Politik

der zustand der usa – anspruch & realität

koka

 

Der Zustand der USA zwischen Anspruch und Wirklichkeit

 

»Make America Great Again« — das unterstellt eine Ahnung davon, daß die USA nicht mehr so alle und alles überragend sind, wie sie es über 70 Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg waren. 
Kurzum, die Aufgabe, die sich die Regierung unter Präsident Trump gestellt hat, ist gewaltig. Gewaltig deshalb, weil zwangsläufig viele Stellen in das Gesichtsfeld der Regierung geraten. Fast gleichzeitig wurden diese Baustellen nun in dem noch laufenden ersten Jahr der neuen Präsidentschaft bereits angegangen.

Ein zweifellos überaus wichtiger Punkt war, die Stellung der Regierung im Innern zu festigen. Dies konnte mit der drastischen Steuersenkung für die Klasse der Bourgeoisie, für die Kapitaleigner vergleichsweise leicht gelingen. 
Eine zweite Wohltat für das heimische Kapital kam hinzu, die Absicherung mit Zöllen gegenüber der internationalen Konkurrenz. Unglücklicherweise hat sich das als zweischneidiges Schwert erwiesen. Nichtsdestotrotz wird entsprechend abgestuft an diesem Erfolgsrezept festgehalten.

Die dritte Baustelle sind die nationalen Staatsfinanzen. Über 37 Billionen US-Dollar Bundesdefizit haben selbst die US-Rating-Agenturen so beeindruckt, daß sie die Daumen nach unten gesenkt haben: Die USA sind nicht länger top bewertet. 
Die Zölle sollten auch das Staatsdefizit merklich senken helfen. Außerdem wurde die Axt an überflüssig erscheinende Ausgaben gelegt. USAID wurde aufgelöst. Bemerkenswert auch der direkte Zugriff des Staates auf den Profit von Firmen, die brisante Geschäfte mit China machen¹.
Zur Sanierung des Bundeshaushaltes soll auch die Einsparung von Ausgaben für den US-geführten Stellvertreterkrieg in der Ukraine gehören, zumal der aussichtslos geworden ist. Gleichzeitig sollen die NATO-Bündnispartner, wenn sie den Krieg weiterführen wollen — und das wollen sie ja sehr entschieden —, Waffen dafür in den USA kaufen und damit die US-Industrie stärken und gleichzeitig die US-Staatseinnahmen erhöhen.

Damit ist man schon bei den außenpolitischen Prioritäten. Mindestens so wichtig wie die Deckelung des lästig gewordenen Ukraine-Krieges ist die Sorge um den Herz-Partner, um Israel. Das dortige Zionistenregime hat sich seit nunmehr fast zwei Jahren in einen permanenten Mehrfrontenkrieg begeben. Ohne die politische und militärische Unterstützung der USA ist dieser nicht aufrecht zu erhalten. Israel hat die USA nicht gebeten, seine Kriege zu beenden. Vielmehr war die Bitte, ihm freie Hand zu geben, letztlich auch den Iran als Wurzel allen Übels anzugreifen, und die USA sollten selber einen klarstellenden Schlag landen. Obwohl Israel Hebel hat, die USA zum Einschreiten zu bewegen, war die Sache nicht so einfach. Es brauchte nicht nur eine Vorbereitungszeit von 60 Tagen. Es bedurfte auch der höchst persönlichen Reise Trumps nach Saudi-Arabien, um die Sache abzusichern. Die Araber sollten nicht dazwischenfunken und die ökonomischen Beziehungen zwischen Rijad und Washington DC sollten nicht tangiert, trotz der kriegerischen Umgebung und gerade aufgrund derselben ausgebaut werden. Trump zufolge gibt es dafür ein großes Potenzial. 
Sodann konnte der exemplarische Schlag gegen den Iran durchgeführt werden. Nicht zu vergessen der zuvor schon erfolgte Schlag gegen den Jemen, deren von den Huthi geführte Regierung es sich erlaubt, in Solidarität mit den unter dem zionistischen Genozid leidenden Palästinensern diesen zuhilfe zu eilen. Die antiiranischen US-Schläge erinnern an den gewaltigen Schlag, den Trump in seiner ersten Amtszeit 2017 gegen Syrien durchführte. Auch der kam den ohnehin israelischerseits ständig durchgeführten Bombardierungen des Nachbarstaates Israel sehr zupaß, ob ausdrücklich angefordert oder nicht.

Da ein Merkmal eines faschistisches Staates ist, einen permanenten nationalen »Befreiungskrieg« zu führen, bleibt den USA ihr eigenes imperialistisches Projekt im Nahen und Mittleren Osten bis auf weiteres erhalten. Einfach deshalb, weil es sich um ihr, die muslimische Welt kontrollierendes und »zivilisierendes« Projekt handelt, machen die USA keinerlei Anstalten, sich aus der penetranten Einflußnahme der Zionisten zu lösen: Selbst ein Genozid beeindruckt die USA nicht. Ihren Rassismus halten sie offenkundig für Zivilisation, welche in den Werten »Frieden, Freiheit, Demokratie, Menschenrechte« besteht. —

Wichtige andere Felder bleiben den USA neben dem Ukraine-Krieg weiterhin erhalten. Immerhin scheinen sich für die USA nach dem Alaska-Gipfel Trump—Putin neue ökonomische Perspektiven zu ergeben, mit denen die Ukraine — in welcher Größe auch immer sie überlebt — nicht mithalten kann.
An der Periferie Rußlands versuchen die USA weiterhin zu drehen. Sie mischen sich in den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan ein. Diesen Konflikt zu beenden, war den USA insofern besonders wertvoll, da beide Staaten den zentralen Raum zwischen Rußland und dem Iran einnehmen. Außerdem grenzen beide Staaten an die Türkei an, die sich für eine Aufnahme in das BRICS-Bündnis bewerben. Eine Aufnahme ist aber kaum denkbar, solange die Türkei Mitglied der NATO ist und mit İncirlik einen bedeutenden US-Luftwaffenstützpunkt beherbergt, auf den die USA nicht ersatzlos verzichten werden, wenn überhaupt.

China obliegt dem US-Imperialismus ebenfalls zur Lösung. Die beiderseitige wirtschaftliche Abhängigkeit neigt sich zusehends zugunsten Beijings. Der auf diesbezügliche Änderung zielende Zollkrieg ist jämmerlich fehlgeschlagen. Die Anstrengungen militärischer Drohungen sind gleichzeitig angewachsen. Angefangen von Süd-Korea über Japan, die chinesische Provinz Taiwan bis zu den Filippinen bilden die USA einen Kordon: Der Pazifik gehört den USA und seine Verletzung, insbesondere im Südchinesischen Meer, stellt einen Kriegsgrund dar. Die China vorgelagerte Inselkette plus Süd-Korea im Norden betrachten die USA gleichzeitig als ein Aufmarschgebiet. Die dortigen Regierungen sind in Augen der USA Vasallen, die aufgerüstet und — notwendigerweise mit US-Militär versehen werden (sofern sie es nicht schon sind), ohne das sie nicht wie erwünscht steuerungsfähig sind. 

Bleiben die USA-Ansprüche auf dem amerikanischen Doppelkontinent. Auch an dieser Front sind es ebenfalls die Zölle, mit denen die USA ihren Wiederaufstieg bewerkstelligen wollen. Insbesondere Kanada, Mexiko und Brasilien gehören zu den Hauptadressaten. Der Erfolg ist — wie oben bereits erwähnt — äußerst zweischneidig geblieben. Einen kleinen Erpressungserfolg verbuchten die USA gegenüber dem Kleinstaat Panama, dessen Kanal US-Schiffe nun kostenlos durchqueren dürfen. Einen weiteren gegenüber El Salvador, dessen Führer dem US-Präsidenten sein gigantisches Foltergefängnis zur Übernahme illegaler Migranten angeboten hat. In Sachen Grönland sind die Ansprüche angemeldet, deren Durchsetzung ist laut Trump nicht eilig. Sicherlich gehen die US-Überlegungen dahin, Dänemark dieses Eiland günstig abkaufen — ähnlich wie sie vor langer Zeit Alaska von Rußland kaufen konnten, als es in finanziellen Nöten war.

Abschließend muß noch die »working class« erwähnt werden, die überwiegend für Trump gestimmt hat und die sich jetzt insofern belohnt sehen kann, als daß sie bei allen ökonomischen Maßnahmen, die die Regierung trifft, erwähnt wird. Erwähnt wird, wenngleich für sie keinerlei materieller Nutzen abfällt. Freuen tut die Arbeiterklasse sich, national bewegt, wie sie seit jeher ist, wenn Tausende von Migranten abgeschoben werden. Ein Arbeitsplatz für die US-Amerikaner fällt deswegen nicht ab. Freuen kann sich diese Klasse auch darüber, daß die Straßen der Städte gesäubert werden von all den Obdachlosen: Bei aller Not will ein Yankee sauber bleiben! Freuen kann sie sich allerdings weniger darüber, daß ihnen der Zufluchtsort ihrer bedrängten Kreatur schwerer erschwinglich gemacht wird: Die Preise für Spirituosen steigen und der Drogenhandel wird bekämpft — hauptsächlich beim Endverbraucher, versteht sich. Die Großhändler machen die USA im Ausland (Israel ausgenommen) ausfindig. Und das auch noch so, daß sie Venezuelas Präsident Maduro des Narkoterrorismus bezichtigen, obwohl sie genau wissen, daß der am allerwenigsten mit der Drogenszene zu tun hat. Doch für ihr Ziel, die dortige Regierung, die sich nicht als ihr Vasall gebrauchen lassen will, zum Sturz zu bringen, ist der US-Regierung offenbar jedes Mittel recht, auch die absurdeste Rechtfertigung, wenn es eben sein muß.

Die US-Regierung hat wahrlich insofern gute Karten, als ihre Arbeiterklasse, nicht weniger als ihre Milliardäre, hinter dem US-Imperialismus steht. Nach wie vor harrmonieren Erfolg und Propaganda, auch wenn der Erfolg mittlerweile oftmals nur vorgeschützt wird.
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¹ US-Regierung nimmt 15 % Anteil, für den Verkauf von Chips der Firmen Nvidia und AMD an China in der Gesamthöhe von 3,4-Milliarden-Dollars. Für die Herstellerfirmen ist damit die Lizenz erworben, an China verkaufen zu dürfen. Dabei handelt sich um Halbleiterchips, die unter Sicherheitsvorbehalt der US-Regierung stehen, da es sich um dual-use-Waren handelt, also Waren, die sowohl für zivile wie militärische Zwecke verwendet werden können. Ursprünglich hatte die US-Regierung diese Waren im April mit einem Exportverbot belegt, machte jetzt jedoch einen Rückzieher, da sie dieses stolze Geschäft ihrer Wirtschaft aufgrund deren Schieflage sowie der ökonomischen Lage des Staates selber nicht länger vorenthalten wollte. Schätzungen Anfang des Jahres zufolge würden der Verkauf dieser Chips (1,5mn H20) nach China für das Jahr 2025 den Herstellern 23 Milliarden Dollar Gewinn bescheren.
Eine ganz andere Frage ist, weshalb China diese mit künstlicher Intelligenz programmierten Chips überhaupt kauft – aus wirtschaftlichen oder aus politischen Gründen. Wie auch immer diese Frage beantwortet wird, die Tatsache an sich macht die Schwäche der USA in ökonomischer Hinsicht deutlich. Die war schon zu sehen bei den kürzlichen Zollverhandlungen, bei denen China den USA insoweit entgegenkam, daß sie auf ihre Waren den USA einen dreimal so hohen Zoll (30%) eingeräumt hatten wie den Waren, welche die USA nach China exportieren. 
Gerne gesehen hätten die USA außerdem, daß China den Weg einschlägt, sich von Rußland abzukoppeln, sich vor allem von den russischen Erdöl- und Erdgas-Lieferungen zu befreien, so wie das den USA im Falle Deutschlands und der EU gelungen ist. 

 

22.08.2025
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Ausbeutung?! Wie, wo, warum?

koka

 

Ausbeutung? Wie, wo, warum?
 

Zunächst ein Schritt zurück, zurück in die Zeit der Sklaverei und Leibeigenschaft. Die Sklaven mußten für ihre Herren arbeiten und wurden nach allgemein üblichem moralischen Maßstab ausgebeutet. Entschädigt wurden sie mit Wohnstätte und Nahrung, also mit ganz konkreten Gebrauchsgegenständen.
Die Sklaverei wurde abgeschafft, die Sklaven wurden freigesetzt davon, für einen Herrn arbeiten zu müssen und gleichzeitig von ihrer unmittelbaren Versorgung mit Wohnung und Lebensmitteln. Ab sofort mußten sie ihre Arbeitskraft zu Markte tragen, um Geld zu verdienen und somit ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse stillen zu können, d.h. die dafür notwendigen Dinge kaufen zu können.

Daran läßt sich Mehreres feststellen:
Der nunmehr freie Mensch konnte keineswegs machen, was er wollte, wollte er nicht zugrunde gehen. Es lastete fortan ein immenser Druck auf ihm, er mußte seine Arbeitskraft feilbieten. Ja, er mußte sie, um eine Chance auf Anstellung zu finden, auch zurechtmachen auf die Bedürfnisse eines anderen, desjenigen der sie kaufen wollte. Er war also nicht mehr geknechtet wie früher als Sklave von einem Herrn, er mußte sich fortan nun selber zum Knecht machen und zwar schon bevor und damit er von einem gebraucht werden kann, der ihn mit Geld entlohnt. 

War früher sein Leben als Sklave, seine Existenz und seine Arbeit kompakt zusammengehalten, so war sein Leben nun aufgeteilt in seine unmittelbare Existenz und seine Arbeitskraft. An letzterer allein hat nun sein Arbeit-Geber Interesse. Das führte dazu, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufgrund dessen Abhängigkeit, seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen, gnadenlos ausnutzen konnte. Man legt auch in dieser Beziehung den allgemein üblichen moralischen Maßstab an und spricht von Ausbeutung. Diese Tatsache veranlaßte den Staat einzugreifen, doch dazu später.

Das, was mit der Anwendung der Arbeitskraft und ihrer Bezahlung mit Geld, erforderlich war, war eine über den Lauf der Jahre immer objektiver feststellbare »Leistung«. Wer seine Arbeitskraft verkauft, verkauft sie für eine bestimmte Zeit, in welcher er wiederum eine zuvor festgelegte Arbeit zu verrichten hat. Also: Verausgabung von Arbeitskraft pro Zeiteinheit = Leistung. Die ist objektiv meßbar. Vorausgesetzt die Arbeit ist wie erwünscht erbracht, erhält der Arbeiter dann beispielsweise einen Geldbetrag von 10 Euro pro Stunde. Seine Lebensmittel erhält der Arbeiter von einem anderen Arbeitgeber, in dessen Laden er gehen muß, um sich sein täglich Brot etc. zu kaufen, also sein erhaltenes Geld im Tausch gegen das Brot jenem zu geben. Einfach mitnehmen kann er das Brot nicht, auch wenn er noch soviel Hunger hat.  

