Nationalismus/Faschismus

Nationalismus 2018

koka

Um die Nation, für die Nation:
Demokraten und Faschisten im Wettstreit

So langweilig war die Demokratie in der BRD bislang: Ein paar Parteien rangelten um Posten für ihr Personal. Jenseits dessen standen die Staatsinteressen, stand die Staatsräson für alle fest. Eine lebendige Demokratie, wie sie stets postuliert wurde, gab es nur zeitweilig: Solange sich die GRÜNEN noch nicht von ihren prinzipiellen, wenngleich idealistischen Standpunkten verabschiedet hatten. Eine irgendwie linke Kritik – ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei -, das sahen sie ein, verträgt sich nicht mit einem Staat, der Weltmachtansprüche hat und der es auf diesem seinem Weg – einmal mehr – weit gebracht hatte. (Dieser Übergang ging freilich nicht ohne die spektakuläre Leiche ihrer Hauptvorkämpferin ab, mit der sich ein anderer Grüner den Weg bis ins deutsche Außenministerium bahnte. Was die Demokratie seinerzeit ungeheuer belebte!)

Jetzt, im Jahre 2018, ist die Demokratie erst richtig lebendig geworden. Ausgerechnet durch diejenigen, die die Zeit für reif hielten, unter dem Deckmantel der demokratischen Parteien sich bislang verdrückend (das gilt für die großen Volksparteien im Westen ebenso wie für die SED im Osten), sich hervorzuwagen: Nationalisten besonderer Sorte, welche, die einem halbwegs bis völlig geschlossenem faschistischem Weltbild anhängen. Wie das?

Es ist ja nicht nur so, daß sich faschistisches Gedankengut in und unter den etablierten Parteien erhalten hat, wo es nie einer angemessen-fundamentalen Kritik* anheimgefallen war. Wie auch? Als Nationalist, also einer, der den Staat als den seinen dermaßen distanzlos auffaßt, daß er sich dessen Sorgen und Ambitionen als die eigenen zu eigen macht, war man allenthalben wohl gelitten und ist es nach wie vor. Nun freilich verhält es sich so, daß einige neu entdeckt zu haben glauben, der Staat und seine Räson würde dem Anspruch seiner national gesonnenen Bürger, also seinen eigenen nicht länger gerecht. Wie bloß kommen sie denn da drauf?

Das ist insofern bemerkenswert, als der Staat saumäßig erfolgreich ist, ökonomisch Exportweltmeister, politisch Mit- und Einmischer bis in den hintersten Weltwinkel. Er hat sich mit seinem Erfolg als herausragendes Staatsmodell und so als Vorbild für andere Staaten etabliert. Er hat sich mit EU und Euro veritable Projekte vorgenommen, die darauf berechnet sind, die USA mitsamt ihrem Dollar herauszufordern. Wie kommen jetzt also jene Leute darauf, dem deutschen Staat Versäumnisse, oder, personalisiert ausgedrückt, seinem amtierenden Personal ein Vergehen an Staatsinteressen vorzuwerfen? Kurzum, sie entdecken einen Widerspruch zwischen Staatsinteresse und Staatsräson. Wie das?

Das hat einzig damit zu tun, daß sie bemerken, wie verdammt abhängig sie vom Staat sind – als dessen Manövriermasse und als Verwertungsmasse seiner vermittels Privateigentum freigesetzten Ökonomie. Diese Abhängigkeit, die an sich ja etwas völlig Negatives ist, wollen sie partout positiv sehen. Entschieden halten sie daran fest, diese weiterhin positiv sehen zu wollen, obschon die Zumutungen des Staates an sie gehörig sind und weiterhin wachsen. Sie tun so, als ob ausgerechnet sie, die in ihrer Abhängigkeit ausgenutzt werden, vor allem darin, ihre Arbeitskraft unter Wert zum Profit anderer zu Markte tragen müssen, als ob ausgerechnet sie ein Anrecht haben, eben auf diesen Verkauf und die Vernutzung ihrer Ware, ihrer Arbeitskraft. Dieser Verkauf soll für sie lukrativ sein! Und zwar so, daß sie mit geschwellter Brust sich Wunder was einbilden können auf ihre Zugehörigkeit nicht nur zu einer mehr (etwa einem deutschen "global player") oder weniger bedeutenden Firma, sondern vor allem und ganz umstandslos zum deutschen Staat. Verächtlich schauen sie so auf andere Nationen und deren Staatsangehörige herab. Sie, die bemerken, wie wenig wert sie "ihrem" Staat sind, beteuern gleichwohl felsenfest, viel wert zu sein, weil deutsch! Diese Selbsttäuschung blasen nun Neonationalisten täglich in den Wind, in den sie ihr opportunistisches Mäntelchen hängen. Gemeinhin nennt sich das "Populismus".

Und was fällt ihnen ein, womit reichern sie die demokratische Debatte an? Mit dem Geschimpfe auf die, die dem Staat als nicht verwertbare Personen ohnehin eine ziemliche Last sind, auf Ausländer, insbesondere asylsuchende. Damit rennen sie offene Türen ein: Der Staat gibt ihnen vermittels amtierenden Personal recht und behandelt die Flüchtlinge immer übler, doch nach Ansicht der nationalen Opposition nie dreckig genug.
Wiewohl der deutsche Staat sich seiner humanitären Legitimation, die er sich einst infolge seiner Niederlage in die Verfassung geschrieben hatte, in der Praxis gründlich entledigt hat – "Die Menschenwürde ist unantastbar." (Grundgesetz Art.1: Wem sagt er das?) – geht er nicht dazu über, sich auch formell von dieser Legitimation zu trennen. Genau das aber fordern die superdeutschen Nationalisten und erbosen sich darob: Weniger Heuchelei in Sachen Ausländerfeindschaft!

Kurz und gut, die Debatte belebt sich ungemein, sie wird hitzig. Wenn demokratische und faschistische Nationalisten sich streiten, ist ja auch keine Sachlichkeit gefragt. Schließlich geht es ja um nicht weniger als um einen Glauben, einen zivilen, um den Glauben an die Nation. An dem halten sie beide unverdrossen fest, werden an ihm gar irre. Sie streiten darüber, wer denn nun der Rechtgläubige sei. Den Hinweis der Demokraten auf den Erfolg ihres Staats und seiner weltmachtambitioierten Projekte lassen die anderen nicht gelten. Sie sind der Meinung, von einem nationalen Erfolg könne nicht gesprochen werden, wenn der nicht "unten", bei der nationalen Manövriermasse, ankomme. Auch in dieser Hinsicht rennen sie offene Türen ein. Demokraten liegt es nämlich nur allzu fern, einen Gegensatz (nicht nur gewisse, vielleicht sogar als lediglich vorübergehend deklarierte Unterschiede) in ihrer nationalen Gemeinde festzustellen. Von einem Klassenstaat, von einer Klassengesellschaft wollen sie nicht reden. Deshalb wollen sie eine solche, aus ihrer Sicht künstliche, rein ideologische "Spaltung" ebenso wenig zulassen wie die wirklich ideologische in gute und bessere Nationalisten. Deshalb sind sie so arrogant und wünschen die Neonationalisten "auf den Müllhaufen der Geschichte" (so der nationale Vordenker Schulz, SPD). Eine Spaltung der Nation kommt für Demokraten gerade in der ihnen eröffneten nationalen Frage eben nicht in Frage. Sollte solche Ansprache nichts nützen, drohen Demokraten mit dem staatlichen Gewaltapparat, zunächst mit der Überwachung durch ihre Staatssicherheitsdienste.

Für Nationalisten – das haben Demokraten und Faschisten gemeinsam – gehört es sich schlichtweg nicht, die zugrundeliegende soziale Frage, die die als marktwirtschaftlich verharmloste Klassengesellschaft gebiert, als solche aufzuwerfen. Die Nation verlangt Opfer. Die Kosten ihrer äußerst anspruchsvollen Projekte haben die zu tragen, auf denen sie beruhen, die dafür in die Pflicht genommen werden. Daraus geht hervor, wie wenig zuträglich der Nation soziale "Leistungen" erscheinen müssen. Das Faß läuft dann über, wenn andere in diese Pflicht genommen werden und dafür "Leistungen" erhalten. Dagegen gibt es dann übereinstimmend erhebliche Bedenken. Andere? Das sind ganze Staaten samt Bevölkerungsinventar. Vorreiter in dieser Hinsicht sind nicht nur die, welche als Rechtsradikale apostrofiert werden: Man denke beispielsweise an die antigriechischen Hetzkampagnen der seriösen demokratischen Qualitätspresse. Und mittlerweile steht Italien auf der Abschußliste. Usw. usf.

Bei den Asylsuchenden scheiden sich allerdings die nationalen Geister: Sie wetteifern über jene auf die denkbar zynischste Art: Während die einen sie nach nationaler Nützlichkeit – zum Beispiel gelten Islamisten aus der chinesischen Provinz Xinjiang als Vorzugsasylanten, sie stehen für einen grundsätzlichen Vorbehalt der Gernegroß-Weltmacht Deutschland gegen China – und ökonomischer Verwertbarkeit beurteilt sehen wollen, sehen die anderen ihre bloße Existenz als eine an, welche die Existenz der deutschen Nation selber untergrabe, also bedrohe.

So wie es dem deutschen Staat und seinen Protagonisten recht und billig ist, seine menschliche Verfügungsmasse (heutzutage spricht man gerne amerikanisch von "human resources") unter dem stummen Zwang einer privat abgewickelten Ökonomie gegeneinander auszuspielen, so bestehen Faschisten auf einer gründlichen Korrektur: In- und Ausländer gehören viel grundsätzlicher auseinandersortiert, allein so könne eine nationale Verläßlichkeit sichergestellt werden, eine Verläßlichkeit, die für höhere nationale Ziele nötig, also dem deutschen Staat angemessen sei. Somit ist klar, warum sie die amtierenden Politiker nicht leiden können: Jene ließen es selber an nationaler Zuverlässigkeit fehlen, so sie diese Sortierung mißachteten. Klar, ökonomisches Denken im Umgang mit verfügbarem Material sind einem ziemlich fremd, der seine eigene Existenz ganz unvermittelt aus der staatlichen Gewalt ableitet. So fest inkarniert hat solcher seinen Nationalismus, daß ihn nicht einmal der Hinweis auf den grandiosen Untergang des "Dritten Reiches"  inklusive dessen Gründe demokratischer Interpretation berühren kann. Die Millionen Opfer des NS-Staats sind ihm sowieso egal, sie seien ja für eine gute Sache gestorben, für Deutschland, für das – ideologisch unterschiedslos zwar nicht, aber praktisch natürlich schon – jede Leiche in Ordnung gehe. (06.10.18)  

*  Wie eine fundamentale Kritik faschistischer Ideologie aussieht? Siehe das Buch "Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung" 
____________________________________________________

Sammeln und Bewegen, Bewegen und Sammeln – ein Sturm im nationalen Fahrwasser

Wen will Sahra Wagenknecht denn sammeln? Wen bewegen? All jene, die sich ihrer Meinung nach versehentlich verirrt haben: Deren eigentliche Heimat irgendwie doch "links" ist. Was haben jene also nicht verstanden? Sie haben nicht kapiert, daß es "Linke"  sind, die soziale Fragen zu einer Staatsangelegenheit machen. Die schon immer gesagt haben, der Staat müsse sozialer gestaltet werden, insbesondere dessen kapitalistische Wirtschaftsordnung. Solange das nicht angegangen werden würde, seien die Ausfälligkeiten gegen Ausländer, insbesondere Asylanten gewissermaßen verständlich. Richtig verstanden seien solche ja nichts anderes als ein Aufschrei für eine andere, nämlich linke, d.h. soziale(re) Politik, mithin eben ein veritabler Staatsauftrag.

