjährig schon ebensoviel geschrieben hatte, wie Walter Scott, ein damals beliebter Vielschreiber der englischen Bourgeoisie. Diese Zeit seines Lebens schildert Upton Sinclair in einer kurzen Selbstbiografie:
"Ich wurde in Baltimore 1878 geboren. Ich besuchte dann die Schule und das Kollege von New York, wo ich die Dinge studierte, die mich interessierten, und jene vernachlässigte, die mich nicht interessierten. Ich erhielt mich vom Schreiben seit meinem fünfzehnten Jahre. Aber als ich in die zwanzig ging und vor meiner Heirat stand, packte mich der Wunsch, nur noch ernste Dinge zu schreiben, ich konnte nicht länger die Humoresken, Novellen, Geschichtchen liefern, mit denen ich bis dahin meinen Unterhalt und mein Studium bezahlt hatte. In der Zeit zwischen meinem zwanzigsten und sechsundzwanzigsten Jahre starb ich beinahe vor Hunger. Alle meine Romane aus jener Zeit — "König Midas", "Prinz Hagen", "Arthur Stirlings Tagebuch", "Manassas", "Industriekapitän" — brachten mir alle zusammen weniger ein als 1000 Dollar. Ich lebte allein mit 4,50 Dollar die Woche in New York und später mit meiner Familie auf dem Lande mit 30 Dollar im Monat.“
Wie Sinclair damals von 4,50 Dollar in New York lebte, erzählt er selbst anschaulich in "Arthur Stirlings Tagebuch": — Mietskaserne, Mansardenstube, als Nachbar ein Cellist, der fortwährend übt oder mit Freunden lärmende Saufgelage gibt, auf dem Treppenaufsatz klatschende Weiber, laut und keifend, viele Stunden des Tages. In der armseligen Mansarde selbst hockt ein junger Mensch, unterernährt, schäbig gekleidet, nur wenige Dollars in der Tasche, aber mit dem eisernen Willen, ein großer Dichter zu werden. New York wird dem Mittellosen eine Orgie der Qualen: Staub, Geschäftigkeit, kraftloses Essen, verlumpte Weiber und diamantenbesäte Damen, Männer mit gebrochenem Rückgrat und glasigen Augen, Herren mit feisten Bäuchen und frechen Stirnen. Schroffe Gegensätze sieht der junge Amerikaner in dieser demokratischen Stadt seines allerdemokratischsten Vaterlandes. Aber nur der Hudson wird ihm Erlebnis, der, groß und majestätisch, von den Lichtern kühner Schiffe und eleganter Jachten besät, dem Ozean zuströmt. Das alte Seefahrerblut kreist noch in seinen Adern. Wohl sieht er die Gegensätze, sie verstören ihn, aber er vermag sie noch nicht zu begreifen, also zu durchleben und zu gestalten. Denn vor der Gestaltung stehen Erlebnis und Erkenntnis. Den Zwanzigjährigen erschüttert noch eine schöne Frau: "Gleite weiter, gleite weiter, wundervolle Stimme, ferne Vision des Glücks und der Schönheit" ruft er dieser Dame nach, die, an den Mast ihrer Jacht gelehnt, mit schöner Stimme ein sehnsuchtsvolles Lied in den Abend singt. Doch plötzlich bricht er ab, wird nachdenklich: "Dein Los ist nicht das meine."
Sein Großonkel und Vormund, der reiche Besitzer eines Engrosgeschäftes für Spezereiwaren in Chicago, bietet dem Mündel eine Lehrstelle in seinem Hause an, mit der Aussicht, einmal Prokurist, vielleicht sogar Teilhaber zu werden. Upton Sinclair schildert eine Unterredung mit diesem Onkel, der "ein Palais und einen großen Bauch" besitzt:
"Willst Du Spezereiwarenhändler werden?" "Nein."
— Hätte ich damals ja gesagt, so wäre ich heute bereits sein Kompagnon, besäße ebenfalls ein Palais und einen großen Bauch. —
"Was willst Du denn werden?" fragte mein Großonkel weiter.
"Ein Dichter."
"Also ein Tagedieb?"
"Ja," entgegnete ich, einem Streit ausweichend, "ein Tagedieb."
