Kritik

Kapitalismus 2025: Eine ungeheure Datensammlung

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Kapitalismus 2025: Eine ungeheure Datensammlung
Die Unterhaltungsindustrie auf der Überholspur

 

Das Profitinteresse des Kapitals war historisch betrachtetet von vorne herein nicht auf eine einzelne oder eine bestimmte Anzahl von Segmenten der Produktion beschränkt. Alle gesellschaftlichen Bedürfnisse wurden bedient und selbst das war nicht ausreichend. Immer mehr Gegenstände wurden erfunden, die einen nützlichen Gebrauchswert hatten. Oft und immer öfter rief erst die produzierte und auf dem Markt feilgebotene Ware die Nachfrage danach hervor. Die Fantasie der Menschen war schnell zu erregen, zu begeistern. So rasch, daß auch viel Zeug verkauft werden konnte, mit dem zwar ein gutes Geschäft zu machen war, dessen Qualität und/oder Halbwertszeit jedoch schwer zu wünschen übrig ließ, deren »Neben«wirkungen nicht unbeträchtlich waren. So ist das alles natürlich bis heute geblieben.

Immer schon war eine Wertschöpfung für den rein intellektuellen Raum vorhanden. Waren die Waren diesem Feld ursprünglich auf Zeitungen und Bücher ausgerichtet, kamen im Laufe des 20. Jahrhundert eine technikbasierte Ausweitung gigantischen Ausmaßes hinzu: Grammofon, Film, Radio, Fernsehen, CD/DVD, Computer, internetfähige mobile Geräte…
All dies benötigt jenseits von Hard- und Software Inhalte.¹ 
Diese Inhalte beschäftigen den menschlichen Geist und haben mit der täglichen Arbeit für Geld herzlich wenig zu tun. Diese Inhalte besetzen die sogenannte Freizeit. Das ist die Zeit, die das Individuum jenseits seiner täglichen Arbeitszeit zur Reproduktion seiner Kräfte nötig hat. Doch nur ein Teil dieser freien Zeit widmet das Individuum notwendigerweise dem Schlaf. Seit Erfindung des elektrischen Lichts ging diese Ruhezeit zurück
derzeit haben ca. 40% in der BRD nicht ausreichend Schlaf (dabei ist die Definition von »ausreichend« ohnehin schon auf ein Minimum hin definiert!) , Schlafstörungen hingegen nehmen zu. Nicht deswegen, weil das Individuum ausreichend Schlaf nicht mehr in diesem Ausmaß nötig hat, vielmehr einfach deshalb, weil das Hirn über die tägliche Arbeit hinaus immer mehr beladen, ja belastet wird. Unterhaltung verspricht dem Individuum nämlich eine Kompensation für seine Defizite im Arbeitsleben und überhaupt für all die, die er in der kapitalistischen Gesellschaft erleidet.

Das Kapital hat im Verlauf seiner Entwicklung immer mehr im Unterhaltungssektor investiert. Soviel, daß dieser Sektor, die technischen Voraussetzungen dazugezählt, eine schier unglaubliche Zugkraft entwickelt hat. Im Jahre 2024 setzte die Unterhaltungsindustrie in der BRD 111,6 Mrd. € um, Tendenz steigend zum Vergleich: Der Umsatz der Lebensmittelhersteller belief sich auf 232,8 Mrd. €, Tendenz fallend. Und selbst im globalen Süden hat allem dort herrschendem Hunger zum Trotz das Smartfon seinen Siegeszug angetreten (und zuvor schon das Fernsehen). 

Das Individuum ist gerade über diese Schiene selber zum Produkt des Kapitalinvestments geworden. Dies wird perfektioniert durch eine ungeheure Datensammlung² der  Bedürfnisse, die bei Kauf oder auch nur online beim Betrachten einer Ware erhoben werden. Diese Daten werden unmittelbar in die Produktion, nicht zuletzt in virtuelle Produktion, überführt, und deswegen allein schon sind  die Daten werthaltig. Die Waren fluten die Märkte massenweise, sogar jenseits des gesamtgesellschaftlichen Bedarfs. Die Daten sind unentbehrlich nicht nur für Erfindung und Herstellung der Waren, sondern erst recht für deren Versilberung, für die letzte Transaktion, der Verwandlung von Ware in Geld.³
Die Unterhaltungsbranche hat das Individuum sicher im Griff: Gerade weil sie seine Bedürfnisse sozusagen rund um Uhr und Raum dominiert. Im Gegensatz zu Nahrungsmitteln etwa, deren Genuß seine natürliche Schranke hat, unwesentlich mehr gegessen und
die Alkoholabhängigen mal beiseite gelassen  getrunken werden kann und damit der Umsatz beschränkt ist, ist der der Sfäre der Unterhaltung schier grenzenlos. Sicher, man kann sich immer nur einem Medium gleichzeitig widmen, jeder leistet sich jedoch schrankenlos viel Zeug zur Unterhaltung. Wie oben bereits gesagt, verlangt das die Hoffnung auf Kompensation, das Bedürfnis nach Kompensation aller Unannehmlichkeiten, die das Individuum so erleidet. Und die Unannehmlichkeiten sind erfahrungsgemäß sonder Zahl.

Doch wenn es bloß das wäre! Mit den Medien werden ihm ja die Inhalte vermittelt, mit denen er weiterhin gesellschaftlich brauchbar gehalten bzw. gemacht wird. Ihm werden all die Klischees, Stereotypen, Gewußt-Wie-Rezepte bis hin zu politischen Freund- und Feindbildern also die moralischen Orientierungspunkte  nahegebracht. So nahe, daß jeder automatisch aufs Abstellgleis geschoben wird, wenn er solchen Angeboten inhaltlich widerspricht, sich ihnen verweigert.

Die gesamten Entscheidungen von Politik und Wirtschaft werden dem Leser, Hörer, Zuschauer auf ein Unterhaltungsangebot so zugeschnitten, daß der alles eben so wahrnimmt, wie es dargestellt ist: Oberflächlich, leicht konsumierbar. Tatsachen sollen ebensowenig wie Maßnahmen nicht nach ihrem Grund befragt werden, Fragen überhaupt sind schon durch die Darstellung ausgeschlossen, es zählen Fakten  auch wenn nur allzu oft etwas nur als Faktum dargestellt wird, also erlogen ist. Daraus folgt jedenfalls: Kein Widerspruch erlaubt! Spekulationen, Wunschdenken obendrein sowieso uferlos.

Überhaupt ist die durchgesetzte Maxime in den führenden kapitalistischen Staaten: Alle Welt will belogen sein. Ohne Frage, gilt es doch stets, den Gegenüber über den Tisch zu ziehen, in der Wirtschaft wie in der Politik. Natürlich muß man diese Verlogenheit adaptieren, wenn man Karriere machen will. So erklärt es sich, daß die größten Halunken die besten Chancen haben und konsequenterweise auch ganz oben stehen: Sie pflegen die hohe Kunst der Verstellung. Den Oberhäuptern der Gesellschaft ist sie in Fleisch und Blut übergegangen.

Das macht es im übrigen gerade den Staaten schwer, die diese Maxime nicht kapiert haben oder nicht kapieren wollen. Das ist oftmals ein desaströser Lernprozeß, wie beispielsweise an Rußland zu sehen ist.

Die Verlogenheit, die gerade in der unhinterfragbaren, geradezu kindergerechten Vereinfachung eines Sachverhalts steckt, macht Politik so überaus kompatibel mit dem Märchenland der Unterhaltungsindustrie.
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¹ Was die konkreten Inhalte sind, wie umfassend sie in den Alltag eingreifen, das kann sich leicht jeder selber ausmalen, ja an sich selber sehen. Eine Aufzählung wäre ohnehin nie vollständig.
² Es ist gerade so, als würde auf Marx' Einstieg in seine Kapitalanalyse noch eins draufgesetzt:
»Der Reichtum der Gesellschaften, in denen die kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine 'ungeheure Warensammlung', die einzelne Ware als seine Elementarform.« (Karl Marx, Das Kapital, Band 1, S. 49)
³ Zu Umschlaggeschwindigkeit und Umschlagzahl des Kapitals und dessen Bedeutung im Fortschreiten der Entwicklung siehe Marx, Das Kapital, Band 2

 

01.09.2025
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Politische Psychologie: Das Amerikanertum

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Das Amerikanertum
Nationaler Erfolg schlägt sich im Bewußtsein politisierter Staatsbürger nieder, Mißerfolg nicht minder.

 

Es gibt zweifellos so etwas wie »Völkerpsychologie«. Allerdings nicht in dem herkömmlichen Sinn wie sie einstige und heutige Politiker in Deutschland und die mit ihm verbündeten Staaten geprägt haben: In ihrer Herrenmensch-Arroganz haben diese Figuren die Unterschiede der Menschen in den verschiedenen Ländern auf die Natur zurückgeführt und tun dies weiterhin. Diesen Rassismus können sie in ihrem politischen Denken und Handeln nicht verleugnen. Um Beispiele anzuführen: Warum durfte und darf die Türkei nicht der EU beitreten? Oder warum darf das »gemeinsame Haus Europa« nicht mit Rußland und Weißrußland gebaut werden, aber mit den Bandera-Nazis der Ukraine? Warum ist ein Damm gegen Flüchtlinge aus Afrika gebildet worden? Warum distanzieren sich Von der Leyen, Merz, Klingbeil und Co. nicht von Israels Genozids? Warum weifert sich Deutschland hartnäckig, im Krieg überfallenen Staaten wie Griechenland für Überfall und Gräueltaten zu entschädigen? Warum rehabilitiert Deutschland Offiziere der Nazi-Wehrmacht und stellt sie als Vorbild hin¹? Usw. usf. Niemand kann behaupten, daß all das politisch und ökonomisch wirklich zweckmäßig ist für die Staatsräson einer kapitalistischen Gesellschaft. Klar, es wird dennoch mit verräterischen Vehemenz! — glauben gemacht. Doch keiner der vielzitierten »Experten« prüft diese Behauptungen und wagt, Einwände zu erheben; nicht einmal die Leute der Wirtschaft. Es könnte immer aufs neue überraschend sein  so man nicht um die Dringlichkeit kurzfristigen Profits wüßte —, schlägt man das Zentralorgan der Investoren, das Handelsblatt, auf, wie dort speziell der deutschen Außenpolitik aus dem Hirn gefressen wird: Dabei muß man kein tieferes Verständnis der Wirtschaft haben, um zu sehen, wie kontraproduktiv Wirtschafts- und Außenpolitik nicht nur aber gerade die der derzeitigen Regierung ist.
Aus Marxscher Sicht muß man sie gar als noch destruktiver einschätzen: Schließlich sind Investitionen ins Militär totes Kapital, Kapital, das dem Wirtschaftskreislauf entzogen wird: Waffen, die nicht eingesetzt werden, rosten vor sich hin, entwerten sich ohne irgendwem irgendetwas gebracht zu haben; werden sie eingesetzt, zerstören sie die Ökonomie erst recht.

Also was kann unter Völkerpsychologie im Gegensatz zu dieser zutiefst rassistischen Auffassung verstanden werden. Der Grieche Nikos Dhimu hat ein aufschlußreiches (auch auf deutsch erschienenes) Büchlein geschrieben: »Über das Unglück, ein Grieche zu sein«.² Dhimu ist ein politisierter Bürger, Anhänger seiner Nation. Als solcher hat er ein Riesenproblem: Griechenland stellt in der heutigen Welt einen abgehängten, schwachen Staat dar. Kein Vergleich zur Macht der griechischen Stadtstaaten in der Antike, in der die griechische Ökonomie mit ihrem weit verzweigtem Handel und die geistigen, wissenschaftlichen Errungenschaften so zentral waren, daß sich gar die griechische Sprache zur Weltsprache entwickelt hatte. Was Dhimu also so anschaulich vor Augen führt, ist, daß ein politisierter Bürger sein persönliches Image auf die Zugehörigkeit zu einer Nation zurückführt, genauer: zu deren Rang unter den Staaten: Wie selbstverständlich mißt er die Nation am Anspruch, Weltmacht zu sein. Immerhin vermeidet die NATO-, EU- und €-Mitgliedschaft dann seinen intellektuellen Selbstmord…

Kein Wunder, daß die Weltmacht USA in Sachen Nationalismus die Nr. 1 sind. Dieser so qua Erfolg gut begründete Nationalismus macht gleichwohl nicht Halt an den Grenzen einer Nation:
»… Je nachdem die politischen Formen eines fremden Landes denen der Vereinigten Staaten entsprechen, wird dieses Land, bei Gleichstand auf andern Gebieten, als dem Amerikanertum nahekommend erachtet. Doch wenn von diesem politischen Moment die Rede ist, wird gewöhnlich ein Synonym für den Begriff Amerikanertum gebraucht, und dieses lautet: Demokratie. …
Der Glaube an das Hinstreben der ganzen Welt zum Amerikanertum ist ihnen [den US-Amerikanern] so in Fleisch und Blut übergegangen, daß es nur sehr schwer aufgegeben werden wird; und wenn die Umstände sie zum Aufgeben zwingen, so besteht die Gefahr, daß sie die ganze internationale Zusammenarbeit aufgeben. Menschen, die so verdreht sind, daß sie Ausländer bleiben wollen, verdienen eben keine Hilfe. …
«³
Aufzugeben kommt für die politische Führung natürlich nicht einfach dann infrage, wenn sie (zeitweise) mit ihren nationalen Ansprüchen nicht durch- oder vorankommt. Sie setzt alles daran, diesen ihr unerträglichen Zustand zu beenden. Sofern Wirtschaftskriege dazu nicht ausreichend sind, kommt der Einsatz des Militärs in Betracht.