Der Arbeiter ist also abhängig von seiner den Erfordernissen angepaßten Arbeitskraft als quid pro quo Geld zu erhalten, das er als Tauschmittel (Zahlungsmittel) benützen muß, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. 
So betrachtet besteht selbstredend die Möglichkeit, daß das erhaltene Geld für die Bestreitung seines Lebensunterhaltes nicht ausreicht. In diesem Falle spricht man nach allgemein verbreitetem moralischen Maßstab durchwegs von Ausbeutung. Dieser Zustand wirkt sich allerdings negativ auf die Arbeit selber aus, die die Arbeitskraft zu erbringen hat. Das kann auch nicht dadurch ausgeglichen werden, der Arbeitskraft in der gekauften Zeit höhere Anforderungen zu stellen oder sie gar länger als vorgesehen arbeiten zu lassen. Allerdings haben das die Käufer der Arbeitskraft nicht selber eingesehen, da mußte der Staat mit seinem Auge auf die gesamte nationale Ökonomie eingreifen. Der Staat hielt solche Art eingerissener Ausbeutungs-Ökonomie für seine übergeordneten Bedürfnisse untauglich. Er wollte und will ja aus der von ihm freigesetzten Ökonomie seinen Nutzen ziehen. Seitdem achtet er auf ein diesbezüglich gesundes Verhältnis von Ausbeutung und Lebenserfordernissen des Arbeiters, der ja möglichst lange und mit möglichst wenig gesundheitlichen Schäden verschlissen werden soll. Des Staates letzte — Aufsehen erregende — Maßnahme war die Etablierung eine Mindestlohns. Dies impliziert den Anspruch, daß niemand mehr, der in einem Staat mit gesetzlich verankertem Mindestlohn lebt, von Ausbeutung sprechen kann und darf. Denn der Begriff Ausbeutung enthält ja historisch festgezurrt immer eine moralische Anklage! 
Also ist keine Rede à la Marx mehr statthaft, der seinerzeit zwar keine moralische Anklage gegen die ökonomischen Verhältnisse erhoben hat, obgleich diese, wie man aus dem Geschichtsunterricht bezüglich des 19. Jahrhunderts vielleicht noch weiß, seinerzeit hundsmiserabel waren. Vielmehr hat Marx das Abhängigkeitsverhältnis eines Arbeiters, das er mit dem Verkauf seiner Arbeitskraft eingeht, näher untersucht. Dabei ist er zu der Schlußfolgerung gelangt, daß der Wert, den der Arbeiter mit der Übereignung seiner Arbeitskraft an einen anderen schafft (und die sich in der geschaffenen Ware werthaltig manifestiert), nicht in vollem Umfang bezahlt werden kann und wird. Seine lebensnotwendige AbhäSgigkeit eröffnet der anderen Seite nämlich eine ausgezeichnete Erpressungsmöglichkeit, nämlich, auf Kosten der angewandten Arbeitskraft ein Geschäft zu machen. Diese Sachlage wird in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht nur als ganz normal angesehen, sie darf auch nicht als Ausbeutungsverhältnis diskreditiert werden — das wäre ja gerade unmoralisch! In der staatlich etablierten kapitalistischen Gesellschaft gilt nicht staatlich erlaubte und betreute Ausbeutung als unmoralisch, sondern umgekehrt, der Vorwurf der Ausbeutung an solch famose Ökonomie! 

Noch ein Nachtrag: Wie war das damals in einer realsozialistischen Gesellschaft wie der Sowjetunion oder der DDR und heute wohl nur noch in Nord-Korea. Dort waren die Arbeiter offenkundig weder Sklaven noch von einem Geschäftemacher bei Bezahlung mit Geld in Anspruch genommen. Das Verhältnis von Arbeiter zu seinen Existenzbedingungen, also zu seinen Lebensmitteln regelte er allerdings ebensowenig in Eigenregie. Dieses Verhältnis wurde also nicht von einer Privatperson wie dem Sklavenhalter oder Kapitalisten bestimmt, sondern unmittelbar vom Staat, als dessen Staatsbürger der Arbeiter existierte. So wie er in einem kapitalistischen Staat seine Arbeitskraft für deren Verkauf an einen ihn Bezahlenden zurechtschneidern mußte, um sodann zu seinen Lebensmitteln gelangen zu können, so mußte der Arbeiter seine Arbeitskraft auch im Realsozialismus zurechtmachen, um dann seine Lebensmittel zugeteilt zu bekommen. Der staatliche Anspruch auf Arbeitsleistung war unmittelbar an die Lebensmittelversorgung der Arbeiter gekoppelt. Dieses Verhältnis wurde zwar mit Geld abgewickelt, doch das Geld repräsentierte nicht einen geschaffenen Wert, sondern war reduziert auf ein reines Tauschmittel (Zahlungsmittel). Geld war kein Tauschwert, kein Kapital. Das war auch der Grund, warum den Preisen nicht der geschaffene Wert zugrunde gelegt wurde, sondern eben staatlich festgesetzt wurde (und zwar nach Lebensnotwendigkeit: Auto teuer, Brot billig). Es war im Grunde ein Witz, die Versorgungsleistungen des Staates, für die die Arbeiter arbeiten mußten, in Geld auszudrücken. Genausogut hätte man die Arbeiter in die Läden gehen lassen können, wo sie sich das, was sie benötigten, einfach mitnehmen hätten können. 
Es ist offenkundig keineswegs so, daß der kapitallose Staat sich nicht an den Bedürfnissen und Wünschen seiner Arbeiter orientiert hätte. Das tat er sogar so sehr, daß er jenen nachzukommen trachtete, obschon er dabei vermeiden wollte, die Arbeitsleistungen der Arbeiter allzusehr zu diktieren oder gar zu erhöhen! Der Staat grübelte darüber nach, wie die Produktivität seiner Wirtschaft zu steigern wäre und blickte neiderfüllt in den Westen, wo die Produktivität durch die dort konkurrierenden Kapitale und die dafür ausgebeuteten Arbeitskräfte immer neue Höhen erreicht hatte. So von Bewunderung für den Westen erfüllt, dachte er schließlich auch gar nicht mehr daran, auf welcher Grundlage die Produktivität im Westen fußte. Ebenso die Arbeiter, denen jeder vernünftige Gedanke über Aufwand und Ertrag ihrer eigenen Arbeit abhanden kam. 
So geschah es, daß über den internationalen Vergleich in Sachen Produktivität der ursprünglich gegensätzliche Zweck, eine von Ausbeutung freie Gesellschaft zu errichten, abhanden kam. 

Und nicht nur das. Dieses Abhandenkommen wurde auch noch gerechtfertigt. Natürlich war in Rußland damals im Jahre 1917 eine Revolution angesichts der katastrofalen Ausbeutung, der Arbeiter und Bauern unterworfen waren, dringend nötig. Und sie war natürlich nicht nur dort nötig gewesen, doch anderswo nicht erfolgreich. Doch im nachhinein sahen und sehen es gerade Leute, die sich als Sozialisten begreifen, denen also die soziale Frage nicht fremd ist, darin einen Fehler. Sie behaupten, daß diese Revolution verfrüht war, also nicht zu einem Zeitpunkt, in dem der Kapitalismus so weit entwickelt gewesen wäre, daß ein Übergang zum Sozialismus auf die Tagesordnung gesetzt werden hätte sollen und dürfen. Mit der Geschichtsteleologie, nach der Sozialismus erst nach Ablauf seiner vorangegangenen Fasen erreicht werden könne, weisen sie die aktuelle Notwendigkeit, bestehend in der materiellen Notlage der Arbeiter, zurück. Sie berufen sich dabei sogar auf das Kommunistische Manifest, in dem von der Geschichte als einer Abfolge von Klassenkämpfen die Rede ist. Doch so teleologisch und apodiktisch in einen Geschichtsautomatismus mündende Entwicklung war das nicht gemeint. Weder Marx noch seine Mitstreiter wollten 1848 warten, bis daß irgendwann einmal ein Wunder vom Himmel fällt, die Ausgebeuteten erlösend. Ansonsten hätten sie gar kein kommunistisches Projekt anstrengen müssen. Für die (Miß)Interpretationen und Fehler nachfolgender Generationen können sie nicht in Haftung genommen werden, zumal der Gegensatz etwa zwischen der Ökonomie der Sowjetunion samt Verbündeten und Marx' Kapital-Analyse offenkundig ist. Es ist auch nicht so, daß man bei all den Staatsführern und im offiziellen Wissenschaftsbetrieb den Eindruck hätte, Marx' Kapital wäre zur Hand genommen und studiert worden. Ganz im Gegenteil. Die »Wissenschaft« reduzierte sich auf Weisheiten wie eben der der Geschichtsteleologie, wie sie DDR-Chef Erich Honecker einmal sprichwörtlich zusammenfaßte (»Den Sozialismus in seinem Lauf…«). Und im übrigen sei daran erinnert, daß Deng Xiaoping China auf eben den Weg gebracht hat, die dem Sozialismus vorangehende Etappe, den Kapitalismus, nachzuholen. Ob man das damit entschuldigen sollte, auf diese Weise immerhin dem Imperialismus eine Rechnung aufmachen zu können, soll an dieser Stelle nicht Thema sein. Die Alternative, das westliche Proletariat zum Aufstand gegen seine Ausbeutung zu bewegen, wurde weder von Mao Zedong noch von all seinen Nachfolgern als unmittelbar notwendig betrachtet.

Was die Sowjetunion und Co. vermeiden wollten, war sowohl der unmittelbare Zwang einer Sklavenhaltergesellschaft wie der stumme Zwang, unter den das Kapital die Arbeiter wirft. Daß sie gleichwohl nicht ohne Zwang, staatlichen Zwang auskam, war eben einerseits dem Widerspruch geschuldet, daß eine Entwicklung und eine gleichzeitige Verbesserung der Lebensbedingungen nicht ohne die Einsichten in die Ökonomie auskam. Das war die interne Seite. Dazu kam andererseits die externe Seite, daß sich die Sowjetunion ständig gegen eine ausländische kapitalistische Umwelt behaupten mußte und wollte. Das wollte sie so lange, bis sie zu der »Einsicht« kam, daß der stumme Zwang einer kapitalistischen Gesellschaft doch letzthin produktiver ist als das eigene Projekt. Eine Einsicht, die sich nun, man kann es drehen und wenden wie man will, nicht mit Marx' Erkenntnissen in Einklang bringen läßt. Und eines wollte man ganz sicher nicht, nämlich die Arbeiter auf eine rationelle Betrachtung ihrer eigenen materiellen Lage zu bringen: Denen wurde und wird immerzu unterstellt, aufgrund ihres Klassenstatus schon das richtige Bewußtsein zu haben. So daß es ein Rätsel ist und bleiben muß, warum die Arbeiter aus diesem ihrem Bewußtsein alles ihnen ganz offenbar Unzuträgliche ableiten und sich aufhalsen (auch jenseits dessen, was ihnen von außen aufgebürdet wird).. 
Die Spitze des Eisbergs ist dann, wenn ein Arbeiter (auch im Status seiner Ausbildung dazu) sich selbst als Versager dingfest macht, damit vielleicht auch noch andere in Mitleidenschaft zieht (seinen Lebenspartner etwa oder ganz andere bei üblich gewordenen Amokläufen) oder zumindest sich selbst als Selbstmörder richtet. Oder aber auch zu der fänomenalen Erkenntnis gelangt, er lebe mit den falschen Genitalien, mit den richtigen sei alles kein Problem mehr.

Bei Betrachtung des Staates als solchem kommt es zu einer absurden Verdrehung: Nicht nur, daß Staaten, die die Kapitalistenklasse abgeschafft haben, aber die Arbeiterklasse nur anders interpretiert und hofiert haben — nämlich als Staatsbürger —, als sozialistisch bezeichnet werden. Sondern auch, daß im real existierenden Kapitalismus jeder Eingriff in die Freiheit des Kapitals durch den Staat schon als sozialistisch bezeichnet wird, auch wenn er durchaus zum besseren Nutzen des Kapitals erfolgt. So wird der Sozialstaat von manchen Ideologen als Sozialismus bzw. Vorstufe dazu gesehen, nicht zuletzt übrigens von Leuten, die dem Kapitalismus kritisch gegenüberstehen. Gemeint sind Kapitalismuskritiker, die sich dem Abbau von Sozialleistungen entgegenstellen oder/und bessere Sozialleistungen einfordern.

14.08.2025
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Zumutungen eines Klassenstaats

koka

 

Zumutungen und Zukunftsoptionen eines Klassenstaats à la Deutschland
 

Es ist offenkundig, daß die Kriegspolitik der imperialistischen Staaten eine gigantische Zumutung für ihre Wirtschaft, das heißt, für ihr jeweiliges nationales Kapital ist. Ein Kapital, das mit seiner Produktion von abstraktem Reichtum (= Geld) die Grundlage eben dieser Staaten ist. Eine Grundlage, die die Staaten naturgemäß allzeit zu fördern trachten. Offenkundig unternehmen diese Staaten mit einem Krieg — und im Falle des derzeitigen Rußlandfeldzugs ist fürwahr nicht von einem Kleinkrieg zu sprechen — ein Projekt, das von ihrer ökonomischen Grundlage emanzipiert ist. Es stellt sich somit die Frage nach dem Warum.

Nun ist es ja so, daß die Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals in mancherlei Hinsicht beschränkt sind. Da gibt es die Konkurrenz der Kapitale untereinander, da gibt es den gesetzlichen Rahmen, den der jeweilige Staat aus guten, gesamtstaatlich erforderlichen Gründen vorgibt — Marx spricht vom Staat als dem »ideellen Gesamtkapitalisten« — und da gibt es die Staatsgrenzen, für deren Überschreiten zwischenstaatliche Vereinbarungen unabdingbar sind. Die Grenzen der Kapitalverwertung sind beginnend mit der Krise, die ab dem Jahre 2007 die Finanzmärkte erschütterte, enger geworden; eine Krise, die hauptsächlich einer gigantischen Überakkumulation von Kapital geschuldet war.¹ Auf diese Krise haben sowohl die einzelnen Kapitale wie auch die Staaten als Notanker derselben notwendigerweise reagieren müssen.

Die Kapitale, soweit sie sich in genannter Krise ihrer Entwertung entziehen konnten, haben neue Anlagemöglichkeiten gesucht. Sie haben sie gefunden, etwa im Agrarsektor »Landgrabbing« wurde seitdem zu einem geflügeltem Wort — oder im Farmabereich — nicht zufällig in einem wesentlichen Kern den gesundheitlichen Folgen der Pestifizierung der Landwirtschaft geschuldet; und nicht zuletzt in der Schaffung neuer Finanzprodukte, also in einem hochspekulativen, einem fiktiven Bereich.

