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Die (In-)Toleranz des Christentums und der christlichen Staaten

Anders als über die menschlichen Opfer der imperialistischen Kriegsprojekte im Irak und in Syrien sowie deren Folgen, insbesondere der uneingeplanten Etablierung eines »Islamischen Staates in der Levante«, anders als über diese Opfer, die ja allenthalben als Kollateralschäden auf dem Weg zu einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung verbucht werden, so sie nicht gerade die EU-Schengen-Grenzen zu überschreiten wagen, ganz anders und weit mehr als über diese Opfer also hat sich der aufgeklärte zivilisierte Beobachter des Zeitgeschehens richtig erschocken gezeigt über die Zerstörung von »Kulturgütern«, insbesondere über die Sprengung antiker Bauten in Palmyra, Hatra etc. durch den IS.

Solche sich aufregenden Beobachter verstehen sich als ebenso aufgeklärt wie dem christlichen Abendland zugehörig. Den darauf gegründeten, gnadenlosen Rassismus einmal beiseite gelassen, stellt sich doch die Frage, worauf fußt solch Stellung? Fußt sie nicht auf den Vorarbeiten, die eben Christen früheren Datums einmal erbracht haben? Ja, jene Christen haben von den antiken Tempeln und Kultstätten, wenn überhaupt etwas, dann nur noch Ruinen übrig gelassen. Welch Heuchelei also! Die heutigen Christen, so weltherrschaftlich sie etabliert sind, haben es wirklich nicht nötig, verbliebene Reste von Abgöttern aus der Welt zu schaffen! Im Gegenteil, mit ihnen hat man doch gerade die Dokumente vorliegen, an denen die eigene Überlegenheit gepriesen werden kann, als eine Überlegenheit, die sich geoffenbart und so sich als aufgeklärt erwiesen hat!

Das Christentum hat es zur Weltherrschaft gebracht und eben von diesem Standpunkt aus, kann es lässig zu Toleranz mahnen. Gerade an Weihnachten wird diese Heuchelei ein ums andere Mal propagiert, zuvörderst vom jeweils gerade amtierenden Pfaffen im deutschen Bundespräsidentenamt, nicht weniger von den aufgeklärten Leitartikelverfassern des deutschen Gazettenwalds.

Doch zurück zu den fabelhaften Leistungen, welche die aufgeklärte Christenheit in ihren heutigen Stand versetzt haben. Wer sich einmal im heutigen Griechenland und seiner Umgebung genauer umgesehen hat, der findet nicht schwer die Spuren, die auf die terroristischen Umtriebe früher Christen hinweisen. Viele Tempelreste liegen unter der Erde, nur an wenigen Stellen ragen sie noch hervor. An Stelle der antiken Stätten finden sich häufig (früh)christliche Kirchlein (βασιλικές) als Zeichen christlicher Herrschaft (davon abgeleitet der griechische Name), nicht selten unter Verwendung von Säulen und anderen Bestandteilen antiker Bauten. Im Laufe der ganz und gar nicht gewaltfreien Etablierung des Christentums wurden seine Kultstätten ganz von selbst immer glanzvoller und vor Reichtum nur so strotzend. Nicht verwunderlich übrigens, daß das (westliche) Zentrum des Christentums in Rom errichtet wurde, war doch das Römische Reich die Bastion schlechthin, die es zu erobern galt.

Mit dem Aufkommen eines neuen Glaubens, einem noch viel aufgeklärterem als dem Christentum, dem Glauben an das große Geld, bekamen die Kirchen dann so ihre vergleichsweise kleineren Probleme. Zumal die etablierten Gewaltmonopole, die Staaten, ihre Räson fürderhin vorzugsweise auf das Geld und nicht so sehr auf Gott bauen wollten. Aus dieser Entwicklung versuchte das Christentum das Beste für sich herauszuschlagen. Nach der Seite des Geldes hin, war das einfach, man baute selber mehr auf das Geld als auf die Moral und versuchte das nach außen hin zu verdecken, so gut es eben ging. Nach der Seite der Gewalt entschied sich allen voran der Führer der stärksten christlichen Sekte, der römisch-katholische Papst, dafür, ein Geschäft zu machen: Die Staatsführer sollten die nötigen Gewaltfragen alleine, doch immer auch im Sinne der Belange des Christentums klären. Dafür würde es sich nicht länger und nicht mehr als für seine Belange nötig in staatliche Angelegenheiten einmischen.
Diese Aufgabenteilung macht also die Aufgeklärtheit des Christentums aus und die eines Staates, der die Religion für seinen Zweck, zu seiner moralischen Rechtfertigung und Beweihräucherung zu schätzen weiß. Es wäre also eine Lüge, zu behaupten, das Christentum habe heutzutage keine Macht, wo es doch seine Macht an die der Staaten delegiert hat, die das Christentum ihrerseits zu schätzen wissen. Diese Staaten haben dem Christentum ihren festen gesellschaftlichen Platz zugewiesen und, wo das nicht ausreichend erschien, es mit Privilegien institutionalisiert.