Das nationale Programm, die Staatsräson ist unberührt, ungeachtet welche Personen und welche Partei die nationalen Spitzenämter bekleiden. Die Charaktermasken der Politik konkurrieren darüber gegeneinander: Wer ist der konsequenteste Anwalt der Nation.
Das ist Demokratie. Das ist us-amerikanisches Vorbild. Politisierte Bürger in aller Welt haben daran einen Narren gefressen. Und das ganz jenseits des Rangs ihres Staates im Konzert der Nationen.
__________________

¹ Im August 2024 unter Regie des Bundesverteidigungsministerium, vom SPD-Militaristen Pistorius geführt. Halbherzig wurde das dann doch wieder zurückgenommen, nachdem die taz getitelt hatte: »Mehr Wehrmacht wagen!« Aber allein wieviel Leute dafür bezahlt wurden, von der Politik beauftragt, solchen Scheiß auszuarbeiten und als ernsthaft und wichtig zu präsentieren, wirft ein schlagendes Licht darauf, was der demokratische deutsche Staat unter »Vergangenheitsbewältigung« versteht. Ganz abgesehen davon, daß der Nazi Stauffenberg, der sich als besserer Hitler verstand, nach wie vor in hohen Staatsehren steht..
² Νίκος Δήμου, Η δυστυχία του να είσαι Έλληνας
³ Geoffrey Gorer, Die Amerikaner – Eine völkerpsycholgische Studie, 1949, dt. 1956, S. 163

 

30.08.2025
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Die Leiden der linken Opposition

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Der Haken, an dem linke Oppositionelle leiden

 

Sie leiden gerade insofern schwer, als sie in Wahlen ein Mittel sehen, um ihren menschenfreundlichen Anliegen zum Erfolg zu verhelfen.

»Die Leute, die Kerzen auf dem Altar des Ideals anzünden, haben immer eine Kerzenfabrik hinter sich.« (Dino Segre alias Pitigrilli in »Vegetarier der Liebe«) Das Perverse ist, daß sozial gesinnte, also links orientierte Leute weder eine Kerzenfabrik noch sonst eine Fabrik hinter sich haben, wenn sie Idealen huldigen. Sie wollen mit ihrem Idealismus ganz grundsätzlich gegen den Materialismus schlechthin ankämpfen, den sie für des Teufels halten. Ja, damit nehmen sie Abstand auch von ihrem eigenen Marterialismus: En vogue kam diese Haltung mit der Hippiebewegung in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Jene an sich sympathischen Typen damals empfahlen ein einfaches Leben, eine Flucht aus der kapitalistischen Konsumwelt. Doch diese hat die Bewegung alsbald wieder aufgesogen, allzu verlockend waren die Angebote der Warenwelt. Bunte, oft überaus praktische Gebrauchswerte hatten die ideellen »Werte«, mit denen man ja nichts anfangen konnte und kann, in den Schatten gestellt. Und nicht allein das. Die Idealismen wurden denen überlassen, die als Kapitäne der Wirtschaft, als Führer der Politik und als amtliche Schullehrer der Staatsräson sie zur Beschönigung ihrer gewaltbasierten Taten benutzen wollten und benutzt haben und weiterhin mit diesen Idealen propagandisch hausieren gehen. 

Nichtsdestotrotz erheben die mittellosen, unbedarften Idealisten immer erneut ihr Haupt, messen Herrschaft und Wirtschaft an ihren — man kann getrost sagen — Utopien einer heilen Welt, einer antimaterialistischen Welt — ganz ohne irre zu werden. Sicher, der insbesondere unter der Jugend zirkulierende Idealismus legt sich in aller Regel im Laufe der Alterung seiner Protagonisten. Das kann man sehr deutlich sehen, an denen, die bei Wahlen »links« wählen. Also hierzulande an Parteien wie »Die Linke«, die Piratenpartei, »Die Partei« von Martin Sonneborn oder MeRA25 von Janis Warufakis [Γιάνης Βαρουφάκης].¹ Sehr gut bemerken sie mitunter, daß alle anderen Parteien nichts mit einem antimaterialistischen Idealismus am Hut haben, hingegen den Idealismus für ihren kapitalistischen Staat als dessen Rechtfertigung und zu dessen Verklärung benutzen.

Die Haltung all der idealistisch infizierten Opposition ist selbstredend keine der Arbeiterklasse. Diese Klasse (aus-)verkauft vermittels ihrer gewerkschaftlichen Organisationen ihre materiellen Interessen an ihre Gegner. Dabei ist unterstellt, daß sie mit diesen in einem Boot sitzt und Gegensätze deshalb zu unterbleiben hätten. Das Dementi eines fundamentalen Gegensatzes materieller Interessen also! 
Manchem derer, die idealistisch unterwegs sind, fällt diese Trennung von der Arbeiterklasse störend ins Auge: Denn eigentlich, so meint ein solcher, gehörte gerade auch diese Klasse, die ja offenkundig wirklich nicht viel zu lachen hat, doch auch zur Opposition und es wäre erfolgversprechender, man zöge gemeinsam an einem Strick. Dieses Wunschdenken ist vor allem in der Partei »Die Linke« beheimatet. Dort macht man sich allerdings keinen Gedanken darüber, warum das nur ein Wunschdenken ist und bleiben muß. Denn weder dem eigenen Idealismus von einer Gesellschaftsordnung noch der sozialverträglichen nationalen Gesinnung der Arbeiterklasse möchte man zu nahe, auf die Füße treten. Und so gehen politische Opposition und die materielle Durchsetzung von Arbeiterinteressen gegen das Establishment eben nicht zusammen, zumal letztere eben gar nicht als wirklicher Gegensatz genommen werden.²

Natur- und Klimaschützer bringen ein materielles Interesse vor, da es sich um menschliche Lebensgrundlagen handelt, die tagaus tagein von einer kapitalistischen Wirtschaft zerstört werden. Freilich nur allzuoft wollen diese Schützer damit keine Gegnerschaft zu den gesellschaftlich obwaltenden Interessen eröffnen. Ganz im Gegenteil, sie meinen, daß ihre und jene Interessen im Grunde gar nicht auseinanderfallen dürften und schon gleich nicht sollten. Insofern machen sie einen Übergang vom materiellen Interesse hinweg zu einem Idealismus. Denn in der Tat liegt Natur- und Klimaschutz nur bedingt und sehr sehr untergeordnet im Interesse eines kapitalistischen Staates. Solch Schutz ist ja logischerweise ein nachgeordneter: Wie kommt man denn darauf, etwas schützen zu wollen, wenn es zuvor nicht verwundet worden ist? 
Kein Wunder, daß sich also auch Klima- und Naturschützer im Kreise einer linken Idealistenpartei am ehesten wohlfühlen. 

Noch etwas muß gesagt werden: Eine gewisse Naivität lassen Linksidealisten gegenüber anderen Staaten erkennen. Wenn irgendwo in der Welt oppositionelle Demonstranten unterwegs sind, dann wollen sie nicht herausfinden, welches Interesse jene überhaupt vertreten, was sie auf die Straßen treibt. Oft genug sind die Ansprüche doch nichts anderes als die, die westliche Einmischung in ihre Länder gutheißen und fordern, ja bis hin zu einem in völliger Ignoranz gegenüber den Interessen der imperialistischen Staaten — geforderten Umsturz. Mit solchen Demonstranten sich hierzulande solidarisch zu erklären, ist die Perversion jeglichen materiellen Interesses, paßt also ausgezeichnet zu einem radikalisierten Idealismus. 

Mit einem auf die Spitze getriebenen Idealismus glauben seine Protagonisten doch gleichwohl bei der Herrschaft früher oder später Gehör finden zu müssen. Und in diesem Vorhaben entdecken sie nicht ihrer Täuschung, lassen sich nicht so leicht ent-täuschen. Im Gegenteil, dieser Irrtum verführt sie mitunter zu immer noch radikalerem Protest. Sicher, nur wenige werden Anarchospontis, doch auch diese Sackgasse eröffnet sich allen Idealisten. 
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¹ Auch DIE GRÜNEN starteten als Idealistenpartei. Der Abschied vom Idealismus erforderte die Ermordung ihrer damaligen Parteichefin Petra Kelly.
² Die Gewerkschaften ködern ihr Arbeiterklientel regelmäßig mit einem Ideal von Gerechtigkeit. Sie verstehen sich auf die gleichen Heucheleien wie die Politik. Bei denen, die vorgeben, sich um die materiellen Interessen ihrer Klasse zu kümmern, ist das besonders gemein.

 

27.08.2025
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Ausbeutung?! Wie, wo, warum?

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Ausbeutung? Wie, wo, warum?
 

Zunächst ein Schritt zurück, zurück in die Zeit der Sklaverei und Leibeigenschaft. Die Sklaven mußten für ihre Herren arbeiten und wurden nach allgemein üblichem moralischen Maßstab ausgebeutet. Entschädigt wurden sie mit Wohnstätte und Nahrung, also mit ganz konkreten Gebrauchsgegenständen.
Die Sklaverei wurde abgeschafft, die Sklaven wurden freigesetzt davon, für einen Herrn arbeiten zu müssen und gleichzeitig von ihrer unmittelbaren Versorgung mit Wohnung und Lebensmitteln. Ab sofort mußten sie ihre Arbeitskraft zu Markte tragen, um Geld zu verdienen und somit ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse stillen zu können, d.h. die dafür notwendigen Dinge kaufen zu können.

Daran läßt sich Mehreres feststellen:
Der nunmehr freie Mensch konnte keineswegs machen, was er wollte, wollte er nicht zugrunde gehen. Es lastete fortan ein immenser Druck auf ihm, er mußte seine Arbeitskraft feilbieten. Ja, er mußte sie, um eine Chance auf Anstellung zu finden, auch zurechtmachen auf die Bedürfnisse eines anderen, desjenigen der sie kaufen wollte. Er war also nicht mehr geknechtet wie früher als Sklave von einem Herrn, er mußte sich fortan nun selber zum Knecht machen und zwar schon bevor und damit er von einem gebraucht werden kann, der ihn mit Geld entlohnt. 

War früher sein Leben als Sklave, seine Existenz und seine Arbeit kompakt zusammengehalten, so war sein Leben nun aufgeteilt in seine unmittelbare Existenz und seine Arbeitskraft. An letzterer allein hat nun sein Arbeit-Geber Interesse. Das führte dazu, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufgrund dessen Abhängigkeit, seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen, gnadenlos ausnutzen konnte. Man legt auch in dieser Beziehung den allgemein üblichen moralischen Maßstab an und spricht von Ausbeutung. Diese Tatsache veranlaßte den Staat einzugreifen, doch dazu später.

Das, was mit der Anwendung der Arbeitskraft und ihrer Bezahlung mit Geld, erforderlich war, war eine über den Lauf der Jahre immer objektiver feststellbare »Leistung«. Wer seine Arbeitskraft verkauft, verkauft sie für eine bestimmte Zeit, in welcher er wiederum eine zuvor festgelegte Arbeit zu verrichten hat. Also: Verausgabung von Arbeitskraft pro Zeiteinheit = Leistung. Die ist objektiv meßbar. Vorausgesetzt die Arbeit ist wie erwünscht erbracht, erhält der Arbeiter dann beispielsweise einen Geldbetrag von 10 Euro pro Stunde. Seine Lebensmittel erhält der Arbeiter von einem anderen Arbeitgeber, in dessen Laden er gehen muß, um sich sein täglich Brot etc. zu kaufen, also sein erhaltenes Geld im Tausch gegen das Brot jenem zu geben. Einfach mitnehmen kann er das Brot nicht, auch wenn er noch soviel Hunger hat.  

Der Arbeiter ist also abhängig von seiner den Erfordernissen angepaßten Arbeitskraft als quid pro quo Geld zu erhalten, das er als Tauschmittel (Zahlungsmittel) benützen muß, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. 
So betrachtet besteht selbstredend die Möglichkeit, daß das erhaltene Geld für die Bestreitung seines Lebensunterhaltes nicht ausreicht. In diesem Falle spricht man nach allgemein verbreitetem moralischen Maßstab durchwegs von Ausbeutung. Dieser Zustand wirkt sich allerdings negativ auf die Arbeit selber aus, die die Arbeitskraft zu erbringen hat. Das kann auch nicht dadurch ausgeglichen werden, der Arbeitskraft in der gekauften Zeit höhere Anforderungen zu stellen oder sie gar länger als vorgesehen arbeiten zu lassen. Allerdings haben das die Käufer der Arbeitskraft nicht selber eingesehen, da mußte der Staat mit seinem Auge auf die gesamte nationale Ökonomie eingreifen. Der Staat hielt solche Art eingerissener Ausbeutungs-Ökonomie für seine übergeordneten Bedürfnisse untauglich. Er wollte und will ja aus der von ihm freigesetzten Ökonomie seinen Nutzen ziehen. Seitdem achtet er auf ein diesbezüglich gesundes Verhältnis von Ausbeutung und Lebenserfordernissen des Arbeiters, der ja möglichst lange und mit möglichst wenig gesundheitlichen Schäden verschlissen werden soll. Des Staates letzte — Aufsehen erregende — Maßnahme war die Etablierung eine Mindestlohns. Dies impliziert den Anspruch, daß niemand mehr, der in einem Staat mit gesetzlich verankertem Mindestlohn lebt, von Ausbeutung sprechen kann und darf. Denn der Begriff Ausbeutung enthält ja historisch festgezurrt immer eine moralische Anklage! 
Also ist keine Rede à la Marx mehr statthaft, der seinerzeit zwar keine moralische Anklage gegen die ökonomischen Verhältnisse erhoben hat, obgleich diese, wie man aus dem Geschichtsunterricht bezüglich des 19. Jahrhunderts vielleicht noch weiß, seinerzeit hundsmiserabel waren. Vielmehr hat Marx das Abhängigkeitsverhältnis eines Arbeiters, das er mit dem Verkauf seiner Arbeitskraft eingeht, näher untersucht. Dabei ist er zu der Schlußfolgerung gelangt, daß der Wert, den der Arbeiter mit der Übereignung seiner Arbeitskraft an einen anderen schafft (und die sich in der geschaffenen Ware werthaltig manifestiert), nicht in vollem Umfang bezahlt werden kann und wird. Seine lebensnotwendige AbhäSgigkeit eröffnet der anderen Seite nämlich eine ausgezeichnete Erpressungsmöglichkeit, nämlich, auf Kosten der angewandten Arbeitskraft ein Geschäft zu machen. Diese Sachlage wird in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht nur als ganz normal angesehen, sie darf auch nicht als Ausbeutungsverhältnis diskreditiert werden — das wäre ja gerade unmoralisch! In der staatlich etablierten kapitalistischen Gesellschaft gilt nicht staatlich erlaubte und betreute Ausbeutung als unmoralisch, sondern umgekehrt, der Vorwurf der Ausbeutung an solch famose Ökonomie! 