Der Staat seinerseits ist dem Kapital in mehrfacher Hinsicht entgegengekommen. Zum einen hat er dem Kapital erlaubt, einen Teil fallierender Summen in erheblicher Höhe aus seinen Bilanzen zu streichen, den anderen Teil entwerteten Kapitals hat er mit seiner Geldhoheit gerettet. Diese Souveränität erlaubt die Schaffung von neuem Geld quasi aus dem Nichts — lediglich auf Kosten der Staatsverschuldung.
Jeder Staat hat zugunsten des Kapitals die Vorschriften insbesondere zugunsten der Vertrauenswürdigkeit der Banken reguliert, um eine künftige Finanzkrise auszuschließen. Sodann wurden staatliche Betriebe privatisiert, um neue lukrative Kapitalanlagemöglichkeiten zu schaffen. Zu Privatisierungen, einem probaten »Heilmittel« des Staates, sind neoliberale Staatsideologen übrigens schon lange vor dem 2007-Desaster übergegangen. Auch nicht ganz neu, höchstens dem Umfang nach, war die Erpressung ökonomisch abhängiger Staaten dazu, unnütz erscheinende Kosten für die Arbeiterklasse abzuschaffen sowie Staatsbetriebe zu privatisieren, um sie der Anlage auswärtigen Kapitals preiszugeben. Zu ebendiesem Zweck ist allerdings in jenen Staaten eine willfährige Regierung notwendig. Doch auch in diesem Belang ließen es die imperialistischen Mächte nicht fehlen. »Freie« Wahlen erweisen sich da erfahrungsgemäß als bedienungsfreundliches Mittel, um eine opportune Regierungsmannschaft zu erhalten. Manchmal ist dies freilich nicht ausreichend. Da müssen härtere Mittel angewandt werden. Und, wie zu sehen ist, werden sie angewandt. Das reicht von Sanktionen über Zölle, die mittlerweile von Sanktionen kaum mehr zu unterscheiden sind, bis hin zum inszenierten Umsturz und letzthin zum offenen Krieg, sollte es sich ein Staat herausnehmen, sich den Interessen der kapitalistischen Vorbildstaaten zu widersetzen.² 

Es kann selbstredend nicht ausbleiben, daß sich Staaten untereinander ins Gehege kommen. Zu wessen Gunsten solche Animositäten entschieden werden, ist dann wiederum eine Frage ihrer wohlkalkulierten Ansprüche, überlegener Macht und ihrer Machtmittel.

Es kommt, wie es kapitalistischer Logik nach kommen muß, zu allerhand Unschönheiten. Wer diese auszubaden hat — das ist nichts Neues —, das sind die breiten Bevölkerungsschichten, die eh nichts zu sagen haben, Demokratie hin, Demokratie her (sie sind ja dazu angehalten, ihre Stimme abzugeben!). Und obendrein werden die natürlichen Lebensbedingungen ruiniert, die können sich ohnehin nicht zur Wehr setzen.

Gegen die wirtschaftlichen Sachzwänge ist es bekanntlich weder vorgesehen noch erwünscht, Einwände zu erheben, ernste schon gleich gar nicht.

Daß mittlerweile das Kapital unter den höheren staatlichen Sachzwängen leidet, daß es also fast ebenso wie die Arbeiterklasse massive Kosten zu tragen hat, ist also so aufzufassen, daß eben jene Kosten nur zum besten des Kapitals gedacht sind. Ähnlich verstehen sich ja die Zumutungen, die die Arbeiterklasse in ihrer Abhängigkeit von Staat und Kapital aufgebürdet bekommt.
Es liegt auf der Hand, daß die Politik der imperialistischen Staaten ihre Arbeiterklasse weiter verarmt, verarmen muß. Gleichzeitig befördert sie eine Krise des Kapitals unter dem Vorwand, ihm dienen zu wollen. Und wer ehrlich ist, muß zugeben, daß weder Rußland noch China noch Indien noch der globale Süden dafür verantwortlich sind.

Nun führen die imperialistischen Staaten seit Jahr und Tag Krieg. Unter Zuhilfenahme von Vasallenstaaten sogar gegen Staaten, in die ihr heimisches Kapital sehr viel investiert hat, vor allem eben in Rußland, wo deutsche Firmen Milliarden investiert haben². Verlorenes Kapital! Und dazu kommt der Wegfall günstiger Energieversorgung mit Öl und Gas, das betrifft wiederum Rußland, das Deutschlands größter Lieferant von Erdgas wie Erdöl war. Wie Rußland ist der Iran nun schon seit Jahren mit Sanktionen belegt und somit einer Anlage westlichen Kapitals entzogen. Es stellt sich also die Frage, wie die westlichen Hauptstaaten ihr Kapital für die ihnen vorenthaltenen Geschäfte zu entschädigen gedenken. Die USA waren nun unter den ersten, die darüber nachdachten. Ihre Idee: Die EU-Staaten, Kanada und Japan in die Pflicht nehmen, sie mögen ihnen Gas abkaufen und anderes mehr. Von den Rohstoff- und Getreide-Verträgen mit ihrem Hampelmann in der Ukraine mal ganz abgesehen. Bei den Rohstoffgeschäften mit der Ukraine kam Großbritannien den USA zuvor, doch zum Glück der imperialistischen Konkurrenten werden sie sich um die doppelt gekauften Bodenschätze nie streiten müssen. Aber das nur nebenbei. Der Witz liegt beim Hauptkriegsagitator Großbritannien, welches mittels seiner Geheimdienste seinen Mann in Kiew abgerichtet hat; ihm wurde und wird eingetrichtert, was er zu tun und zu sagen hat. Dem Grund für die Haltung Großbritanniens kommt man näher, wenn man sich das Verhältnis zwischen dem britischen Inlandsprodukt und den Bilanzen seines Finanzkapitals ansieht. Letztere sind um ein Mehrfaches höher als jenes Nationalprodukt und stellen im internationalen Vergleich in ihrer Höhe eine respektable Ausnahme dar.⁴

Bei der Kapitalisierung Rußlands und überhaupt Osteuropas hinken die Investitionen Großbritanniens dem deutschen weit hinterher. Aufgrund eigener Ölvorkommen in der Nordsee ist der Inselstaat auch weniger auf fossile Energieimporte angewiesen als die Bundesrepublik. All das trug zum Austritt der Insel aus der EU bei, zumal sich der noch immer als  Empire fühlende Staat infolge der Finanzkrise weder Bankauflagen noch anderen Vorgaben einer deutsch dominierten EU unterwerfen wollte. Und es trägt eben auch dazu bei, den imperialistischen Konkurrenten ganz anders zu kommen, nämlich im Hineinziehen in die britische Erbfeindschaft gegen Rußland. Großbritannien litt ja als EU-Mitglied schwer unter der Vorherrschaft Deutschlands.
Von den USA versprachen sich die Briten am wenigsten Gegenwind, da diese ohnehin eine gute Gelegenheit erblicken, ein ökonomisch geschwächtes Rußland sich als mächtiger, atomar bestückter Gegenspieler vom Hals zu schaffen. So vereint gelang es geradezu spielend, die deutschen Verbindungen zu Rußland zu kappen. Dabei konnte man auf den Opportunismus der deutschen Politik setzen, die sich nach zwei verlorenen Weltkriegen endlich einmal auf der Gewinnerseite sehen will, was ihr umso leichter fällt, als es dank famoser Bildungspolitik gelang, den Haß, die Revanchegelüste gegen Rußland über die Jahrzehnte zu perpetuieren. Natürlich kann auch der deutsche Staat, seine Konkurrenzsituation mit den anderen Imperialisten hintanstellend, nicht umhin, seine privilegierte Klasse, das Kapital eben für die ihm versagten Geschäftsmöglichkeiten zu entschädigen. Und was soll der Politik dabei schon anderes einfallen als das, was ihr immer einfällt!

Mit Investitionsmöglichkeiten im Ausland sieht es zwar eher bescheiden aus, umso dringlicher trieb man zumindest den EU-Freihandelsvertrag mit den MercoSur-Staaten voran. Die Privatisierungen staatlicher Einrichtungen sind schier erschöpft. An die Rundfunkanstalten allerdings will die Politik nicht ihre Axt legen, denn die Beeinflussung der öffentlichen Meinung ist ihr eine Herzensangelegenheit — so als wäre gegenüber privaten Medien Mißtrauen angebracht — in den USA beispielsweise gibt es nur private Medien, was weder der Kapitalistenklasse noch der Freiheit der Politik keineswegs abträglich ist. Die Deregulierung des Arbeitsmarktes freilich kann man getrost den Tarifparteien überlassen, zumal die Gewerkschaften noch jede Verschlechterung zuungusten der Arbeiterklasse zu unterschreiben bereit sind, um selber als staatstragende Instanz im Geschäft zu bleiben. Bleibt, das Lieferkettengesetz ganz zur Disposition zu stellen, nachdem es der Einfluß der Kapitallobby eh schon auf ein bloßes bürokratisches Monstrum heruntergebracht hat.

Kurzum, all das führt in den Hauptstädten der G7-Staaten zu dem immer intensiver vorgetragenen Entschluß, ihre Kriege, insbesondere den gegen Rußland nicht aufzugeben. Diesbezüglich hielt der neu inthronisierte deutsche Bundeskanzler vor einem gleichgesinnten erlesenem Publikum eine Art Sportpalastrede: Wollt Ihr den totalen Frieden…dann muß der Krieg weitergehen!
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​¹ »Staatsfeind Finanzkapitalismus — … Nicht umsonst vergleicht der US-Investor Warren Buffett spekulative Finanzinstrumente mit Massenvernichtungswaffen, Anstelle von Atomraketen wie Pershing und SS20, die in den 80er Jahren die Welt in Atem hielten, sind heute verschachtelte Finanzprodukte getreten. … Der 81-jährige prangert an, seine Sekretärin unterliege einem höheren Steuersatz als er. Wenn Groß-Spekulanten wie Soros und Buffett, die nicht unter Marxismusverdacht stehen, zu den größten Kritikern des Zustands unserer Wirtschaftsordnung gehören, ist etwas faul im Staate Kapitalismus. …« (Augsburger Allgemeine, 06.10.2011) Interessent zu lesen, wenn man heute, 14 Jahre später, das Verhältnis von Krieg und Kapitalismus betrachtet! Krieg als Rettungsanker kapitalistischer Spekulation?!
² Nach westlichen Vorbild gelungene Staaten müssen zumindest drei Bedingungen erfüllen, mit denen gleichzeitig ihre Kontrolle gewährleistet wird. Die Gesetzgebung muß analog westlicher Gesetze vorgenommen sein, die Medien müssen »frei« sein und die meist nur allzu offensichtliche Korruption von staatlich unabhängigen Behörden bekämpft werden. All diese Punkte sind genuine Titel, sich in auswärtige Belange einzumischen. In einem jüngsten Fall mußte der ukrainische Vasall seinen Anschlag auf die Korruptionsbehörden (
NABU und SAP) seines Staates, die den westlichen Aufsichtsmächten unterstellt sind, zurücknehmen. Wenn Polen seine Rechtsprechung im nationalen Interesse modifizert, zetert und droht Berlin. Oder wenn die Türken falsch wählen, weil die dortigen Medien nicht »frei« sind. Usw. usf.
³ »Angst ums Geschäft — Deutsche Konzerne haben in Rußland Milliarden investiert« (Süddeutsche Zeitung, 04.04.2014)
⁴ Dieser Vergleich wurde von der Süddeutschen Zeitung aufgebracht (09.03.2013). Dabei hinkt der Vergleich ohnehin. Es wird ja nicht die nationale Wertschöpfung mit dem Finanzkapital in Beziehung gesetzt. Vielmehr das Finanzkapital mit dem nationalen Produkt, in das alle Geschäfte einfließen, also gerade auch die Säule der profitträchtigen Dienstleistungen, welche bekanntlich die der Industrie um ein Mehrfaches überragen, die aber keinen Wert schaffen, vielmehr eine notwendige Hilfe der Industrie darstellen, ein Hilfe, Warenproduktion überhaupt produktiv und erfolgreich zu machen. Dienstleistungen werden erbracht mit dem Zweck, sich einen Teil des industriellen Mehrwerts zu sichern. Industrielles Kapital kann ohne Kredit, ohne die Auslagerung der Vermarktung seiner Produkte und anderes mehr nicht überleben. (Im übrigen liegt der Anteil der Industrieproduktion am BIP in Frankreich und Großbritannien jeweils bei lediglich knapp 10%.)

 »Wie die EU Milliarden auftreiben will« (Süddeutsche Zeitung, 20.12.2021) Unter anderem sollen US-Internetkonzerne wie Google berappt werden. 

11.08.2025
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Nation für Krieg: Gewerkschaften zu Diensten

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Der DGB-Opportunismus am Beispiel der IG Metall

 

Nation für Krieg: Gewerkschaften eifrig zu Diensten

 

Die Gewerkschaften haben sich deshalb als staatliche Institutionen genehmigen lassen, weil sie es leid waren, mit der Arbeiterklasse zusammen Kämpfe für die materiellen Interessen eben dieser Klasse zu führen. Das betrifft den ADGB nach Weltkrieg 1 und den DGB nach Weltkrieg 2, jeweils inklusive ihren Branchengewerkschaften. Die staatliche Anerkennung ist ihren Funktionären so zu Kopf gestiegen, daß sie gar nichts mehr anderes wollen, als ihre Köpfe in nationaler Verantwortung zu verbohren.
In ihrem Opportunismus merken die noch nicht einmal ansatzweise, was für Unsinn sie erzählen: Sie wollen, daß der Staat per Staatsverschuldung mehr Investment mobilisiert und das Kapital seinerseits tüchtig investiert, indem es weniger im Aktien- und Derivate-Markt nach Profiten strebt, stattdessen in der Produktion. Als ob nicht eine  staatlich beschleunigte Geldentwertung in erster Linie auf den Geldbeutel ihres Fußvolks drücken würde! Und als ob nicht jede Investition in den produktiven Bereich vornehmlich aus Notwendigkeit erfolgen würde und damit einen Druck auf die Verschlankung der Lohnempfängermannschaft sowohl hinsichtlich ihrer Menge wie hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen und Löhne ausüben würde! Und nicht nur das allein, was ja schon schlimm genug ist:

1. Die Gewerkschaften sind für Krieg, wenn ihn der Staat — wie derzeit einmal mehr gegen Rußland — auf die Tagesordnung setzt. Nun weiß auch der dümmste Gewerkschaftsfunktionär, daß für Krieg allemal die Arbeiterklasse ihre Köpfe als Kanonenfutter hinhalten muß. 

