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Das transatlantische Bündnis und seine Fortschritte*

I
Daß die seit Beginn des Bestehens der BRD ständig betonte »tiefe Freundschaft« mit den USA und »ungebrochene Solidarität« mit dem mächtigen Bündnispartner den Gegensatz dieser Staaten nicht ausschließen, sondern gerade darauf verweisen, ist eine Binsenweisheit, die nicht erst 1980 [bzw. erst heute, 2013/2014] offenbar wird. Reibereien hat es immer gegeben, wenn der Expansionsdrang der deutschen Wirtschaft den ökonomischen oder politischen Interessen der USA zuwiderlief oder wenn die Kosten für die Sicherheit der NATO der BRD zu hoch, den Amerikanern zu niedrig waren, was den Beitrag der Bundesrepublik anbetraf. Der »Kompromiß«, der dann jeweils fällig war, zeigte immer eine gehörige Portion Schlagseite zu den USA hin. Schließlich hatten die Amerikaner die BRD eingerichtet und ihr ökonomische und politische Freiheiten zugestanden, um selbst in der Welt ganz frei schalten und walten zu können und nicht, weil sie gern etwas von ihren unbegrenzten Möglichkeiten abgeben wollten. Freilich konnte und kann der treueste Freund der Vereinigten Staaten, die BRD, geltend machen, daß sie Frontstaat gegen den Hauptfeind Nr. 1, die Sowjetunion [heute: Rußland, dem es wenig genützt hat, seine Staatsräson zu ändern, sie durch eine kapitalistische zu ersetzen], wirtschaftlich stark sein muß, um im Interesse der USA ihrer sicherheitspolitischen oder auch — egal — entspannungspolitischen Rolle genügen zu können. Die Amerikaner geben der BRD darin recht.
II
Obwohl die BRD als Bündnispartner zweiten Grades dem obersten Bündnispartner gewisse Auflagen des Schaltens und Waltens nicht verdenken darf, ist der beiderseitige Nutzen durchaus gegeben. Hinter dem Schild des Weltpolizisten Amerika, für dessen »Schutz«-Funktion Beiträge zu leisten und Einschränkungen der eigenen Bewegungsfreiheit hinzunehmen sind, erringt die BRD auf dem Weltmarkt Erfolg um Erfolg. Im gewinnbringenden Handel mit dem Ostblock steht sie an erster Stelle unter den Konkurrenten [und heute in der nachsozialistischen Ära erst recht, zumal mit der politischen Eingemeindung in das deutsche Projekt imperialistischer Konkurrenz, in die EU, der politisch-strategische Ertrag hinzukommt] — dies freilich nur, seitdem die USA im Interesse ihrer Entspannungspolitik die Entspannungspolitik grünes Licht für die Ostpolitik der BRD gegeben. Daß der im Bündnis mit den USA eingebundene und dem großen Bruder gegenüber nicht gleichermaßen freie deutsche Staat »ökonomisch ein Riese« geworden ist, gibt jeder Politiker gern zu, möchte aber zwischen der Zeile ein »nur« mitgehört wissen. Denn die Fortsetzung dieses eigenartigen Urteils heißt »politisch ein Zwerg«, was den Wunsch ausdrückt, weiter bescheiden und im Schatten der imperialistischen Weltmacht Nr. 1 scheinbar unimperialistisch seine imperialistischen Erfolge zu verbuchen. Mehr aber auch nicht. Denn mag auch die BRD im Vergleich zur Weltmacht Nr. 1 klein aussehen und dieser gegenüber auf gewisse Eigenständigkeiten verzichten müssen — ein politischer Zwerg ist sie längst nicht mehr [umso weniger 2014, wo sie allüberall in der Welt mit ihrer Militärmacht an »Aufräum«-Arbeiten der kapitalistischen Weltordnung sich beteiligt, gar selber solche wie in Jugoslawien vorangetrieben hat]. Die ökonomischen Erfolge auf dem Weltmarkt bringen schließlich ganz von selbst die Zunahme des politischen Einflusses in der Welt mit sich, der sich dann umgekehrt in der Erschließung neuer Geschäfte als nützlich erweist und umgekehrt. Auch militärisch besitzt Westdeutschland nicht nur keine Atomwaffen und die größte konventionelle Streitmacht in Europa; sein Waffengeschäft ist längst aus den roten Zahlen heraus und deutsche Schiffe üben schon wieder im indischen Ozean. Alles in allem zeigen sich die deutschen Politiker sehr zufrieden mit der Rolle ihres Staates im gebündelten und weltweiten Kräfteverhältnis. Sie hätten gern, wenn es so weiterliefe.