Noch ein Nachtrag: Wie war das damals in einer realsozialistischen Gesellschaft wie der Sowjetunion oder der DDR und heute wohl nur noch in Nord-Korea. Dort waren die Arbeiter offenkundig weder Sklaven noch von einem Geschäftemacher bei Bezahlung mit Geld in Anspruch genommen. Das Verhältnis von Arbeiter zu seinen Existenzbedingungen, also zu seinen Lebensmitteln regelte er allerdings ebensowenig in Eigenregie. Dieses Verhältnis wurde also nicht von einer Privatperson wie dem Sklavenhalter oder Kapitalisten bestimmt, sondern unmittelbar vom Staat, als dessen Staatsbürger der Arbeiter existierte. So wie er in einem kapitalistischen Staat seine Arbeitskraft für deren Verkauf an einen ihn Bezahlenden zurechtschneidern mußte, um sodann zu seinen Lebensmitteln gelangen zu können, so mußte der Arbeiter seine Arbeitskraft auch im Realsozialismus zurechtmachen, um dann seine Lebensmittel zugeteilt zu bekommen. Der staatliche Anspruch auf Arbeitsleistung war unmittelbar an die Lebensmittelversorgung der Arbeiter gekoppelt. Dieses Verhältnis wurde zwar mit Geld abgewickelt, doch das Geld repräsentierte nicht einen geschaffenen Wert, sondern war reduziert auf ein reines Tauschmittel (Zahlungsmittel). Geld war kein Tauschwert, kein Kapital. Das war auch der Grund, warum den Preisen nicht der geschaffene Wert zugrunde gelegt wurde, sondern eben staatlich festgesetzt wurde (und zwar nach Lebensnotwendigkeit: Auto teuer, Brot billig). Es war im Grunde ein Witz, die Versorgungsleistungen des Staates, für die die Arbeiter arbeiten mußten, in Geld auszudrücken. Genausogut hätte man die Arbeiter in die Läden gehen lassen können, wo sie sich das, was sie benötigten, einfach mitnehmen hätten können. 
Es ist offenkundig keineswegs so, daß der kapitallose Staat sich nicht an den Bedürfnissen und Wünschen seiner Arbeiter orientiert hätte. Das tat er sogar so sehr, daß er jenen nachzukommen trachtete, obschon er dabei vermeiden wollte, die Arbeitsleistungen der Arbeiter allzusehr zu diktieren oder gar zu erhöhen! Der Staat grübelte darüber nach, wie die Produktivität seiner Wirtschaft zu steigern wäre und blickte neiderfüllt in den Westen, wo die Produktivität durch die dort konkurrierenden Kapitale und die dafür ausgebeuteten Arbeitskräfte immer neue Höhen erreicht hatte. So von Bewunderung für den Westen erfüllt, dachte er schließlich auch gar nicht mehr daran, auf welcher Grundlage die Produktivität im Westen fußte. Ebenso die Arbeiter, denen jeder vernünftige Gedanke über Aufwand und Ertrag ihrer eigenen Arbeit abhanden kam. 
So geschah es, daß über den internationalen Vergleich in Sachen Produktivität der ursprünglich gegensätzliche Zweck, eine von Ausbeutung freie Gesellschaft zu errichten, abhanden kam. 

Und nicht nur das. Dieses Abhandenkommen wurde auch noch gerechtfertigt. Natürlich war in Rußland damals im Jahre 1917 eine Revolution angesichts der katastrofalen Ausbeutung, der Arbeiter und Bauern unterworfen waren, dringend nötig. Und sie war natürlich nicht nur dort nötig gewesen, doch anderswo nicht erfolgreich. Doch im nachhinein sahen und sehen es gerade Leute, die sich als Sozialisten begreifen, denen also die soziale Frage nicht fremd ist, darin einen Fehler. Sie behaupten, daß diese Revolution verfrüht war, also nicht zu einem Zeitpunkt, in dem der Kapitalismus so weit entwickelt gewesen wäre, daß ein Übergang zum Sozialismus auf die Tagesordnung gesetzt werden hätte sollen und dürfen. Mit der Geschichtsteleologie, nach der Sozialismus erst nach Ablauf seiner vorangegangenen Fasen erreicht werden könne, weisen sie die aktuelle Notwendigkeit, bestehend in der materiellen Notlage der Arbeiter, zurück. Sie berufen sich dabei sogar auf das Kommunistische Manifest, in dem von der Geschichte als einer Abfolge von Klassenkämpfen die Rede ist. Doch so teleologisch und apodiktisch in einen Geschichtsautomatismus mündende Entwicklung war das nicht gemeint. Weder Marx noch seine Mitstreiter wollten 1848 warten, bis daß irgendwann einmal ein Wunder vom Himmel fällt, die Ausgebeuteten erlösend. Ansonsten hätten sie gar kein kommunistisches Projekt anstrengen müssen. Für die (Miß)Interpretationen und Fehler nachfolgender Generationen können sie nicht in Haftung genommen werden, zumal der Gegensatz etwa zwischen der Ökonomie der Sowjetunion samt Verbündeten und Marx' Kapital-Analyse offenkundig ist. Es ist auch nicht so, daß man bei all den Staatsführern und im offiziellen Wissenschaftsbetrieb den Eindruck hätte, Marx' Kapital wäre zur Hand genommen und studiert worden. Ganz im Gegenteil. Die »Wissenschaft« reduzierte sich auf Weisheiten wie eben der der Geschichtsteleologie, wie sie DDR-Chef Erich Honecker einmal sprichwörtlich zusammenfaßte (»Den Sozialismus in seinem Lauf…«). Und im übrigen sei daran erinnert, daß Deng Xiaoping China auf eben den Weg gebracht hat, die dem Sozialismus vorangehende Etappe, den Kapitalismus, nachzuholen. Ob man das damit entschuldigen sollte, auf diese Weise immerhin dem Imperialismus eine Rechnung aufmachen zu können, soll an dieser Stelle nicht Thema sein. Die Alternative, das westliche Proletariat zum Aufstand gegen seine Ausbeutung zu bewegen, wurde weder von Mao Zedong noch von all seinen Nachfolgern als unmittelbar notwendig betrachtet.

Was die Sowjetunion und Co. vermeiden wollten, war sowohl der unmittelbare Zwang einer Sklavenhaltergesellschaft wie der stumme Zwang, unter den das Kapital die Arbeiter wirft. Daß sie gleichwohl nicht ohne Zwang, staatlichen Zwang auskam, war eben einerseits dem Widerspruch geschuldet, daß eine Entwicklung und eine gleichzeitige Verbesserung der Lebensbedingungen nicht ohne die Einsichten in die Ökonomie auskam. Das war die interne Seite. Dazu kam andererseits die externe Seite, daß sich die Sowjetunion ständig gegen eine ausländische kapitalistische Umwelt behaupten mußte und wollte. Das wollte sie so lange, bis sie zu der »Einsicht« kam, daß der stumme Zwang einer kapitalistischen Gesellschaft doch letzthin produktiver ist als das eigene Projekt. Eine Einsicht, die sich nun, man kann es drehen und wenden wie man will, nicht mit Marx' Erkenntnissen in Einklang bringen läßt. Und eines wollte man ganz sicher nicht, nämlich die Arbeiter auf eine rationelle Betrachtung ihrer eigenen materiellen Lage zu bringen: Denen wurde und wird immerzu unterstellt, aufgrund ihres Klassenstatus schon das richtige Bewußtsein zu haben. So daß es ein Rätsel ist und bleiben muß, warum die Arbeiter aus diesem ihrem Bewußtsein alles ihnen ganz offenbar Unzuträgliche ableiten und sich aufhalsen (auch jenseits dessen, was ihnen von außen aufgebürdet wird).. 
Die Spitze des Eisbergs ist dann, wenn ein Arbeiter (auch im Status seiner Ausbildung dazu) sich selbst als Versager dingfest macht, damit vielleicht auch noch andere in Mitleidenschaft zieht (seinen Lebenspartner etwa oder ganz andere bei üblich gewordenen Amokläufen) oder zumindest sich selbst als Selbstmörder richtet. Oder aber auch zu der fänomenalen Erkenntnis gelangt, er lebe mit den falschen Genitalien, mit den richtigen sei alles kein Problem mehr.

Bei Betrachtung des Staates als solchem kommt es zu einer absurden Verdrehung: Nicht nur, daß Staaten, die die Kapitalistenklasse abgeschafft haben, aber die Arbeiterklasse nur anders interpretiert und hofiert haben — nämlich als Staatsbürger —, als sozialistisch bezeichnet werden. Sondern auch, daß im real existierenden Kapitalismus jeder Eingriff in die Freiheit des Kapitals durch den Staat schon als sozialistisch bezeichnet wird, auch wenn er durchaus zum besseren Nutzen des Kapitals erfolgt. So wird der Sozialstaat von manchen Ideologen als Sozialismus bzw. Vorstufe dazu gesehen, nicht zuletzt übrigens von Leuten, die dem Kapitalismus kritisch gegenüberstehen. Gemeint sind Kapitalismuskritiker, die sich dem Abbau von Sozialleistungen entgegenstellen oder/und bessere Sozialleistungen einfordern.

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Zumutungen eines Klassenstaats

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Zumutungen und Zukunftsoptionen eines Klassenstaats à la Deutschland
 

Es ist offenkundig, daß die Kriegspolitik der imperialistischen Staaten eine gigantische Zumutung für ihre Wirtschaft, das heißt, für ihr jeweiliges nationales Kapital ist. Ein Kapital, das mit seiner Produktion von abstraktem Reichtum (= Geld) die Grundlage eben dieser Staaten ist. Eine Grundlage, die die Staaten naturgemäß allzeit zu fördern trachten. Offenkundig unternehmen diese Staaten mit einem Krieg — und im Falle des derzeitigen Rußlandfeldzugs ist fürwahr nicht von einem Kleinkrieg zu sprechen — ein Projekt, das von ihrer ökonomischen Grundlage emanzipiert ist. Es stellt sich somit die Frage nach dem Warum.

Nun ist es ja so, daß die Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals in mancherlei Hinsicht beschränkt sind. Da gibt es die Konkurrenz der Kapitale untereinander, da gibt es den gesetzlichen Rahmen, den der jeweilige Staat aus guten, gesamtstaatlich erforderlichen Gründen vorgibt — Marx spricht vom Staat als dem »ideellen Gesamtkapitalisten« — und da gibt es die Staatsgrenzen, für deren Überschreiten zwischenstaatliche Vereinbarungen unabdingbar sind. Die Grenzen der Kapitalverwertung sind beginnend mit der Krise, die ab dem Jahre 2007 die Finanzmärkte erschütterte, enger geworden; eine Krise, die hauptsächlich einer gigantischen Überakkumulation von Kapital geschuldet war.¹ Auf diese Krise haben sowohl die einzelnen Kapitale wie auch die Staaten als Notanker derselben notwendigerweise reagieren müssen.

Die Kapitale, soweit sie sich in genannter Krise ihrer Entwertung entziehen konnten, haben neue Anlagemöglichkeiten gesucht. Sie haben sie gefunden, etwa im Agrarsektor »Landgrabbing« wurde seitdem zu einem geflügeltem Wort — oder im Farmabereich — nicht zufällig in einem wesentlichen Kern den gesundheitlichen Folgen der Pestifizierung der Landwirtschaft geschuldet; und nicht zuletzt in der Schaffung neuer Finanzprodukte, also in einem hochspekulativen, einem fiktiven Bereich.

Der Staat seinerseits ist dem Kapital in mehrfacher Hinsicht entgegengekommen. Zum einen hat er dem Kapital erlaubt, einen Teil fallierender Summen in erheblicher Höhe aus seinen Bilanzen zu streichen, den anderen Teil entwerteten Kapitals hat er mit seiner Geldhoheit gerettet. Diese Souveränität erlaubt die Schaffung von neuem Geld quasi aus dem Nichts — lediglich auf Kosten der Staatsverschuldung.
Jeder Staat hat zugunsten des Kapitals die Vorschriften insbesondere zugunsten der Vertrauenswürdigkeit der Banken reguliert, um eine künftige Finanzkrise auszuschließen. Sodann wurden staatliche Betriebe privatisiert, um neue lukrative Kapitalanlagemöglichkeiten zu schaffen. Zu Privatisierungen, einem probaten »Heilmittel« des Staates, sind neoliberale Staatsideologen übrigens schon lange vor dem 2007-Desaster übergegangen. Auch nicht ganz neu, höchstens dem Umfang nach, war die Erpressung ökonomisch abhängiger Staaten dazu, unnütz erscheinende Kosten für die Arbeiterklasse abzuschaffen sowie Staatsbetriebe zu privatisieren, um sie der Anlage auswärtigen Kapitals preiszugeben. Zu ebendiesem Zweck ist allerdings in jenen Staaten eine willfährige Regierung notwendig. Doch auch in diesem Belang ließen es die imperialistischen Mächte nicht fehlen. »Freie« Wahlen erweisen sich da erfahrungsgemäß als bedienungsfreundliches Mittel, um eine opportune Regierungsmannschaft zu erhalten. Manchmal ist dies freilich nicht ausreichend. Da müssen härtere Mittel angewandt werden. Und, wie zu sehen ist, werden sie angewandt. Das reicht von Sanktionen über Zölle, die mittlerweile von Sanktionen kaum mehr zu unterscheiden sind, bis hin zum inszenierten Umsturz und letzthin zum offenen Krieg, sollte es sich ein Staat herausnehmen, sich den Interessen der kapitalistischen Vorbildstaaten zu widersetzen.² 

Es kann selbstredend nicht ausbleiben, daß sich Staaten untereinander ins Gehege kommen. Zu wessen Gunsten solche Animositäten entschieden werden, ist dann wiederum eine Frage ihrer wohlkalkulierten Ansprüche, überlegener Macht und ihrer Machtmittel.

Es kommt, wie es kapitalistischer Logik nach kommen muß, zu allerhand Unschönheiten. Wer diese auszubaden hat — das ist nichts Neues —, das sind die breiten Bevölkerungsschichten, die eh nichts zu sagen haben, Demokratie hin, Demokratie her (sie sind ja dazu angehalten, ihre Stimme abzugeben!). Und obendrein werden die natürlichen Lebensbedingungen ruiniert, die können sich ohnehin nicht zur Wehr setzen.

Gegen die wirtschaftlichen Sachzwänge ist es bekanntlich weder vorgesehen noch erwünscht, Einwände zu erheben, ernste schon gleich gar nicht.