2. Die Gewerkschaften sind für Aufrüstung. Sie haben Gewerkschaftsfunktionäre in Rüstungsbetrieben, die für das Wirtschaftswachstum dieser Branche Partei ergreifen. Dabei möchten sie nicht einmal davon Kenntnis nehmen, daß eine Kapitalanlage im Rüstungssektor keine produktive ist, insofern das dort investierte Kapital nicht — in welcher Form auch immer — zurückfließt. Es sind also immer wieder aufs neue Staatsaufträge erforderlich. Und jedermann weiß, auf wessen Kosten Aufrüstung letztendlich geht, einmal ganz abgesehen von der Ausbeutung in den Rüstungsbetrieben, vor denen ein Gewerkschaftsvertreter sowieso die Augen schließt. Die Gewerkschaften sind der Meinung, der Arbeiterklasse könne im Interesse der Nation noch weit mehr zugemutet werden. 
Und wie! Der zweite Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Kerner, äußert Bedenken, ob die deutschen Arbeiter schon vor dem Krieg richtig beansprucht werden:
»Zwar hebt die Politik ihre Bedeutung für die Sicherheit unseres Landes und Europas hervor. Aber anders als man denken könnte, führt das Sondervermögen Bundeswehr nicht automatisch zur Stärkung der heimischen Industrie. Sie droht vielmehr unter die Räder zu geraten, wenn mehr und mehr in Übersee gekauft wird und die Regierung keine Sorge trägt, dass Betriebe in Deutschland Wartung und Upgrades übernehmen. Wir brauchen endlich eine wehrtechnische Industriepolitik.«¹
Aber damit nicht genug: Angesichts der Kriegspolitik der Bundesrepublik befindet sich der militärisch-industrielle Komplex im Aufwind. So sehr, daß ein Sfärenwechsel von zivilen Industrien in diesen Sektor ansteht: 
»… Den Vorreiter machte schon voriges Jahres der Autozulieferer Continental. 'Von Arbeit in Arbeit' heißt das Projekt, das von der IG Metall unterstützt wird. Bis zu 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Standorts in Gifhorn sollen in 55 Kilometer Entfernung in Unterlüß einen neuen Job in einer Munitionsfabrik von Rheinmetall finden.
Oder die Übernahme des traditionsreichen Alstom-Waggonwerks in Görlitz durch den deutsch-französischen Panzerbauer KNDS. Als der Deal Anfang Februar offiziell und feierlich besiegelt wurde, kam sogar Noch-Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach Ostsachsen. Noch in diesem Jahr soll die Transformation eingeleitet werden: Geplant ist, Baugruppen für den Kampfpanzer Leopard 2, den Schützenpanzer Puma sowie den Radpanzer Boxer zu fertigen.
Oder Hensoldt: Der Spezialist für Radar und optoelektronische Geräte wirbt um Softwareexperten, deren Jobs bei Bosch und Conti wegfallen sollen. Die Liste ließe sich problemlos verlängern. BDSV-Chef Hans Atzpodien spricht von vielen Anfragen aus der Autobranche: 'Daraus ist für mich zu entnehmen, daß man auch dort die Potenziale als groß einschätzt, insbesondere wenn wir uns bei Rüstung auf die Ebene von Serienproduktion begeben', sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). … Der nächste Schritt könnte nach Pappergers Worten auch die Übernahme 'überzähliger' Autowerke sein — wie die VW-Fabrik in Osnabrück. Würden wirklich alle Rüstungspläne der Regierungen zu entsprechenden Aufträgen, 'dann werden wir schauen, ob wir eins der Werke übernehmen können'. … Der größte Vorteil der Autostandorte sei das qualifizierte Personal, sagte Papperger. Er rechnet damit, daß die Rheinmetall-Belegschaft noch vor 2030 von rund 30.000 auf 40.000 Beschäftigte wachsen wird.
'Wichtig ist, dass Betriebsrat und IG Metall von Anfang an eingebunden sind, daß der Übergang verlässlich und fair im Sinne der Beschäftigten gestaltet wird und der Arbeitgeber die Beschäftigten für die neue Aufgabe gründlich und umfassend qualifiziert', sagte Jürgen Kerner, Vize-Chef der IG Metall, dem RND. Er zeigt überdies ebenfalls grundlegende Skepsis: 'Wir warnen davor, das Potenzial zu überschätzen. Lösungen wie bei Alstom können im Einzelfall gut funktionieren, als Blaupause für den Industriestandort insgesamt sind sie nicht geeignet.' Es sei fatal, nur auf Wehrtechnik zu setzen: 'Vielmehr müssen die Kernbranchen der deutschen Industrie stabilisiert werden.'«²
Die Heimatfront darf also nicht ins Wackeln kommen, wenn, wie Kerner an die Wand malt, einseitig auf die Rüstung gesetzt wird. Sofern Arbeitsplätze gerettet werden können, ist er freilich allemal für Aufrüstung. Längst vergessen sind die Zeiten, als sich in den 70/80er Jahren Gewerkschaftsmitglieder Gedanken über Rüstungskonversion machten: Sie wollten damals wegkommen von den unmittelbar für Krieg existierenden Arbeitsplätzen hin zu einer zivilen Produktion. Das hat schon damals nicht in das Konzept der gewerkschaftlichen Obrigkeit gepaßt. Heute fällt es dieser leicht — angesichts des nationalen Kriegskurses einerseits und der prekären Lage auf dem Arbeitsmarkt andrerseits — Arbeit in Rüstungsbetrieben als absolut zweckmäßig ihrem Klientel zu verkaufen. Kerners Befürchtung, die Gewerkschaften könnten in die entsprechenden Entscheidungsfindungen der Politik und Industrie nicht eingebunden werden, ist die zum Verhandlungsgeschäft gehörende Heuchelei. Ausgeschlossen sind und bleiben allein all die Arbeiter, die zusehen müssen, wo sie mit ihrer Arbeitskraft bleiben. Weiterführende Gedanken haben sie, dafür sorgen schon Springer, Tagesschau & Company gefälligst zu unterlassen: Das brauchen ihnen ihre Gewerkschaftsbosse somit erst gar nicht groß extra zu indoktrinieren. Die Gewerkschaften sind also fein raus: Sie nutzen die Not qua nationaler Verantwortung, für die sie nicht müde werden zu plädieren, für ihr eigenes Süppchen, das sie ihren Mitgliedern wie Nichtmitgliedern einbrocken.

Noch einmal der Herr Kerner, auf der Seite des kapitalistischen Fortschritts den gewerkschaftlichen Standpunkt beglaubigend: »Bis auf ein paar verbohrte Ideologen und Ewiggestrige sind sich die Gewerkschaften, Industrieverbände und Wissenschaft im Grundsatz einig, was zu tun ist.«³
Kurz und gut, niemand muß sich mehr Täuschungen über Gewerkschaften hingeben.⁴

¹ https://www.igmetall.de/presse/pressemitteilungen/verteidigungsindustrie-zukunftsfaehig-machen
² https://www.rnd.de/wirtschaft/umbau-der-industrie-von-autobauern-zu-panzerbauern-ruestungsboom-und-fachkraeftemangel-2DELOSUJSREIFCVDPMOFTXO3VE.html
³ Augsburger Allgemeine, 11.12.2024, zitiert von der IGM-Vorsitzenden Christiane Benner in einem Interview
⁴ Nichtsdestotrotz sei der Gewerkschaft noch ein nützlicher Hinweis gegeben: In seinem Roman »Grieche sucht Griechin« läßt der Autor Dürrenmatt seinen Hauptprotagonisten in einer Rüstungsfabrik arbeiten. Als moralischer Mensch rechtfertigt der seine Tätigkeit damit, daß 'seine' Firma neben Rüstungsgütern auch orthopädische Geräte herstellt, die den Opfern der Gesellschaft zugute kommen.
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KoKa Augsburg, 29.06.2025
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Unsachlichkeiten in Sachen Karl Marx

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Unsachlichkeiten in Sachen Marx
 

Nicht daß der VSA-Verlag ein schlechter Verlag wäre. Mit Marx Schriften lassen sich auch heute noch einträgliche Geschäfte machen, insbesondere mit dem »Kapital« und so gönnt man — und der VSA-Verlag ist nicht der einzige — es dem Dietz-Verlag nicht, ihm ein Monopol überlassen, also dem Verlag, der die nach wie vor am besten editierte dreibändige Fassung verlegt. Ob man allerdings mit der Veröffentlichung einer Schrift, die Marx, selbstkritisch wie er war, in den Papierkorb geworfen hat¹, einen Verkaufserfolg erzielt? Er sah ein, daß er mit »Lohn, Preis und Profit« sich auf eine falsche Fährte begeben hatte, nämlich dadurch, daß mit »Preis« als zentralem Erörterungspunkt dem Geheimnis des Profits, also dessen Ursprung nicht näher zu kommen ist. Sodann packte Marx sein Vorhaben ganz neu an und schrieb einige Jahre später »Das Kapital«. Preis ist nämlich lediglich ein Ausdruck dafür, daß eine Ware Wert hat, zeigt aber nicht auf, wodurch dieser Wert begründet ist. Aus dem Preis auf den Wert einer Ware zu schließen, hieße ja, daß deren Wert auf dem (Waren-)Markt entstünde. Daß dem nicht so ist, hat Marx ja dann nachgewiesen: Er hat sauber unterschieden zwischen dem Produktionsprozeß des Kapitals (Band 1), in dem Wert vermittels der Verwertung von Arbeitskraft geschaffen wird, und dem Zirkulationsprozeß des Kapitals (Band 2), in dem der geschaffene Wert, die Ware veräußert wird, damit der Kapitalrückfluß in der gewünschten Form plus dem Mehrwert, der in dem Teil unbezahlter Arbeitskraft besteht, stattfindet und zwar in der einzig angemessenen abstrakten Form, nämlich in Geld.
Daß » Das Kapital« etwas umfangreich geraten ist, liegt hauptsächlich daran, daß sich Marx sehr sehr viel Mühe gegeben hat, die Sache, die er erklären wollte — nämlich wie kommt der Profit zustande und welche Notwendigkeiten schließt solch kapitalistische Ökonomie ein — jedem wirklich daran Interessierten ebenso verständlich wie gründlich darzulegen. Deshalb ist sein Einstieg in das Thema auch der am allernaheliegensten: Er beginnt mit der ungeheuren Warensammlung, mit der Ökonomie wie Politik jeden darüber täuschen mag, der der Ansicht ist, diese Ökonomie wäre für ihn als Verbraucher so wundervoll vorteilhaft eingerichtet: »Wir« würden (nur allzu sehr) in einer »Wohlstandsgesellschaft« leben.

Nichtsdestotrotz gibt es mal wieder — wie schon in den 1920er Jahren — einen, der meint, »Das Kapital« müsse verkürzt und damit verständlich dargestellt werden². Der Autor dieses neuen Buchs empfiehlt sein Buch folgendermaßen: 
»Warum regiert das Geld die Welt? Karl Marx hat diese Frage in einem Buch beantwortet, das bis heute als eines der einflußreichsten der Geschichte gilt. Dennoch haben es nur wenige Menschen vollständig gelesen.'Das Kapital' umfaßt drei Bände mit rund 2.500 Seiten, ist komplex, theoretisch und voller historischer Bezüge. Keine leichte Lektüre.«
Erstens: Mit der ebenso banalen wie moralschwangeren Frage »Warum das Geld die Welt regiert« hat sich Marx weder in diesem Buch noch sonstwo abgegeben. Zweitens ist »Das Kapital« weniger einflußreich geworden als vermutet, zumal es ja ganz offenkundig nicht einmal in den (mittlerweile zurücktransformierten) realsozialistischen Staaten gelesen wurde. Hätten Stalin, Chrustschow, Breschnew, Gorbatschow und noch einige dazwischen und drumherum es wirklich studiert, hätten sie sicherlich nicht die Politik gemacht, die sie nun einmal gemacht haben. Doch die Staatsgewalt in Händen verführt zweifellos dazu, sich lässig über theoretische Erkenntnisse hinwegzusetzen. Im übrigen wird niemand behaupten wollen, daß sich der Realsozialismus in irgendeiner Weise um die Emanzipation der Arbeiterklasse gekümmert hätte — schließlich wollte er ja mit ihr Staat machen, diese Klasse als seine Manövriermasse benutzen, wenngleich ein wenig unterschieden von der Art wie es herkömmlich bürgerliche Staaten machen. Drittens: Was soll die Rechtfertigung der Kurzfassung mit »komplex«? Verdient eine so gründliche Aufarbeitung eine solche Abschreckung? Und »theoretisch«? Ja bitteschön, was soll denn ein wissenschaftliches Werk denn sonst sein? Doch man sieht: Theorie ist dem Herrn Kurzangebunden schon von vorneherein suspekt: Er jedenfalls könne damit nichts anfangen und, wenn er das nicht könne, dann wohl auch sonst niemand!³ »Und voller historischer Bezüge«: Na und: Schließlich würde eine Ableitung von Erkenntissen ohne solche Bezüge ja gerade dem Herrn Superzusammenfasser erst recht nicht einleuchten, oder? Jedenfalls verspricht der gute Mann mit seiner Fassung eine leichte Lektüre! Auch seine Bemerkung »für alle, die … sehen, daß etwas schiefläuft«, ist schlicht daneben: Im Kapitalismus läuft es so, wie es laufen muß und es kann, was sein Prinzip der der Kapitalverwertung unterworfenen Produktion angeht, eben gar nicht anders laufen. Der Autor hat das »Das Kapital« wohl als ökonomischen Verbesserungsvorschlag gelesen und somit gründlich mißinterpretiert! Eine wahrlich hohe Kunst: Das Hineininterpretieren von Moral und Rechtfertigung (verflossener) realsozialistischer Ökonomien gibt die Absicht jener Kurzfassung zum Besten und man will sein Buch erst gar nicht zur Hand nehmen!