So verließ ich ihn und dachte bei mir: "Alles, oder nichts." —
…
"Sieben Jahre lang ertrug ich Armut und Gemeinheit, Krankheit, Hitze, Kälte und Mühen, auf daß ich zum Künstler werde. Ich kann die Erniedrigung, die Beschämung nicht schildern, die ich erduldete. Ich lebte in Dachkammern, lebte mit schlechten Menschen, in Fetzen und schmutzige Gewänder gekleidet, nährte mich von Wasser und Brot; der hassenswerte Hochmut der Reichen trieb mich zum Rasen, ich hatte keinen einzigen Freund. Zorn und Schmerz überwältigten mich, alle haßten mich, ich mußte schuften wie ein Vieh, oder hungern. Doch ich sprach: »Ich will ein Künstler werden.«"
Noch dreht es sich für den jungen Sinclair um ein ganz individuelles Ziel, noch grollt in ihm nur das Gewitter der eigenen Not, der eigen Entbehrung, der eigenen Unterdrückung. Noch ist er, im Individuell-Artistischen befangen, nicht imstande, das Logische und Kollektive in diesem Proletarier-Dasein aufzuspüren. Noch glaubt er — befangen in der idealistischen Weltanschauung des Bürgertums —, nur der Künstler werde unterdrückt.
……
Aber dieses „Ecce Homo!“ ist nur der Abgesang des europäischen Dekadents Arthur Stirling, nicht des blutvollen, lebenstüchtigen Amerikaners Upton Sinclair. Denn der geht, sechsundzwanzigjährig, mit Weib und Kind aufs Land, weist "einen Jahresgehalt von 10 000 Dollar als Annoncenaquisiteur für eine der größten Tageszeitungen und einen annähernd so günstigen Vertrag" zurück, den ihm einer der größten amerikanischen Verleger anbietet, "Herausgeber korrupter Boulevardblätter", und lebt von kaum 400 Dollar im Jahr das Leben eines proletarischen Kopfarbeiters. Seine ersten Romane "Frühling und Herbst" und "Arthur Stirlings Tagebuch" waren bereits erschienen, die Fantasie "Prinz Hagen", die, später dramatisiert, in der Sammlung "Proteststücke" Aufnahme fand, und der Roman aus dein Bürgerkrieg "Manassas", der unter dem Titel "Sklaverei" auch in Deutschland erschien. Dieser Roman war der erste Erfolg des Autors. Der amerikanische Schriftsteller Clement Wood nannte "Manassas" "unvergleichlich besser als die gefällige Mittelmäßigkeit …" "Die Verfolgung eines geflüchteten Sklaven ist eine der großartigsten und dramatischsten Schilderungen der amerikanischen Literatur."
1906 erschien "The jungle" ("Der Sumpf"), der Upton Sinclair in wenigen Jahren weltberühmt machen sollte. Welche entscheidende Wandlung der Geistige und der Künstler Sinclair vorher durchgemacht hatte, die erst die Voraussetzung für diesen Markstein der modernen Weltliteratur schufen, werden die folgenden Abschnitte darlegen.
Von nun an konnte Sinclair von den Erträgnissen seiner Schriftstellerarbeit leben. Er hatte sich durchgesetzt. Mit dem "Sumpf" verdiente er sogar — nach eigener Angabe — rund 30 000 Dollar, selbst für amerikanische Verhältnisse ein Vermögen. Aber Sinclair war — wie und warum werden wir noch sehen — Sozialist geworden. "Ich habe das Geld" — schreibt er an Maurice Low — "sofort in einer sozialistischen Kolonie investiert, die so organisiert war, daß ich keine Möglichkeit hatte, daraus Profite zu schlagen."
…….
Über seine Frau schreibt Sinclair: "Mary Craig Sinclair stammt aus dem fernen Süden. Ihre Familie war ebenso konservativ, wie man es von den Nachkommen einer alten Sklavenhalterklasse nur erwarten kann. Jedenfalls hat ihre Familie immer auf der Basis eines primitiven Kommunismus gestanden. Es gab gelegentlich Aufstände, die durch 'Ungesetzlichkeiten' hervorgerufen wurden, die die Vorstellungen über ihr eigenes Eigentumsideal erschütterten."