Daß Politik eine Frage der Gewaltausübung ist, man also das Kommando übernehmen, also ermächtigt, d.h. gewählt werden muß, ist für Wagenknecht & Co. keinerlei fragwürdige Angelegenheit: Unmittelbar Gewalt auszuüben, davon möchten die Sammler und Beweger eben so die vehement national bewegten Leute abhalten; und zwar mit dem Versprechen all den Anliegen, die jene haben, wirklich gerecht zu werden, ihnen Genüge zu tun. Dazu gehört selbstredend die Ausländerfrage, also der privilegierten Stellung der deutschen Staatsbürger das Gewicht zu verleihen, das ihr gebührt.
Nicht die Spaltung in In- und Ausländer ist der Sammlungsbewegung (SB) eine zu überwindende Spaltung, vielmehr die Spaltung der Nation selber! So brutal manifestiert sich der nationale Standpunkt der SB, die man nicht nationalistisch nennen soll. Jedenfalls steht sie der Notwendigkeit der Vereinigung aller Proletarier diametral entgegen.

Daß es sich beim Staat, ökonomisch betrachtet, um einen Klassenstaat handelt, also einen, der aus der klassengerechten Spaltung seiner Gesellschaft Profit für die Mehrung seiner Gewalt zieht, ist für diese "Linken" ein Buch mit sieben Siegeln. Darüber soll ja gerade das nationale Band einigend hinwegtäuschen: Gegen die erklärten Feinde und Schädiger des Bundes, gegen andere Staaten und deren Angehörige, versucht die SB das Band fester zu zurren. Die soziale Frage wird so notwendigerweise allenthalben in eine nationale überführt, ihr untergeordnet.

Ob diese SB der deutschen Nation gerade noch gefehlt hat? Jedenfalls ist sie ein geistiger Zusatz, ein verklärender Überbau, den sich die Nation angesichts fortgeschrittener geistiger Verwahrlosung seiner Untertanen, pardon: seiner "mündigen Bürger" leisten kann, der also nicht weiter ins Gewicht fällt.

Noch was:
Ein besonderer Witz ist dabei gerade, daß die SB in der Ostzone auf eine Bevölkerung trifft, die seinerzeit der damaligen Staatspartei und deren ihr erfolglos erscheinenden Politik eine Absage erteilt hat. Mit der nationalistischen Parole "Wir sind das Volk!" wollten diese mündigen Bürger sich schon damals von sozialen "Reglementierungen" befreien. Sie waren es, die die Freiheit einer starken Währung dank eines starken Staates genießen wollten. Das haben sie verabreicht bekommen und jetzt sind sie einmal mehr unzufrieden. Zu logischen Schlußfolgerungen wurden sie in der DDR genauso wenig erzogen wie in der BRD, im heutigen Großdeutschland. Und sie werden das ebenso wenig durch jene Wagenknechtsche SB, die die Leute "dort abholen will, wo sie stehen" (eine moderne klischeehafte Frase von Leuten, deren Sache Kritik nicht ist, ja die einem gar Einwände gegen die bestehenden Verhältnissen ausreden will).

Und noch was:
Leute wie Wagenknecht müssen nicht gekauft werden, ihnen ist der nationale Ausgangspunkt ihres Standpunkts so selbstverständlich, daß sie umstandslos kompatibel sind mit den gesellschaftlichen Verhältnissen. Sie verbrämen auch keineswegs ihre nationale Gesinnung so wie manch kommunistische oder sozialistische Partei, die lieber die Zugehörigkeit ihres Staats zu EU und NATO in Frage stellt, als dem Nationalismus zu nahe zu treten, die also lieber auf einen alternativen Nationalismus spekuliert (beispielsweise die KP Griechenlands in der Makedonien-Frage). Dem Nationalismus eine alternative Richtung zu geben, ist eben das Gegenteil zu einer Kritik des Nationalismus. Es ist eine Frage, welche nationale Ausrichtung der Nation "wirklich" opportun ist. Nationaler Erfolg gehört eben endlich verbrieft!

(07.10.18)

bluete

Nationalismus-2017

koka

Wahlk(r)ampf, Personenkult(ur), Demokratie pur:

Ein Hochfest des Nationalismus!

So nichts Außergewöhnliches passiert, wird man als Staatsbürger alle 4 Jahre einmal ernst genommen: Als alfabetisierter Analfabet: Er darf zwei Kreuze in zwei Kreise von vielen machen. Er braucht sich dabei nicht bewußt sein, was er damit überhaupt anrichtet, denn es ist ihm unterstellt, daß er — in welche Kreise er die Kreuze auch immer hineinmalt — nichts falsch machen kann: Wie selbstverständlich geht seine Obrigkeit — also die, welche (wieder) gewählt werden wollen — davon aus, daß er dies in nationaler Verantwortung macht: Die Verantwortungsträger sollen dann nämlich »seine« Nation, die deutsche, voranbringen, an allen Fronten, an der der Wirtschaft, der gegenüber dem Ausland, auch an der der Gerechtigkeit im Inneren. 
Die Parteien unterscheiden sich dann sowieso nur in der Schwerpunktsetzung — darin, wo sie Mängel ausmachen, die sie auszubügeln für im nationalen Interesse geboten erachten. In dieses Bemühen, die Nation verbessernd voranzutreiben, wird nun der Bürger eingeschaltet, als quasi maßgebliche Instanz dafür, welche Parteien den Auftrag erhalten, die Geschicke der Nation führend zu bestimmen. Es liegt in der Natur der Sache, daß es dabei sehr auf die Führung ankommt, also auf eine Lichtgestalt der nationalen Führung. So diese schwer ersichtlich — weder Frau Merkel noch dieser Schulz sind mit Kanzlern zu verwechseln, denen nachgesagt wird, eine ruhmvolle Ära begründet zu haben —, weiß selbst so manch eingefleischter Wähler schon nicht mehr recht, wen und weshalb er überhaupt wählen soll. 

Als hätte die SPD diesen Sachverhalt messerscharf erkannt, tut sie das dafür Nötige, der »Wahlverdrossenheit« entgegenzuwirken: Sie proklamiert die nationale Volksgemeinschaft, die selbstredend keine Klassen kennt: Zum Beispiel mit Parolen wie »Alle müssen ran« (zur Rente) oder noch deutlicher: »Wir machen das. Zusammen.«: Hierbei liegt auf der Hand, daß mit dem »Das« nichts anderes gemeint ist als die Nation und deren  Ansprüche. Welche nun wirklich nichts mit einem Anspruchsdenken von unten zu tun haben, ganz im Gegenteil: Sie sind eine knallharte und nicht mißzuverstehende Absage an solche von unten kommenden Ansprüche. (Hier merkt man übrigens, gegen wen diese Partei immerzu zu kämpfen gedenkt: gegen alles, was auch nur den Anschein erhebt, »links« zu sein.)
Von dieser Klarheit gehen auch die anderen Parteien aus. Die CSU beispielsweise gleich so, daß sie im Grunde keine »Probleme« kennt: Wenn sie von »Wohlstand« spricht, denkt sie, daß jeder gut aufgehoben ist in dieser Klassengesellschaft, sich unter jenem Begriff Wohlstand eingemeindet sieht in die Nation: Solch Einbildung hilft tatsächlich; als Zughöriger zu so einer großartigen Nation wie Deutschland — sie hat schon längst wieder stolzes Niveau erreicht — soll und kann man sich über alles hinwegtrösten, was einem im Alltagsleben an Frechheiten widerfährt, über die Zumutungen am Arbeitsplatz, über die verseuchten Geschäftsmittel, die als Lebensmittel in die Läden gelangen, über die dieselgeschwängerte Luft in Großstädten, über die mit LKWs verstopften und von ihnen ramponierten Autobahnen und Straßen, über die Kunden verarschenden, immer teurer werdenden Dienstleistungen privatisierter Unternehmen usw. usf. Über all das darf man sich aufregen, aber als Deutscher in Deutschland hat man es gut getroffen und muß von jenen »Nebensächlichkeiten« absehen können! Als Wahlbeauftragter selbstsicher an die Urne schreiten, um die demokratischen Volksbeauftragten volldemokratisch beauftragen: Nur so läßt sich die Gewalt eines Staates in all ihren Auswirkungen nämlich ertragen: Selbstbewußt! Mit einer Diktatur sind solche Verhältnisse wirklich nicht zu verwechseln!