Ein anderer Mann macht sich eben auch so seine Gedanken zum Kapital. Dessen Einstieg ist gar nicht so schlecht: Die Realsozialisten der UdSSR & Co. hätten Marx in ideologisierter Form zu ihrem Fundament erklärt und sich dabei weniger auf »Das Kapital« als auf das »Kommunistische Manifest« gestützt. Der Autor hält dem entgegen: Marx verstand sich als Wissenschaftler und eben nicht als Filosof. Einmal abgesehen davon, daß es Marx scheißegal war, in welche Schublade er von Dummköpfen geschoben wurde: Solche Behauptung birgt alllerdings mehr Unklarheit als Klarheit. Was gilt denn heutzutage als Wissenschaft? Alle möglichen Ideologien werden doch an den wissenschaftlichen Einrichtungen, als die sich »freie«, gleichwohl den Staatsaufgaben verpflichtete Universitäten allenthalben verstehen, geschaffen und gepflegt. Mit diesen Marx' Erkenntnisse und Kritik gleichzusetzen ist abstrus, ja abwegig. Marx war Ideologiekritiker schlechthin. Marx war Wissenschaftler im Sinne von Aristoteles, dem zufolge Wissenschaft sich von bloßem Wissen dadurch unterscheidet, daß sie auf Beweisen beruht⁵ — allen von Menschen geschaffenen Tatsachen liegt ja ein Grund zugrunde. Die Lehranstalten der Realsozialisten haben eben auch nichts anderes als stinkbürgerliche, ideologiebasierte Wissenschaft betrieben, zum Zwecke ihrer Staaten — dabei wäre ja Marx nur hinderlich gewesen. Aufschlußreich ist allerdings, daß sie die Frühschrift von Marx und Genossen, das »Kommunistische Manifest« so hochhielten: Denn das hat ihnen gefallen, daß darin behauptet wird, die Geschichte wäre eine Geschichte von Klassenkämpfen. Und da die Kapitalisten- und Grundbesitzerklasse durch die Oktoberrevolution abgeschafft war, sah man sich in Moskau so ziemlich auf der in jener Schrift anvisierten Zukunft. Dabei ist die behauptete Tatsache ein schönes Interpretationskunststück. In Wirklichkeit ist die Geschichte hauptsächlich eine Geschichte von zwischenstaatlichen Kriegen und die Ökonomie auf die Gewalt eben der Staaten zurechtgeschnitten. Allerdings kam es damals, 1848 — es war die Zeit nationaler Erhebungen und Staatsgründungskriegen — Marx und seinen Genossen mit jener Bemerkung darauf an, ja sie sahen eine Notwendigkeit darin, auf die materiellen Grundlagen der Staaten hinzuweisen, die auf Kosten der Klassen gehen, die ihren Kopf für sie hinhalten müssen, sofern sie sich nicht anschicken, einen (weltweiten und eben nicht national beschränkten und irreleitbaren) Aufstand gegen ihre Beherrscher machen. Mit dem »Kommunistischen Manifest« war zum erstenmal der Gegensatz niedergelegt zwischen der nationalen und der sozialen Frage, ein Gegensatz auf denen jeder Kommunist bestehen muß, wenn er sich nicht wie Stalin und andere verlogen auf dieses Manifest bezieht.
Doch zurück zu dem Mann, der sich Marx wohlwollend vorgenommen hat. Der schreibt: 
»Im Zentrum seines Denkens stand die Analyse der Arbeit. Der Mensch ist 'das Tier, das sich selbst produziert', so die Herausgeber der kritischen Marxausgabe Siegfried Landshut und J. P. Meyer. Zur Analyse der Arbeit war es notwendig, sich ökonomische Kenntnisse anzueignen. … Marx formulierte daraufhin die Mehrwerttheorie. Sie besagt, daß ein Mensch mehr Wert schaffen kann, als zu seiner eigenen Erhaltung notwendig ist. Die Differenz macht sich der Kapitalist zu eigen, indem er den Arbeiter mehr arbeiten lässt, als er ihm für seinen Lebensunterhalt bezahlt. So entsteht der Profit.«
Der Witz an der Analyse der Arbeit, war bei Marx jedoch nicht die Arbeit an sich, sondern die bestimmte Form von Arbeit, nämlich Arbeit im Tausch für Geld, ohne das wiederum die nötigen Lebensmittel nicht zu beschaffen sind. Und da ist es nicht der Witz der Sache, »daß ein Mensch mehr Wert schaffen kann, als zu seiner eigenen Erhaltung notwendig ist«. Ein Mensch wäre ja verrückt, wenn er mehr schaffen würde als zu seiner Erhaltung notwendig ist. Die Wahrheit ist vielmehr: Unter kapitalistischen Verhältnissen wird der Mensch, der seine Arbeitskraft feilbietet, unter seine zu ihrer Erhaltung erforderlichen Notwendigkeiten gedrückt. Er wird erpreßt und kann erpreßt werden aufgrund dessen, daß er seine Arbeitskraft notwendigerweise verkaufen muß, da ihm selber jede andere Reprodukionsmöglichkeit entzogen ist. Er wird von denen ausgebeutet
, die durch ihren Reichtum in der Lage sind, andere für sich, für ihren Zweck, nämlich den der Kapitalverwertung arbeiten zu lassen. Der Arbeiter wird immerzu an sein schieres Existenzminimum gedrückt, er kommt selbst wenn er ein wenig darüber ist, nie wirklich auf einen grünen Zweig, d.h. nie auf seine Kosten, er wird skrupellos verschlissen. Richtig wäre es also zu sagen, der Arbeiter muß mehr Wert schaffen — er erhält nie den vollen Gegenwert seiner verausgabten Arbeitskraft, vielmehr nur soviel wie zu deren unmittelbaren Reproduktion nötig ist!
Die Welt sieht demnach so aus: Neulich war in der Augsburger Allgemeinen gleich auf der Titelseite zu lesen, daß bald ein Viertel der Arbeiter zum Mindestlohn arbeiten
. Und wie es um die gesundheitlichen Zustand der arbeitenden Bevölkerung bestellt ist, weiß man auch. Eben kam die Meldung, daß in den USA, der fortgeschrittenste kapitalistische Staat überhaupt, in dem etwa 4 % der Weltbevölkerung lebt, über 50 % aller weltweit verkauften Medikamente verschrieben werden. Und da behaupten die Herausgeber einer kritischen Marxausgabe »der Mensch sei das Tier, das sich selber produziert«: Lächerlicher geht es wirklich nicht! Man möchte gar nicht wissen, was in jener »kritischen Marxausgabe« sonst noch für Mist steht. Doch auch der, der diese beiden Herren zitiert hat, verfällt zusehens in stinkbürgerliche Klischees: 1. Marx hätte profezeit. Nein, Marx hatte allenfalls gehofft. 2. Die kapitalistische Gesellschaft ginge an ihren Widersprüchen kaputt. Auch das ist nicht aus Marx' Schriften abzuleiten. Im Gegenteil, Marx war sich bewußt, daß es einen Automatismus nicht gibt und er war nie Prediger einer Geschichtsteleologie. Er wußte sehr wohl, daß eine kapitalistische Gesellschaft sich in und mit ihren Widersprüchen fortbewegt und alles tut, um die Widersprüche als Probleme zu bewältigen trachtet — als solche faßt sie nämlich ihre Widersprüche auf, von denen sie sich keinen Begriff macht und auch nicht machen muß, denn schließlich macht ihre Gewalt eine Begriffsbildung überflüssig. 
3. Daß Marx den Staat als bloßen Überbau gesehen hätte, was ein Vorwurf eines in jenem Aufsatz erwähnten Protagonisten eines »liberalen Staates« ist, ist eine willkürlich verdrehte Auffassung. Richtig: Der Staat schöpft seine Gewalt aus seinen ökonomischen Mitteln, doch mit seiner Gewalt steht er über seiner Ökonomie: Er setzt eine Klassengesellschaft ins Recht, die er beaufsichtigt und steuert, jede Verfassung legt davon Zeugnis ab. Jedes einzelne Kapital seinerseits weiß, was es am Staat hat, der ihm Bürden (Investitionshemmnisse!) abnimmt und Freiheiten auch und gerade gegen andere Staaten schafft. Klar, die Arbeiterklasse hat nichts vom Staat zu erwarten, er verwaltet die als seine Manövriermasse, die er, Steuern zahlen lassend, schröpft, und als Verwertungsmasse seiner Kapitalistenklasse. Vor der schützt der Staat die Arbeiter als unterprivilegierte Klasse gerade mal soviel, damit sie bis ins hohe Alter ausnutzbar bleibt.
Zum Schluß kommt der Autor noch auf China zu sprechen, das ja als sozialistisch gilt — und nicht zuletzt deswegen ja vom Westen so fürchterlich angefeindet wird. Und es ist leicht zu sehen, daß China sich nicht auf Marx berufen kann, wenn es seinen Staatsökonomie kapitalistisch organisiert. Doch über Sinn und Zweck eines Staatsprogramms zu reden, erübrigt sich einem »liberalen«, um nicht zu sagen: staatsbürgerlich denkenden Betrachter ja sowieso. Allenfalls könnte einem solchen zumindest auffallen, daß die von ihm bereits angesprochenen, aber leider nicht vertieft angesprochenen Widersprüche des Kapitalismus von der Regierung in Beijing anders und wohl besser unter Kontrolle gehalten werden als von den führenden Weststaaten. Wenn hier schon bei dem Thema Staat und Sozialismus angelangt: Es gibt ja in der westlichen Welt eine schier unumstößliche Behauptung, die besagt, daß der Staat, je umfassender er agiert, die Tendenz hat, sozialistisch zu werden, was mittlerweile durch die Bank als negativ beurteilt wird. Und umgekehrt, daß gerade deshalb es nötig sei, möglichst den Staat und seine Befugnisse zugunsten der Freiheit der Wirtschaft zurückzufahren — als hätte eine »überbordende« Bürokratie nicht in jedem ihrer Details Sinn & Zweck. Tatsächlich jedoch hat ein Staat nur dann einen kleine sozialistische Seite, wenn er das Kapital abgeschafft hat. Wirklich sozialistisch kann ein Staat gar nicht sein, denn eine Emanzipation der Arbeiterklasse befreit dieselbe nicht nur vom Kapital, auch von ihrem eigenen Klassenstatus, hat also die Gewalt eines Staates, der ihr vorsteht, gar nicht nötig, weil nutzlos. 

_____________________________________
​¹ Schon zu Marx' Zeiten gab es wohl Leute, die lieber in Papierkörben fischen, als ihren Verstand zu strapazieren!
² Hermann Lueer: Das Kapital von Karl Marx: aktualisiert und kurz gefaßt – Band 1
³ Die der Theorie zugemessene Bedeutungslosigkeit für die Praxis ist typisch für ML-Ideologen. Die haben sich seit jeher der Praxis verschrieben. Dementsprechend sieht deren Praxis dann aus — blinder Aktionismus.

 Rodion Ebbighausen: Karl Marx — Die Karriere einer Idee (Beitrag für die Deutsche Welle) [Im übrigen ist es wirklich lustig, zur Illustration des Beitrags ein dpa-Foto breit ins Bild zu rücken, auf dem eine Hand einen frisch blinkenden Kapitalband aus dem Regal zieht.]
⁵ Das gilt nicht allein für Naturwissenschaften, für Gesellschaftswissenschaften nicht minder: Aristoteles machte da keinen Unterschied,er konnte ja auch gar nicht auf solche Idee verfallen, da er die modernen bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften nicht kennen konnte.

Ausbeutung ist eine sachlich begründete Kategorie — im Gegensatz zu ihrem bürgerlichen Verständnis, nach dem Ausbeutung ein moralischer Begriff ist, der allein dabei verwendet wird, wenn dem Arbeiter übermäßige Schinderei zugemutet wird.
 Ein schöner Erfolg der Hetzer für mehr Wirtschaftswachstum! Herzlichen Glückwunsch auch an die amtlich befugten Verscherbler der Arbeiterklasse, an die im DGB zusammengeschlossenen deutschen Gewerkschaften! 
 

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Faschismus heute

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Faschismus heute

 

Die heutigen Faschisten – hauptsächlich versammelt in der AfD – wollen vom damaligen nicht mehr viel wissen. Vielleicht teilen sie noch die von den demokratischen Nationalisten nahegelegte Meinung, Hitler wäre mehr oder weniger ein Einzeltäter gewesen, der die braven allzu gutgläubigen Deutschen verführt hätte, aber das war es auch schon. Störend am Dritten Reich war ja vor allem die Weltkriegsniederlage, aus der die Bundesrepublik bekanntlich Jahr für Jahr großmächtiger auferstanden ist, so daß sich jeder nationale Widerspruch auf über 50 Jahre im großen und ganzen erledigt hatte.
In dieser Zeit gab es zwar immer wieder Versuche der Faschisten, den Kopf aus der demokratischen Schlinge zu ziehen — man denke an die NPD in den 60er Jahren, Nationalzeitung-Herausgeber Frey mit seiner DVU noch in den 70er Jahren und an die Republikaner in den späten 80er Jahren —, doch jeder sozusagen »intelligente« Nazi wußte sich mit seinem Nationalismus in den anderen Parteien (SPD, CDU/CSU, FDP) weit besser aufgehoben. Schließlich konnte er seine nationalen Gedanken dort prima einbringen (wenngleich noch strategisch gebremst) und dabei sich hilfreich betätigen, Deutschlands Weltgeltung voranzubringen. Ein vordringlicher Punkt war, Deutschlands Kriegsschuld und damit seine Kriegsniederlage zu relativieren und zu revidieren: Man teilte ja die allen Nationalisten gemeinsame Frontstellung gegen den in Moskau zentralisierten Bolschewismus, die mit dem Ende des Krieges ja keineswegs beendet war. Angesichts dessen nahm man es in Kauf, den Antiamerikanismus etwas zurückzustellen, da man, fokussiert auf den Hauptfeind im Osten, die USA ja brauchte, um mit ihm fertig zu werden.
Die Erledigung des Bolschewismus hat bekanntlich hervorragend geklappt, wenngleich der Erfolg wenig objektiv beurteilt wurde. Es war letzthin nämlich einzig eine souveräne Entscheidung des russischen Staates. Und schließlich hatten auch die Warschauer-Pakt-Staaten und unter ihnen die DDR das ihre dazu beigetragen: Hatten sie nicht ihre Bevölkerungen auf die Nation eingeschworen, zwar eine bessere, sozialistische, aber vor allem eine dem Volk dienliche erfolgreiche Herrschaft! Und nicht nur das Volk, sondern auch seine Obrigkeit hat zuletzt eingesehen, daß eine erfolgreiche Herrschaft besser ohne sozialistische Begleiterscheinungen verfährt. So sind neue beziehungsweise rundumerneuerte Staaten nach westlichem Vorbild entstanden, die DDR hat sich dem westdeutschen Modell einverleibt. Ein Modell Deutschland, das ihr vor allem von den Supernationalisten Willy Brandt und Helmut Schmidt seit geraumer Zeit schon anempfohlen worden war.
Nun, der Fortschritt, da hatte Honecker recht, läßt sich nicht aufhalten: Vor allem, wenn er auf die nationale Karte setzt! Der Bolschewismus und sein Moskauer Anker waren also über Nacht verschwunden. Nicht aber »die Russen«! Die störten und stören insofern weiterhin, solange sie Staat auf eigene Rechnung machen. Nicht, daß sie gerne dem »gemeinsamen Haus Europa« und den G7 als G8 beigewohnt hätten: Nur, das hatten sie mißverstanden: Unter Beiwohnung versteht man im Westen Untermiete und somit Unterordnung und das wollten die Russen dann doch nicht; dazu waren und sind sie sich zumal als anerkannte Atommacht ja dann doch viel zu schade.
Wie allseits bekannt hat Rußland dann begonnen, um seine Anerkennung zu kämpfen, zuletzt mit der imperialistischen Herausforderung, ihm sein Einflußgebiet Ukraine zu entreißen. Der Krieg, von langer westlicher Hand vorbereitet, verläuft aus westlicher Sicht nicht wunschgemäß. Was nützt da all das Gezetere und Kriegsgeschrei!
Und an dieser Stelle kommen die Nationalisten ins Spiel, die es schon immer gewußt zu haben glauben: Die US-Amerikaner haben uns Deutsche zu diesem Krieg verführt! Zu einem Krieg, der Deutschland nichts nützt und deshalb beendet werden soll. Diesem deutschnationalen Standpunkt zollen sogar die Russen Anerkennung, was den alternativen Deutschen aber nicht allzuviel nützt, weil ihnen damit Sympathie mit dem Erzfeind vorgehalten wird.
Was sieht man nun daran: Nationalisten sind Opportunisten des nationalen Erfolgs und seines Weges. Die einen, die demokratischen Nationalisten halten umso mehr an ihrem Rezept fest, den Erfolg auf die Art und Weise sicherzustellen, die sie eingeschlagen haben. Die anderen, die faschistischen Nationalisten sehen eine Gelegenheit, die Staatsräson zu ihren Gunsten zu revidieren, damit die zwar nicht von ihnen, nichtsdestotrotz erreichte deutsche Weltgeltung nicht gefährdet oder gar demontiert werde. Ihr Antiamerikanismus¹ erlebt eine Auferstehung, was sie sehr froh stimmt, nicht zuletzt in ihrem Rassismus gegen den »dekadenten Vielvölkerstaat USA«, während die Russen noch traditionelle »Werte« hochhielten, Werte, als deren Vorkämpfer alle Reaktionären, alle Ewiggestrigen sich gerne aufspielen. So sind sie also keineswegs prinzipiell gegen Krieg, vielmehr gegen einen Krieg, weil er nicht ihr Krieg ist. Bezeichnend dafür ist auch die Äußerung einer AfD-Funktionärin, 5% des Bruttoinlandsprodukts fürs Militär seien bei weitem nicht ausreichend.
Der Gegnerschaft zum Ukraine-Krieg ist natürlich nicht die einzige Sache, mit der die Faschisten von der AfD punkten wollen. Mehr oder weniger mittelbar mit dem Krieg hängt die ökonomische Lage der Nation zusammen. Die Ökonomie ist ein interessanter Punkt, wie sich heutige Faschisten zu ihr stellen. Die Damaligen unter Hitler kannten eine Scheidung zwischen schaffendem = national orientiertem = gutem Kapital und raffendem = international orientiertem = schlechtem Kapital, manifest in jüdischem Finanzkapital. Diese ideologische Differenz kennen sie auch heute noch, allerdings rückt sie angesichts der nationalen Herausforderungen eines Exportweltmeisters in den Hintergrund. Auch hier ist der Opportunismus des Erfolgs der Gesichtspunkt schlechthin. Und da man auch in dieser Frage viel konsequenter Nationalist sein will, als es die herrschenden Nationalisten sind, wirft man ihnen vor, viel zu wenig Anstrengungen zur Förderung des Kapitals zu unternehmen, also die Freiheit des Kapitals geradezu unnötig einzuschränken, mit staatlicher Bürokratie zu drangsalieren etc. Mit diesen radikalkapitalistischen Forderungen versuchen sie, offene Türen beim Kapital selber und bei allen national denkenden Staatsverantwortlichen einzurennen. Und es ist tatsächlich so, daß sie die herrschende Elite in ihrer rigorosen Parteinahme für das Kapital zu verstärken und zu radikalisieren gedenken. Nur: Gerade da wollen sich die demokratischen Amtsverwalter nichts vormachen lassen — ebenso wenig übrigens wie sie sich in ihrer antirussischen Politik dreinreden lassen wollen.