III
Seitdem die Amerikaner von ihren Bündnispartnern, und vor allem von der BRD mehr verlangen als bisher, wirtschaftliche und politische Sanktionen gegen die UdSSR und den Iran [manche ordnungspolitischen Ansprüche und Aufgaben sind offenkundig noch keineswegs abgeschlossen, doch — wie man sieht — ebensowenig zu den Akten gelegt], und nicht nur zusätzliche militärische Anstrengungen bei den Europäern erwartet werden, sondern solche neuer Qualität auf sie zukommen, ist das Thema Solidarität zum Dauerbrenner geworden. Carter [dem damaligen, weißen Obama] wird vorgeworfen, daß er dieses hehre Ideal »als Knüppel« benutze, den Europäern »drohe«. Schmidt und die anderen Europäer bekommen den Vorwurf zurück, »Solidarität nur in Worten, nicht in Taten« zu zeigen [was ja schon ein ganz wesentlicher Aspekt ist, wenn es um Gründe für Überwachung geht!]. Der einst als führungsschwach kritisierte Carter, …, er wird erst recht für »unberechenbar« gehalten, da genau auszurechnen ist, was er will, und sein früheres Zaudern als Grund dafür hingestellt, daß man, die Deutschen und Europäer, jetzt hineingerissen werde in eine »Überreaktion« bar jeder »politischen Weisheit«: zu schnell, unüberlegt, ohne ausreichende und rechtzeitige Information der Partner, bei fehlender ausgewogener Interessensabstimmung, ohne die »unterschiedlichen Interessen« der BRD … zu berücksichtigen…. Jimmy Carter, dessen Nation man auch schon mal nachsagt, der Lack seiner Weltmacht Nr. 1 sei abgeblättert, hat zwar Verständnis für die Interessensunterschiede der Bündnispartner (wie sie für seine »in Bedrängnis geratene Nation«), ist aber sonst enttäuscht:
"Sie erwarten Verständnis, ohne Verständnis zu erwidern. Einige bitten uns um Schutz, sind jedoch sehr vorsichtig mit der Erfüllung der Bündnispflichten."
IV
… Eine Lektion der Solidarität mit dem großen Bruder besteht eben auch darin, zur Kenntnis zu nehmen, wann die »unverbrüchliche Freundschaft« mit den NATO-Partnern und vor allem mit dem Garanten des Bündnisses, den USA, den eigentlichen Zweck des angeordneten Zusammenschlusses einfordert: Verteidigung vitaler westlicher Interessen — Krieg. …


Das Interesse der Nation wird nämlich so und so verfolgt, ob im Krieg oder im Frieden, ob in Verfolgung des vitalen Interesses am deutschen Eigeninteresse oder im vitalen Interesse am Bündnis mit den Amerikanern.
V
Die demokratische Presse, darin nicht minder geübt als die bestellten Propagandisten in anderen politischen Umständen, pflegt imperialistische Konflikte stets an den Sorgen, Schwierigkeiten, Engpässen, Prüfungen, Belastungen ihrer Regierung vorzuführen. Keine Entscheidung kommt mit den Gründen und Motiven zur Sprache, die ihr zugrundeliegen, sondern mindestens als ein Dilemma, das dem Staatsmann zu schaffen macht. Die gesamte Schreibe auf diesem Gebiet beruht auf der Unterstellung, daß die Leser dieser Begutachtung staatsmännischen Handwerks keine anderen Anliegen haben als ihre Regierung — und auf dem Anspruch, daß niemand im Volk andere Probleme zu entdecken befugt ist als die seiner Nation. Deshalb findet das Volk einfach keine Erwähnung bei der Sichtung des imperialistischen Wenn und Aber — mögen die Entscheidungen es auch viel anders »betreffen« als ein Kurswechsel der Währung, wo ja gelegentlich darauf angespielt wird, was jetzt teurer wird.