Selbstverständlich gab es für diese Familie kein "gräßlicheres Gespenst" als den Sozialismus. Man wollte die geliebte Tochter beschenken, fürchtete aber damit "dieser schlimmsten aller Sachen" zu helfen. Als Mary Craig schließlich ihr Geschäft und ihr Mobiliar verpfändete, um die Druckrechnungen der Bücher ihres Mannes zu bezahlen, wandte die Familie sich empört von ihrer "verlorenen Tochter" ab und trieb eine konterrevolutionäre Hetze gegen Mary und Upton Sinclair. Aber Mary Craig ist nicht nur ein guter Lebenskamerad, sie ist auch eine entschlossene Sozialistin geworden. Also schrieb sie ihrer Sippe, "wenn sie mit ihrer sozialistischen Einstellung kollidieren solle, dann möge sie ihr doch schreiben und sie bekehren …"
Upton Sinclair ist nicht nur der Autor seiner Bücher, er ist auch ihr amerikanischer Verleger. Warum er seine Bücher selbst verlegen muß, hat er einmal in einem Aufsatz klargelegt: Nach vielen Enttäuschungen sah er ein, daß es "noch schwerer ist, die Wahrheit gedruckt zu erhalten, als sie zu sagen." "Deshalb mußte ich auch weiter meine Bücher selbst verlegen und bin zu dem Ergebnis gelangt, es lohne sich nicht, den Verlag aufzugeben. Meine Drucker wissen genau, daß sie letzten Endes dennoch immer ihr Geld erhalten, meine Bank gibt sich mit einem Depot von 100 Dollar zufrieden, und meine Frau fügt sich darein, daß ich so weiter wursteln werde, bis ich in Stücke falle."
Während des Krieges hatte Sinclair wirtschaftlich schwer zu kämpfen. "Große Mengen Papier mußten Monate vorher zu doppelten Preisen bestellt werden, und wenn endlich das Papier gekommen war und die Bücher gedruckt waren, brach irgendeine böse Konjunktur über Amerika herein, und ein großer Vorrat von Büchern blieb liegen, ebenso ein großer Vorrat an Schulden. Wenn über die Bücher disponiert war und die Schulden bezahlt waren, ging der Überschuß, wenn einer da war, zugunsten der Ausgaben der früheren Bücher, die aus dem Handel gezogen oder seit Jahren vergriffen waren, darauf."
1923 gab er einen Prospekt heraus, in dem er zur Subskription von sechs seiner früheren Werke auffordert, die seit Jahren vergriffen waren. Es ist typisch für das heutige Amerika, daß einer seiner besten Geister keinen Verleger hat, nur weil er die Wallstreet-Gesinnung der Millionäre aus Liebe für Die bekämpft, die Wallstreet stündlich erleiden müssen. … ««
Seine Romane sind gesammelt im Malik Verlag zu 5 Bänden erschienen:
Band 1 (1924): »Der Sumpf« – »Hundert Prozent«
Band 2 (1924): »Jimmie Higgins« – »Man nennt mich Zimmermann«
Band 3 (1924): »Samuel der Suchende« – »Der Liebe Pilgerpfad«
Band 4 (1925): »Der Industriebaron« – »König Kohle«
Band 5 (1925): »Die Metropole« – »Die Wechsler – »Nach der Sintflut«
1927 erschien dann auch der brandneue Roman »Petroleum« bei Malik [späterer dt. Titel »Öl«]
1928 dann bei Malik »Die goldene Kette oder Die Sage von der Freiheit der Kunst«
1929 dann bei Malik »Die Geschichte von Sacco und Vanzetti« und »Boston« und »Der Sündenlohn – Eine Studie über amerikanischen Journalismus«
1930 sodann bei Malik »Das Geld schreibt – Eine Studie über die amerikanische Literatur«
1931 bei Malik der Roman »So macht man Dollars«
1932 bei Malik der Roman »Alkohol«
1938 bei Malik der Roman »Autokönig Ford«
alle anderen, vor allem die spätere Werke sind in diversen Verlagen erschienen, unter anderem seine Erinnerungen »Auf Vorposten« (Neuer Malik Verlag)
"Das Buch »Präsident der U.S.A« ist übrigens für jemand, der mindestens zweimal wöchentlich in den Schönheitssalon geht – man denke etwa an Sahra Wagenknecht – sehr lehrreich!
Nikos Kazantzakis (1883-1957) hat in seinem – zumal auch verfilmten – bekanntesten Werk »Alexis Sorbás« die Sentenz der Emanzipation schlechthin auf den Begriff gebracht: »Ich fürchte nichts, ich hoffe nichts, ich bin frei«. Jeder kann daran messen, inwieweit er sich von allen herrschenden Bevormundungen entfernen konnte. Es ist leicht verständlich, daß sich Kazantzakis hauptsächlich mit der (griechisch-orthodoxen) Kirche anlegte, die wie ein Alptraum das Land überschattete und auch heute noch großen Einfluß ausübt: Die konservative Partei Nea Dhimokratía wäre ohne ihren Rückhalt kaum regierungsfähig und auch die anderen Parteien einschließlich der KP vermeiden es, sich mit der Kirche anzulegen. Außerdem: Nicht wenige hoffnungslos dem Arbeitsmarkt ausgelieferte junge Männer suchen in der Kirche einen Zufluchtsort als Pfaffe. Seine Frontstellung gegen die griechische Orthodoxie und ihre Heuchelei war ein zentraler Moment seiner Entrüstung.