Der Vorwurf schlechthin, den die Faschisten tagaus tagein lancieren, ist der des Versagens: Staatsversagen mit uns Deutschen nicht! Da kann natürlich ein historischer Vergleich nur stören, weshalb die Hitlerära ihrem Vor- und Nachdenker Gauland zufolge als »Vogelschiß in der deutschen Geschichte« in die Geschichte eingehen sollte oder wie eine andere Tante aus diesem Spektrum meinte, daß Hitler ein Sozialist gewesen wäre, was ja nicht anders sein kann, denn, wie man sehe, habe der die Nation mit der Kriegsniederlage ja verraten!
Verrat der Nation! Diesen Übergang machen Faschisten immer ganz selbstverständlich da, wo sie meinen, der herrschenden Staatsräson am Zeug flicken zu können. Auch die Corona-Pandemie benützten sie dazu. Als ob die staatliche Berechnung, Volksgesundheit und kapitalistische Bewältigung gekonnt ins Verhältnis zu setzen, nicht überaus rationell gewesen war — und zwar von einem ziemlich radikalen Staatsgesichtspunkt aus. Es war gerade so, daß die AfD neidisch auf die Radikalität des Staates blickte und ihm deshalb mit allerhand Opposition von unten beizukommen wollte². Ja, die Berufung aufs Volk, auf eine immerzu schweigende Mehrheit, die reklamieren Faschisten stets für sich! Der Staat habe die Untertanen, das gute und bedauernswerte — Faschisten zeigen Empathie! — deutsche Volk, verraten, vorsätzlich und mit bösen Hintergedanken — ein gängiger Vorwurf! Hier sind sie allemal offen für die krudesten Verschwörungstheorien. 

Vor allem im Ausland gibt es die Befürchtung, mit der AfD könnte in Deutschland wieder eine faschistische Partei an die Macht gelangen. Das wird der bundesdeutsche Staatsapparat zweifellos zu verhindern wissen — er hat ja seine Sicherheitsventile, die vielfältigen demokratischen Institutionen. Doch das, eine Machtergreifung ist gar nicht der Punkt. Ganz abgesehen davon, daß in Italien mit der regierenden Meloni-Partei Fratelli d’Italia ein Beispiel außenpolitischen Opportunismus vorliegt, insbesondere im  — in Übereinstimmung mit der EU — vorgetragenen Antirassismus und Antirussismus. Nein, der Punkt ist vielmehr der, daß der oppositionelle Einfluß der Faschisten auf die Regierungstätigkeit — ebenso vehement wie wohldosiert unterstützt übrigens von den hetzenden, Haß schürenden Springer-Medien — als solcher ja nicht zu leugnen ist. In den Maßnahmen gegen Migranten stimmen Regierung und AfD-Opposition ja prinzipiell überein. Ebenso in Sachen Aufrüstung. Ebenso in Förderung des Kapitals bei gleichzeitigen Zwangsmaßnahmen gegen das auszubeutende Menschenmaterial. Und nicht zuletzt in der »Werte«-Propaganda, in einer »deutschen Leitkultur«!

¹ Mit Antiimperialismus ist der schon deshalb nicht zu verwechseln, weil er vom Standpunkt eines konkurrierenden Imperialismus aus erfolgt.
² Und man muß sagen, leider sind ihnen da auch einige Naturwissenschaftler mit ihren in der mikrobiologischen Sache durchwegs richtigen Erkenntnissen auf den Leim gegangen.

19.05.2025
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vietnam 1972

koka

 

Vietnam Juli '72
 

Die kommunistische Offensive im April/Mai hat deutlicher als erwartet gezeigt, daß auch die nordvietnamesischen Mittel nicht ausreichen, um diesen grausamen Krieg zu beenden, so­lange die Amerikaner gewillt sind, ihre absolute Luftüberle­genheit skrupellos auszunützen, um die südvietnamesische Pseudo-Demokratie, sprich das Regime Van Thieu, zu retten. Der Versuch der Kommunisten Südvietnam, selbst unter großen eigenen Verlusten, zu überrennen schlug fehl, darüber können auch die Erfolge zu Beginn nicht hinwegtäuschen. Ihr Eroberungsfeldzug mit dem Ziel, das zentrale Hochland einzunehmen und von da aus das Land zu teilen, scheiterte in der Schlacht um Kontum, einer strategisch äußerst wichtigen Stadt nahe der Grenze nach Laos, die sich jetzt wieder, wenn auch größtenteils zerstört, völlig in der Hand südvietnamesischer Truppen befindet. Auch die An­griffe auf Pleiku und Hue wurden abgeschlagen und weitere Ver­suche zur Eroberung dieser Städte sind während der gegenwär­tigen Monsunzeit, die bis zum Herbst dauert, nicht zu erwarten, da alle Nachschubwege aus Nordvietnam durch die anhaltenden Regenfälle in Schlammpfade verwandelt wurden.
Die zweite Hauptstoßrichtung der "Befreiungskämpfer", nämlich entlang der Nationalstraße 3 auf Saigon zu, wurde mit der ge­waltigen, Monate dauernden Materialschlacht von An Loc blockiert. Diese Stadt, mehr von psychologischem als militärischem Wert, wurde zu über 90% zerstört, aber in das 100 km entfernte Saigon ist mit dem Pyrrussieg bei An Loc wieder Ruhe und relative Gefahrlosigkeit eingekehrt.
Die Nordvietnamesen, die bei dieser Offensive gewaltige Ver­luste erlitten und zunächst am Ende ihrer Kraft sind, haben dazu auch Sorgen um das eigene Land. Die amerikanische See­blockade seit dem 12. Mai, die mit der Verminung der wichtig­sten Seehäfen und Binnenkanäle am 10. Mai eingeleitet wurde, schnitt den Nachschub an Munition, insbesondere für die Raketenstellungen, aus der UdSSR ab. Zum zweiten fliegen amerikanische Langstrecken- und Jagdbomber wieder schwere Angriffe u. a. auf die Dämme des Roten Flusses, auf Kraftwerke (das größte ist bereits zerstört), auf Eisenbahnlinien (besonders nach China) und andere "militärische" Ziele. Auch der Hafen von Haiphong wurde mit Bombenteppichen belegt. Aber die Mon­sunregen behindern in zunehmender Weise auch die Einsatzmöglichkeiten der Flugzeuge. Von den militärischen Fronten sind also bis frühestens Spätherbst keine Überraschungen mehr zu erwarten.
Bis dahin hat sich, vielleicht, auf der politischen Bühne etwas getan. Der Nixon-Besuch in Peking und der Besuch des sowjetischen Staatsoberhauptes Podgorny in Hanoi haben unter Umständen einem kleinen Schritt in Richtung Frieden den Weg geebnet. Vielleicht kann die nordvietnamesische Regierung von Peking und Moskau zu ernsthaften Friedensverhandlungen bewegt werden, wenn es auch sehr schwer ist, da die Herren in Hanoi sich beinahe unabhängig fühlen und für die Sache des Weltkommunismus bis zum "Endsieg" zu kämpfen bereit sind. Das Regime in Saigon könnte von den USA zur Teilnahme an einer Friedenskonferenz gezwungen werden. Sollte etwas in dieser Richtung zustandekommen, so könnte sich doch in Südostasien in der 2. Jahreshälfte etwas verändern; auch wenn dann nicht viel mehr als ein größerer Funken Hoffnung wahrzunehmen ist, so wäre dies bei der verzwickten Lage schon ein Riesenerfolg. Die endgültige Lösung des Problems kann auf jeden Fall nur eine politische sein, denn wer auch immer Herr im Weißen Haus in Washington ist, ob Nixon oder McGovern, er wird nicht als erster Präsident der Vereinigten Staaten einen Krieg, wenn er auch nie erklärt wurde, mit einer totalen Niederlage und ohne jeglichen Erfolg beenden wollen und können.
Doch ob die politische Lösung dieses gordischen Knotens noch 2, 5 oder 15 Jahre auf sich warten läßt, das kann niemand sagen, auch der nicht, der mit der für uns Europäer so seltsam anmutenden Mentalität der Vietnamesen noch so vertraut ist. Die Chancen für eine Beendigung dieses entsetzlichen Kriegs waren schon geringer.
(cpk)
[aus »Realist«, Schülerzeitung des Peutingergymnasiums (früherer Name: Realgymnasium) Augsburg, Ausgabe Sommer 1972]

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Protest ideell gedacht: eine staatszuträgliche Falle

koka

 

Protest ideell gedacht: eine staatszuträgliche Falle

 

Der Mensch ist nichts als Materie! Man hört schon den Einwand: Aber sein Geist! Diesem Einwand hält Marx die Erkenntnis entgegen, daß der Geist die Materie ist, die denkt¹. Wie jedes Stück Materie verfügt auch der Geist über besondere Eigenschaften, Eigenschaften die andere Materie nicht besitzt. Tiere zum Beispiel können nicht denken, ihre Konstitution läßt sie keine Begriffe bilden und sie können sich somit mittels solchen nicht ausdrücken.
Materie, die denkt, denkt notwendigerweise – so möchte man annehmen – materialistisch, das heißt an ihre eigenen Bedürfnisse, die es zu befriedigen gilt. Von den materiellen Bedürfnissen abstrahierende Gedanken, zu denen der Geist natürlich ebenso fähig ist, dienen nicht den materiellen Bedürfnissen. Sie dienen anderen Bedürfnissen. Diese drücken sich in Begriffen aus, die niemandem fremd sind: »Nation« zum Beispiel oder »Demokratie«, »Freiheit« usw. usf. Die Materie Geist erkennt sofort, daß es sich hierbei weder um einen Apfel, in den der Mensch hineinbeißen kann, noch um einen Braten handelt, bei dem einem schon beim Anblick das Wasser im Munde zusammenläuft. Im Bereich abstrakter Begriffe spielt sich Politik ab. Diese erstellt Rahmenbedingungen für den Genuß von Apfel und Braten her, Rahmenbedingungen übrigens, die unappetitlicherweise das Verfügen über Geld notwendig machen. Mit ihrer Gewalt kann die Politik das. Weshalb also läßt sie nichts auf diese ihre Gewalt kommen, verlangt vielmehr unerbittlich ihre Anerkennung? Offenkundig dient eine geldbezweckte Gesellschaft dem Staat selber.²

Nun ist Politik in den Figuren vergegenständlicht, die gemeinhin als Politiker oder Staatsmänner bezeichnet werden. Als solche denken diese nicht an ihr eigenes materielles Wohl, das ist ihnen ja gerade von Amts wegen verboten. Und damit sie nicht auf schnöden privaten Materialismus zurückfallen, werden sie hoch besoldet, was sie selber aus eben diesem Grund beschließen. Als Politiker sind sie für ganze andere Bedürfnisse da, nämlich die der Politik, die des Staates. Und dabei dürfen sie nicht an ihre persönlichen Bedürfnisse denken und an die ihrer materiellen Verfügungsmasse, an die ihrer Untergebenen nur bedingt. Sicher keine leichte Aufgabe, der Staatsfunktionäre sich unterwerfen, wovon die Tatsache zeugt, daß sie sich dann und wann wegen lukrativer Nebeneinnahmen zu rechtfertigen haben.
Ihre Untertanen betrachten die Staatsmänner heutzutage nicht einfach so erniedrigend an wie in früh- und vorkapitalistischen Zeiten, nein, sie betrachten und hofieren sie klassenneutral als Bürger, also als Zugehörige zu ihrer großen Sache und Aufgabe. Und deren Größe besteht eben gerade nicht darin, für Braten und Wein zu sorgen.³ Lebensgenuß zu bereiten, wäre ja eine vergleichsweise minderwertige Angelegenheit, eine individualmaterialistische, also geradezu verachtenswerte.

Man sieht, die Bedürfnisse der Politik und die Bedürfnisse nach Lebensgenuß decken sich keineswegs, im Gegenteil, sie schließen sich aus. Denn der Untertan soll ja, so will es die Politik, in den Dienst ihrer Sache gestellt werden, ob er will oder nicht. Sein Braten hängt allein davon ab, ob er sich in diesen Dienst stellen läßt. Diese Abhängigkeit von der Politik soll der Untertan als sein Mittel begreifen. Und er begreift es sehr schnell, weil er als lebendige Materie ansonsten dem Absterben anheimfällt. Es gibt – das ist die Ausnahme – regelmäßig Leute, die lieber krepieren, als sich den Zumutungen der Politik länger zu unterwerfen: Diese werden als Selbstmörder bezeichnet, obwohl es die Politik ist, die sie dahingeschlachtet hat⁴. Was im übrigen den Grund dafür abgibt – der Staat will nicht einer Konsequenz seines Wirkens bezichtigt werden –, daß über solche nicht berichtet werden darf. Als ein solch Todesmutiger öffentlichkeitswirksam vom Augsburger Rathaus sprang, wurde die Staatsgewalt vorstellig und versuchte aller Handyaufnahmen des Vorfalls habhaft zu werden. Die prinzipielle Inkompatibilität individueller materieller Bedürfnisse mit den Anforderungen des Staates wird in solchen Fällen überdeutlich. Doch der Staat verkleistert sie, so gut er es vermag. Wider besseres Wissen und wider ihre eigenen Bedürfnisse dementieren auch die Individuen dies: All ihre Tätigkeiten in ihrem rund um die Uhr abhängigen Verhältnis rechtfertigen sie fast schon automatisch, als hätten sie dieses Verhältnis geradezu selber eingerichtet und auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten. Das ist ihre schier unerschütterliche ideologische Bemühung.