Daß mittlerweile das Kapital unter den höheren staatlichen Sachzwängen leidet, daß es also fast ebenso wie die Arbeiterklasse massive Kosten zu tragen hat, ist also so aufzufassen, daß eben jene Kosten nur zum besten des Kapitals gedacht sind. Ähnlich verstehen sich ja die Zumutungen, die die Arbeiterklasse in ihrer Abhängigkeit von Staat und Kapital aufgebürdet bekommt.
Es liegt auf der Hand, daß die Politik der imperialistischen Staaten ihre Arbeiterklasse weiter verarmt, verarmen muß. Gleichzeitig befördert sie eine Krise des Kapitals unter dem Vorwand, ihm dienen zu wollen. Und wer ehrlich ist, muß zugeben, daß weder Rußland noch China noch Indien noch der globale Süden dafür verantwortlich sind.

Nun führen die imperialistischen Staaten seit Jahr und Tag Krieg. Unter Zuhilfenahme von Vasallenstaaten sogar gegen Staaten, in die ihr heimisches Kapital sehr viel investiert hat, vor allem eben in Rußland, wo deutsche Firmen Milliarden investiert haben². Verlorenes Kapital! Und dazu kommt der Wegfall günstiger Energieversorgung mit Öl und Gas, das betrifft wiederum Rußland, das Deutschlands größter Lieferant von Erdgas wie Erdöl war. Wie Rußland ist der Iran nun schon seit Jahren mit Sanktionen belegt und somit einer Anlage westlichen Kapitals entzogen. Es stellt sich also die Frage, wie die westlichen Hauptstaaten ihr Kapital für die ihnen vorenthaltenen Geschäfte zu entschädigen gedenken. Die USA waren nun unter den ersten, die darüber nachdachten. Ihre Idee: Die EU-Staaten, Kanada und Japan in die Pflicht nehmen, sie mögen ihnen Gas abkaufen und anderes mehr. Von den Rohstoff- und Getreide-Verträgen mit ihrem Hampelmann in der Ukraine mal ganz abgesehen. Bei den Rohstoffgeschäften mit der Ukraine kam Großbritannien den USA zuvor, doch zum Glück der imperialistischen Konkurrenten werden sie sich um die doppelt gekauften Bodenschätze nie streiten müssen. Aber das nur nebenbei. Der Witz liegt beim Hauptkriegsagitator Großbritannien, welches mittels seiner Geheimdienste seinen Mann in Kiew abgerichtet hat; ihm wurde und wird eingetrichtert, was er zu tun und zu sagen hat. Dem Grund für die Haltung Großbritanniens kommt man näher, wenn man sich das Verhältnis zwischen dem britischen Inlandsprodukt und den Bilanzen seines Finanzkapitals ansieht. Letztere sind um ein Mehrfaches höher als jenes Nationalprodukt und stellen im internationalen Vergleich in ihrer Höhe eine respektable Ausnahme dar.⁴

Bei der Kapitalisierung Rußlands und überhaupt Osteuropas hinken die Investitionen Großbritanniens dem deutschen weit hinterher. Aufgrund eigener Ölvorkommen in der Nordsee ist der Inselstaat auch weniger auf fossile Energieimporte angewiesen als die Bundesrepublik. All das trug zum Austritt der Insel aus der EU bei, zumal sich der noch immer als  Empire fühlende Staat infolge der Finanzkrise weder Bankauflagen noch anderen Vorgaben einer deutsch dominierten EU unterwerfen wollte. Und es trägt eben auch dazu bei, den imperialistischen Konkurrenten ganz anders zu kommen, nämlich im Hineinziehen in die britische Erbfeindschaft gegen Rußland. Großbritannien litt ja als EU-Mitglied schwer unter der Vorherrschaft Deutschlands.
Von den USA versprachen sich die Briten am wenigsten Gegenwind, da diese ohnehin eine gute Gelegenheit erblicken, ein ökonomisch geschwächtes Rußland sich als mächtiger, atomar bestückter Gegenspieler vom Hals zu schaffen. So vereint gelang es geradezu spielend, die deutschen Verbindungen zu Rußland zu kappen. Dabei konnte man auf den Opportunismus der deutschen Politik setzen, die sich nach zwei verlorenen Weltkriegen endlich einmal auf der Gewinnerseite sehen will, was ihr umso leichter fällt, als es dank famoser Bildungspolitik gelang, den Haß, die Revanchegelüste gegen Rußland über die Jahrzehnte zu perpetuieren. Natürlich kann auch der deutsche Staat, seine Konkurrenzsituation mit den anderen Imperialisten hintanstellend, nicht umhin, seine privilegierte Klasse, das Kapital eben für die ihm versagten Geschäftsmöglichkeiten zu entschädigen. Und was soll der Politik dabei schon anderes einfallen als das, was ihr immer einfällt!

Mit Investitionsmöglichkeiten im Ausland sieht es zwar eher bescheiden aus, umso dringlicher trieb man zumindest den EU-Freihandelsvertrag mit den MercoSur-Staaten voran. Die Privatisierungen staatlicher Einrichtungen sind schier erschöpft. An die Rundfunkanstalten allerdings will die Politik nicht ihre Axt legen, denn die Beeinflussung der öffentlichen Meinung ist ihr eine Herzensangelegenheit — so als wäre gegenüber privaten Medien Mißtrauen angebracht — in den USA beispielsweise gibt es nur private Medien, was weder der Kapitalistenklasse noch der Freiheit der Politik keineswegs abträglich ist. Die Deregulierung des Arbeitsmarktes freilich kann man getrost den Tarifparteien überlassen, zumal die Gewerkschaften noch jede Verschlechterung zuungusten der Arbeiterklasse zu unterschreiben bereit sind, um selber als staatstragende Instanz im Geschäft zu bleiben. Bleibt, das Lieferkettengesetz ganz zur Disposition zu stellen, nachdem es der Einfluß der Kapitallobby eh schon auf ein bloßes bürokratisches Monstrum heruntergebracht hat.

Kurzum, all das führt in den Hauptstädten der G7-Staaten zu dem immer intensiver vorgetragenen Entschluß, ihre Kriege, insbesondere den gegen Rußland nicht aufzugeben. Diesbezüglich hielt der neu inthronisierte deutsche Bundeskanzler vor einem gleichgesinnten erlesenem Publikum eine Art Sportpalastrede: Wollt Ihr den totalen Frieden…dann muß der Krieg weitergehen!
______________________________

​¹ »Staatsfeind Finanzkapitalismus — … Nicht umsonst vergleicht der US-Investor Warren Buffett spekulative Finanzinstrumente mit Massenvernichtungswaffen, Anstelle von Atomraketen wie Pershing und SS20, die in den 80er Jahren die Welt in Atem hielten, sind heute verschachtelte Finanzprodukte getreten. … Der 81-jährige prangert an, seine Sekretärin unterliege einem höheren Steuersatz als er. Wenn Groß-Spekulanten wie Soros und Buffett, die nicht unter Marxismusverdacht stehen, zu den größten Kritikern des Zustands unserer Wirtschaftsordnung gehören, ist etwas faul im Staate Kapitalismus. …« (Augsburger Allgemeine, 06.10.2011) Interessent zu lesen, wenn man heute, 14 Jahre später, das Verhältnis von Krieg und Kapitalismus betrachtet! Krieg als Rettungsanker kapitalistischer Spekulation?!
² Nach westlichen Vorbild gelungene Staaten müssen zumindest drei Bedingungen erfüllen, mit denen gleichzeitig ihre Kontrolle gewährleistet wird. Die Gesetzgebung muß analog westlicher Gesetze vorgenommen sein, die Medien müssen »frei« sein und die meist nur allzu offensichtliche Korruption von staatlich unabhängigen Behörden bekämpft werden. All diese Punkte sind genuine Titel, sich in auswärtige Belange einzumischen. In einem jüngsten Fall mußte der ukrainische Vasall seinen Anschlag auf die Korruptionsbehörden (
NABU und SAP) seines Staates, die den westlichen Aufsichtsmächten unterstellt sind, zurücknehmen. Wenn Polen seine Rechtsprechung im nationalen Interesse modifizert, zetert und droht Berlin. Oder wenn die Türken falsch wählen, weil die dortigen Medien nicht »frei« sind. Usw. usf.
³ »Angst ums Geschäft — Deutsche Konzerne haben in Rußland Milliarden investiert« (Süddeutsche Zeitung, 04.04.2014)
⁴ Dieser Vergleich wurde von der Süddeutschen Zeitung aufgebracht (09.03.2013). Dabei hinkt der Vergleich ohnehin. Es wird ja nicht die nationale Wertschöpfung mit dem Finanzkapital in Beziehung gesetzt. Vielmehr das Finanzkapital mit dem nationalen Produkt, in das alle Geschäfte einfließen, also gerade auch die Säule der profitträchtigen Dienstleistungen, welche bekanntlich die der Industrie um ein Mehrfaches überragen, die aber keinen Wert schaffen, vielmehr eine notwendige Hilfe der Industrie darstellen, ein Hilfe, Warenproduktion überhaupt produktiv und erfolgreich zu machen. Dienstleistungen werden erbracht mit dem Zweck, sich einen Teil des industriellen Mehrwerts zu sichern. Industrielles Kapital kann ohne Kredit, ohne die Auslagerung der Vermarktung seiner Produkte und anderes mehr nicht überleben. (Im übrigen liegt der Anteil der Industrieproduktion am BIP in Frankreich und Großbritannien jeweils bei lediglich knapp 10%.)

 »Wie die EU Milliarden auftreiben will« (Süddeutsche Zeitung, 20.12.2021) Unter anderem sollen US-Internetkonzerne wie Google berappt werden. 

11.08.2025
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Unsachlichkeiten in Sachen Karl Marx

koka

 

Unsachlichkeiten in Sachen Marx
 

Nicht daß der VSA-Verlag ein schlechter Verlag wäre. Mit Marx Schriften lassen sich auch heute noch einträgliche Geschäfte machen, insbesondere mit dem »Kapital« und so gönnt man — und der VSA-Verlag ist nicht der einzige — es dem Dietz-Verlag nicht, ihm ein Monopol überlassen, also dem Verlag, der die nach wie vor am besten editierte dreibändige Fassung verlegt. Ob man allerdings mit der Veröffentlichung einer Schrift, die Marx, selbstkritisch wie er war, in den Papierkorb geworfen hat¹, einen Verkaufserfolg erzielt? Er sah ein, daß er mit »Lohn, Preis und Profit« sich auf eine falsche Fährte begeben hatte, nämlich dadurch, daß mit »Preis« als zentralem Erörterungspunkt dem Geheimnis des Profits, also dessen Ursprung nicht näher zu kommen ist. Sodann packte Marx sein Vorhaben ganz neu an und schrieb einige Jahre später »Das Kapital«. Preis ist nämlich lediglich ein Ausdruck dafür, daß eine Ware Wert hat, zeigt aber nicht auf, wodurch dieser Wert begründet ist. Aus dem Preis auf den Wert einer Ware zu schließen, hieße ja, daß deren Wert auf dem (Waren-)Markt entstünde. Daß dem nicht so ist, hat Marx ja dann nachgewiesen: Er hat sauber unterschieden zwischen dem Produktionsprozeß des Kapitals (Band 1), in dem Wert vermittels der Verwertung von Arbeitskraft geschaffen wird, und dem Zirkulationsprozeß des Kapitals (Band 2), in dem der geschaffene Wert, die Ware veräußert wird, damit der Kapitalrückfluß in der gewünschten Form plus dem Mehrwert, der in dem Teil unbezahlter Arbeitskraft besteht, stattfindet und zwar in der einzig angemessenen abstrakten Form, nämlich in Geld.
Daß » Das Kapital« etwas umfangreich geraten ist, liegt hauptsächlich daran, daß sich Marx sehr sehr viel Mühe gegeben hat, die Sache, die er erklären wollte — nämlich wie kommt der Profit zustande und welche Notwendigkeiten schließt solch kapitalistische Ökonomie ein — jedem wirklich daran Interessierten ebenso verständlich wie gründlich darzulegen. Deshalb ist sein Einstieg in das Thema auch der am allernaheliegensten: Er beginnt mit der ungeheuren Warensammlung, mit der Ökonomie wie Politik jeden darüber täuschen mag, der der Ansicht ist, diese Ökonomie wäre für ihn als Verbraucher so wundervoll vorteilhaft eingerichtet: »Wir« würden (nur allzu sehr) in einer »Wohlstandsgesellschaft« leben.

Nichtsdestotrotz gibt es mal wieder — wie schon in den 1920er Jahren — einen, der meint, »Das Kapital« müsse verkürzt und damit verständlich dargestellt werden². Der Autor dieses neuen Buchs empfiehlt sein Buch folgendermaßen: 
»Warum regiert das Geld die Welt? Karl Marx hat diese Frage in einem Buch beantwortet, das bis heute als eines der einflußreichsten der Geschichte gilt. Dennoch haben es nur wenige Menschen vollständig gelesen.'Das Kapital' umfaßt drei Bände mit rund 2.500 Seiten, ist komplex, theoretisch und voller historischer Bezüge. Keine leichte Lektüre.«
Erstens: Mit der ebenso banalen wie moralschwangeren Frage »Warum das Geld die Welt regiert« hat sich Marx weder in diesem Buch noch sonstwo abgegeben. Zweitens ist »Das Kapital« weniger einflußreich geworden als vermutet, zumal es ja ganz offenkundig nicht einmal in den (mittlerweile zurücktransformierten) realsozialistischen Staaten gelesen wurde. Hätten Stalin, Chrustschow, Breschnew, Gorbatschow und noch einige dazwischen und drumherum es wirklich studiert, hätten sie sicherlich nicht die Politik gemacht, die sie nun einmal gemacht haben. Doch die Staatsgewalt in Händen verführt zweifellos dazu, sich lässig über theoretische Erkenntnisse hinwegzusetzen. Im übrigen wird niemand behaupten wollen, daß sich der Realsozialismus in irgendeiner Weise um die Emanzipation der Arbeiterklasse gekümmert hätte — schließlich wollte er ja mit ihr Staat machen, diese Klasse als seine Manövriermasse benutzen, wenngleich ein wenig unterschieden von der Art wie es herkömmlich bürgerliche Staaten machen. Drittens: Was soll die Rechtfertigung der Kurzfassung mit »komplex«? Verdient eine so gründliche Aufarbeitung eine solche Abschreckung? Und »theoretisch«? Ja bitteschön, was soll denn ein wissenschaftliches Werk denn sonst sein? Doch man sieht: Theorie ist dem Herrn Kurzangebunden schon von vorneherein suspekt: Er jedenfalls könne damit nichts anfangen und, wenn er das nicht könne, dann wohl auch sonst niemand!³ »Und voller historischer Bezüge«: Na und: Schließlich würde eine Ableitung von Erkenntissen ohne solche Bezüge ja gerade dem Herrn Superzusammenfasser erst recht nicht einleuchten, oder? Jedenfalls verspricht der gute Mann mit seiner Fassung eine leichte Lektüre! Auch seine Bemerkung »für alle, die … sehen, daß etwas schiefläuft«, ist schlicht daneben: Im Kapitalismus läuft es so, wie es laufen muß und es kann, was sein Prinzip der der Kapitalverwertung unterworfenen Produktion angeht, eben gar nicht anders laufen. Der Autor hat das »Das Kapital« wohl als ökonomischen Verbesserungsvorschlag gelesen und somit gründlich mißinterpretiert! Eine wahrlich hohe Kunst: Das Hineininterpretieren von Moral und Rechtfertigung (verflossener) realsozialistischer Ökonomien gibt die Absicht jener Kurzfassung zum Besten und man will sein Buch erst gar nicht zur Hand nehmen!