Und wem die Bibel nicht ohnehin schon sattsam zum Halse heraushängt, der kann sich mit dem Roman »Die letzte Versuchung« eine alternative Version zu Gemüte führen, ein Buch, welches sogar auf dem Verbotsindex der römisch-katholischen Kirche landete. Trotz diesem schönen Erfolg zeigt das Werk die Grenzen von Kazantsakis' Gesellschaftskritik auf; ebenso wie »Griechische Passion« und wie »Freiheit oder Tod«, worin der nationale Befreiungskampf gegen die türkische Herrschaft auf Kreta (bis 1898 zum Osmanischen Reich gehörig, dann autonom, 1913 an Griechenland angeschlossen) Thema ist: Eine radikalisierte Moral der Tat gegen religiösen und nationalen Glauben vergißt, die gültige Interessenlage einer Kritik zu unterziehen.
Kazantzakis gehörte der »Sozialistischen Arbeiterbewegung« an sowie dem »Griechisch-sowjetischen Bund«. Die Arbeit dort befriedigte in ebensowenig wie seine kurze Teilnahme an der Regierung zum Jahreswechsel 1945/46. Er blieb weiterhin ein Suchender, was in den Romanen »Mein Franz von Assisi« und »Der Felsengarten« zum Ausdruck kommt. In letzterem begibt er sich nach Asien (China und Japan), um dort Antworten auf die Fragen seines Kopfes zu finden. Nicht weniger in dem Buch »Im Zauber der griechischen Landschaft«, in dem – typisch für Kazantzakis – der Heilige Berg Athos nicht fehlen durfte. »Rechenschaft vor El Greco«, der wie er selbst Kreter war, heißt seine erlebnisreiche, einducksvolle Autobiografie.
Er wurde neun Mal vergebens für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen; man kann sich leicht vorstellen, mit wem sich das Komitee auf keinen Fall anlegen wollte. Seine nur zum Teil in deutscher Sprache veröffentlichten Werke sind zuletzt als Taschenbücher bei Ullstein bzw. rororo erschienen.
Victor Hugo (1802-1885) schuf mit dem Roman »Notre-Dame von Paris« (auch als »Der Glöckner von Notre-Dame« bekannt, rechts unten abgebildet eine frühe griechische Übersetzung) den Auftakt zu einer Reihe von Romanen, wie »Die Elenden«, »Die Arbeiter des Meeres«, »Die lachende Maske« und »Dreiundneunzig [1793]«. Der zweifelos berühmteste und bedeutendste darunter ist die Abrechnung mit den sozialen Verhältnissen in »Die Elenden«. Zuvor schon erschienen die Romane »Die schwarze Fahne« (mit Bezug zur damaligen französische Kolonie, der heutigen Dominikanischen Republik) und »Die letzten Tage eines Verurteilten«. Romane waren sein Schwerpunkt, daneben schrieb er noch Dramata und Gedichte und war malerisch tätig. Auch politisch war er aktiv; allerdings nicht gerade glücklich, denn er versuchte immerzu, sich für eine Seite – solange er sie noch nicht als Übel erkannt hatte – stark zu machen: Von den großartigen Ideen seiner Zeit, die insbesondere aus dem Bürgertum hervorgingen, war er wiewohl anfangs stets begeistert, sodann, als die Maske viel, schwer ernüchtert. Obzwar er unzweifelhaft ein geistiger Wegbereiter der »Pariser Kommune« war, erlebte er diese in der Verbannung, aus der erst danach zurückkehrte.