Es fällt ins Auge, daß die Politik gegenüber den Lebensbedürfnissen ihrer Untertanen abgehoben ist. Gerade deshalb sieht sich die Politik immer wieder einmal veranlaßt, »bürgernah« zu wirken, zumal wenn ein Wahlkampf ansteht, der ja in der Ermächtigung der Politik resultieren soll und resultiert. Es geht darum, welche Köpfe die Staatsgeschäfte führen sollen. Dementsprechend ist ein Wahlkampf ein ausgesprochener Personenkult und dementsprechend wenig sachlich sind auch die Bandagen, mit denen gerungen wird. Sicherlich versprechen die Politiker, wenn es ihnen gerade mal in den Kram paßt, den Untertanen mitunter Wohltaten. Das macht sie allerdings des »Populismus« verdächtig. In der Sache ist dies jedoch reine Heuchelei. Ein Staatsmann, der auf sich hält, schenkt reinen Wein ein: Alle müssen nun mal um des lieben Staates willen den Gürtel enger schnallen! Dies verkündend argwöhnt er, daß Lebensgenuß bei seinen Untertanen nur zu einem dem Staatswesen abträglichen Verhalten führen kann: Wer das Leben zu genießen trachtet, der stellt sich nicht mehr mit voller Willenskraft in den Dienst der Nation, die ganz anderes, unvergleichlich Großes vorhat. Das ist die anspruchsvolle Logik des Staates! Und ein Politiker weiß gleichzeitig sehr gut, wo die Daumenschrauben hängen, für die Untersten heißen die: Hartz IV, pardon: seit kurzem mit verklärter Bezeichnung: »Bürgergeld«. In Sachen bürgerfreundlicher Heuchelei übertreffen sich die verschiedenen Politiker gegenseitig. Auch der »Sozialstaat« selber ist keineswegs als staatliche Wohltat erfunden, freilich als solche oft mißverstanden worden. Er ist vielmehr der Funktionalität einer auf Ausbeutung beruhenden Gesellschaftsordnung geschuldet.

Worum geht es also bei der Umwerbung der Untertanen als »mündige Bürger«, als »Wähler«? Es geht um die Anerkennung von Bedürfnissen, die den eigenen Bedürfnissen des Stimmviehs im Weg stehen! Staatliche Bedürfnisse, dafür soll es herhalten, dazu soll es an Leute, die sich als Politiker aufzublasen verstehen, die an sich wertvolle eigene Stimme übergeben, diese also entwerten. Und es kriegt noch nicht mal einen Apfel dafür! Ganz im Gegenteil, es werden Figuren ermächtigt, die einem selbst einen Apfel vorenthalten, wenn man sich nicht das nötige Geld dafür zuvor sauer verdient hat.

Den verehrten Bürgern ist es in Fleisch und Blut übergegangen, daß sie von der Politik und den (Über-)Lebensbedingungen, die sie schafft, abhängig sind. Diese Abhängigkeit ist ihr zweites Ich. Damit steigen sie in jede Debatte ein, sofern sich eine solche ergibt. Sie sagen nicht schlicht und einfach, die Abhängigkeit ist Scheiße, nein, sie beziehen sich in ihrer Praxis berechnend darauf. Berechnend, nicht allzu kurz zu kommen und jedenfalls besser in und mit dieser Abhängigkeit zurechtzukommen als Hinz & Kunz, mit denen sie sich vergleichen und mit denen sie sich im Wettbewerb befinden. Kontrafaktisch bilden sie sich damit ein, daß sie in den Verhältnissen, denen sie unterworfen sind, eher gut als schlecht aufgehoben sind. Jeder, so denken sie, sei nämlich seines Glückes Schmied.⁵

So weit, so beschissen. Doch nun ist etwas passiert, was den Alltag außergewöhnlich tangiert und nicht zu leugnen ist und was zart empfindende junge Seelen aufgeschreckt hat: Die menschengemachte Klimaveränderung, genauer: die politikgemachte Klimaveränderung.
Aber so genau wollen jene Seelen es dann auch nicht wissen, was daran festzustellen ist, daß sie nicht die Politik als solche dafür verantwortlich machen, sondern die, welche für diese Politik Verantwortung tragen. Und in den Augen der Protestbewegung, kann nicht sein, was nicht sein darf: Sie appellieren tagaus tagein an eben jene Staatsfunktionäre, die natürlich davon weitgehend unbeeindruckt ganz andere Interessen, Sachzwänge der Politik eben vertreten und durchsetzen. Kurz, Klimademonstranten und andere täuschen sich über die Verhältnisse, denen sie unterworfen sind, ganz einfach deshalb, weil sie selber auf die Politik setzen, von der sie glauben, sie wäre für sie eingerichtet, also auf den Schein, mit dem sich die Politik selber allzu gerne umgibt, hereinfallen! Ansonsten würden sie gewiß was ganz anderes machen: Sie würden danach trachten, der Politik ein Kontra zu geben, zumindest darüber ernsthaft nachzudenken, wem das Handwerk zu legen ist. Ist es das Kapital, das für die übergeordneten Interessen des Staates Reichtum schafft? Es steigert ja das Wirtschaftswachstum, des Staates materielle Substanz in abstrakter Form, in Geld eben. Woran man, nebenbei bemerkt, sehen kann, daß das Geld in der Tasche des Untertanen völlig fehl am Platze ist und, sofern es sich dorthin verirrt hat, es schnellstmöglich auch wieder dahin befördert werden soll, wo es zweckmäßigerweise auch hingehört und gut aufgehoben ist, nämlich beim Kapital zu dessen Verwertung und damit der Schaffung von Reichtum abstrakter Sorte (= Geld), woran sich der Staat zu seinem Nutzen zu bedienen erlaubt, freilich nur insoweit, als er die Kapitalverwertung nicht abwürgt, was ja auch ganz blöd wäre. Im Gegenteil verspricht er, das Kapital eben mit seinen Mitteln zu fördern und zu diesen Mitteln gehört vor allem seine Gewalt, die er gegen die eigenen Untertanen ebenso zur Geltung bringt wie gegen andere Staaten und deren Insassen; als »Rechtsstaat« versteht sich, nicht minder als rigider Polizeistaat und allzeit kriegsbereiter Staat. Und in diesem Verhältnissen finden sich die Klimaschützer von der »Letzten Generation« und andere weniger Skrupellose. Sie wundern sich schwer, daß sie ins gesellschaftliche Abseits gedrängt und bisweilen gar als Kriminelle verfolgt werden. Wozu sind sie eigentlich die Materie, die denkt? Ja, auch der Geist selber läßt sich wie jede andere Materie unzweckmäßig gebrauchen. Ein Tier bemerkt übrigens instinktiv, wer sein Feind ist, es ist gar nicht dazu in der Lage, ihn zu verkennen. Der Geist einer »Letzten Generation« und anderer Gutgläubigen schafft es hingegen, seinen Feind als solchen total falsch aufzufassen. 
_______________
¹ Karl Marx: »Man kann den Gedanken nicht von der Materie trennen, die denkt. Sie ist das Subjekt aller Veränderungen.« (Marx-Engels Werke – MEW 2, S.136)
² Der Zusammenhang zwischen Staat und Geldwirtschaft wird zum Beispiel in dem Buch »Der bürgerliche Staat«, GegenStandpunkt-Verlag, erklärt.
³ Kapitalismus ist Ideologie, insofern vorstellig gemacht wird, für das Wohl seiner menschlichen Manövriermasse Sorge zu tragen wäre sein Zweck.
⁴ Bertolt Brecht: »Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.« (aus Me-Ti, Buch der Wendungen)
⁵ Ein Selbstmörder denkt übrigens genauso: Er verurteilt sich als Versager zum Tod.

23.04.2025
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vor weltkrieg nr 3

koka

 

Die Diskrepanz zwischen Vorstellung und Wirklichkeit in der Politik
Sehen sich die USA gezwungen, erneut zur Atomwaffe greifen?

 

Aus eigener Stärke heraus lassen sich viele Tatsachen schaffen, Tatsachen, an denen sich dann andere zu orientieren haben, mehr oder weniger notgedrungen. Eine komfortable Position, in der die USA samt ihrer G7-Truppe es sich eingerichtet haben.
Doch das hat, wie so Manches, seine andere Seite. Es verführt nämlich teils zu einer Ignoranz gegenüber der Außenwelt und teils — soweit eben doch nicht ignoriert, weil nicht ignorierbar — zu einer multiplizierten Feindschaft gegen die, welche sich nicht an den Vorstellungen und Anforderungen der »Freiheit« orientieren, vielmehr aus guten Gründen ihre eigene Interessen verfolgen.

Die G7-Staaten und insbesondere die Supermacht, der sie anhängen, sind so frei, um eine jeweils passende, d. h. abgestufte Antwort zu finden. Da ist zum einen die intensivierte Werbung für das eigene Lager, gewaschen und schöngefärbt versteht sich. Dann die Bestrafung der — in aller Regel gar nicht vorsätzlich — Zuwiderhandelnden mit Wirtschaftssanktionen. Ferner die Ausweisung ihrer Staatsangehörigen. Und wenn alles nichts fruchtet, dann militärische Drohungen bis hin zum heißen Krieg. Daraus folgt, daß diese Staaten an Frieden nur sehr sehr bedingt interessiert sind. Nämlich dann, wenn eine friedliche Erpressung fehlschlägt.
Sie haben die Glanzleistung vollbracht, den Begriff Frieden zu einer Ideologie zu transformieren, die dogmatisch für weitere hochgerühmte Ideologien stehen, freedom & democracy.
Wer über diese Wahrheit ein Wort verliert, wird aus dem öffentlichen Dialog ausgeschlossen. Zum großen Glück für die Freiheitspropagandisten kommt so gut wie niemand auf die Idee, sich darüber Gedanken zu machen, was man sagen soll und darf und was lieber nicht. Viel zu sehr ist die Gesellschaft im Sinne »ihrer« Herrschaft indoktriniert worden, als daß sie etwas anderes auf der Zunge haben könnte als ein Papagei. Denn die herrschende Gesellschaftsordnung ist alles andere als eine im Prinzip »offene« Gesellschaft: Daß die offen sei, ist ein Gerücht, das weite Verbreitung gefunden hat, insbesondere unter Intellektuellen, die, gutgläubig wie sie allenthalben sind, sich an der Nase herumführen lassen.

Die heutige Wirklichkeit läßt dieses Gerücht kaum länger zu. Manch einer hat das daran gemerkt, was alles an staatlichen Machenschaften enthüllt wurde — es sei an Edward Snowden und Julian Assange erinnert —, obschon es der Geheimhaltung oder gar strengster Geheimhaltung oblag. Doch noch beharren selbst sich für aufgeklärt haltende Leute an ihren Selbsttäuschungen. Rede- und Meinungsfreiheit — wofür braucht es die eigentlich? Mitnichten will man bemerken, was dieses Geschenk des Staates bedeutet und warum es dem Staat eben deshalb so wertvoll ist: Der mündige Untertan soll gefälligst und ganz prinzipiell für die herrschenden Verhältnisse eintreten und ansonsten vorzugsweise die Klappe halten! Oder aber seine eigene Meinung als bloß seine eigene, also für gesellschaftlich völlig irrelevant, erklären.
Kurzum, die G7-Staaten haben also leichtes Spiel mit ihren Untertanen, die sie zu freien Bürgern geadelt haben. Manch einer, der sich an Kritik versucht hat, ist daran gescheitert, daß mit großer Bürgernähe über ihn hinweggegangen wurde, als würde er gar nicht existieren: Sein Fehler war, daß er auf Anerkennung seitens der Obrigkeit gesetzt hat.

Allein über die militärische Schlagkraft anderer Staaten können die USA nicht so ohne weiteres hinwegsehen und hinweggehen, heute weniger denn je. Das politische Establishment in Washington DC schäumt ganz offen vor Empörung. Kriegsträchtige Provokationen sind fällig, auch dann, wenn sie in Kriege münden und ganze Länder in die Steinzeit zurückgebombt werden. (In solchen Fällen ist natürlich nicht von Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtswidrigkeiten die Rede!)

Doch auch der Ruin der eigenen famosen, kapitalistischen Nationalökonomie ist durch eine aggressive Politik heute ganz jenseits einer Kapitalüberakkumulation vorgezeichnet. Das aktuelle Beispiel ist der Wirtschaftskrieg, den die USA mit Zöllen angezettelt haben. Und wenige Jahre zuvor wurde ein heißer Krieg gegen Rußland in Szene gesetzt, der nach wie vor unvermindert andauert und der die kriegsführenden Ökonomien nicht minder in Mitleidenschaft gezogen hat.
Nun pfeifen es die Spatzen von den Dächern, daß weder ein ökonomisch noch ein zusätzlich militärisch ausgetragener Konflikt die Früchte trägt, die der Grund für sie sind.

An dieser Stelle stellt sich über kurz oder lang die Frage, wie fatalistisch die politisch Verantwortlichen gesinnt sind. Im Falle China, das immerhin etwa 15% seines Außenhandelsüberschusses mit den USA hat¹, schreien die USA geradezu nach Krieg, zumal China ganz empfindliche Gegenzölle (auf seltene Erden!) zu erheben gedenkt: Am besten China zu einer erwünschten Reaktion, einem Einmarsch auf seiner Insel Taiwan treiben! Die US-Vorbereitungen zu einem Krieg gegen China laufen jedenfalls seit geraumer Zeit mit Hochdruck in ganz Ostasien. Zwar ist der koreanische US-Statthalter mit dem Verkünden des Kriegsrechts etwas vorgeprescht, doch ändert eine allzeit austauschbare Personalie nie das Ziel. Das gilt auch für das Amt des US-Präsidenten selber.