Ein anderer Mann macht sich eben auch so seine Gedanken zum Kapital. Dessen Einstieg ist gar nicht so schlecht: Die Realsozialisten der UdSSR & Co. hätten Marx in ideologisierter Form zu ihrem Fundament erklärt und sich dabei weniger auf »Das Kapital« als auf das »Kommunistische Manifest« gestützt. Der Autor hält dem entgegen: Marx verstand sich als Wissenschaftler und eben nicht als Filosof. Einmal abgesehen davon, daß es Marx scheißegal war, in welche Schublade er von Dummköpfen geschoben wurde: Solche Behauptung birgt alllerdings mehr Unklarheit als Klarheit. Was gilt denn heutzutage als Wissenschaft? Alle möglichen Ideologien werden doch an den wissenschaftlichen Einrichtungen, als die sich »freie«, gleichwohl den Staatsaufgaben verpflichtete Universitäten allenthalben verstehen, geschaffen und gepflegt. Mit diesen Marx' Erkenntnisse und Kritik gleichzusetzen ist abstrus, ja abwegig. Marx war Ideologiekritiker schlechthin. Marx war Wissenschaftler im Sinne von Aristoteles, dem zufolge Wissenschaft sich von bloßem Wissen dadurch unterscheidet, daß sie auf Beweisen beruht⁵ — allen von Menschen geschaffenen Tatsachen liegt ja ein Grund zugrunde. Die Lehranstalten der Realsozialisten haben eben auch nichts anderes als stinkbürgerliche, ideologiebasierte Wissenschaft betrieben, zum Zwecke ihrer Staaten — dabei wäre ja Marx nur hinderlich gewesen. Aufschlußreich ist allerdings, daß sie die Frühschrift von Marx und Genossen, das »Kommunistische Manifest« so hochhielten: Denn das hat ihnen gefallen, daß darin behauptet wird, die Geschichte wäre eine Geschichte von Klassenkämpfen. Und da die Kapitalisten- und Grundbesitzerklasse durch die Oktoberrevolution abgeschafft war, sah man sich in Moskau so ziemlich auf der in jener Schrift anvisierten Zukunft. Dabei ist die behauptete Tatsache ein schönes Interpretationskunststück. In Wirklichkeit ist die Geschichte hauptsächlich eine Geschichte von zwischenstaatlichen Kriegen und die Ökonomie auf die Gewalt eben der Staaten zurechtgeschnitten. Allerdings kam es damals, 1848 — es war die Zeit nationaler Erhebungen und Staatsgründungskriegen — Marx und seinen Genossen mit jener Bemerkung darauf an, ja sie sahen eine Notwendigkeit darin, auf die materiellen Grundlagen der Staaten hinzuweisen, die auf Kosten der Klassen gehen, die ihren Kopf für sie hinhalten müssen, sofern sie sich nicht anschicken, einen (weltweiten und eben nicht national beschränkten und irreleitbaren) Aufstand gegen ihre Beherrscher machen. Mit dem »Kommunistischen Manifest« war zum erstenmal der Gegensatz niedergelegt zwischen der nationalen und der sozialen Frage, ein Gegensatz auf denen jeder Kommunist bestehen muß, wenn er sich nicht wie Stalin und andere verlogen auf dieses Manifest bezieht.
Doch zurück zu dem Mann, der sich Marx wohlwollend vorgenommen hat. Der schreibt: 
»Im Zentrum seines Denkens stand die Analyse der Arbeit. Der Mensch ist 'das Tier, das sich selbst produziert', so die Herausgeber der kritischen Marxausgabe Siegfried Landshut und J. P. Meyer. Zur Analyse der Arbeit war es notwendig, sich ökonomische Kenntnisse anzueignen. … Marx formulierte daraufhin die Mehrwerttheorie. Sie besagt, daß ein Mensch mehr Wert schaffen kann, als zu seiner eigenen Erhaltung notwendig ist. Die Differenz macht sich der Kapitalist zu eigen, indem er den Arbeiter mehr arbeiten lässt, als er ihm für seinen Lebensunterhalt bezahlt. So entsteht der Profit.«
Der Witz an der Analyse der Arbeit, war bei Marx jedoch nicht die Arbeit an sich, sondern die bestimmte Form von Arbeit, nämlich Arbeit im Tausch für Geld, ohne das wiederum die nötigen Lebensmittel nicht zu beschaffen sind. Und da ist es nicht der Witz der Sache, »daß ein Mensch mehr Wert schaffen kann, als zu seiner eigenen Erhaltung notwendig ist«. Ein Mensch wäre ja verrückt, wenn er mehr schaffen würde als zu seiner Erhaltung notwendig ist. Die Wahrheit ist vielmehr: Unter kapitalistischen Verhältnissen wird der Mensch, der seine Arbeitskraft feilbietet, unter seine zu ihrer Erhaltung erforderlichen Notwendigkeiten gedrückt. Er wird erpreßt und kann erpreßt werden aufgrund dessen, daß er seine Arbeitskraft notwendigerweise verkaufen muß, da ihm selber jede andere Reprodukionsmöglichkeit entzogen ist. Er wird von denen ausgebeutet
, die durch ihren Reichtum in der Lage sind, andere für sich, für ihren Zweck, nämlich den der Kapitalverwertung arbeiten zu lassen. Der Arbeiter wird immerzu an sein schieres Existenzminimum gedrückt, er kommt selbst wenn er ein wenig darüber ist, nie wirklich auf einen grünen Zweig, d.h. nie auf seine Kosten, er wird skrupellos verschlissen. Richtig wäre es also zu sagen, der Arbeiter muß mehr Wert schaffen — er erhält nie den vollen Gegenwert seiner verausgabten Arbeitskraft, vielmehr nur soviel wie zu deren unmittelbaren Reproduktion nötig ist!
Die Welt sieht demnach so aus: Neulich war in der Augsburger Allgemeinen gleich auf der Titelseite zu lesen, daß bald ein Viertel der Arbeiter zum Mindestlohn arbeiten
. Und wie es um die gesundheitlichen Zustand der arbeitenden Bevölkerung bestellt ist, weiß man auch. Eben kam die Meldung, daß in den USA, der fortgeschrittenste kapitalistische Staat überhaupt, in dem etwa 4 % der Weltbevölkerung lebt, über 50 % aller weltweit verkauften Medikamente verschrieben werden. Und da behaupten die Herausgeber einer kritischen Marxausgabe »der Mensch sei das Tier, das sich selber produziert«: Lächerlicher geht es wirklich nicht! Man möchte gar nicht wissen, was in jener »kritischen Marxausgabe« sonst noch für Mist steht. Doch auch der, der diese beiden Herren zitiert hat, verfällt zusehens in stinkbürgerliche Klischees: 1. Marx hätte profezeit. Nein, Marx hatte allenfalls gehofft. 2. Die kapitalistische Gesellschaft ginge an ihren Widersprüchen kaputt. Auch das ist nicht aus Marx' Schriften abzuleiten. Im Gegenteil, Marx war sich bewußt, daß es einen Automatismus nicht gibt und er war nie Prediger einer Geschichtsteleologie. Er wußte sehr wohl, daß eine kapitalistische Gesellschaft sich in und mit ihren Widersprüchen fortbewegt und alles tut, um die Widersprüche als Probleme zu bewältigen trachtet — als solche faßt sie nämlich ihre Widersprüche auf, von denen sie sich keinen Begriff macht und auch nicht machen muß, denn schließlich macht ihre Gewalt eine Begriffsbildung überflüssig. 
3. Daß Marx den Staat als bloßen Überbau gesehen hätte, was ein Vorwurf eines in jenem Aufsatz erwähnten Protagonisten eines »liberalen Staates« ist, ist eine willkürlich verdrehte Auffassung. Richtig: Der Staat schöpft seine Gewalt aus seinen ökonomischen Mitteln, doch mit seiner Gewalt steht er über seiner Ökonomie: Er setzt eine Klassengesellschaft ins Recht, die er beaufsichtigt und steuert, jede Verfassung legt davon Zeugnis ab. Jedes einzelne Kapital seinerseits weiß, was es am Staat hat, der ihm Bürden (Investitionshemmnisse!) abnimmt und Freiheiten auch und gerade gegen andere Staaten schafft. Klar, die Arbeiterklasse hat nichts vom Staat zu erwarten, er verwaltet die als seine Manövriermasse, die er, Steuern zahlen lassend, schröpft, und als Verwertungsmasse seiner Kapitalistenklasse. Vor der schützt der Staat die Arbeiter als unterprivilegierte Klasse gerade mal soviel, damit sie bis ins hohe Alter ausnutzbar bleibt.
Zum Schluß kommt der Autor noch auf China zu sprechen, das ja als sozialistisch gilt — und nicht zuletzt deswegen ja vom Westen so fürchterlich angefeindet wird. Und es ist leicht zu sehen, daß China sich nicht auf Marx berufen kann, wenn es seinen Staatsökonomie kapitalistisch organisiert. Doch über Sinn und Zweck eines Staatsprogramms zu reden, erübrigt sich einem »liberalen«, um nicht zu sagen: staatsbürgerlich denkenden Betrachter ja sowieso. Allenfalls könnte einem solchen zumindest auffallen, daß die von ihm bereits angesprochenen, aber leider nicht vertieft angesprochenen Widersprüche des Kapitalismus von der Regierung in Beijing anders und wohl besser unter Kontrolle gehalten werden als von den führenden Weststaaten. Wenn hier schon bei dem Thema Staat und Sozialismus angelangt: Es gibt ja in der westlichen Welt eine schier unumstößliche Behauptung, die besagt, daß der Staat, je umfassender er agiert, die Tendenz hat, sozialistisch zu werden, was mittlerweile durch die Bank als negativ beurteilt wird. Und umgekehrt, daß gerade deshalb es nötig sei, möglichst den Staat und seine Befugnisse zugunsten der Freiheit der Wirtschaft zurückzufahren — als hätte eine »überbordende« Bürokratie nicht in jedem ihrer Details Sinn & Zweck. Tatsächlich jedoch hat ein Staat nur dann einen kleine sozialistische Seite, wenn er das Kapital abgeschafft hat. Wirklich sozialistisch kann ein Staat gar nicht sein, denn eine Emanzipation der Arbeiterklasse befreit dieselbe nicht nur vom Kapital, auch von ihrem eigenen Klassenstatus, hat also die Gewalt eines Staates, der ihr vorsteht, gar nicht nötig, weil nutzlos. 

_____________________________________
​¹ Schon zu Marx' Zeiten gab es wohl Leute, die lieber in Papierkörben fischen, als ihren Verstand zu strapazieren!
² Hermann Lueer: Das Kapital von Karl Marx: aktualisiert und kurz gefaßt – Band 1
³ Die der Theorie zugemessene Bedeutungslosigkeit für die Praxis ist typisch für ML-Ideologen. Die haben sich seit jeher der Praxis verschrieben. Dementsprechend sieht deren Praxis dann aus — blinder Aktionismus.

 Rodion Ebbighausen: Karl Marx — Die Karriere einer Idee (Beitrag für die Deutsche Welle) [Im übrigen ist es wirklich lustig, zur Illustration des Beitrags ein dpa-Foto breit ins Bild zu rücken, auf dem eine Hand einen frisch blinkenden Kapitalband aus dem Regal zieht.]
⁵ Das gilt nicht allein für Naturwissenschaften, für Gesellschaftswissenschaften nicht minder: Aristoteles machte da keinen Unterschied,er konnte ja auch gar nicht auf solche Idee verfallen, da er die modernen bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften nicht kennen konnte.

Ausbeutung ist eine sachlich begründete Kategorie — im Gegensatz zu ihrem bürgerlichen Verständnis, nach dem Ausbeutung ein moralischer Begriff ist, der allein dabei verwendet wird, wenn dem Arbeiter übermäßige Schinderei zugemutet wird.
 Ein schöner Erfolg der Hetzer für mehr Wirtschaftswachstum! Herzlichen Glückwunsch auch an die amtlich befugten Verscherbler der Arbeiterklasse, an die im DGB zusammengeschlossenen deutschen Gewerkschaften! 
 