Bei all dem läßt sich nicht übersehen, daß es da und dort bei den Projekten, die sich die Staatsgewalt vorgenommen hat, anspruchsvoll wie sie sind, nicht so glatt läuft wie gewünscht. Das betrifft das antiamerikanische Projekt EU/Euro in erster Linie. Der Brexit ist ein Schlag gegen die deutschen Ansprüche; Osteuropa liefert nicht wie gewünscht; die Südzone macht nach wie vor wirtschaftspolitische Probleme. Dazu kommt, daß sich die Sanktionen gegen Rußland alles andere als vorteilhaft auswirken; die Türkei querschießt; die Chinesen hierzulande einkaufen als wären sie zuhause. Ganz am Rande landen dann noch Leute hier, die keine Devisen vorzuweisen haben….
Dies hat dazu geführt, daß es eine Partei gibt, welche die herrschende Staatsräson infrage stellt. Ihr, der AfD erscheint das Vorgehen der Politik in all jenen nationalen Herausforderungen nicht konsequent genug. Sie fordert daher eine Neuausrichtung, eine »Rückbesinnung« auf die Nation, so pervers das der Sache nach ist. Denn schließlich ist die Größe der Nation auch ihr Anliegen; daß die Ansprüche der Nation vermessen sind, will sie ja sowieso nicht behaupten; ebensowenig, daß die Ansprüche mit dem Erfolg schrumpfen können, sollten oder müßten. Ihr Anliegen ist vielmehr das Pochen auf dem Opportunismus der Nation, der das Unterpfand ihrer fast 70-jährigen Erfolgsgeschichte ist. Es wäre, so behauptet sie, für den Erfolg der Nation nicht opportun, wirtschaftsschwache Staaten in der Eurozone zu belassen, ja der Euro wäre sowieso ein äußerst zweifelhaftes Erfolgsrezept, es wäre des weiteren kontraproduktiv, Sanktionen gegen Rußland zu verhängen, hungerleidende Flüchtlinge aufzunehmen, andere Glaubensbekenntnisse zu tolerieren etc. 
Diese Position ist ganz schön extrem: Sie verweist darauf, auf welche Weise die Ansprüche der Nation denn sonst durchgesetzt werden sollten: Mit unmittelbarer Gewalt, mit KZs, mit Krieg … (Die Einordnung dieser Partei unter dem Begriff Faschismus geht in Ordnung!)
Aber es gibt noch weitere, die sich von der nationalen Mitte (SPD und CDU/CSU sowie den von ihnen so gut wie nicht mehr zu unterscheidenden Grünen) abzuheben versuchen: Da ist auf der einen Seite die geradezu staatsfeindliche, wirtschaftsradikale FDP zu nennen. Diesen Ideologen des Liberalismus/Neoliberalismus geht die Freiheit der Wirtschaft allen Krisen des Kapitals zum Trotz über alles: Selbst nach der letzten, tiefen, mehr hinausgezögerten als bewältigten Krise fordern sie: Jetzt erst recht! Noch mehr Privatisierungen, noch weniger Staat, noch mehr Reibach für das Kapital, noch bessere, noch schnellere, noch rücksichtslosere Verwertung der natürlichen inklusive der menschlichen Ressourcen. Das ist wirklich nicht minder extrem, allerdings anschlußfähig an die »Mitte«, denn das Wohlergehen des Kapitals betrachtet der Staat seinerseits als seine große Ressource, auf die seine globalen — um nicht zu sagen: imperialistischen — Ansprüche gründen.
Und es gibt dazu auch noch das Gegenstück, die Partei(en), die auf den Staat setzen gegen eine von ihm enthemmte Wirtschaft: Die Linkspartei und auch die MLPD: Sie dichten dem Staat eine prioritäre Obliegenheit an, nämlich die, wohltätig zu sein, die Wirkungen der Wirtschaft auf die Beschäftigten abzumildern, sich auch um die nicht mehr oder nicht wieder Beschäftigten zu kümmern etc. Kurzum, den Kapitalismus seinen Insassen kompatibel, ihn also wirklich funktional zu machen. Diese Parteien sorgen sich auf ihre Weise, nämlich im Vertrauen auf einen starken Staat, um den Zusammenhalt einer nationalen Volksgemeinschaft. Das ist weniger extrem als eben ein wenig arg abseitig (- ein SPDler gebrauchte dafür ebenso falsch wie bezeichnend den Begriff »Verschwörungstheorie« -) und wird deshalb von der Wählerschaft weniger angenommen: Als Deutscher zuzugeben, daß man schlecht dasteht, das ist ein für jedes Selbstbewußtsein unerträglicher Widerspruch. So will sich kein Nationalist gern kategorisiert sehen. Diesem Widerspruch verdankt sich gleichwohl der Staatsfanatismus der Linksparteien, er hat sich dementsprechend gewaschen.

Alle sorgen sich um Deutschland und seine freie Wirtschaft…. 
Liebe Wähler! Wenn hr doch, anständig, wie ihr seid, zur Wahl geht, dann gehört es sich einfach nciht, sich in den folgenden Jahren zu beklagen über das, was einem da widerfährt. Selbst dann nicht, wenn ihr nicht das Regierungslager gewählt habt: Die Unterlegenen legitimieren die Gewinner – so ist das in einer richtigen Demokratie.
(07.09.17)

Wer sich ein klares Bild über die Demokratie verschaffen möchte, dem sei dieses Buch empfohlen:
Die Demokratie — die perfekte Form bürgerlicher Herrschaft

Wer sich ein klares Bild über die Zustände in der Bundesrepublik Deutschland verschaffen will,
dem helfen folgende Ausgaben der Zeitschrift GegenStandpunkt weiter:
Teil I – II, Teil IIITeil IV-V

bluete

Faschismus 2016

koka

Es ist geradezu unglaublich, daß gerade die taz, diese sich so CSU-kritisch gebende Zeitung jener Partei die Zicken durchgehen läßt (siehe Artikel vom 29.12.15 »Böses Buch kehrt zurück«). Daß Hitlers »Mein Kampf« von jener Partei und ihren Seilschaften 70 Jahre lang so gut wie irgend möglich unter dem Verschluß staatlicher Gewalt gehalten wurde, hat nämlich seine Gründe. So handfeste, daß CSU-Bayern jetzt selbst aus einer kritisch kommentierten Edition ausstieg: "Ich kann nicht einen NPD-Verbotsantrag stellen und anschließend geben wir sogar noch unser Staatswappen her für die Verbreitung von »Mein Kampf«", erklärte CSU-Boß Seehofer (zit. nach taz, ebenda). Der Mann ahnt wohl nicht zu Unrecht, daß all die faschistisch gesonnenen Brüder in seiner eigenen Partei, die diese unter ihrer Obhut am Leben hält, nur allzu mächtig werden könnten, denn es besteht kein Zweifel, daß jene sich in dem Buch wiederfinden, also Hitler recht geben und sich in ihrer Haltung bestätigt sehen.

Nun ja: Juden für schädliche Parasiten am deutschen Volkskörper zu halten, gehört nun wahrlich nicht mehr zur gängigen Weltanschauung eines guten Deutschen. Wäre dem neuen deutschen Staat mit seiner Staatsräson ja auch alles andere als förderlich auf seinem einmal mehr eingeschlagenen Weg zur Weltmacht. Soviel, aber auch nur soviel hat der demokratische Sachverstand aus der Niederlage des deutschen Faschismus in Weltkrieg Nummer zwei »gelernt«. Wirklich gelernt hat er dabei freilich noch nicht einmal, wie Antisemitismus geht. Das wird nur allzu offenkundig, wenn der demokratische deutsche Staat mit dem Verbot der Judenkritik auch gleich ultimativ moralisch mitverbietet, den Staat Israel zu kritisieren, der von einer rassistisch-völkischen Notgemeinschaft faschistischen Zuschnitts bis hin zu seinen permanenten, völkermordenden (Blitz-)Kriegen zur Gewinnung von Lebensraum sich in seinem Wesen keineswegs vom deutschen Faschismus unterscheidet: Ja man muß Israel bescheinigen, in ihm sein zwar unheiliges, so doch unwillkürliches Vorbild zu sehen! Ebenso wie nun jüngst dem türkischen Oberdemokraten Erdoğan Hitler ganz ungeniert als politisches Vorbild schlechthin eingefallen ist! Bestätigt hat dies schon zuvor der Oberisraeli Netanjahu, der Hitler damit entschuldigte, der wäre bezüglich seiner Judenfeindschaft ja bloß einem Moslem auf den Leim gegangen! Tut man sich da nicht schwer, den Demokraten im israelischen Führer vom Faschisten in ihm auseinanderzuhalten?

Doch abgesehen von der neuen Staatsräson in der Judenfrage: Worin besteht denn nun die demokratische Kritik des Vorgängerstaats und dessen Ideologie? Da ist nicht viel zu sehen, nicht einmal in Sachen Krieg. Kriege im nationalen Interesse gehören sich offenbar für das neue erfolgreiche deutsche Staatswesen nicht minder (und bisweilen aus »Auschwitz« moralisch abgeleitet ähnlich wie seinerzeit aus »Versailles«) — freilich nur wirklich erfolgsversprechende: Jeder Demokrat weiß ja, daß der NS-Weltkrieg von vorneherein aussichtslos war. Diese Hypererkenntnis gewinnt man allerdings ganz ohne die Lektüre von »Mein Kampf«.

Wer jenes Hitler-Buch aufschlägt, bekommt Standpunkte vermittelt, die einem heutigen Demokraten weder fremd noch kritikabel sind. Zum Beispiel Hitlers Maxime »Gemeinnutz geht vor Eigennutz«. Ein Leserbrief schreibender Faschist bekommt diese Parole lässig in ein demokratisches Blatt wie dem CSU-Verlautbarungsorgan Augsburger Allgemeine eingerückt; natürlich ohne jede Klarstellung seitens der Redaktion, die selber weder weiß, daß diese Maxime Bestandteil faschistischer Ideologie ist, noch, wie sie zu kritisieren wäre. Sie ist das Dementi eines existierenden Klassengegensatzes. In anderer Version heißt sie »Du bist nichts, Dein Volk ist alles«. Dieser Standpunkt geht als durch und durch demokratisch durch, offenkundig ein wertvoller Beitrag zur demokratischen Meinungsbildung. Und das, obwohl es in der politischen Praxis sehr wohl einen Unterschied gibt: Der offensiv durchgesetzten Leugnung des Klassengegensatzes im Faschismus steht die staatliche Institutionalisierung des Klassengegensatzes in der Demokratie gegenüber.

Aufgrund der geistigen Verwandtschaft ist es auch kein Wunder, daß Faschisten die BRD ideologisch aufgebaut und politisch ausgerichtet haben (und selbst in der nationalen Alternative DDR gab es genügend »geläuterte« Faschisten — viel mehr als ein allemal leicht von den Lippen gehendes Bekenntnis zum neuen Staat und seiner Räson wurde selbst dort niemandem abverlangt). Auch heute ist den führenden Parteien und ihren Parteigenossen nichts abhold, was sie damals zu gestandenen guten Faschisten gemacht hat oder gemacht hätte: Die unumstößlich nationalistische Gesinnung, die einem Offizier namens Helmut Schmidt seinerzeit von der NS-Wehrmacht bescheinigt wurde: Diese Haltung mußte jener nicht revidieren, um es in und mit einer Erfolg versprechenden, nicht minder national gesonnenen Partei im Nachkriegsdeutschland bis hinauf zur Kanzlerschaft zu bringen. Wie zum Hohn, allerdings bitter ernst gemeint lobte der stets medienpräsente SPDler Martin Schulz bei dessen Beerdigung dessen »Prinzipientreue«!