Darin erblickt manch kritischer Betrachter gar eine gewisse Rückständigkeit des deutschen Staates etwa im Vergleich zu Frankreich. Dabei ist gerade die prinzipielle Aufgabenteilung der Witz der Sache: Der Staat erledigt das schmutzige Geschäft der Gewalt, die Kirche das heilige der Moral. Im wesentlichen jedenfalls, so daß es geradewegs ins Unsachliche geht, der Kirche Verfehlungen diesbezüglich vorzuhalten, sie an ihre Erdung zu erinnern, wie es jüngst wieder Gianluigi Nuzzi in seiner, in Buchform gegossenen, nimmermüden Vatikankritik getan hat. Dem Staat vorzuwerfen, er ließe es in Anbetracht seiner adoptierten Moral am Einsatz seiner Gewalt (etwa gegen Flüchtlinge) fehlen, ist ebenso abwegig: Erstens läßt er da ja nichts anbrennen (höchstens von Nazis) und zweitens rechtfertigt er eben das, was er unternimmt und anrichtet, nicht gegen seine moralischen Grundsätze, sondern mit ihnen: Staatliche Gewalt-Instanzen wie die Bundeswehr kommen ja immer und überall im Namen der allerhöchsten Werte zum Einsatz. Hierdurch ist ihnen der Segen christlicher Militärpfaffen gewiß.

Natürlich sind auch heutzutage Haßpredigten christlicherseits notwendig. Nur kommen sie sehr zivilisiert daher, weil eben nicht unmittelbar an den Einsatz von Gewalt gebunden. Wenn Papst und Bischöfe gegen »die Konsumgesellschaft« als ihre weltanschauliche weltliche (Glaubens-)Konkurrenz wettern, dann gilt das als zivilisiert. Es ist nämlich konsequenzlos, weder wird einem Geschäftemacher deshalb die Lizenz entzogen noch einem Konsumenten der Geldbeutel. Ebenso wie andere Religionen schwören die Jesus-Sekten ihr Publikum auf das einzig wahre, auf das himmlische Paradies ein, dem die kapitalistischen Konsumtempel nicht das Wasser reichen können würden: Geld mache nicht wirklich glücklich! Gott schon!
Abgesehen davon sind die Leistungen, die das Christentum für seine weltliche Herrschaften erbringt unschlagbar, so daß ihnen ein wenig Materialismus-Kritik erlaubt sein muß. In der Regel richtet sich die nämlich auch an die richtige Adresse, sie predigt Haß gegen jede Art von sozialistisch-atheistischem Materialismus. In Polen und mit Kroatien ist die römisch-katholische Kirche für ihre Agitationsleistungen mit glaubensreinen Staaten belohnt worden. In Lateinamerika leistet sie dem US-Imperialismus gegen revolutionäre Bestrebungen und Regierungen sozialen Zuschnitts die treuesten Dienste in der antimaterialistischen Agitation des einfachen Volkes und wird deshalb von ihm und dessen örtlichen Vasallen alimentiert.

Die für den christlichen Glauben heute so komfortable Lage, gegen religiöse Konkurrenz Toleranz und lediglich Intoleranz gegen deren Gewaltmittel predigen zu können, war nicht zu allen Zeiten gegeben. Ein herausstechendes Beispiel dafür liefert die antike Metropole Efesos. Dort war der aus Relikten vormaliger Amazonenherrschaft errichtete Glaube an die Jagdgöttin Artemis ein gewaltiger. Und es bedurfte eines Haßpredigers namens Paulus gegen diesen quasi noch matriarchalischen Fehlglauben für den neuen patriarchalischen Christengott zu Felde zu ziehen. Im Gegensatz zu seinem vergötterten Jesus, der von der römischen Herrschaft ob seiner frevelhaften Aufwiegelei zur moralischen Erneuerung zum Tode verurteilt wurde, kam Paulus, der sich als dessen Jünger aufspielte, zupaß, römischer Staatsbürger zu sein: Unter römischem Schutz gelang ihm seine Mission straffrei: Der Artemis-Tempel ging in Flammen auf. An sich war Paulus nichts anderes ein al Baghdadi oder Osama bin Laden des Christentums, allerdings eben unter westlichem Schirm. Dessen möchten insbesondere die Basischristen eingedenk sein, die das Urchristentum verhimmeln und sich bekanntlich partout nicht von ihren Kirchen losreißen möchten. Von den nachfolgenden finsteren Zeiten des Christentums wollen wir hier gar nicht reden: Über Kreuzzüge, Inquisition, Hexenverbrennungen etc. sind genügend Abhandlungen verfügbar.
Umso heller erstrahlt heute das von der staatlichen Gewalt so vorteilhafte und — wie gezeigt — nur scheinbar getrennte Christentum.

In diesem Sinne frohe Weihnachten!
(25.12.2015) 

bluete