08.06.2025 KoKa Augsburg
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Protest ideell gedacht: eine staatszuträgliche Falle

koka

 

Protest ideell gedacht: eine staatszuträgliche Falle

 

Der Mensch ist nichts als Materie! Man hört schon den Einwand: Aber sein Geist! Diesem Einwand hält Marx die Erkenntnis entgegen, daß der Geist die Materie ist, die denkt¹. Wie jedes Stück Materie verfügt auch der Geist über besondere Eigenschaften, Eigenschaften die andere Materie nicht besitzt. Tiere zum Beispiel können nicht denken, ihre Konstitution läßt sie keine Begriffe bilden und sie können sich somit mittels solchen nicht ausdrücken.
Materie, die denkt, denkt notwendigerweise – so möchte man annehmen – materialistisch, das heißt an ihre eigenen Bedürfnisse, die es zu befriedigen gilt. Von den materiellen Bedürfnissen abstrahierende Gedanken, zu denen der Geist natürlich ebenso fähig ist, dienen nicht den materiellen Bedürfnissen. Sie dienen anderen Bedürfnissen. Diese drücken sich in Begriffen aus, die niemandem fremd sind: »Nation« zum Beispiel oder »Demokratie«, »Freiheit« usw. usf. Die Materie Geist erkennt sofort, daß es sich hierbei weder um einen Apfel, in den der Mensch hineinbeißen kann, noch um einen Braten handelt, bei dem einem schon beim Anblick das Wasser im Munde zusammenläuft. Im Bereich abstrakter Begriffe spielt sich Politik ab. Diese erstellt Rahmenbedingungen für den Genuß von Apfel und Braten her, Rahmenbedingungen übrigens, die unappetitlicherweise das Verfügen über Geld notwendig machen. Mit ihrer Gewalt kann die Politik das. Weshalb also läßt sie nichts auf diese ihre Gewalt kommen, verlangt vielmehr unerbittlich ihre Anerkennung? Offenkundig dient eine geldbezweckte Gesellschaft dem Staat selber.²

Nun ist Politik in den Figuren vergegenständlicht, die gemeinhin als Politiker oder Staatsmänner bezeichnet werden. Als solche denken diese nicht an ihr eigenes materielles Wohl, das ist ihnen ja gerade von Amts wegen verboten. Und damit sie nicht auf schnöden privaten Materialismus zurückfallen, werden sie hoch besoldet, was sie selber aus eben diesem Grund beschließen. Als Politiker sind sie für ganze andere Bedürfnisse da, nämlich die der Politik, die des Staates. Und dabei dürfen sie nicht an ihre persönlichen Bedürfnisse denken und an die ihrer materiellen Verfügungsmasse, an die ihrer Untergebenen nur bedingt. Sicher keine leichte Aufgabe, der Staatsfunktionäre sich unterwerfen, wovon die Tatsache zeugt, daß sie sich dann und wann wegen lukrativer Nebeneinnahmen zu rechtfertigen haben.
Ihre Untertanen betrachten die Staatsmänner heutzutage nicht einfach so erniedrigend an wie in früh- und vorkapitalistischen Zeiten, nein, sie betrachten und hofieren sie klassenneutral als Bürger, also als Zugehörige zu ihrer großen Sache und Aufgabe. Und deren Größe besteht eben gerade nicht darin, für Braten und Wein zu sorgen.³ Lebensgenuß zu bereiten, wäre ja eine vergleichsweise minderwertige Angelegenheit, eine individualmaterialistische, also geradezu verachtenswerte.

Man sieht, die Bedürfnisse der Politik und die Bedürfnisse nach Lebensgenuß decken sich keineswegs, im Gegenteil, sie schließen sich aus. Denn der Untertan soll ja, so will es die Politik, in den Dienst ihrer Sache gestellt werden, ob er will oder nicht. Sein Braten hängt allein davon ab, ob er sich in diesen Dienst stellen läßt. Diese Abhängigkeit von der Politik soll der Untertan als sein Mittel begreifen. Und er begreift es sehr schnell, weil er als lebendige Materie ansonsten dem Absterben anheimfällt. Es gibt – das ist die Ausnahme – regelmäßig Leute, die lieber krepieren, als sich den Zumutungen der Politik länger zu unterwerfen: Diese werden als Selbstmörder bezeichnet, obwohl es die Politik ist, die sie dahingeschlachtet hat⁴. Was im übrigen den Grund dafür abgibt – der Staat will nicht einer Konsequenz seines Wirkens bezichtigt werden –, daß über solche nicht berichtet werden darf. Als ein solch Todesmutiger öffentlichkeitswirksam vom Augsburger Rathaus sprang, wurde die Staatsgewalt vorstellig und versuchte aller Handyaufnahmen des Vorfalls habhaft zu werden. Die prinzipielle Inkompatibilität individueller materieller Bedürfnisse mit den Anforderungen des Staates wird in solchen Fällen überdeutlich. Doch der Staat verkleistert sie, so gut er es vermag. Wider besseres Wissen und wider ihre eigenen Bedürfnisse dementieren auch die Individuen dies: All ihre Tätigkeiten in ihrem rund um die Uhr abhängigen Verhältnis rechtfertigen sie fast schon automatisch, als hätten sie dieses Verhältnis geradezu selber eingerichtet und auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten. Das ist ihre schier unerschütterliche ideologische Bemühung.

Es fällt ins Auge, daß die Politik gegenüber den Lebensbedürfnissen ihrer Untertanen abgehoben ist. Gerade deshalb sieht sich die Politik immer wieder einmal veranlaßt, »bürgernah« zu wirken, zumal wenn ein Wahlkampf ansteht, der ja in der Ermächtigung der Politik resultieren soll und resultiert. Es geht darum, welche Köpfe die Staatsgeschäfte führen sollen. Dementsprechend ist ein Wahlkampf ein ausgesprochener Personenkult und dementsprechend wenig sachlich sind auch die Bandagen, mit denen gerungen wird. Sicherlich versprechen die Politiker, wenn es ihnen gerade mal in den Kram paßt, den Untertanen mitunter Wohltaten. Das macht sie allerdings des »Populismus« verdächtig. In der Sache ist dies jedoch reine Heuchelei. Ein Staatsmann, der auf sich hält, schenkt reinen Wein ein: Alle müssen nun mal um des lieben Staates willen den Gürtel enger schnallen! Dies verkündend argwöhnt er, daß Lebensgenuß bei seinen Untertanen nur zu einem dem Staatswesen abträglichen Verhalten führen kann: Wer das Leben zu genießen trachtet, der stellt sich nicht mehr mit voller Willenskraft in den Dienst der Nation, die ganz anderes, unvergleichlich Großes vorhat. Das ist die anspruchsvolle Logik des Staates! Und ein Politiker weiß gleichzeitig sehr gut, wo die Daumenschrauben hängen, für die Untersten heißen die: Hartz IV, pardon: seit kurzem mit verklärter Bezeichnung: »Bürgergeld«. In Sachen bürgerfreundlicher Heuchelei übertreffen sich die verschiedenen Politiker gegenseitig. Auch der »Sozialstaat« selber ist keineswegs als staatliche Wohltat erfunden, freilich als solche oft mißverstanden worden. Er ist vielmehr der Funktionalität einer auf Ausbeutung beruhenden Gesellschaftsordnung geschuldet.

Worum geht es also bei der Umwerbung der Untertanen als »mündige Bürger«, als »Wähler«? Es geht um die Anerkennung von Bedürfnissen, die den eigenen Bedürfnissen des Stimmviehs im Weg stehen! Staatliche Bedürfnisse, dafür soll es herhalten, dazu soll es an Leute, die sich als Politiker aufzublasen verstehen, die an sich wertvolle eigene Stimme übergeben, diese also entwerten. Und es kriegt noch nicht mal einen Apfel dafür! Ganz im Gegenteil, es werden Figuren ermächtigt, die einem selbst einen Apfel vorenthalten, wenn man sich nicht das nötige Geld dafür zuvor sauer verdient hat.

Den verehrten Bürgern ist es in Fleisch und Blut übergegangen, daß sie von der Politik und den (Über-)Lebensbedingungen, die sie schafft, abhängig sind. Diese Abhängigkeit ist ihr zweites Ich. Damit steigen sie in jede Debatte ein, sofern sich eine solche ergibt. Sie sagen nicht schlicht und einfach, die Abhängigkeit ist Scheiße, nein, sie beziehen sich in ihrer Praxis berechnend darauf. Berechnend, nicht allzu kurz zu kommen und jedenfalls besser in und mit dieser Abhängigkeit zurechtzukommen als Hinz & Kunz, mit denen sie sich vergleichen und mit denen sie sich im Wettbewerb befinden. Kontrafaktisch bilden sie sich damit ein, daß sie in den Verhältnissen, denen sie unterworfen sind, eher gut als schlecht aufgehoben sind. Jeder, so denken sie, sei nämlich seines Glückes Schmied.⁵

So weit, so beschissen. Doch nun ist etwas passiert, was den Alltag außergewöhnlich tangiert und nicht zu leugnen ist und was zart empfindende junge Seelen aufgeschreckt hat: Die menschengemachte Klimaveränderung, genauer: die politikgemachte Klimaveränderung.
Aber so genau wollen jene Seelen es dann auch nicht wissen, was daran festzustellen ist, daß sie nicht die Politik als solche dafür verantwortlich machen, sondern die, welche für diese Politik Verantwortung tragen. Und in den Augen der Protestbewegung, kann nicht sein, was nicht sein darf: Sie appellieren tagaus tagein an eben jene Staatsfunktionäre, die natürlich davon weitgehend unbeeindruckt ganz andere Interessen, Sachzwänge der Politik eben vertreten und durchsetzen. Kurz, Klimademonstranten und andere täuschen sich über die Verhältnisse, denen sie unterworfen sind, ganz einfach deshalb, weil sie selber auf die Politik setzen, von der sie glauben, sie wäre für sie eingerichtet, also auf den Schein, mit dem sich die Politik selber allzu gerne umgibt, hereinfallen! Ansonsten würden sie gewiß was ganz anderes machen: Sie würden danach trachten, der Politik ein Kontra zu geben, zumindest darüber ernsthaft nachzudenken, wem das Handwerk zu legen ist. Ist es das Kapital, das für die übergeordneten Interessen des Staates Reichtum schafft? Es steigert ja das Wirtschaftswachstum, des Staates materielle Substanz in abstrakter Form, in Geld eben. Woran man, nebenbei bemerkt, sehen kann, daß das Geld in der Tasche des Untertanen völlig fehl am Platze ist und, sofern es sich dorthin verirrt hat, es schnellstmöglich auch wieder dahin befördert werden soll, wo es zweckmäßigerweise auch hingehört und gut aufgehoben ist, nämlich beim Kapital zu dessen Verwertung und damit der Schaffung von Reichtum abstrakter Sorte (= Geld), woran sich der Staat zu seinem Nutzen zu bedienen erlaubt, freilich nur insoweit, als er die Kapitalverwertung nicht abwürgt, was ja auch ganz blöd wäre. Im Gegenteil verspricht er, das Kapital eben mit seinen Mitteln zu fördern und zu diesen Mitteln gehört vor allem seine Gewalt, die er gegen die eigenen Untertanen ebenso zur Geltung bringt wie gegen andere Staaten und deren Insassen; als »Rechtsstaat« versteht sich, nicht minder als rigider Polizeistaat und allzeit kriegsbereiter Staat. Und in diesem Verhältnissen finden sich die Klimaschützer von der »Letzten Generation« und andere weniger Skrupellose. Sie wundern sich schwer, daß sie ins gesellschaftliche Abseits gedrängt und bisweilen gar als Kriminelle verfolgt werden. Wozu sind sie eigentlich die Materie, die denkt? Ja, auch der Geist selber läßt sich wie jede andere Materie unzweckmäßig gebrauchen. Ein Tier bemerkt übrigens instinktiv, wer sein Feind ist, es ist gar nicht dazu in der Lage, ihn zu verkennen. Der Geist einer »Letzten Generation« und anderer Gutgläubigen schafft es hingegen, seinen Feind als solchen total falsch aufzufassen. 
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¹ Karl Marx: »Man kann den Gedanken nicht von der Materie trennen, die denkt. Sie ist das Subjekt aller Veränderungen.« (Marx-Engels Werke – MEW 2, S.136)
² Der Zusammenhang zwischen Staat und Geldwirtschaft wird zum Beispiel in dem Buch »Der bürgerliche Staat«, GegenStandpunkt-Verlag, erklärt.
³ Kapitalismus ist Ideologie, insofern vorstellig gemacht wird, für das Wohl seiner menschlichen Manövriermasse Sorge zu tragen wäre sein Zweck.
⁴ Bertolt Brecht: »Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.« (aus Me-Ti, Buch der Wendungen)
⁵ Ein Selbstmörder denkt übrigens genauso: Er verurteilt sich als Versager zum Tod.

23.04.2025
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Funktionalismus als Argument

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Der Funktionalismus — eine ebenso famose wie monumentale Abstraktion

 

Die Frage ist nicht, was und wofür etwas funktioniert. Allein die Tatsache, daß etwas funktioniert beziehungsweise nicht funktioniert, spielt heutzutage in unzähligen Diskussionen eine richtungweisende Rolle.  
So wird der Abgang der Sowjetunion von der politischen Weltbühne mit samt deren merkwürdigen Verständnisses von Sozialismus als Staatsideologie in dem Grund gesehen, nicht nur diese Sorte Sozialismus, vielmehr Sozialismus überhaupt habe eben nicht funktioniert und könne auch nicht funktionieren. Umgekehrt wird der kampflos errungene Sieg des »freien Westens« eben damit begründet, daß sein System, der Kapitalismus, funktioniert. Das Funktionieren gilt also als Qualitätsmerkmal. Ein Merkmal, an dem selbst Marx nicht gerüttelt hat, allen Krisen zum Trotz, die er aus seiner Analyse des Kapitals und in bemerkenswerter Übereinstimmung mit der ökonomischen Realität abgeleitet hat. Der Versuch, Marx zu widerlegen, ist, sofern er überhaupt versucht wurde, jämmerlich gescheitert — ganz im Gegensatz zum realen Sozialismus im Osten Europas.¹
Der Westen weist sich also selber das Gütesiegel, zu funktionieren, zu. Und er wirft einiges dafür in die Bresche, damit er funktioniert, allen Krisen und Kriegen geradezu zum Trotz: Mit der Anwendung staatlicher Gewalt funktioniert ja so einiges oder zumindest soll es so funktionieren. Beim Kapitalismus freilich ist die Gewalt bisweilen mitunter, so man will, leicht zu übersehen, denn die staatlich freigesetzte Ökonomie übt einer stummen Zwang aus, dem sich die ökonomischen Subjekte, Kapital und Lohnarbeiterschaft, unterworfen sind. Die Arbeiter ganz einfach dadurch, daß sie lebensnotwendigerweise ihre Arbeitskraft bar sonstigen Einkommens verkaufen müssen. Die Kapitaleigentümer dadurch, daß sie den Notwendigkeiten der Kapitalverwertung unterworfen sind, um ihr Kapital als Kapital aufrechtzuerhalten (was ohne dessen Vermehrung nicht erreicht werden kann).