Demokraten wie Faschisten verstehen es und unterlassen nichts, jede aufkommende soziale Frage in eine nationale Frage zu übersetzen: Gerade beim aktuellen Thema »Flüchtlinge« wird deutlich, daß es keine ideologische Trennung zwischen Demokraten und ihrem »rechten Rand« gibt. Als minderwertiges Menschenmaterial brauchbar gehören sie entweder im nationalen Interesse verheizt — sie, so lassen Politiker und Journalisten reihenweise kritisch verlauten, würden ja nicht mal den Mindestlohn verdienen, geschweige denn etwaige Sozialleistungen — , oder ansonsten, als überzähliges Menschenmaterial, rasch wieder in »ihre« — als wären die Zustände in Afrika, Asien und Ex-Jugoslawien nicht westlichen Interessen geschuldet — Misere abgeschoben! Wie feinfühlig Demokraten gegen Flüchtlinge zu predigen verstehen, zeigt Walter Roller, sich übrigens oft und gerne auf das nationale Vorbild Helmut Schmidt beziehend: Just zu Weihnachten stellte er seinen Kommentar unter das Motto »Weihnachten in Zeiten der Flüchtlingskrise« (AZ, 24.12.15) — eine Analogie zu Gabriel García-Márquez berühmten Roman »Die Liebe in den Zeiten der Cholera«. So soll noch dem letzten (christlichen) Idealisten klar werden, daß nicht die Flüchtlinge Not leiden, sondern vielmehr der Staat mit ihnen seine liebe Not hat. Mit offen Haß predigenden Pegida- und AfD-Faschisten soll solch subtile demokratische Agitation ja nun wirklich nicht vergleichbar sein.

*

Wer sich ernsthaft mit faschistischer Ideologie auseinandersetzen will, dem sei dieses, seit Jahren auf dem Markt befindliche Buch empfohlen: »Konrad Hecker, Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung«. Dort findet sich dessen Ideologie und zugehörige Praxis in sortierter Form (u.a. anhand von Zitaten aus Hitlers Buch) erklärt. Ihre Gemeinsamkeiten mit einer Herrschaft demokratischer Art ebenso wie die kleinen, feinen Unterschiede zwischen heutiger und gestriger Staatsräson.

(02.01.2016)

bluete

braunes-Deutschland_2014

koka
Eine demokratische Republik gerät ins Diskutieren — über:
Die braune Brut der Bildungsrepublik Deutschland

Auf den ersten Blick muten die »abendländischen« Demonstranten in ihrer Hochburg Dresden und sonstwo an wie ein Haufen Hinterwäldler: Wirrköpfe eben, wie sie seinerzeit ein Adolf Hitler verstand, unter seiner Hakenkreuzfahne einzusammeln und zu einer schlagkräftigen politischen Bewegung zu formen.
Auf den zweiten Blick fällt sofort auf, daß die Sprüche dieser Bewegung genau das offenbaren, was die Friedrich-Ebert-Stiftung schon vor einigen Jahren ermittelte: Etwa 10% der Deutschen verfügten nach wie vor bzw. wieder über ein geschlossen faschistisches Weltbild mit unverhohlenen Sympathien für eine starken Staat, ja eine Diktatur.

Die Reaktion der Demokraten ist geteilt. Die einen zeigen ihre unverhohlene Abneigung. Die anderen möchten sie am liebsten aufsaugen, indem sie ihnen rechtgeben und entsprechend gegen Flüchtlinge und Ausländer vorgehen wollen, worunter zumal Rassisten der bayerischen Regionalpartei CSU sich hervortun.
Beiden Fraktionen, den »Verstehern« und den »Nichtverstehern« braunen Gedankengutes stinkt nämlich eines ganz gewaltig und das ist nur allzu verständlich: Wie kann man heutzutage auf den Gedanken verfallen, der deutsche Staat sei irgendwie zu schwach und ließe an seiner Macht und den damit einhergehenden globalen Ambitionen etwas anbrennen?

Das ist wirklich absurd: Da liege, so die Demokraten, ein großes Mißverständnis vor, ein Zweifel, der sich ausgeräumt gehört. Und da pocht die eine Fraktion unter ihnen auf einer Klarstellung bezüglich des unbestreitbaren nationalen Erfolgswegs, der kapitalistischen Staatsräson Deutschlands; die andere Fraktion auf  eine Modifizierung der Politik: Der Nutzen der Politik für die nationale Volksgemeinschaft soll verdeutlicht werden, indem nicht bloß die Indienstnahme von Ausländern für den deutschen Staat und seine (freie) Wirtschaft als überaus nützlich herausgestellt wird, vielmehr gleichzeitig die Vorzugsbehandlung der Staatsangehörigen gegenüber Ausländern, die es ohnehin in jedem Nationalstaat gibt, ausgebaut wird. Denn eines ist dieser Fraktion klar: Die malträtierten Untertanen, die in Dresden etc. demonstrieren, sind sich ihrer Vorrechte, die sie als nationale Untertanen gegenüber anderen haben, nicht recht bewußt: Sie bestehen nämlich darauf, daß, wenn sie schon enteignet sind bzw. ohnehin eigentumslos waren und nichts zu sagen haben, sie wenigstens als nationale Stimme und als allenthalben doch hofiertes Stimmvieh anerkannt werden.

Bisher war das, und das stinkt den im Bundestag vertretenden Parteien ja, auch der national verantwortlich denkenden Linkspartei! so gewaltig, kein allzu großes Problem, denn jene 10 Prozent der Bevölkerung mit einem geschlossen faschistischen Weltbild haben, wenn sie sich denn der nationalen Verantwortung in Form der Stimmabgabe bei Wahlen nicht verschlossen haben, in aller Regel ja nicht die NPD (sehr zum Verdruß dieser Partei), sondern die demokratischen Parteien von rechts bis links gewählt, je nachdem die ein oder andere ihnen mehr nationalen Erfolg versprochen hat. [Der Autor dieser Zeilen erinnert sich an seinen Geschichtslehrer, der feststellte, daß die etwas intelligenteren Nazis sich in den sogenannten Volksparteien befänden. Das war einige Zeit bevor sich der SPDler Sarrazin aus der Deckung wagte, weil er glaubte, die Zeit dafür wäre herangereift.]

Die große Frage nun ist, wie und wie gründlich rütteln die national Bewegten an der herrschenden Staatsräson: Allein ihre Uneinigkeit in dieser Frage macht ihre Wirrköpfigkeit aus. Und verdeutlicht zugleich die Crux, worunter sie leiden: Ihnen fehlt, obgleich sie in der »Alternative für Deutschland« eine Partei vorfinden, die ihr Anliegen teilt, ein Führer. Der Ex-CDU-Hinterbänkler und AfD-Chef Lucke scheint ihnen dieser Rolle keineswegs gewachsen, zumal dieser scheint, kaum etwas Wichtigeres zu tun zu haben, als sich explizit von Nazis in und außerhalb seiner Partei zu distanzieren.
Einer wie Lucke bewegt sich in dem seltsamen Widerspruch, die herrschende Staatsräson bekämpfen zu wollen gerade in einem ihrer Ankerpunkte, der nationalen Währung und Währungspolitik! und gleichzeitig so zu tun, als hätte das nichts mit dem zu tun, was jene braunen Demonstranten fordern. Denen ist schließlich alles recht, was ihrem Rassismus dient und ihn bedient: Schließlich zeigt sich gerade an einer harten nationalen Währung die Macht und Überlegenheit Deutschlands, die ihnen so sehr aufs Gemüt schlägt, wenn sie auch nur zu fehlen oder abhanden zu kommen scheint.
Gerade die Ostzonesen hatten ja allen Ernstes geglaubt, mit der DM sich eine glückliche Heimstatt erstritten zu haben. Daß sie jetzt in ihrer Mehrheit so aufs Abstellgleis geraten sind, führen sie auf eine verfehlte nationale Politik und keineswegs auf den stinknormalen Kapitalismus eines anspruchsvollen, global agierenden Staates  zurück.

Diese Feststellung führt unweigerlich zu den Resultaten der Politik der DDR, auf die an dieser Stelle zurückzukommen ist. Während in der alten BRD der Nationalismus immerzu drin war, ja eine direkte Kontinuität aus dem Dritten Reich heraus hinüber in den neuen Staat in vielfacher Hinsicht nicht bestritten werden kann (und mittlerweile auch von niemand mehr bestritten wird), eine Kritik faschistischer Ideologie sowieso nie wirklich stattfand (läßt man die Form moralischer Vorbehalte nicht als Kritik durchgehen), hätte man von einem sich betont antifaschistisch gebenden Staat wie der DDR ja anderes erwartet: Gleichwohl pflegte die DDR nichts anderes als einen alternativen Nationalismus, und zwar sehr offensiv und plakativ; das Parteiorgan ihrer Einheitspartei hieß bekanntlich »Neues Deutschland« und nicht etwa »Proletarische Weltrevolution«. Zurückzuführen ist diese Politik auf einen Kopf stalinscher Schule* namens Dimitrov, der, obschon keineswegs Angehöriger der BVP (der Vorgängerpartei der CSU), angesichts des Aufkommens des Faschismus in Europa, sich nicht entblödete dem Nationalismus, so er denn von unten kommt eine gewisse Berechtigung zuzuschreiben:
"In Deutschland haben unsere Genossen lange Zeit das verletzte Nationalgefühl und die Empörung der Massen gegen den Versailler Friedensvertrag nicht genügend berücksichtigt. … Sie sind mit dem Programm der sozialen und nationalen Befreiung zu spät hervorgetreten." (Dimitrov am 02.08.35 auf dem VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale, zitiert nach »Referate und Resolutionen«, Dietz-Verlag, Berlin 1975, S. 104)