Seine Romane verraten ziemlich durchgängig eine zutiefst materialistische Einstellung,
Im Mittelpunkt von »Notre-Dame von Paris«, dessen Geschichte und Pracht er schildert, steht ein Zigeunermädchen namens Esmeralda, das eine innere Schönheit ausstrahlt, welche die Kirche entbehrt. Es muß aus der Kirche befreit werden, die sie gefangen hält. Im übrigen war er stets ein Verfechter der Belange der Frauen. Bemerkenswert auch der griechische Begriff ανάγκη, welcher sowohl Bedürfnis wie Not(wendigkeit) bedeutet. Er ist in einer kurzen Vorrede dem Roman vorangestellt und soll auf einer Mauer der Kirche eingekratzt, jedoch beseitigt worden sein. Ein zentraler Begriff übrigens auch im »Kapital« von Karl Marx. Zum Roman »Die Elenden«, einer Gesellschaftskritik sans phrase, haben sich schon so viele geradezu überschwänglich geäußert, daß hier nur ein Wort hinzugefügt werden soll: Gustave Flaubert war wohl der Einzige, der sowohl an diesem Roman wie an »1793« Kritik äußerte: Ihm waren die Figuren zu grob und schroff gezeichnet, um als wirklich brauchbare Gesellschaftskritik durchgehen zu können. – Der Roman »Die lachende Maske« führt in eine Welt der Absonderlichkeiten. Man mag das als weltfremd empfinden oder zu Hugos Zeit empfunden haben, umso mehr ist dieser historische Roman der heutigen Zeit eben gerade dadurch verbunden. Betrachtet man all den heutigen nackten Wahnsinn, der gesellschaftliche, politische Wirklichkeit geworden ist, dann ist das Buch wahrlich ebenso der Zukunft zugewandt, wie der Roman, der vor rund 300 Jahren spielt. Man denke nur an die irre Zunahme von Schönheitsoperationen… Wenn man den Roman »Die Arbeiter des Meeres« liest, wird überaus klar, was Flaubert gemeint hat: Hugo huldigt nämlich einem heroischen Realismus. Und im Heroismus, da ist sich Flaubert sicher, liegt alles andere als eine wirklich gesellschaftsverändernde Kraft. Mit eben seinem Heroismus erklärt sich auch die bis heute anhaltende Faszination von Victor Hugo.
Anton Tschechow (1860-1904) versucht in seinen Novellen die Armen der Lächerlichkeit, dem Spott, der ihnen oftmals entgegenbracht wird, zu entziehen. Er versucht die Kleinbürger, die Spießer hingegen in ihrem Dahinvegetieren in ihrer Beschränktheit vor Augen zu führen. Der Adel wird seiner Dummheit überführt. Kurzum, Tschechows Werk war der gesellschaftlichen Wirklichkeit, wie sie in den Individuen reflektiert wird, verhaftet. So verhaftet, daß eine gewisse Ausweglosigkeit aus der gesellschaftlichen Misere auch dem Leser vorschwebt. Wer die Melancholie stets unbegründeten Idealismus vorzieht, der kann seine Werke als Ausgangspunkt dafür nehmen, was zu ändern ist, welche vorherrschenden Denkweisen eine Kritik verdienen.
Tschechow war der Ansicht, eine Veränderung könne nur von unten, von Individuen ausgehen. Die Mächtigen und die, die sich aufplustern, auch und gerade, wenn dies in idealistischer Absicht ist, solche Leute waren ihm suspekt. Insofern beargwöhnte er auch den sich revolutionär betätigenden Schriftstellerkollegen Gorkij. Ob Tschechow gefühlt hat, daß jener hauptsächlich sich aus Opportunitätsgründen – er erwartete die Revolution als künftig quasi determiniert – sich revolutionär betätigte? (siehe sein Brief an Iwan Orlow vom 22.02.1899)
Bei seinen tiefen Empfindungen blieb er nicht stehen, wenn es sein mußte, so verteidigte er Zola in der Dreyfus-Affäre noch im nachhinein: „Mag Dreyfus schuldig sein – Zola hat trotzdem recht, weil es Sache der Schriftsteller ist, nicht anzuklagen oder zu verfolgen, sondern sich sogar für die Schuldigen einzusetzen, auch wenn sie schon verurteilt sind und ihre Strafe verbüßen. Man wird sagen: Aber die Politik? Die Interessen des Staates? Aber die großen Schriftsteller und Künstler sollen sich mit Politik nur soweit beschäftigen, als sie sich ihrer erwehren müssen. Ankläger, Staatsanwälte, Gendarmen gibt es auch ohne sie reichlich […]“ (Sein Brief an Suworin vom 06.02.1898)
Seine Werke, die abgesehen von einigen Schauspielen (u. a. »Iwanow«, »Tatjana Repina«, »Der Waldschrat«/»Onkel Wanja«, »Die Möwe«, »Drei Schwestern«, »Der Kirschgarten«) im wesentlichen in Novellen bestehen, sind dermaßen zahlreich, daß es an dieser Stelle vorzuziehen ist, auf die drei Dünndruckbände des Winkler-Verlages zu verweisen, geteilt in Erzählungen 1883-1887, 1887-1892 und 1893-1903. Im gleichen Verlag sind die Dramata, den Bericht »Die Insel Sachalin« (die er nach intensivem vorangehenden Studien besucht hatte und wo die dortigen Gefängnisse inspizierte) und die Briefe erschienen, welche auch im Verlag Rütten & Loening, Berlin, 1968 verlegt worden waren. Olja Knipper war seine Frau und die Liebesbriefe sind ebenfalls veröffentlicht (S. Fischer Verlag). Sie schrieben sich viele Briefe, weil sie sehr lange getrennt lebten: Eine Romantik, die der Kapitalismus mit seinen technischen Errungenschaften in dieser Weise jedenfalls ausgerottet hat.