Und es ist keineswegs so, daß die USA das EU-Europa außer acht ließen. Schließlich haben dessen Ambitionen Trumps Meinung zufolge den USA einen nicht gewinnbaren Konflikt mit Rußland eingebrockt. Und überhaupt so Trump: »Look, let's be honest, the European Union was formed in order to screw the United States.« (08.04.2025, sämtliche NA)²

Soll in Westasien, also im Nahen und Mittleren Osten der Genozid des Zionistenregimes für die USA die »freie Welt« retten oder wie sonst ist die vorbehaltlose Bewaffnung und finanzielle Unterstützung Israels zu verstehen? Es ist fraglich, ob diese Rechnung aufgeht, ohne daß die USA da selber eingreifen, wo Faschisten das wünschen. Daß im Iran ein ihnen höriges Regime 1979 weggeputscht wurde, haben die USA ja ohnehin nicht verwunden. Trump ist ein brutales Bombardement, wie er es im April 2018 gegen Syrien unter einem ebensowenig haltbaren Vorwand wie andere Präsidenten vor ihm in anderen Fällen befohlen hatte, durchaus ein weiteres Mal zuzutrauen. Mit dem Bombardement des Jemen hat er ja jetzt schon die Erde mit Blut gefärbt³, weil er es seinen großartig werdenden USA einfach schuldig zu sein glaubt. Ob der derzeitige US-Truppenaufmarsch im Indischen Ozean und in Arabien allein dem Jemen gilt, ist jedenfalls nicht anzunehmen. [Karikatur: Pang Li, china daily, 14.02.2012!]

Greifen sie dann als schlechte Verlierer auf ihr Nuklearpotenzial zurück? Die USA haben das schon einmal fürs zweckmäßig erachtet, als es seinerzeit darum ging, Rußlands Kriegseintritt gegen Japan zuvorzukommen, um die Beute nicht wie damals in Europa teilen zu müssen. Heute stellt sich die Situation für den Imperialismus noch viel dringlicher dar…

Die Weltherrschaft des US-Imperialismus ist unteilbar! Dieses Dogma ist der neue US-Präsident angetreten, mit Vehemenz zu verteidigen.
_______________________________
¹ Zum Vergleich: Der deutsche Überschuß mit den USA betrug fast 28% des Exports (2024)-
² Auch diese Stellungnahme eines US-Präsidenten ist nicht ganz so neu. Als die USA in ein Handelsdefizit gerieten, das sie nicht länger — es sollte nicht mehr an der nationalen Goldreserve geknabbert werden — hinnehmen wollten, entband Präsident Nixon (Republikaner) 1971 kurzerhand den Dollar von der Golddeckung, bekannt unter dem Schlagwort »Nixon-Schock«. Geraten dazu hat ihm der damalige Finanzminister John Bowden Connally Jr. (Demokrat) mit den Worten, man müsse die anderen bluten lassen [Connally benutzte dabei ebenfalls das Wort »screw«], bevor jene einen selber auspressen. Seitdem finanzieren die anderen die USA, deren Schuldenberge schier uferlos in die Höhe schießen konnten.
³ Dabei ist es wie immer: Die USA haben noch nie einen Unterschied zwischen Herrschaft und Volk gemacht, wenn sie eine Herrschaft für nicht willfährig und nicht lenkbar hielten.

09.04.2025
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Funktionalismus als Argument

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Der Funktionalismus — eine ebenso famose wie monumentale Abstraktion

 

Die Frage ist nicht, was und wofür etwas funktioniert. Allein die Tatsache, daß etwas funktioniert beziehungsweise nicht funktioniert, spielt heutzutage in unzähligen Diskussionen eine richtungweisende Rolle.  
So wird der Abgang der Sowjetunion von der politischen Weltbühne mit samt deren merkwürdigen Verständnisses von Sozialismus als Staatsideologie in dem Grund gesehen, nicht nur diese Sorte Sozialismus, vielmehr Sozialismus überhaupt habe eben nicht funktioniert und könne auch nicht funktionieren. Umgekehrt wird der kampflos errungene Sieg des »freien Westens« eben damit begründet, daß sein System, der Kapitalismus, funktioniert. Das Funktionieren gilt also als Qualitätsmerkmal. Ein Merkmal, an dem selbst Marx nicht gerüttelt hat, allen Krisen zum Trotz, die er aus seiner Analyse des Kapitals und in bemerkenswerter Übereinstimmung mit der ökonomischen Realität abgeleitet hat. Der Versuch, Marx zu widerlegen, ist, sofern er überhaupt versucht wurde, jämmerlich gescheitert — ganz im Gegensatz zum realen Sozialismus im Osten Europas.¹
Der Westen weist sich also selber das Gütesiegel, zu funktionieren, zu. Und er wirft einiges dafür in die Bresche, damit er funktioniert, allen Krisen und Kriegen geradezu zum Trotz: Mit der Anwendung staatlicher Gewalt funktioniert ja so einiges oder zumindest soll es so funktionieren. Beim Kapitalismus freilich ist die Gewalt bisweilen mitunter, so man will, leicht zu übersehen, denn die staatlich freigesetzte Ökonomie übt einer stummen Zwang aus, dem sich die ökonomischen Subjekte, Kapital und Lohnarbeiterschaft, unterworfen sind. Die Arbeiter ganz einfach dadurch, daß sie lebensnotwendigerweise ihre Arbeitskraft bar sonstigen Einkommens verkaufen müssen. Die Kapitaleigentümer dadurch, daß sie den Notwendigkeiten der Kapitalverwertung unterworfen sind, um ihr Kapital als Kapital aufrechtzuerhalten (was ohne dessen Vermehrung nicht erreicht werden kann).

Das war in der Sowjetunion und ihren Bündnisstaaten anders, da war die Ökonomie nicht von Staats wegen freigesetzt, vielmehr unmittelbar staatlich. Also gab es auch keinen »stummen« Zwang; der Staat zwang unmittelbar seine Vorstellungen seiner Ökonomie auf. Funktioniert hat auch das. Allerdings nur so lange, bis der Staat seine Räson geändert hat. Seine Räson bestand in der Kalkulation, den Westen mit einer zentralisierten Wirtschaft aus- und niederkonkurrieren zu können. Er verglich mittels der ökonomische Produktivität. Ganz so, als ob diese Zweck der kapitalistischen Produktionsweise wäre! Die Produktivität ergibt sich nämlich ganz automatisch aus den Verwertungsbedingungen des Kapitals. Aber so, den Vergleich aushaltend, seine Arbeiterschaft auszubeuten war letzthin nicht der Zweck des realsozialistischen Staates. Daher sahen Gorbatschow und seine Experten den Ausweg darin, sich ökonomisch dem Westen anzupassen, ihre Wirtschaft schrittweise freizusetzen und damit in einem letzten Schritt ihre sozialistische Staatsräson ganz fallen zu lassen. Die Meinung mit einer kapitalistischen Staatsräson funktioniere der Staat besser hat sich bis heute in Moskau erhalten. Rußland funktioniert trotz dem vom Westen an es herangetragenen Krieg sogar zum Leidwesen des Westen so gut, daß ihm mit Sanktionen nicht beizukommen ist. Im Gegenteil, diese schlagen auf ihn selber zurück und beeinträchtigen sein Funktionieren erheblich. Kein Wunder, daß die G7-Staaten sich ihrer Gewalt mehr denn je besinnen!

Blickt man heute auf die allüberall herrschende kapitalistische Weltordnung, einer Ordnung unter der Regie des Westens, angeführt von den USA, dann ist auffällig, wie sehr das »Funktionieren« der Maßstab geworden ist. Die ganze Ent-Kolonialisierung, die in Afrika und Asien nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stattgefunden hat, ist der Einsicht zu verdanken, daß die dortigen Staaten ähnlich den süd- und mittelamerikanische Staaten, die schon viel früher »souverän« geworden waren, viel besser im Interesse der Kolonialmächte funktionieren, wenn sie von einheimischen Herrschern regiert werden. Mehr oder weniger demokratisch das spielt dabei keine Rolle, Hauptsache diese Länder dienen dem Westen als Rohstofflieferanten, halten ihm nicht verwertbare Menschenmassen vom Hals und dienen selbstverständlich in Sachen Gewalt — eigener wie in Form zugelassener ausländischer Militärbasen — ganz der globalen Freiheit des Kapitals.
Nun schreiben wir das Jahr 2025 und allem Anschein nach, wacht allmählich die Bevölkerung im globalen Süden aus ihren Träumen auf, erkennend das üble Spiel, das die imperialistischen Mächte nach der Entkolonialisierung mit ihnen gespielt haben. Sie wollen nicht länger die Verfügungsmasse jener abgeben. Sie stellen die Frage, wofür und wozu. Sie kommen zum Ergebnis, daß ihre Souveränität eine Betrug war. Vielerorts wurden daher Statthalter der G7-Staaten weggeputscht. Sehr zum Verdruß der USA, Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands und ihrer europäischen Trittbrettfahrer. Das alles geschieht unter dem Eindruck, daß es durchaus Alternativen zur bisherigen Abhängigkeit gibt. Weder Rußland noch China mitsamt den BRICS-Staaten streben solch ungleiche Verträge mit dem globalen Süden an, wie das Usus der Imperialisten war und nach wie vor ist. Kein Zweifel, daß der globale Kapitalismus auch anders funktionieren kann als bislang, wenn nur eine alternative Staatsräson vorherrscht. Jedenfalls müssen die imperialistischen Staaten feststellen, daß ihr Empire nicht mehr so glatt funktioniert wie bisher. Das hat schon seit geraumer Zeit  — die Überakkumulationskrise des Kapitals im Jahres 2008 war hierbei ein deutlicher Einschnitt — dazu geführt, daß die Imperialisten anderen Staaten mehr denn je ans Leder wollen². Die Staaten des früheren Warschauer Pakts wurden buchstäblich einkassiert, selbst an den Einflußbreich Rußlands, an die GUS-Staaten, machten sie sich nun entschlossener denn je heran, hoffend auch hier leichtes Spiel zu haben, indem sie der dortigen Bevölkerung weiszumachen versuchten, nur dann in einem funktionierenden Staate leben zu können, wenn solcher nach und am Westen ausgerichtet sei. Blöderweise hat das nun aus westlicher Sicht einen Krieg gegen Rußland nötig gemacht³. Und noch blöder ist, daß man den Krieg ganz offensichtlich nicht gewinnen kann, je mehr man auch seine soooo geliebte Ukraine bluten läßt. Auch das gehört freilich zum Funktionieren. Und eines muß man zugeben: Die auf SS-Bandera verpflichtete Führerschaft der Ukraine läßt es am Funktionieren nicht mangeln! Respekt! Auch anderswo existieren Fachkundige, die aufs Funktionieren abgerichtet sind, in Argentinien beispielsweise.

Nichtsdestotrotz gibt es Orte der Dysfunktion. So wie es aussieht, werden Bestandteile des »freien Westen« selbst der kapitalistischen Sache abträglich⁴. Offenkundiges Zeichen dafür sind die stark zunehmende Staatsverschuldung und die ebenso stark zunehmende Militarisierung mit dem Zweck, einen funktionalen Zustand quasi künstlich, d.h. mit allen Mitteln inklusive Gewalt, aufrechtzuerhalten. Diesen Scharfsinn beweisen die führenden Politikerköpfe, schließlich sind sie Funktionsträger, als solche sich der Verantwortung bewußt, Staat und Wirtschaft am Laufen zu halten. Und natürlich werden dabei die imperialen Ansprüche nicht einen Augenblick außer Acht gelassen. Speziell die deutschen Imperialisten haben nebst ihren aktuellen Belangen der transstaatlichen Verwertung von Kapital eine historische Rechnung noch nicht vergessen, welche sie sich offenkundig schuldig sind: Ihr Name ist Stalingrad.

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¹ Hier ist nicht der Platz, auf die mannigfaltigen Fehler der UdSSR und ihrer Bündnisstaaten, die von Stalin bis Gorbatschow begangen wurden, näher einzugehen. Dazu der Hinweis auf das Buch: »Von der Reform des 'realen Sozialismus' zur Zerstörung der Sowjetunion«, GegenStandpunkt-Verlag, 1992.
² Wegen den Rohstoffen, die zu Kapital werden sollen, ganz bestimmt, nur dafür ist ja erst eine strategische Sicherung notwendig, also bevor überhaupt feststeht, ob sich eine Erschließung und Schürfung mehr oder weniger seltener Mineralien überhaupt lohnt. Gleichzeitig bedeutet diese Sicherung den Ausschluß anderer Nationen von diesem Reichtum, in diesem Falle eben hauptsächlich den Ausschluß Rußlands.
³ Der Leser soll an dieser Stelle nicht annehmen, im Westen würde nicht längerfristig gedacht. Hier ein Ausschnitt eines Artikels von dem damaligen stellvertretenden US-Außenminister Strobe Talbott: »Postkommunistische Staaten stehen einem Dilemma gegenüber: Als Ökonomien im Übergang von zentraler Planung zu offenen Märkten müssen sie massive Defizite und Staatssubventionen an ineffizienten Industrien drastisch zurückschneiden. Und als junge Demokratien sind ihre Bürger frei, ihre politischen Führer zu wählen, oft erstmals in ihrem Leben. So spiegeln Wahlen nicht nur die Bestrebungen der Bürgerschaft auf eine bessere Zukunft wider, sondern auch ihre Unzufriedenheit mit dem naheliegendem, befristeten Schmerz, der die Reformen unvermeidlich begleitet. Das Ergebnis ist in der Tat oftmals eine Wiederkehr derzeitiger oder früherer Kommunisten.
In jüngeren Jahren haben sich Versionen dieses Szenarios in Polen, Litauen, Rußland und Ungarn abgespielt. Das letzte Beispiel ist die Ukraine, ein Land, dessen Stabilität und Sicherheit für Europa und die USA eine grundlegende Angelegenheit ist. Bei den kürzlichen Wahlen am 30. März führte die Kommunistische Partei die Abstimmung in einer Mehrheit von Orten an und gewann den breitesten Block an Sitzen im Parlament. Ihre erklärten Politikziele beinhalten die Umkehrung einiger Schlüsselelemente des ukrainischen Privatisierungsprogramms ebenso wie die teilweise Wiederverstaatlichung der Industrie und des Bankwesens. 
Die USA haben die politische und wirtschaftliche Reform in der Ukraine unterstützt, seit das Land die Unabhängigkeit erlangte, und sie betrachten das Wahlergebnis mit Sorge. Jedoch ist die Fähigkeit der Kommunistischen Partei, die Uhr zurückzudrehen, ernstlich begrenzt.. Die Notwendigkeit des Zuflusses internationalen Investmentkapitals und Entwicklungsunterstützung erweist sich für die Ukraine wahrscheinlich als stärker als der Alarmgesang einer bankrotten Ideologie.
Der IWF und die Weltbank haben klargestellt, daß sie weitere Unterstützung solange zurückhalten werden, bis die Ukraine bezüglich einiger lang aufgeschobener Reformen Fortschritte macht. (…) Die Ukaine ist in gewisser Beziehung ein zerbrechlicher Staat. Die größte Quelle ihrer Zerbrechlichkeit ist ihre Ökonomie, die ausländisches Investment mehr zurückweist als anzieht und die insoweit gescheitert ist, die Art von Wohltaten hervorzubringen, die man in anderen postkommunistischen Staaten für gewährleistet zu halten begonnen hat. (…)« (Washington Post, 14.04.1998)
⁴ Gedacht ist hier an entwertetes Kapital, mitverursacht zum Beispiel durch den politischen Verzicht auf günstige, direkte Öl- und Gaslieferungen aus Rußland.

© KoKa Augsburg, 24.03.2025
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