Eine — sehr zu empfehlende, ausführliche Abrechnung mit dem Antifaschismus der DDR — findet sich in dem Standardwerk über faschistische Ideologie: »Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung«, GegenStandpunkt-Verlag, 1996. Statt in moralisch empörenden Gegendemonstrationen sich ziemlich nutzlos zu verausgaben, ist es angebracht, sich mal ein paar Argumente zur Sache zu verschaffen.
Das sei an dieser Stelle einmal explizit betont, weil beispielsweise der Chefredakteur Walter Roller von unserer allseits, gerade bei — wie man Leserbriefen entnehmen kann — Sympathisanten der rechten Szene so beliebten Heimatzeitung, der Augsburger Allgemeinen, weil also dieser Herr Roller in einem Kommentar darauf hinzuweisen sich veranlaßt sah, mit Erklärungen allein sei jener unseligen Bewegung nicht beizukommen.
Das ist bemerkenswert: Denn zum einen bietet Roller bzw. die demokratische Öffentlichkeit überhaupt keinerlei Erklärung an, womit sich Faschisten erklären ließen. Warum denn sind sie immer wieder mittendrin in einem so herrlich demokratischen Staat? Nein, darauf sucht man vergeblich eine Antwort. Denn daß sie etwas nicht sind, also keine Demokraten bzw. von demokratischen Parteien Absorbierte, ist ja nun alles andere als eine Erklärung dafür, was sie nun einmal sind, woraus ihr Standpunkt resultiert.
Der Rollersche Standpunkt zielt darauf, sich eben nicht theoretisch mit der Sache zu befassen, sondern praktische Maßnahmen ins Auge zu fassen. Roller erinnert die Politik daran, daß es ihre Aufgabe sei, aufrecht national Denkende in die nationale Gemeinschaft zu integrieren. Nationale Alternativen sollten als Befürchtungen eben derer genommen werden, die sie vorbringen**. Als solche wären sie ernstzunehmen und nicht etwa als das, was sie sind, als knallharte Alternativen zum etablierten Erfolgsweg der Nation.
Ob dieser windelweichen Sorte Antifaschismus — die der Sache nach nichts als Ignoranz ist — Erfolg beschieden ist, bleibt abzuwarten. Sie ist allenthalben dem Opportunismus des Erfolgs geschuldet: Der Mißerfolg des Faschismus wird antizipiert, so nach dem Motto, was schon einmal gescheitert ist, wird nicht ein zweites Mal gutgehen können.

(28.12.14)
_____________________________
* "…Das Verbrechen der Stalinschen Bürokratie — ja, das direkte Verbrechen — besteht jedoch darin, daß sie sich mit diesen Elementen solidarisiert, ihre Stimmen mit der Stimme der Partei identifiziert, auf die Entlarvung ihrer nationalistischen und militaristischen Tendenzen verzichtet, die durch und durch kleinbürgerliche, reaktionärutopische und chauvinistische Broschüre Scheringers in ein neues Evangelium des revolutionären Proletariats verwandelt. Aus dieser minderwertigen Konkurrenz mit dem Faschismus erwuchs der scheinbar plötzliche Entschluß des 21. Juli: ihr habt die Volksrevolution, wir haben auch die Volksrevolution; ihr habt nationale Befreiung als höchstes Kriterium. wir auch; ihr habt Krieg gegen den Westkapitalismus, wir versprechen das gleiche; ihr habt Volksentscheid, auch wir haben Volksentscheid, einen noch besseren, einen durch und durch »roten«.
Es ist Tatsache, daß der ehemals revolutionäre Arbeiter Thälmann heute aus allen Kräften bestrebt ist, nicht hinter dem Grafen Stenbock-Fermor zurückzustehen. Der Bericht über die Versammlung der Parteiarbeiter, in der Thälmann die Schwenkung zum Volksentscheid proklamiert, ist in der »Roten Fahne« unter der prätenziösen Überschrift »Unter dem Banner des Marxismus« abgedruckt. Indes gipfeln die Schlußfolgerungen Thälmanns in dem Gedanken, daß »Deutschland heute ein Spielball in den Händen der Entente ist.« Es geht also vor allem um die »nationale Befreiung«. …
Doch stehen diese Fragen immerhin in zweiter Linie. Unsere Politik wird nicht davon bestimmt, daß Deutschland ein »Ball« in den Händen der Entente ist, sondern vor allem davon, daß das zerspaltene, entkräftete und erniedrigte deutsche Proletariat ein Ball in den Händen der deutschen Bourgeoisie ist. »Der Hauptfeind steht im eigenen Lande!« lehrte ehemals Karl Liebknecht. Oder habt ihr das vergessen, Freunde? Oder vielleicht taugt diese Lehre nicht mehr? Für Thälmann ist sie offensichtlich veraltet. Karl Liebknecht ist durch Scheringer ersetzt worden. Deshalb klingt wie eine bittere Ironie die Überschrift: »Unter dem Banner des Marxismus!« ….
Die deutsche Kommunistische Partei hat sich in kurzer Zeit vor unseren Augen in die Sphäre des Sozialpatriotismus hineingestürzt. d. h. in jene Stimmungen und Parolen, denen die Komintern bei ihrer Gründung Todfeindschaft erklärte. Ist das erstaunlich? Nein, nur gesetzmäßig!
Die Methode der geistigen Anpassung an den Gegner und Klassenfeind — eine der Theorie und Psychologie des Bolschewismus direkt entgegengesetzte Methode — ergibt sich organisch aus dem Wesen des Zentrismus, aus seiner Prinzipienlosigkeit, Inhaltlosigkeit und geistigen Leere. So hat die Stalinsche Bürokratie eine Reihe von Jahren die thermidorianische Politik verfolgt, um den Anhängern des Thermidors den Boden unter den Füllen wegzuziehen. Erschrocken über die Linke Opposition, begann die Stalinsche Bürokratie, die linke Plattform stückweise nachzuahmen. Um die englischen Arbeiter der Macht des Trade-Unionismus zu entreißen, wandten die Stalinisten statt der marxistischen die tradeunionistische Politik an. Um den chinesischen Arbeitern und Bauern zu helfen, den selbständigen Weg zu finden, trieben die Stalinisten sie in die bürgerliche Kuomintang hinein. Diese Aufzählung läßt sich endlos fortsetzen. In großen wie in kleinen Fragen sehen wir stets die gleiche Mimikry, die gleiche Anpassung an den Gegner, das Bestreben, gegen den Feind nicht die eigenen Waffen anzuwenden — die man leider nicht besitzt! — sondern die aus dem Arsenal des Gegners gestohlenen…." (Leo Trotzki am 08.12.1931, zitiert nach »Vor der Entscheidung — Schriften über den Kampf gegen den Faschismus 1931-1933«, Verlag Die IV. Internationale, 1970)

** Übrigens: Allen interessierten Interpretationen, die Demokraten hinsichtlich des rechten Packs anstrengen, sei entgegnet: Niemand ist so kopflos, daß er nicht weiß, wem er hinterhertrottet. Demokraten geht es ja auch nicht um eine Kritik des Hinterhertrottens als solchem…

bluete

 

 

Liberalismus und Nationalismus 2014

koka
Folgerungen aus der Krise:
(Selbst-)Täuschungen über eine lebendige Klassengesellschaft

Im Grunde wissen sie schon alles, was es mit dem Leben unter den gegebenen kapitalistischen Verhältnissen auf sich hat, gerade die Leser der Blöd-Zeitung. Deshalb ist es auch einerlei, ob sie ihr Blatt heute mal kaufen und morgen mal wieder nicht. Hin und wieder muß es freilich sein, dann nämlich, wenn des Lesers Weltbild eine Versicherung braucht, daß es allen aktuellen Widrigkeiten zum Trotze schwer in Ordnung geht.
Nicht viel anders verhält es sich mit Lesern, deren Gemüter von anderen Tageszeitungen oder von wöchentlich erscheinenden Magazinen bewegt werden. Der einzige Unterschied mag sein, daß sie an einem wirklich fundiertem Weltbild Interesse haben — die Boulevardpresse ist ihnen zu »seicht«. Sie vermissen diese Fundierung des Weltbildes, welches in ihrem nationalen Standpunkt, ihrer nationalen Parteinahme besteht, bei den aus ihrer Sicht nur allzu leicht manipulierbaren Lesern einer Boulevardzeitung. So kann man trefflich darüber streiten, welcher Meinungsmacher das national am härtesten gesonnene Publikum hat. Stärkstes Argument ist dabei übrigens der überall gepflegte Personenkult, die Präsentation deutscher Führungsgrößen vorzüglich gleich auf der Titelseite: Die Spitze eines Propaganda-Wettbewerbs sondergleichen: Was unter dem Begriff »Pluralismus« der Kritik bekanntlich entzogen ist. Für einen gestandenen Nationalisten steht und fällt die Nation allenthalben mit ihrer Führung. Dabei ist es genau umgekehrt: Die Köpfe stehen oder fallen mit dem nationalen Erfolg. Symptomatisch dafür ein regelmäßig erstelltes Politbarometer.

So sehr sich der demokratische Journalismus also um den nationalen Bewußtseinszustand der Staatsbürger sorgt und ihn bedient, so wenig muß sich die Politik den Kopf darüber zerbrechen. Sie tut das freilich nichtsdestotrotz. Zum Beispiel so: Anstatt vom steten Rückgang der Beteiligung an von ihr anberaumten Wahlen zu den Volksvertretungen auf die Stabilität der demokratischen Herrschaftsverhältnisse zu schließen — schließlich erachten immer mehr Berechtigte ihre Stimmabgabe eben deshalb für überflüssig —, machen sich die Politikerköpfe schwere Sorgen eben darob. Ganz so, als ob ihre Herrschaft von Wahlen, diesem ihrem Schmuckstück, und ihrer Verehrung abhängig wäre*! Hierzulande sind, bislang jedenfalls, keine Wahlfälschungen größeren Umfangs nötig, damit auch wirklich die richtigen Personen, also wirklich Erfolg versprechende mit der Regierung beauftragt werden. Übrigens ein großes Verdienst der »freien Presse«, welche sich selber solcher Qualität halber zu loben nicht müde wird.

Die Sorge um die nationale Parteilichkeit ihrer Untertanen fällt zusammen mit der Sorge um die Form, die Staatsform, heute: um die Demokratie. Das paßt schön zusammen. Was keineswegs heißt, diese Sorge würde immer zu einheitlichen Schlüssen bezüglich der Staatsräson führen. Die letzte Finanz- und Wirtschaftskrise, die nach wie vor schwelt, an der nach wie vor herumlaboriert wird, führt das vor Augen.