Schon mit 21 Jahren wurde Puschkin (1799-1837), der im Staatsdienst stand, wegen aufrührerischer Gedichte von Moskau nach Odessa strafversetzt. Anfangs noch im Banne der Romantik George Gordon Byrons begann er dort sein Hauptwerk »Eugen Onégin«, der als erster realistischer Roman Rußlands gilt. Neben vielen Gedichten entstand dort die in Versen gefaßte Romanragödie »Eugen Onégin«, in dem Tatjana mit ihrer unglücklichen Liebe schon Tolstojs »Anna Karenina« den Weg weist. In Odessa erinnert ein Museum an ihn. Nachdem er aufgrund eines Briefes des Atheismus beschuldigt wurde, wurde er erneut verbannt und zwar auf das Gut seiner Familie in Michajlovskoje bei Pskov. Dort in der Provinz schrieb er das Drama »Boris Godunow« und versäumt den Dekabristenaufstand 1825, obschon er Verbindungen zu den Aufständischen hatte. Auch nach seiner Rückkehr nach Moskau 1826 fiel er unter die zaristische Zensur. Ab 1831 lebte er mit seiner Frau in Petersburg, wo er 1836 die literarische und politische Vierteljahreszeitschrift Sowremennik (Der Zeitgenosse) herausgab. Ab 1843 erschien sie monatlich und etablierte sich zum intellektuellen Forum Rußlands schlechthin. Sie existierte bis zu ihren Verbot 1866. Besonderes Niveau erhielt sie 1856 durch den Eintritt von Nikolaj Tschernyschewskij in die Redaktion. Außerdem schrieben in ihr Iwan Turgenjew, Fjodor Dostojewskij, Dmitirij Grigorowitsch, Iwan Panajew, Iwan Gontscharow, Alexander Herzen, Nikolaj Ogarjow und andere mehr.
Puschkins Lyrik, die in Rußland als zauberhaft gepriesen wird, kann kaum adäquat wiedergegeben werden. So beschränken sich die deutschsprachigen Übersetzungen hauptsächlich auf seine Erzählungen. Puschkin sah sich zunehmend zur »rauhen Prosa« hingezogen. Es entstanden unter anderem »Erzählungen Belkins«, »Dubrovskij«, »Pique Dame«, »Geschichte des Dorfes Gorjuchino« sowie der historische Roman »Hauptmannstochter«, der vor dem Hintergrund des Aufstands von Pugatschov im Jahre 1772 spielt.
Schon 1837 schied Puschkin aufgrund eines Duells aus dem Leben.
Wer auf die sprachlichen Feinheiten seiner Werke aufmerksam werden möchte, der sei auf die Rezension von Dmitrij Tschizewskij verwiesen, der unter anderem die Unterschiede zu Gogol und Mereschkowskij herausstellt [siehe das Nachwort der dtv-Ausgabe, »Erzählungen«]. Ferner sei die Romanbiografie Puschkins »Das letzte Jahr« von Alexej Nowikow empfohlen (Original 1968, dt. 1983 im Verlag der Nation, Ost-Berlin).
»Pique Dame« wurde übrigens in einen Sammelband »Russische Gespenstergeschichten« ausgenommen (Verlag Rütten & Loening, Berlin, 1958). Darin finden sich auch »Der Salamander« von Wladimir Odojewskij, »Die verschwunde Urkunde«, »Der verhexte Platz«, »Der Wij« (alle von Gogol), »Eine unvollendete Novelle« (von Machail Lermontow), »Faust«, »Der Hund«, »Eine seltsame Geschichte« (alle von Iwan Turgenjew), »Der schwarze Mönch« (von Anton Tschechow) und »Verteidigung« (von Valerij Brjusow).
Adolphe Belot (1829-1890) riskierte viel. Seine Literatur brach mich die vorliegenden Moralvorstellungen radikal. Erotik und Exotik waren seine Spezialitäten und so wurden seine Bücher einerseits zum Skandal, andrerseits eben gerade deshalb geschätzt (unter anderem auch von Zola). »Fräulein Griaud, meine Frau« ebenso wie der Roman »Zwei Frauen« widmete sich der lesbischen Liebe. Ersterer wurde als Fortsetzungsroman in der französischen Zeitung Figaro veröffentlicht, mußte dort aber vor seiner Beendigung abgebrochen werden. Ein Roman erschien sogar hier in Deutschland als Fortsetzungsroman in dem Blatt »Illustrierte Welt« im Jahrgang 1880, der Titel »Der Würger von Paris«; wobei der Übersetzer hinzufügte »nach« Adolphe Belot. Ob hier Pikantes ausgelassen oder geglättet wurde, wer weiß?