Das war in der Sowjetunion und ihren Bündnisstaaten anders, da war die Ökonomie nicht von Staats wegen freigesetzt, vielmehr unmittelbar staatlich. Also gab es auch keinen »stummen« Zwang; der Staat zwang unmittelbar seine Vorstellungen seiner Ökonomie auf. Funktioniert hat auch das. Allerdings nur so lange, bis der Staat seine Räson geändert hat. Seine Räson bestand in der Kalkulation, den Westen mit einer zentralisierten Wirtschaft aus- und niederkonkurrieren zu können. Er verglich mittels der ökonomische Produktivität. Ganz so, als ob diese Zweck der kapitalistischen Produktionsweise wäre! Die Produktivität ergibt sich nämlich ganz automatisch aus den Verwertungsbedingungen des Kapitals. Aber so, den Vergleich aushaltend, seine Arbeiterschaft auszubeuten war letzthin nicht der Zweck des realsozialistischen Staates. Daher sahen Gorbatschow und seine Experten den Ausweg darin, sich ökonomisch dem Westen anzupassen, ihre Wirtschaft schrittweise freizusetzen und damit in einem letzten Schritt ihre sozialistische Staatsräson ganz fallen zu lassen. Die Meinung mit einer kapitalistischen Staatsräson funktioniere der Staat besser hat sich bis heute in Moskau erhalten. Rußland funktioniert trotz dem vom Westen an es herangetragenen Krieg sogar zum Leidwesen des Westen so gut, daß ihm mit Sanktionen nicht beizukommen ist. Im Gegenteil, diese schlagen auf ihn selber zurück und beeinträchtigen sein Funktionieren erheblich. Kein Wunder, daß die G7-Staaten sich ihrer Gewalt mehr denn je besinnen!

Blickt man heute auf die allüberall herrschende kapitalistische Weltordnung, einer Ordnung unter der Regie des Westens, angeführt von den USA, dann ist auffällig, wie sehr das »Funktionieren« der Maßstab geworden ist. Die ganze Ent-Kolonialisierung, die in Afrika und Asien nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stattgefunden hat, ist der Einsicht zu verdanken, daß die dortigen Staaten ähnlich den süd- und mittelamerikanische Staaten, die schon viel früher »souverän« geworden waren, viel besser im Interesse der Kolonialmächte funktionieren, wenn sie von einheimischen Herrschern regiert werden. Mehr oder weniger demokratisch das spielt dabei keine Rolle, Hauptsache diese Länder dienen dem Westen als Rohstofflieferanten, halten ihm nicht verwertbare Menschenmassen vom Hals und dienen selbstverständlich in Sachen Gewalt — eigener wie in Form zugelassener ausländischer Militärbasen — ganz der globalen Freiheit des Kapitals.
Nun schreiben wir das Jahr 2025 und allem Anschein nach, wacht allmählich die Bevölkerung im globalen Süden aus ihren Träumen auf, erkennend das üble Spiel, das die imperialistischen Mächte nach der Entkolonialisierung mit ihnen gespielt haben. Sie wollen nicht länger die Verfügungsmasse jener abgeben. Sie stellen die Frage, wofür und wozu. Sie kommen zum Ergebnis, daß ihre Souveränität eine Betrug war. Vielerorts wurden daher Statthalter der G7-Staaten weggeputscht. Sehr zum Verdruß der USA, Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands und ihrer europäischen Trittbrettfahrer. Das alles geschieht unter dem Eindruck, daß es durchaus Alternativen zur bisherigen Abhängigkeit gibt. Weder Rußland noch China mitsamt den BRICS-Staaten streben solch ungleiche Verträge mit dem globalen Süden an, wie das Usus der Imperialisten war und nach wie vor ist. Kein Zweifel, daß der globale Kapitalismus auch anders funktionieren kann als bislang, wenn nur eine alternative Staatsräson vorherrscht. Jedenfalls müssen die imperialistischen Staaten feststellen, daß ihr Empire nicht mehr so glatt funktioniert wie bisher. Das hat schon seit geraumer Zeit  — die Überakkumulationskrise des Kapitals im Jahres 2008 war hierbei ein deutlicher Einschnitt — dazu geführt, daß die Imperialisten anderen Staaten mehr denn je ans Leder wollen². Die Staaten des früheren Warschauer Pakts wurden buchstäblich einkassiert, selbst an den Einflußbreich Rußlands, an die GUS-Staaten, machten sie sich nun entschlossener denn je heran, hoffend auch hier leichtes Spiel zu haben, indem sie der dortigen Bevölkerung weiszumachen versuchten, nur dann in einem funktionierenden Staate leben zu können, wenn solcher nach und am Westen ausgerichtet sei. Blöderweise hat das nun aus westlicher Sicht einen Krieg gegen Rußland nötig gemacht³. Und noch blöder ist, daß man den Krieg ganz offensichtlich nicht gewinnen kann, je mehr man auch seine soooo geliebte Ukraine bluten läßt. Auch das gehört freilich zum Funktionieren. Und eines muß man zugeben: Die auf SS-Bandera verpflichtete Führerschaft der Ukraine läßt es am Funktionieren nicht mangeln! Respekt! Auch anderswo existieren Fachkundige, die aufs Funktionieren abgerichtet sind, in Argentinien beispielsweise.

Nichtsdestotrotz gibt es Orte der Dysfunktion. So wie es aussieht, werden Bestandteile des »freien Westen« selbst der kapitalistischen Sache abträglich⁴. Offenkundiges Zeichen dafür sind die stark zunehmende Staatsverschuldung und die ebenso stark zunehmende Militarisierung mit dem Zweck, einen funktionalen Zustand quasi künstlich, d.h. mit allen Mitteln inklusive Gewalt, aufrechtzuerhalten. Diesen Scharfsinn beweisen die führenden Politikerköpfe, schließlich sind sie Funktionsträger, als solche sich der Verantwortung bewußt, Staat und Wirtschaft am Laufen zu halten. Und natürlich werden dabei die imperialen Ansprüche nicht einen Augenblick außer Acht gelassen. Speziell die deutschen Imperialisten haben nebst ihren aktuellen Belangen der transstaatlichen Verwertung von Kapital eine historische Rechnung noch nicht vergessen, welche sie sich offenkundig schuldig sind: Ihr Name ist Stalingrad.

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¹ Hier ist nicht der Platz, auf die mannigfaltigen Fehler der UdSSR und ihrer Bündnisstaaten, die von Stalin bis Gorbatschow begangen wurden, näher einzugehen. Dazu der Hinweis auf das Buch: »Von der Reform des 'realen Sozialismus' zur Zerstörung der Sowjetunion«, GegenStandpunkt-Verlag, 1992.
² Wegen den Rohstoffen, die zu Kapital werden sollen, ganz bestimmt, nur dafür ist ja erst eine strategische Sicherung notwendig, also bevor überhaupt feststeht, ob sich eine Erschließung und Schürfung mehr oder weniger seltener Mineralien überhaupt lohnt. Gleichzeitig bedeutet diese Sicherung den Ausschluß anderer Nationen von diesem Reichtum, in diesem Falle eben hauptsächlich den Ausschluß Rußlands.
³ Der Leser soll an dieser Stelle nicht annehmen, im Westen würde nicht längerfristig gedacht. Hier ein Ausschnitt eines Artikels von dem damaligen stellvertretenden US-Außenminister Strobe Talbott: »Postkommunistische Staaten stehen einem Dilemma gegenüber: Als Ökonomien im Übergang von zentraler Planung zu offenen Märkten müssen sie massive Defizite und Staatssubventionen an ineffizienten Industrien drastisch zurückschneiden. Und als junge Demokratien sind ihre Bürger frei, ihre politischen Führer zu wählen, oft erstmals in ihrem Leben. So spiegeln Wahlen nicht nur die Bestrebungen der Bürgerschaft auf eine bessere Zukunft wider, sondern auch ihre Unzufriedenheit mit dem naheliegendem, befristeten Schmerz, der die Reformen unvermeidlich begleitet. Das Ergebnis ist in der Tat oftmals eine Wiederkehr derzeitiger oder früherer Kommunisten.
In jüngeren Jahren haben sich Versionen dieses Szenarios in Polen, Litauen, Rußland und Ungarn abgespielt. Das letzte Beispiel ist die Ukraine, ein Land, dessen Stabilität und Sicherheit für Europa und die USA eine grundlegende Angelegenheit ist. Bei den kürzlichen Wahlen am 30. März führte die Kommunistische Partei die Abstimmung in einer Mehrheit von Orten an und gewann den breitesten Block an Sitzen im Parlament. Ihre erklärten Politikziele beinhalten die Umkehrung einiger Schlüsselelemente des ukrainischen Privatisierungsprogramms ebenso wie die teilweise Wiederverstaatlichung der Industrie und des Bankwesens. 
Die USA haben die politische und wirtschaftliche Reform in der Ukraine unterstützt, seit das Land die Unabhängigkeit erlangte, und sie betrachten das Wahlergebnis mit Sorge. Jedoch ist die Fähigkeit der Kommunistischen Partei, die Uhr zurückzudrehen, ernstlich begrenzt.. Die Notwendigkeit des Zuflusses internationalen Investmentkapitals und Entwicklungsunterstützung erweist sich für die Ukraine wahrscheinlich als stärker als der Alarmgesang einer bankrotten Ideologie.
Der IWF und die Weltbank haben klargestellt, daß sie weitere Unterstützung solange zurückhalten werden, bis die Ukraine bezüglich einiger lang aufgeschobener Reformen Fortschritte macht. (…) Die Ukaine ist in gewisser Beziehung ein zerbrechlicher Staat. Die größte Quelle ihrer Zerbrechlichkeit ist ihre Ökonomie, die ausländisches Investment mehr zurückweist als anzieht und die insoweit gescheitert ist, die Art von Wohltaten hervorzubringen, die man in anderen postkommunistischen Staaten für gewährleistet zu halten begonnen hat. (…)« (Washington Post, 14.04.1998)
⁴ Gedacht ist hier an entwertetes Kapital, mitverursacht zum Beispiel durch den politischen Verzicht auf günstige, direkte Öl- und Gaslieferungen aus Rußland.

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Was gilt heute als links?

koka

 

Was gilt heute als »links«?

 

Der Professor (Wirtschaft) Richard D. Wolff (USA) hat in einem auf youtube zu sehenden Beitrag für breakthroughnews einmal mehr den ökonomischen Niedergang¹ der G7-Mächte angesprochen. Dabei kam er auch auf die jüngsten Bundestagswahlen in dem von der Rezession schwer getroffenen Germany zu sprechen, welches jene gerade aufgrund ihrer kurzsichtigen Außenpolitik zu beklagen habe. Die Rezession im ökonomischen Zugpferd Europas, so Wolff weiter, habe zu einem signifikantem Anstieg der Stimmen sowohl für den rechten wie für den linken politischen Rand geführt. So bedauerlich der Anstieg rechts auch sei, so stimme ihn der Anstieg links durchaus hoffnungsvoll. Es gebe in Germany zwei linke Parteien, die zusammen etwa 14% der Wählerstimmen gewinnen konnten.
Nun kann man sich als ausländischer Beobachter sicherlich leicht täuschen, wenn selbst in der BRD die Sache von den Mainstreammedien ziemlich genau so gesehen wird. Da Wolff jedoch einer ist, der sich — selbst ein Linker — immer bemüht, Analysen abzugeben, die auf dem Boden der Realität stehen, soll er nicht unwidersprochen bleiben.

Was die Bewegung Sahra Wagenknecht (BSW) betrifft, hätte man schon gerne gewußt, was an dieser neuen Partei irgendwie links sei soll. Außer der Vergangenheit der Parteichefin wird man da wohl im Trüben fischen. Gerade das Prinzip der Argumentation dieser Partei besteht ja in einem nationalen WIR, mit dem so gut wie jede politische Aussage beginnt. Wenn die Bewegungspartei sagt, sie mache sich Sorgen um die deutsche Wirtschaft und insbesondere um die Industrie, dann sagt sie »WIR machen uns Sorgen um die Deutsche Wirtschaft …« Die Arbeiterklasse wird selbstverständlich als die abhängige Variable unterstellt, die sie gefälligst auch zu bleiben hat. Man höre sich die Stellungnahmen (ebenfalls auf breakthroughnews) von Parteifunktionärin Sevim Dağdelen einmal an. Wir, wir, wir in einem fort! Gemeint: wir Deutsche = identisch mit dem Wir unserer Partei. Da braucht man kaum noch zu erwähnen, geschweige denn sich zu wundern, daß jene links verortete Partei in die AfD-Hetze gegen Migranten einstimmt. Nationalismus ist ohne Rassismus eben nicht zu haben!

So frappant falsch also Wolffs Auffassung der BSW ist, so wenig hoffnungsvoll ist der Sache nach seine Interpretation der Partei Die Linke. Sie ist ja nicht mehr als die vehemente Vertretung eines Wohlfahrtsstaats, eines Sozialstaats, den sie seitens amtierender Regierungen stets stark vernachlässig sah und sieht. Sie hofft mit ihren sozialen Anklagen und Anträgen selbst in der Opposition Wirkung zu erzielen. So jedenfalls sieht ihr Aushängepolitiker Gregor Gysi die Sache: Die Linkspartei habe schon einen Mindestlohn gefordert, als der noch gar nicht auf der Tagesordnung der Regierung stand. Und nun fordere sie einen Mietdeckel solange, bis der beschlossen wird. Kurzum, sie sorgt sich um das existenzielle Reproduktionsminimum der Arbeiterklasse. Und das ganz ohne sich zu fragen, warum das immerzu und immer drängender notwendig ist. Daß man mit solch grundlegender Ignoranz Wählerstimmen einfangen kann und dabei noch nicht einmal als Kritiker des Nationalismus in Erscheinung treten muß, mag zugegebenermaßen schon eine politische Kunst sein, vor allem darin, das als irgendwie links zu verkaufen.
Hier stellt sich die Frage, wie das einen (Wahl-)Erfolg ermöglicht. Wie denken Wähler der Partei Die Linke? Zunächst denken sie wie alle, die sich zum Wählen entschlossen haben: Sie denken an das große Ganze, die Kluft zwischen Arm und Reich, die eben dies große Ganze bedroht, das sie freilich weder als nationale Schicksalsgemeinschaft titulieren wollen wie die Rechten noch wollen sie den nationalen Zusammenhalt beschwören, wie eine reaktionäre Partei à la SPD dies tut. Mit dieser gedanklichen Grundlage geben sie ihre unglaubliche Bescheidenheit zu erkennen, mit der sie den ganzen Zumutungen, die der Staat und seine Wirtschaft tagaus tagein ihnen aufbürden, aus- und durchzuhalten bereit sind. Ja, mit einem Mindestlohn und einem Mietdeckel ließe sich das Leben ja doch wenigstens irgendwie aushalten. Auch hier ist schön zu sehen, wie die Abhängigkeit von Staat und Wirtschaft bestätigt, also erst gar nicht versucht wird, diese zumindest gedanklich einmal anzutasten.
Ebensowenig kontert die Partei Die Linke die unverschämten, kapitalgerechten Ansprüche von Wirtschaftsmagnaten nach staatlichem Entgegenkommen vielerlei Art damit, eine gewaltige Umverteilung von Oben nach Unten zu fordern²: Denn sie weiß ganz genau, daß das nicht in den Rahmen paßt, in dem Deutschland und seine Firmen mit dem Ausland und dessen Kapital in Konkurrenz stehen. Zum Bestehen in dieser Konkurrenz und zu seinem Erfolg ist Wirtschaftswachstum nötig, zu dem eben nur Löhne passen, die so niedrig sind, daß sie sich am Existenzminimum der Klasse orientieren müssen, die lebensnotwendigerweise ihre Arbeitskraft feilbieten muß³. Und die sich selbstverständlich gefallen lassen muß, daß selbst aus ihrem zunehmend knapper bemessenem Wohnraum sich ein Geschäft machen läßt, dessen Renditen sich mit den Kapitalanlagemöglichkeiten in anderen Bereichen messen lassen können muß.