Denn nichts weniger als das nationale Projekt schlechthin steht auf dem Spiel: Der Erfolg einer freien Wirtschaft soll dem Staat die Mittel abwerfen, die er für seine Macht, deren Aufrechterhaltung wie deren Ausbau, benötigt und auf die er Anspruch erhebt. Kaum ist eine größere Krise da und die Wirtschaft flutscht nicht mehr so wie sie soll, schon fallen die Meinungen auseinander:
Da gibt es die, die in (mittlerweile eher paläo- als neo-) liberaler Ideologie befangen, sich nichts anderes vorstellen wollen, als daß der Staat dem Kapital neue Freiheiten erschließen möge. Freiheiten, an die bislang kaum jemand ernsthaft gedacht hatte. Sie entdecken Grenzen und Schranken, um sie einzureißen, sie denken an die »Hindernisse« zwischen den transatlantischen »Partnern« höchstselbst, Freunde gemeinsamer Ideologien: Sie machen sich schnurstracks an Freihandelsabkommen zwischen Nord-Amerika und dem EU-Europa.
Und es gibt jene, die den Nutzen solcher Verträge für die Nation bezweifeln und ihren Zweifel geradewegs in einen Zweifel um die Demokratie (und keinesfalls an ihr!) übersetzen. Nichts ist freilich lächerlicher als Erfolg und Mißerfolg der Nation von erfolgter bzw. nicht erfolgter Zustimmung der Untergebenen, der nationalen Manövriermasse, abhängig zu sehen!
Die regierenden liberalen Politiker wollen den Erfolg sowieso ganz unabhängig von jenen durchsetzen, in der Hoffnung, der Erfolg wird ihnen recht geben und insofern dann auch den einhelligen Zuspruch der Zeitungen und Zeitgenossen einbringen.
Die Kritiker einer solchen Haltung sind besorgt um die Nation, zu der sie nicht selten schlicht Demokratie sagen. Der Zusammenschluß von oben und unten ist ihnen nicht weniger geläufig als damals den Faschisten. Deshalb ist auch der härteste Vorwurf, den sie als Demokraten erheben der, die Regierungsverantwortlichen würden die Nation spalten. Dabei wird dann darauf hingewiesen, daß angesichts der neuen Handelsabkommen die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer werden würden  — als würden sie das nicht sowieso schon seit Jahr und Tag — und daß die »Mittelschicht« »wegbrechen« würde, als ob solch soziologisch-statistisch ermittelter Status ein guter Grund für das Sich-Abfinden mit den herrschenden kapitalistischen Verhältnisse wäre.

Die nationalen Standpunkte scheiden sich also. Sie radikalisieren sich. Sowohl der Regierungsverantwortliche, der die Freiheiten des Kapitals rücksichtslos ausweiten will und diesbezügliche Verhandlungen deshalb wohlweislich unter Ausschluß der Öffentlichkeit führt. Wie auch der oppositionelle, der staatliche Eingriffe anderer Art verlangt: Den Schutz nationalen Privateigentums vor unliebsamer ausländischer Konkurrenz (unter allerlei Vorwänden von der Gentechnik bis zu den Abgasnormen), überhaupt den Schutz der Nation vor zuviel Ausland, das »uns« nichts nutzt, ja »uns« sogar belastet — als wären die politischen Projekte EU und Euro dem deutschen Staat und dem deutschen Kapital nicht wegweisend und gewinnbringend, vielmehr ihm aufgenötigt und schädlich! Solche Kritiker sprechen gern von der EU als »Überstaat«, als wären deren Befugnisse nicht aus nationalen Berechnungen der Hauptprotagonisten des Projekts abgeleitet. Es ist keineswegs verwunderlich, wer solch oppositionellen Standpunkt vertritt.

Geben wir an dieser Stelle einem alten Theoretiker das Wort, der just im Jahre 1931 folgendes schrieb:
"…lassen wir die Frage offen, wie weit wir noch entfernt sind von der Utopie der menschenleeren Fabrik, die menschliche Arbeitsleistung nur noch für die Produktionsplanung und Absatzorganisation im Kontor erfordert. Unbestreitbar ist, daß relativ zur Zahl der Industriearbeiter die der Angestellten seit Jahren im Wachsen begriffen ist.
Ebenso unbestreitbar ist andererseits, daß die wachsende Proletarisierung des Arbeitsschicksals und der sozialen Lebenslage der Angestelltenmassen diese in ihrer Mehrzahl nicht zu dem führt, was der marxistische Sozialismus der Industriearbeiter das proletarische Klassenbewußtsein nennt. Es ist das Verdienst Dr. Kracauers, daß er in seiner kleinen Schrift über die Angestellten [Siegfried Kracauer: Das Ornament der Masse, 1927] aufgehellt hat, weshalb gerade die Proletarisierung der Angestelltenmassen sie zu dem sogenannten falschen bürgerlichen Bewußtsein führt. Es zeigt sich darin, was an der vorhin erwähnten Marxschen Prognose nicht stimmt: auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung zu Proletarisierung und Verelendung führt, so folgt noch nicht daraus, daß mit derselben naturgesetzlichen Notwendigkeit ein entsprechender Fortschritt des proletarischen Klassenbewußtseins sich ergeben muß. Tatsache ist, daß für die Mehrheit der Angestellten das Festhalten an den äußeren und ideologischen Merkmalen eines bürgerlichen oder zum mindesten nichtproletarischen Standesbewußtseins sich umso mächtiger durchsetzt, je stärker die Tendenz zur wirtschaftlichen Proletarisierung ist. Weil das Schicksal, gegen das der Angestellte sich sträubt, ihm erscheint als Abstieg ins Proletariat, gerade deshalb wehrt er sich dagegen mit der krampfhaften Verzweiflung, die der Anblick eines Abgrundes bei einem Abrutschenden hervorruft. Es charakterisiert ja gerade den Stehkragenproletarier, daß er kein Proletarier sein will, und er will es umso weniger sein, je mehr er es ist.
Was vom Stehkragenproletarier gilt, das gilt erst recht von den Schichten des eigentlichen Mittelstandes, insbesondere des alten Mittelstandes von selbständigen kleinen Geschäftsleuten und Beamten, die von jeher die Stufe ihres sozialen Ansehens und ihrer gesellschaftlichen Selbstachtung bemessen haben nach der vertikalen Entfernung, die sie vom Industrieproletariat als der unteren Gesellschaftsschicht trennt. Auch hier wird die Abwehr gegen das Absinken ins Proletariat, infolgedessen gegen jede Form der Identifizierung mit ihm, umso krampfhafter, je stärker der Druck der wirtschaftlichen Proletarisierung ist. Der Haß des Marxismus ist darum das ideologische Symbol dieser Abwehr, wie die antikapitalistischen Schlagworte das ideologische Symbol des Ressentiments gegen die reichen Oberschichten sind.

Der Sozialpsychologe findet sich in diesem Zusammenhang am ehesten zurecht, wenn er ihn sieht als Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Minderwertigkeitsgefühlen, oder richtiger Zurücksetzungskomplexen, und kompensatorischen Vorstellungen. Die Rolle der kompensatorischen Vorstellungen ist beim Mittelständler und Stehkragenproletarier grundsätzlich keine andere als beim Industrieproletarier: sie sollen den Minderwertigkeitskomplex auflösen, indem sie die erlittene Zurücksetzung und Gefährdung der sozialen Selbstachtung zurückführen auf Ursachen, die außerhalb des eigenen Selbst liegen. Im einen wie im anderen Fall kommt es darauf an, die kathartische Wirkung zu erreichen, die sich immer dann einstellt, wenn man eine drückende Situation erstens verstehen, d. h. auf eine Ursache zurückführen kann, und zweitens, wenn man für sie einen Schuldigen findet, dessen Schuld dann den Maßstab für die eigene moralische Selbsthebung abgibt. Nur der konkrete Inhalt des Prozesses ist beim sozialistischen Proletariat ganz anders als bei den fascistischen Schichten. Die ungeheure kathartische und Zuversicht erregende Wirkung des Marxismus und des Sozialismus überhaupt besteht ja gerade darin, daß die Suche nach dem Schuldigen objektiviert wird zur Suche nach allgemeinen Ursachen, und daß diese Ursachen auf demselben Gebiet der Wirtschaftsform gesucht werden, auf dem die sozial herabdrückenden Wirkungen sich offenbaren. Das gibt dem proletarischen Sozialismus jenen Charakter reiner, sogar vielfach überspitzter Objektivierung, den der Marxismus mit der Selbstbenennung wissenschaftlicher Sozialismus für sich in Anspruch nimmt. Gerade gegen diese Objektivierung aber wehrt sich der soziale Minderwertigkeitskomplex des herabsinkenden Mittelstands. Denn der objektiven wirtschaftlichen Lage nach ist er ja schon proletarisiert oder auf dem Wege, es zu werden. Er muß darum sein eigenes wirtschaftliches Ressentiment nach Möglichkeit auf außerwirtschaftliche Objekte zu übertragen suchen.
Daher die für den Nationalfascismus** überall charakteristische Neigung, auch in der Stellung zu wirtschaftlichen Fragen außerwirtschaftliche Kategorien entscheiden zu lassen. Die Hauptrolle spielt hier die Ablenkung der wirtschaftlich-sozialen Ressentiments auf rassenmäßige Ressentiments, wie beim Antisemitismus, und auf national-politische Ressentiments, wie beim Nationalismus. Der Nationalismus ist das seelische Sicherheitsventil für ein soziales Minderwertigkeitsgefühl, die Ausgleichsform par excellence für die bedrohte kollektive Selbstschätzung, das ideologische Mittel der Ablenkung eines wirtschaftlich-sozial bedingten Grolls auf einen Gegenstand, der nicht nur ganz anders ist als die Gegenstände des industrieproletarischen Grolls, sondern darüber hinaus den schroffsten Gegensatz zum proletarisch-sozialistischen Klassenbewußtsein symbolisiert.