Sensationell auch der Roman »Das Glutweib«, ein Pariser Salonroman. Aufwühlend der exotische Roman über »Walinda – die schwarze Venus«, der in Äquatorial-Afrika spielt und den europäischen Eindringlingen wahrlich kein gutes Zeugns ausstellt. Aber das war erst der Anfang der Ruinierung des Kontinents durch die kapitalistischen Europäer; nach mittlerweile 150 Jahren hat seine Zerstörung ein damals sicherlich unvorstellbares Ausmaß angenommen.
All seine Werke sind, soweit hier bekannt, nur noch antiquarisch erhältlich. Die einzige Ausnahme bildet ein 1990 bei rororo erschienenes Taschenbuch »Sie naschten von Lilien und Lotos – ein erotischer Briefwechsel Paris – Kalkuta«.
Gabriel Chevallier (1895-1969) hat mit »La Peur« (deutscher Titel: »Heldenangst«) anhand des 1. Weltkriegs die Verrücktheit nationaler Haltung vorgeführt. Sozusagen das französische Pendant zu »Im Westen nichts Neues« von Erich Maria Remarque und ebenso aufrüttend wie realistisch. Anschließend an die Zeit des Weltkriegs behandelte er die Zeit zwischen den Weltkriegen in einem kleinen Weinbauernort im Beaujolais. Er nennt den Ort Clochemerle, es handelt sich um Vaux-en-Beaujolais, dessen Ortstafeln mittlerweile mit »Clochemerle« ergänzt wurden. Außerdem findet sich dort neben einem im Romanmittelpunkt stehenden, nachgebauten Pissoir auch ein kleines Museum zu Ehren Chevalliers. Die Roman-Trilogie »Clochemerle«, »Clochemerle wird Bad« und »Clochemerle Babylon« sind nicht minder gesellschaftskritisch, allerdings so zugespitzt, daß dem Leser im Gegensatz zum Kriegsroman immer wieder ein Lächeln abgerungen wird. Um das Pissoir, eine zukunftsweisende Idee des fortschrittlichen Bürgermeisters, die vom Dorflehrer rückhaltlos unterstützt wird, um diese Errungenschaft entspinnt sich ein Bürgerkrieg, dessen Tragweite sogar den französischen Vertreter bei der seinerzeit in Genf stattfindenden Abrüstungskonferenz dazu veranlaßte, nach Paris zurückzukehren. Nicht weniger faszinierend die beiden nachfolgenden Bände über die bahnbrechenden kapitalistischen Errungenschaften des steil aufstrebenden Ortes, mit denen es in Wirklichkeit zwar nicht weit her war, die aber doch exemplarisch für die Entwicklungen an anderen Orten stehen.
Sodann hat er mit der gesellschaftlichen Situation seiner Heimatstadt Lyon gehörig aufgeräumt und zwar in dem Roman »Liebeskarussell«: Der erste Teil »Loulou Biche« nimmt die Bourgeoisie aufs Korn, der zweite »Sonderlinge« die abgehängten Bewohner der Randbezirke. Auf alle Fälle ist ferner noch das Buch »Die Mädchen sind frei« hervorzuheben, in dem die jungen Frauen der 1950er Jahre ihre nun gewonnenen Freiheiten ausgiebig auskosten konnten, was sich jedoch nicht selten als zweischneidiges Schwert herausstellen sollte, gerade in einer Gesellschaft, in welcher die moralischen Vorurteile nach wie vor fest verankert waren. Kurzum: Eine Welt, die immer so tut, als ob, wird von Chevallier schonungslos entlarvt.
Der Stahlberg-Verlag in Karlsruhe entdeckte Chevalliers Werke für die deutsche Leserschaft, der Verlag Rütten und Loening daraufhin für die DDR. Später gab es dann Taschenbuchausgaben im Fischer-Verlag. Der erste Band von Clochemerle wurde übrigens von der BBC vor Ort gekonnt verfilmt (die französische Verfilmung war schon viel früher).