Das alles sehen also all die ein, die ihr Kreuz bei der Linkspartei gemalt haben. Doch es kommt noch etwas ganz Entscheidendes hinzu: Ohne einen Idealismus, ohne eine Verklärung der real existierenden Verhältnisse kommt das nicht aus. Im Prinzip wissen Idealisten es mit den herrschenden Verhältnissen prinzipiell ganz gut getroffen zu haben. Nur: Was macht die Politik daraus: Wo bleibt beispielsweise die Menschenwürde, die im Grundgesetz ganz vorne steht, wenn man Migranten behandelt wie es Rassisten eben tun — als Minderwertige, bestenfalls als ausbeutbare Personen und ansonsten als abschiebbaren Dreck? Flüchtlingsretterin Carola Rackete fand so den Weg in die Partei Die Linke. Doch diese Haltung hat durchaus eine schwerwiegende Konsequenz: Man entdeckt solch beklagenswerte Zustände nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland, speziell in den Staaten, die auf der offiziellen Feindschaftsliste Deutschlands stehen. Dabei stehen solche Staaten gar nicht deshalb auf solcher Liste, sondern aus ganz simplen staatsmaterialistischen Gründen — diese Staaten beschränken nämlich den Zugriff des deutschen Staats auf dessen Staatsgebiet und seine menschlichen und sonstigen Ressourcen. Und dieser Standpunkt wird vorgetragen mit einer verlogenen Heuchelei, nämlich daß jene Staaten sich nicht so demokratisch und menschenrechtlich einwandfrei aufführen würden wie die vorbildliche Bundesrepublik. Kurzum, Idealisten wie Carola Rackete halten ihren Idealismus und die Heuchelei eines imperialistischen Staates wie Deutschland nicht auseinander. Damit wäre es doch gar nicht so schwierig, wenn man sich mal überlegt, daß jedes Recht, das ein Staat mit seiner Verfassung gewährt, auf Gewalt beruht, auf seiner Gewalt; eben auch jedes Menschenrecht. Das beinhaltet selbstverständlich auch, daß der Staat und er alleine darüber wacht und es auch nach Belieben einschränken kann, so er Bedarf hat. Daß ein Staat, wenn er von anderen Staaten etwas will, ausgerechnet seine Rechte für jene zum Maßstab machen will, auch wenn jene Staaten diesen Rechten als solche gar nicht wiedersprechen und selber so gut wie ausnahmslos ebensolche in ihrer Verfassung stehen haben, ist ein Witz, den eine solch naive Politikerin wie die Bundesaußenministerin Baerbock unlängst in Beijing und zuvor schon anderswo erleben durfte⁴. An dieser Stelle sei bemerkt, daß die GRÜNEN längst allen wirklichen Idealismus, den sie einst unter Petra Kelly hatten, für ihre Politikfähigkeit an den Nagel gehängt haben. Mit einer gehörigen Portion Idealismus kann sich noch jeder Linker in die Front des deutschen Imperialismus gegen Putin, Xi Jinping und mittlerweile auch gegen Trump einreihen.
Bei der Partei Die Linke gibt es also einen Idealismus, der, verlangend nach politischer Einmischung, eben solche, billligst zu habende Vorschläge gebiert wie Mindestlohn und Mietpreisbremse; eine Art Klimaschutz, dessen Vorantreiben hauptsächlich dem arbeitenden Verbraucher anheimfällt (indem zum Beispiel das Flugbenzin für seinen alljährlichen Urlaubsflug verteuert wird), gehört dazu. Vorschläge, denen sich beim besten Willen weder Staat noch Wirtschaft zu verschließen bräuchten, so die Auffassung einer Partei, die mit ihrer parlamentarischen Existenz den Pluralismus der demokratischen Gesellschaftsordnung und damit deren Legitimität aufhübschen darf. So sehen es auch die deutschen selbsternannten »Qualitätsmedien« als begrüßenswert an, daß Die Linke wieder im Bundestag Platz nehmen darf. Wenn das einem nicht verdächtig vorkommen mag?

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¹ Soll man den Niedergang als »Linker« überhaupt beklagen? Oder als Argument nehmen? Für was denn? Für den Fehler, gegen Rußland einen Krieg provoziert zu haben? Aber wenn das gar kein Fehler eines Staates ist, sondern die folgerichtige Konsequenz aus ihren globalen, um nicht zu sagen: imperialistischen  Ansprüchen? Die allenthalben gepaart sind mit dem Rassismus einer solchen Nation, die vor keiner auch noch so gewaltigen Aufgabe zurückschreckt und dafür die eigene Wirtschaft gehörig in die Pflicht nimmt — auch sie soll schließlich ihren Beitrag leisten, einen Beitrag der sich freilich nur vorübergehend negativ in ihrer Bilanz niederschlagen soll.
² Die von ihr geforderte Reichensteuer heißt ja noch lange nicht, daß, durchgesetzt, davon auch nur ein Euro »unten« ankommt.
³ Die Linkspartei ist ja weit davon entfernt, sich in PgW (Partei gegen Wirtschaftswachstum) umzubenennen!

⁴ Offenbar fehlt so manchem deutschen Politiker in seinem nationalen Hochmut mittlerweile jedes Gespür für Diplomatie. Nicht in Einsicht dessen jedenfalls, was Diplomatie ist und wofür sie gebraucht wird. Im Falle Rußland wird Diplomatie sogar ausdrücklich abgelehnt; da setzt man bekanntlich ausschließlich auf eine andere politische Methode, den Gegenüber weichzuklopfen, auf Krieg.

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Feindbild & Feindschaft

 

Ist es nicht bemerkenswert, wie sehr die demokratisch-pluralistischen Medien unisono darauf achten, daß ihre Leser und Hörer alle auf Linie sind? Bedrohungen werden in leitenden Stellungnahmen an die Wand gemalt und Rassismus zwecks nationaler Einheit* geschürt, daß man sich fragen muß, wofür ist das nötig? [Abb.: Karikatur aus dem Jahre 2014! (global times)]
Ja, Bedrohungen gibt es, nämlich dann, wenn man sie sich selber schafft. Nimmt man die Äußerungen der Regierungen in Moskau und Beijing ernst, so kann man denen genau das Gegenteil entnehmen als das, was die westlichen Stimmungsmacher hineingelesen haben wollen. In Wirklichkeit sind es allein die westlichen Medien, die eine Kriegsgefahr an die Wand malen
um die Kriegspolitik ihrer staatlichen Amtsträger zu rechtfertigen. Aufrüstung und Krieg brauchen nun einmal die entsprechende Propagandafront. Wie die Kriege im Nahen Osten und in Osteuropa zeigen, hat der »freie Westen« von Anfang an keinerlei Interesse an einer Friedenslösung gezeigt: Wie leicht wäre ein Palästinenserstaat in mehr als 70 Jahren gegen die Zionisten durchzusetzen gewesen, wenn man gewollt hätte! Wie leicht hätte man sich mit Rußland über die Ukraine einigen können, all die Jahre bevor es Moskau zu dumm geworden war, die westlichen Kriegsvorbereitungen und Provokationen nicht allzu ernst zu nehmen! 
Nun steht in den westlichen Medien die Welt so auf dem Kopf, daß selbst ein Zweifler kaum noch anders kann, als dem etwas Wahres zu entnehmen. Woran liegt das? Das liegt an den hehren Prinzipien mit denen von den USA angeführte kapitalistische Weltordnung allzeit glorifiziert wird. Es ist der moralische Heiligenschein, mit dem auch jeder Krieg gerechtfertigt wird, wenn er den Interessen der Westmächte dient. Nun, diese hehren Prinzipien dokumentieren nichts als die Verlogenheit der westlichen Politik. In Wirklichkeit geht diese ohne Wimpernzucken über Leichenberge. Ein Genozid, wenn er im Interesse des Westens und seiner Lakaienstaaten ist, geht glatt in Ordnung und man kann ihn mit »Auschwitz« sogar prima rechtfertigen!

Ohne daß es in der Verfassung oder einem ihrer Anhänge ausdrücklich festgelegt wäre, existiert in den USA, aber auch in Deutschland, in Großbritannien und auch in Frankreich ein unumstößliches Dogma die bedingungslose Rivalität, ja Feindschaft gegen Rußland**. Wie es sich für ein Dogma gehört, wird es entsprechend kultiviert, von den Medien, von der Politik und allen sonstigen Diensten des Staates. Rußland bleibt vom feinen System »freedom & democracy« ausgeschlossen, da kann Moskau machen, was es will, es beschwichtigt die Imperialisten nicht: Es kann die kapitalistische Wirtschaftsordnung wieder einführen, das politische Brimborium der Demokratie, also freie Wahlen und Wahlkampf, ja sogar den eigenen Einflußbereich teilweise zur Diposition stellen… 
Allen Vorschlägen zur Verständigung wie sie immer und immer wieder von russischer Seite gemacht worden sind, wird ganz generell unterstellt, finstere Absichten zu bergen und zu verbergen. Sie werden als Propaganda abgetan, die der Westen dank der Weisheit seiner Protagonisten längst als solche durchschaut hat.

Die russische Souveränität ist für die USA eine hinzunehmende und gleichwohl nicht auszuhaltende Realität. Das führt zu einer Selbstkritik im eigenen Lager: Es fehle der Mut, die Entschlossenheit, an den Gegebenheiten zu drehen, sie ins Wanken zu bringen. Zwar hat diese Selbstkritik angesichts der aktuellen Politik immerzu die Seite der Verlogenheit gehabt. Auf der anderen Seite wird die Politik damit jedoch immerzu angestachelt. Die jeweilige Opposition in den USA macht Druck gegen die Regierung und die imperialistischen Staaten machen untereinander Druck. All diese konstruktive antirussische Aktivität hat dazu geführt, daß die Welt heute, 2025, am Rande eines neuen Weltkriegs steht. Wie mutig und wie zielorientert die NATO-Staaten sind (unter Trump nun sogar in Konkurrenz zueinander), macht deutlich, daß sie selbst die Ukraine dem urrussischen Einflußgebiet entreißen wollen.*** Vor einem neuen Weltkrieg hat der Westen jedenfalls keine Angst, wenn er immer neue Provokationen vom Stapel läßt. Die Invasion in das Gebiet Kursk im August 2024 war sicher nicht die letzte. Immer und immer wieder rechnet der Westen dabei mit einem Zurückweichen Moskaus um dessen lieben Friedens willen. [Abb.: Karikatur aus 2024, „X“ (vormals twitter)]
Mit dieser antirussischen Staatsräson einen die Staaten ihr Wahlvolk, eine Bedrohung an die Wand malend. Sie rechtfertigen ihre Aufrüstung und Ausbau der Streitkräfte, ihre Waffenexporte und ihre (Stellvertreter-)Kriege. Dabei ist völlig klar, daß die Kosten, die die kleinen Leute allenthalben zu tragen haben, die eigentliche existenzielle Bedrohung für ebendiese sind. Doch moralisch wie sie von klein auf erzogen werden, glauben sie vorzugsweise fest an das, was ihnen die amtierenden Persönlichkeiten und die opportunistischen Medien tagaus tagein erzählen. Sie entdecken darin nicht die Verlogenheit der Politik, sondern die Sorge um den Staat als ganzen, dem sie sich — sie sind ja per Staatsangehörigkeit staatliches Inventar — 
einfach zugehörig fühlen. Zugehörig fühlen wollen sie sich deshalb, weil das die einzige Möglichkeit für sie ist, in und mit ihrer Person anerkannt zu werden. Diese Anerkennung, auf die sie so scharf sind, ist das Unterpfand ihrer Täuschung über ihre eigene materielle Lage innerhalb eben dieses feinen Staates, der sie als seine Manövriermasse hernimmt, in Friedens- wie in Kriegszeiten.

* Wenn Demokraten gegen Migranten agitieren und ganz praktisch die Gesetze gegen jene zum x-ten Male verschärfen, dann soll das natürlich nicht mit dem Rassismus der Faschisten zu verwechseln sein. Aber könnte es nicht sein, daß das der Boden ist, auf dem beispielsweise eine AfD und in anderen Staaten ebensolche Parteien wachsen und gedeihen?
** Ob und inwieweit das unter der Präsidentschaft von Donald Trump korrigiert wird und unter welchen Aspekten wird man sehen.
*** Trump schickt den Kiewer Hampelmann nach Hause, um ein Abkommen unter einem imperialistischen Teilgewinn mit Rußland auszuhandeln, während die Hauptverbündeten weiterhin die ganze Ukraine für sich reklamieren und auch einen Umsturz in Rußland selber nach wie vor als Ziel betrachten. Was nicht heißt, daß die USA, viel längerfristig gesehen, das aufgegeben hätten.

KoKa Augsburg, 08.03.2025
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