Daß dabei eine Objektverschiebung vorliegt, mit anderen Worten, daß dabei an die Stelle der objektiven Ursachenerkenntnis eine subjektive Ursachendeutung tritt, das gibt dem fascistischen Nationalismus seine charakteristische subjektive, irrationale und affektbetonte Färbung. Er bekennt sich ja selbst gern dazu, denn die gewollte Betonung und Überbetonung reiner Affektimpulse gibt ihm in der heutigen Zeit erhöhte Werbekraft. Das ist all den Leuten willkommen, deren soziale Komplexe dem Bewußtwerden widerstreben, die darum die Verherrlichung des irrationalen Affekts brauchen als Rechtfertigung ihrer Scheu vor dem objektiven Denken, das ihren Interessen oder Standesvorurteilen widersprechen würde. Das stempelt den Nationalfascismus nach Marxscher Ausdrucksweise zum »falschen Bewußtsein«, im Gegensatz zu dem wahren Bewußtsein, das der sozialistische Arbeiter zum mindesten erstrebt.
Ich gehöre wahrhaftig nicht zu denen, die von ihren politischen Gegnern glauben, daß sie entweder Dummköpfe oder Halunken sind. Ich halte es mit Emerson [Harrington Emerson, Unternehmensberater 1853-1931], der da sagt, man solle die Menschen nicht nach ihren Meinungen beurteilen, sondern nach dem, was ihre Meinungen aus ihnen machen. Aber gerade wenn man sich an diesen Grundsatz hält, ist man berechtigt zu fragen, ob es denn nicht in der Natur bestimmter Meinungen liegt, das geistige Niveau der Menschen, die sich von ihnen beeinflussen lassen, zu heben oder zu senken.
Wenn man die Frage so stellt, findet man zum mindesten gewisse psychologische Zusammenhänge, und zwar in allen Ländern, zwischen der Intensität nationalistischer Strömungen und der Stufe der Massenintelligenz. Das gilt nicht nur von jenen großen Massenkrisen, wie wir sie überall noch zur Zeit des Weltkrieges erlebt haben; es gehört heutzutage unter Gebildeten fast zum guten Ton, die Geistesverfassung jener Zeiten als Psychose zu bezeichnen und damit manches zu entschuldigen, dessen man sich nachträglich nicht zu rühmen wünscht. Es liegt im Wesen nicht nur der Psychose sondern aller krisenhaften Affektsteigerungen, daß sie von einer entsprechenden Intelligenzhemmung begleitet sind.
Der nationalistische Affekt ist auch normalerweise besonders geeignet, intelligenzhemmend zu wirken. Das liegt schon darin begründet, daß er auf einer ausgesprochen symbolischen Denkweise beruht. Man braucht Lévy-Brühls Buch übel die Denkweise in der primitiven Gesellschaft [La mentalité primitive, 1922] nicht gelesen zu haben, um zu wissen, daß symbolisches Denken das geistige Merkmal einer primitiven Intelligenzstufe darstellt. Lévy-Brühl hat sie nach entwicklungsgeschichtlichen Gesichtspunkten die prälogische Stufe genannt. Für die Denkprozesse, die sich auf dieser Stufe vollziehen, entscheiden nicht die logischen Beziehungen des kausalen Denkens, sondern einfach die Affektgehalte der Vorstellungen. …
Gewiß, wir wissen alle, daß die sokratische Entdeckung des Unterschieds zwischen sinnlicher Wahrnehmung und wirklicher Erscheinung, obwohl sie schon mehr als zwei Jahrtausende alt ist, es immer noch nicht vermocht hat, dem prälogischen Denken den Garaus zu machen. Es gibt keinen unter uns, der sich nicht gelegentlich dessen schuldig macht. Das ist durchaus natürlich und vielleicht weiter nicht schlimm, wenn man nur nicht aus der Not eine Tugend macht und aus einer Schwäche eine Theorie. Letzteres geschieht aber insbesondere seit dem Weltkrieg in wachsendem Maße. In erster Linie hat das Bestreben, mit den eigenen psychischen Kriegs- und Nachkriegserlebnissen fertig zu werden, auch in gebildeten Kreisen dazu geführt, daß man reagiert hat gegen die Überschätzung der Rolle des rationalen Denkens im sozialen Leben durch unsere Väter und Großväter. …
… es ist nicht schwer, die konkreten Beziehungen zwischen Nationalismus und Ungeistigkeit aufzudecken. Es läßt sich z.B. an Hand einer Analyse der Presse tun. So sehr mir die Klassifizierung von politischen Richtungen nach der geistigen Niveauhöhe widerstrebt, so evident scheint mir doch die Tatsache zu sein, daß in allen Ländern die Zeitungen, die von der Förderung und Ausbeutung nationalistischer Massenleidenschaften leben, zugleich zu dem Teil der Presse gehören, dessen geistiges Niveau überhaupt am tiefsten steht. Fast alle Zeitungen, die zu dem Typ gehören, den die Amerikaner »yellow« nennen, d. h. die weniger vom Informations- als vom Sensationsbedürfnis ihrer Leser leben und daher eine verdummende Wirkung haben, sind ultranationalistisch. Die ausgezeichnete Monatsschrift von Alain, Les Libres Propos, enthält regelmäßig einen »sottisier«, eine überaus ergötzliche Auswahl von Albernheiten, die während des Monats in Frankreich gedruckt worden sind. Daß mehr als neun Zehntel davon aus der nationalistischen Presse und aus den Reden nationalistischer Staatsmänner stammen, mag an der Einstellung der Redaktion liegen, denn es wird natürlich keinem vernünftigen Menschen einfallen zu behaupten, daß es nur unter den Nationalisten Fasler gibt***. Wer aber diesen »sottisier« liest, muß wohl zu der Überzeugung gelangen, daß es in der psychologischen Natur der nationalistischen Gefühle liegt, Albernheiten zu veranlassen, sogar bei Leuten, die sich auf allen nicht davon berührten Gebieten durchaus gescheit zeigen.

Aber es ist vielleicht nicht nötig, daß ich mich auf das gefährliche Gebiet derartiger Geschmacksurteile begebe, um das klar zu machen, worauf es mir hier ankommt. Es genügt für meine These, daß ich sie vorsichtshalber und um keine Überzeugung zu verletzen als Hypothese einkleide. Ich tue das mit Hilfe eines Kantschen Rezepts, indem ich die Frage so stelle: Gesetzt, daß es zwischen Nationalismus und Ungeistigkeit einen Zusammenhang gäbe, wie wäre er wohl psychologisch zu erklären?
Der Ausgangspunkt dieser Erklärung scheint mir darin zu liegen, daß einerseits der nationalistische Affekt eine Form der kollektiven Eitelkeit ist, daß andererseits jede Eitelkeit der Geistigkeit schadet.
Ich glaube, man kann das Wachstum des Nationalismus im Laufe des letzten Jahrhunderts nicht verstehen, wenn man nicht die kompensatorische Wirkung des nationalen Selbstwertungstriebes auf die sozialen Minderwertigkeitskomplexe berücksichtigt. Freilich ist das Wachstum des Nationalismus aufs engste verflochten mit allerlei institutionellen Erscheinungen auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet: wachsende Autonomie und Zentralisation der Nationalstaaten, wirtschaftlicher Imperialismus usw. Aber man kann unmöglich auf der einen Seite nur wirtschaftliche Ursachen und auf der andern Seite nur psychologische Wirkungen sehen. Sonst käme man zu der absurden Deduktion, daß in derselben Epoche, die die Verwirklichung des Weltmarktes und eine vorher ungeahnte gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit der Völker gebracht hat, nun aus den gleichen materiellen Ursachen eine gesteigerte Isolierung und Feindschaft der Nationen entstanden sein soll, die zu diesem »materiellen Unterbau« in schroffstem Widerspruch steht. Ich will hier nicht versuchen, eine Theorie des modernen Nationalismus in all seinen Verflechtungen mit der Entwicklung der imperialistischen Weltwirtschaft zu skizzieren. Ich begnüge mich mit dem Hinweis, daß das Wachstum des Nationalismus in den unteren Volksklassen, das Proletariat nicht einmal ausgeschlossen, nur ganz erklärt werden kann, wenn man es bezieht auf die Hemmungen des kollektiven Selbstwertungsgefühls, die sich aus der heutigen Klassenschichtung ergeben.
Die kompensatorische Wirkung des Nationalstolzes tritt schon in der italienischen Urform des Fascismus zutage. Die Anknüpfung an die Tradition des altrömischen Imperialismus ist freilich auch aus unmittelbaren geopolitischen und wirtschaftlichen Gründen zu erklären. Diese Erklärung hat der Fascismus selbst gegeben, indem er auf die Übervölkerung des italienischen Bodens und auf die Einengung des Auswanderungsgebietes hinwies. Dennoch ist damit nicht alles gesagt, denn zu gleicher Zeit warnt der Fascismus das italienische Volk vor der Gefahr des Geburtenrückganges, der doch eigentlich dem gesunden Menschenverstand als nächstliegendes Mittel gegen die Übervölkerung erscheint. Nichtsdestoweniger: ein großes Italien verlangt möglichst viele Italiener — nebenbei bemerkt, ein Beispiel dafür, wie das affektsymbolische Denken des Fascismus sich in offenbaren gedanklichen Widersprüchen verrät. Daß der Fascio, dessen erste politische Leistung die Zerstörung der sozialistischen Arbeiterbewegung war, trotzdem aus den Kreisen der ehemaligen sozialistischen Arbeiterschaft starken Zustrom erhielt, liegt unter anderem daran, daß der Nationalismus ein bequemerer und kürzerer Weg zur Hebung des kollektiven Selbstwertgefühls ist, als der sozialistische, gewerkschaftliche und genossenschaftliche Kampf. Die Verlockung ist besonders groß bei einem Volke wie dem italienischen, dessen materielle Bedürfnisse gering, dessen Geltungsbedürfnis dafür umso stärker entwickelt ist. Überdies war dieses Geltungsbedürfnis noch von der Caporetto-Fase des Weltkriegs her mit einem nicht ganz ausgeglichenen Defizit belastet. Man findet sich eher mit niedrigen Löhnen und schlechten Wohnungen ab, wenn man »Civis romanus sum« sagen kann. Das venezianische Proletariat, dessen elende und ungesunde Lebensverhältnisse jedem nicht völlig abgestumpften Reisenden auffallen, ist zu einem großen Teil auf die parasitären Nebenverdienste des Fremdenverkehrs angewiesen. Aber es darf »Mare nostrum« sagen — obwohl ihm die Monopolisierung des Lidostrandes durch die Luxushotels nicht einmal gestattet, in diesem Meer zu baden. So erscheint die psychologische Funktion des italienischen Fascismus in seiner Beziehung zum Proletariat vor allem dadurch sozial konservativ, daß er einen ungeheuren Prozeß der Energieverwandlung organisiert hat, bei dem Klassengefühl in Nationalgefühl umgesetzt worden ist.
Das Gefühl der Zurücksetzung, das aus der dauernden Zugehörigkeit zu einer unteren, mit bloß ausführender, dienender Arbeit beschäftigten Schicht entsteht, liegt dem sozialen Minderwertigkeitskomplex zugrunde. Es wird unterbewußt verstärkt durch die Triebhemmungen, die sich aus der Mechanisierung und Automatisierung der Arbeit ergeben. Je weniger die Tätigkeit des Arbeiters und des Angestellten Gelegenheit bietet, die in der Persönlichkeit wurzelnden schöpferischen und aufbauenden Triebe zu befriedigen, geistige Entscheidungen zu treffen, Initiative zu üben, je geisttötender, eintöniger die Arbeit wird, je mehr sie den Ausführenden in ein winziges Rad eines ungeheuren, von außen und oben regulierten Räderwerkes verwandelt, umso mehr erleidet er eine Hemmung des Geltungstriebes oder Selbstwertungstriebes. Ich meine damit jenen natürlichen Drang des Menschen, sich selbst in seiner Tätigkeit und ihren Ergebnissen schätzen zu können. Die kapitalistische Konkurrenzwirtschaft hat noch dazu die traditionellen Gemeinschaften zerstört, in denen sich dieser Selbstwertungstrieb kollektiv auswirken konnte: die Zunft, die Gesellenverbindung, die dörfliche Nachbarschaft usw. Das Wir hat darum in demselben Maße an Sinn verloren wie das Ich. Der sozialistische Industriearbeiter hat diesen Sinnverlust allerdings zum Teil ausgeglichen durch die autonome Schaffung eines neuen Wir, durch das er sich auch ein neues Ich gegeben hat. Das ist die ungeheure positive psychologische Leistung der Arbeiterbewegung, der Bildung von Gewerkschaften und Arbeiterparteien, der Klassensolidarität und des Klassenbewußtseins. Psychologisch gesehen ist ja das Klassenbewußtsein nichts anderes als vorstellungsmäßig erhöhtes kollektives Selbstwertgefühl zum Ausgleich für die gesellschaftliche Erniedrigung dieses Selbstwertgefühls.
Aber wir sahen ja, warum der größte Teil des Stehkragenproletariats und des proletarisierten Mittelstandes sich gegen die Einordnung in dieses industrieproletarische Wir sträubt. Für diese Schichten liegt es am nächsten, die kompensatorische Steigerung des Selbstwertgefühls durch Einreihung in ein anderes Wir zu erreichen. Hier hilft der Nationalismus.
Einer der Gründe, weshalb das sozialistische Klassenbewußtsein beim durchschnittlichen amerikanischen Arbeiter, besonders in den Südstaaten, so schwach entwickelt ist, liegt in der Tatsache, daß es unter ihm noch eine andere Schicht, das farbige Proletariat, gibt; indem er als Weißer an der Herabsetzung dieser Schicht teilnimmt, aus seiner eigenen Farbe sozusagen einen kompensatorischen Fetisch macht, erhebt er sich im eigenen Urteil. Etwas Ähnliches kann man überall auf Kosten des Ausländers zustande bringen. Der mit geisttötender Arbeit beschäftigte, geschundene und verachtete Bürokuli muß sich wohl als ein recht erbärmliches Wesen vorkommen, wenn er sich nur in Beziehung zur privilegierten Oberschicht sieht. Aber sein Ich erfährt eine erhöhte Selbstwertung von dem Augenblick an, wo es sich als Teil eines Wir im Selbsturteil erhöht.