Freddy Jermanós (Φρέντυ Γερμανός 1934-1999) war wahrscheinlich der versierteste unter den Journalisten und Schriftstellern der jüngeren Zeit, ein leidenschaftlicher Liebhaber Athens obendrein. Bis heute ist leider nur ein Werk von ihm ins Deutsche übertragen worden: Der historische Roman »Teresa«. Er spielt zwischen den Weltkriegen und führt die geradezu grandiosen Beziehungen von Künstlern aller Bereiche, Politikern und Geschäftsleuten vor Augen. Eine sensationelle Enthüllungsgeschichte.
Das wohl eindrucksvollste Werk für das gesellschaftskritische Publikum ist jedoch sein Werk »Das Objekt« (Το Αντικείμενο) über den legendären Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Griechenlands, Nikos Zachariadhis (Νίκος Ζαχαριάδης). Dieser fiel den deutschen Faschisten in die Hände und wurde im KZ Dachau gefangen gehalten. Bei seiner Rückkehr wurde er von einer unüberschaubaren Menge in Thessaloniki begeistert begrüßt. Das war aber so ziemlich der einzige Lichtblick in seinem Leben. Zuvor schon die Ausbildung in Moskau, Nahkampfübungen für die Auseinandersetzungen mit Faschisten unter der Leitung einer strengen Lehrerin. (Was nicht ganz ohne Sex abging.) Dann in Griechenland Diktatur und Knast auf Korfu, dann die Deutschen, wieder Knast und dann nach der Befreiung in Athen, völlige Desorientierung: Die britischen Imperialisten lösten die deutschen ab und wollten das Land nicht in die Hände der Kommunisten fallen lassen. Moskau zurückhaltend wie immer. Die Kommunisten vor Ort gespalten. Sollten sie den bewaffnaten Kampf aufnehmen oder an britisch inszenierten Wahlen teilnehmen. Dann der Bürgerkrieg, also Aufnahme des Kampfes (aber wohl zu spät). Stalin überläßt Churchill Griechenland. Zachariadhis verliert den Richtungskampf in der Partei, wird des Verrats bezichtigt. Dann in der Sowjetunion zur Untersuchung der Umstände (1962). Sodann kurz vor seiner Rückkehr – die sowjetische Führung wollte nicht, daß er dann wieder Parteichef wird, was er höchstwahrscheinlich wieder geworden wäre – in die Verbannung nach Surgut (Sibirien), wo er 1973 unter ungeklärten Umständen verstarb. Erschreckende Wortgefechte in der griechischen KP, unter der Gürtellinie, beginnend schon vor Ende des Bürgerkriegs (1949) und danach erst richtig. Der eine macht den anderen für den Mißerfolg verantwortlich. Die KP verliert so, kein Wunder, an Einfluß. –
Ein aufwühlendes Leben am allerwenigsten eben als Subjekt, realistisch geschildert von Freddy Jermanós.
Bezüglich der Jahre der deutschen Besatzung Griechenlands sei hier noch auf ein anderes empfehlenswertes Buch aufmerksam gemacht: André Kédros, »Königsvolk«, erschienen im Verlag Volk und Welt, Berlin 1954.
Lu Xun (1881-1936) gilt als der Begründer der chinesischen Literatur. So zu schreiben wie man spricht, das war ihm ein geradezu revolutionäres Anliegen. (Übrigens der gleiche Anspruch, den Vuk Karadžić für die serbische Sprache vor und weit entfernt von jenem erhoben hatte.) »Auf der Suche«, seine erste Sammlung, umfaßt 11 Erzählungen, die zwischen 1918 und 1922 verfaßt wurden. Es handelt sich um alte Geschichten, umgestaltet: Romantik weicht dem Realismus.
Die zweite Sammlung ist »Aufruf zum Kampf«, umfaßt 14 Erzählungen, die zwischen 1922 und 1935 verfaßt wurden. Sie spiegeln dashalbfeudale und halbkoloniale Gesicht der chinesischen gesellschaft nach der Revolution von 1911 wider. Lu Xun kritisiert die Unterdrückung und geistige Versklavung der Bauern durch die feudale Ausbeuterklasse, schildert die feudale Ausbeuterklasse.
Er war einer der ersten Gebildeten in China, der die dringliche Notwendigkeit einer revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft begriff und darauf hinarbeitete.
Manche deutschsprachigen Veröffentlichungen seiner Erzählungen tragen noch die alte Schreibweise seines Namens (Lu Hsün), so die Bände »Wilde Gräser« (16 Stücke) und »Morgenblüten, abends gepflückt« (10) (alle im Verlag für fremdsprachige Literatur, Beijing, erschienen). Viele sind in einem Sammelband zusammengefaßt erschienen (»Die Reise ist lang«, Progress-Verlag, Düsseldorf, 1955).