Von packender Wahrheit ist in dieser Hinsicht die Szene im Schauspiel »The Adding Machine« von Elmer Rice, wo die Gesellschaft der Bürokollegen, nachdem sie im Gespräch ein erschreckendes Bild geistiger Subalternität geboten haben, die Sorgen und Erniedrigungen des Alltags vergißt, sobald die patriotische Saite berührt wird, und zuletzt begeistert die Nationalhymne singt. Das bedeutet etwa: Als Handlungsgehilfe bin ich zwar ein armer, getretener Wurm; aber als Bürger des reichsten und fortschrittlichsten Landes der Welt habe ich einen mystischen Anteil an all der Herrlichkeit und all dem kollektiven Prestige, das vom Sternenbanner in der ganzen Welt versinnbildlicht wird. Oder in deutscher Fassung: Es geht mir als Angestelltem, als Steuerzahler oder gar als Stempelbruder hundsmiserabel, aber deswegen bin ich noch kein Hund, sondern nur unglücklicher Bürger eines großen, fleißigen und hochkultivierten Volkes, das leider von lausigen Ausländern im Osten drangsaliert, von amerikanischen Kapitalisten ausgebeutet und von französischen Militaristen in erniedrigender Entrechtung gehalten wird.

… es genügt der Hinweis auf den internationalen Charakter der Wirtschaftskrise, die England und Amerika bekanntlich nicht weniger schwer trifft, um die Schlußfolgerung zu rechtfertigen, daß die hundertprozentige Verwandlung des wirtschaftlich-sozialen Grolls in einen nationalen Groll den objektiven Tatsachen widerspricht.
Auch dort, wo das Klassenressentiment sich antikapitalistisch äußert, unterscheidet sich diese Äußerung dadurch von dem Objektivitätsdrang des sozialistischen Antikapitalismus, daß sie sich an allerlei mehr oder weniger künstlich konstruierte Unterschiede zwischen verschiedenen Arten von Kapitalismus und Kapitalisten festklammert. Auch hier ist das Bestreben charakteristisch, die Schuld von der Kapitalistenklasse überhaupt abzuwälzen, indem man allerlei vom wissenschaftlichen Gesichtspunkt fantastische Unterschiede zwischen Wucherkapital und legitimem Kapital macht, immer mit der Endabsicht, entweder den Juden oder den Ausländer zu belasten. Stets liegt diesen Versuchen die Bestrebung zugrunde, ein auf einem sozialen Gebiet erlittenes Minus an kollektiver Selbstwertung durch ein Plus auf nationalem Gebiet auszugleichen.
Das ist es, was ich meine, wenn ich den Nationalismus als eine Form der kollektiven Eitelkeit bezeichne. Gewiß, es liegt in dieser Benennung ein Werturteil, das ich mir vielleicht mit der Wahl eines neutraleren wissenschaftlichen Fachausdrucks wie kollektives Selbstwertungsgefühl ersparen könnte. Aber es liegt mir daran, dieses Werturteil nicht zu verschweigen. Ich weiß, es ist heutzutage nicht populär, den Nationalismus — jede Form von Nationalismus — so despektierlich zu behandeln. Ich tue es mit Absicht und mit Nachdruck, weil ich glaube, daß heute, wie in der politischen, so auch in der geistigen Welt nichts dringender erforderlich ist als eine eindeutige und energische Reaktion gegen die Balkanisierung Europas.
Ich will mir dabei die Sache nicht einmal leicht machen, indem ich von Exzessen des Nationalismus spreche, denn ich halte jeden Nationalismus für einen Exzess.
…"
(Gedanken von Hendrik de Man, niedergelegt in der Schrift »Sozialismus und Nationalfascismus«, Frankfurt 1931)

Daß die soziale Frage als solche konsequent ausgeblendet wird, macht sie brauchbar für Nationalisten, die an eine wie auch immer erfolgreiche Staatsräson denken. Ja wenn der Erfolg der Nation auf der An- und Verwendung von Arbeitskräfte beruht, dann sollten die eben als solche ihre Würdigung erfahren: Als Beitrag, den sie als Zugehörige zur Nation leisten, soll er ihnen angerechnet werden. Leute, die auf die Nation stolz sein können, sollen gerade deshalb auch nicht um jede Lohnminute feilschen müssen. Was es natürlich ganz einfach macht, Arbeitslose wieder zu beschäftigen. Für die Nation ist es ein Frevel, Arbeitskräfte brach liegen zu lassen, das sind vergebene Ressourcen und Möglichkeiten! Für die Nation und ihren Nationalismus ist der Mindestlohn ein wahrlich tolles Projekt: Keine Ansprüche als den, dazugehören zu dürfen zu einer erfolgreichen, weltmächtigen Nation! Als Nationalisten dürfen sie dann einstimmen in die Kritik aller anderen Nationen, die sich lediglich darin unterscheiden, inwiefern sie der deutschen Staatsräson ins Programm passen.
Daß die deutschen im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften am Nationalismus nicht bloß keinerlei Kritik haben, vielmehr in ihrer nationalen Verantwortlichkeit ihre Grundlage, zeigt die ganze Erbärmlichkeit dieser Vereine, ihre Unbrauchbarkeit für die materiellen Interessen des Proletariats: Sie schreiben dessen Abhängigkeit von den Konjunkturen der Nation fort.

Der Widerspruch, in sozialen Anliegen Politik machen zu wollen, löst sich regelmäßig dann ganz praktisch auf, wenn eine dermaßen sich propagierende Partei in die Regierungsverantwortung tritt, nach der sie giert. Das war bei der französischen KP nicht anders als bei der deutschen Linkspartei, die zumindest mal in ostzonalen Bundesländern, die Möglichkeit hat bzw. hatte, mitzuregieren — es sei diesbezüglich nur an den Fall Berlin erinnert. Es ist kein Wunder, wenn Faschisten mit ihrem propagierten »Mut zur Wahrheit«, womit sie den Mut zum nationalen Bekenntnis meinen, viel leichter Punkte machen. Die Betonung des Nationalen vermissen sie bei den Herrschenden, die ihren Nationalismus für rundweg selbstverständlich, für alternativlos halten. Von Seiten der etablierten Staatsräson sind gleichwohl jene mit ihrem betont nationalem Standpunkt weit weniger angreifbar als die Linken, die immerzu — wiewohl sehr zu Unrecht — in die Ecke der Vaterlandsverräter gestellt werden.

Im übrigen, aufgrund ihres nationalen Standpunkts ist es überhaupt nicht schade, wenn Gewerkschaften und Linksparteien an Bedeutung verlieren, sie sind alles andere als Mittel für die materiellen Belange der Arbeiterklasse, alles andere als ein Argument gegen herrschenden wie alternativen Nationalismus.

(31.10.2014)

_________________________________________
*Natürlich hängt die Herrschaft nicht von der Wählerei ab: Die Herrschaft funktioniert beispielsweise in der Demokratie Nr. 1, in den USA, seit Jahr und Tag mit Wahlbeteiligungen von 50% und darunter ganz hervorragend. Und Staaten, die sich mit einer Wahlbeteiligung von mehr als 90% brüsten, wird sowieso bestritten, daß es sich bei ihnen um echte Demokratien handelt. Was anderen Staaten, die gar eine Pflicht festgeschrieben haben, an Wahlen teilzunehmen, wiederum keineswegs als undemokratisch vorgehalten wird. Allein entscheidend ist, ob die Herrschaft im Interesse eines nationalen Beobachters des In- oder des imperialistischen Auslands »funktioniert«.
** Schreibweise wie im Original; der Begriff ist ein Pleonasmus, denn es gibt keinen anderen als einen nationalen Faschismus; allerdings gibt es einen anderen Nationalismus, einen demokratischen, nicht weniger radikalen, weil totalitären Anspruchs!
*** Die restlichen gehen auf das Konto linker Frasendrescher und Bekenntnissozialisten, heutzutage par excellence in der deutschen Linkspartei versammelt: Aktuelles Beispiel: Der Artikel einer daselbst tätigen »Interventionistischen Linken Bremen«, die sich in ak 594  (14.10.2014) darüber ausläßt, was angesichts einer neurechten Partei doch alles untersucht und unternommen werden müßte.

bluete