Wenn in unseren vorstehenden Hinweisen auf das gegenwärtige Hin und Her von Schacher und Erpressung kein Wort über den kleinen Mann verloren wird, so ganz ausschließlich deswegen, wett wir bemerkt haben, daß ihn als »Betroffenen« die Alternativen absolut nichts angehen. Auf dem Gebiet der Außenpolitik wird nämlich Ernst gemacht mit der Souveränität der frei gewählten Staatsmacht bzw. mit der Kompetenz der führenden Männer, was zwar auch in innenpolitischen Fragen üblich ist, dort aber mit dem Schein der Rücksicht auf die Wähler versehen wird. Hier, wo so großartige Schicksalsfragen wie Krieg oder Frieden, gleich oder erst hinterher entschieden werden, beklagt die Presse die angebliche Dazwischenkunft wahltaktischer Überlegungen — und die Regierungen dementieren ganz ehrlich, weil sie sich keine bessere Parteipropaganda vorstellen können als die, ganz unopportunistisch die Sache der Nation zu betreiben — wenn es sein muß, ganz »unpopulär«.
Wenn das Wörtchen »leider« sowohl in den USA als auch in Europa Konjunktur hat in diesen Tagen [selbst bei der NSA-Abhör-Affäre ist das tiefe Bedauern bezüglich der »Belastung« des transatlantischen Verhältnisses unüberhörbar!], dann ganz gewiß nicht als Ausdruck des Bedauerns gegenüber dem eigenen Volk — sondern im Bewußtsein von Alternativen, die der Nation die politischen und ökonomischen Kosten niedriger zu halten erlaubt hätten! Das Volk, das die militärischen Einsätze nicht nur bezahlen, sondern auch durchführen darf, fungiert dabei stets, bei allen »Lösungen«, als Manövriermasse. Also: Die Kalkulation der BRD-Regierung mit ihren politisch-ökonomischen Kosten, die vor ein paar Wochen noch zu dem Vorwurf geführt hat, die Carter-Administration würde unentschlossen und zauderhaft reagieren, zeigt, daß ein Zuschlagen der Amis — ohne große Konsultationen mit den Partnern im Bündnis — durchaus im Interesse der SPD-Mannschaft gewesen ist [und selbst für die heutige NSA-Affäre wird ein gewisses Verständnis eingeräumt, wenngleich sie wirklich nicht gegen Dritte gerichtet ist!]. Man hätte dann beides äußern können vor der Weltöffentlichkeit wie vor der eigenen: Verständnis und moralische Vorbehalte, säuberlich verteilt auf die für den entsprechenden Part zuständigen Figuren. Da die Schutzmacht USA aber mittlerweile keine Lust mehr hat, der deutschen Nation von Amerikas Gnaden nur die Vorteile der von Uncle Sam abgesicherten Aufteilung der Welt zukommen zu lassen, sondern auch eine Beteiligung an den Kosten dieser Absicherung wünscht (was mit Stationierungsgeldern, Bundeswehr angefangen hat …), findet die für Westdeutschland »billige« Bereinigung der Krise nicht statt. Denn daß sie Nein sagt zur anderen Form der Beteiligung am imperialistischen Geschäft, dazu mißbraucht die SPD-Regierung [ebenso wie die Regierungen späterer Jahre bis heute und spezielldie SPD hat es bekanntlich nicht allein damals ihr Okay zum 1. Weltkrieg gegeben, sie hat auch die BRD so konsequent wieder in Kriege geführt, wie sie davor und dafür  ihre »Friedenspolitik« entwickelt hat!] ihre Souveränität nicht — nicht aus Gründen der (zur Schau gestellten, zähneknirschenden) Ohnmacht, sondern aus Berechnung. Besser ist nach ihrem Kalkül das Mitmachen — besser als sich mit der amerikanischen Nation zu streiten und von künftigen Geschäften aller Art ausgeschlossen zu sein! Also Ja zu Amerika und daheim warnend die Stimme erhoben vor der Gefahr des Krieges, den Landser nie beschließen, dafür aber austragen. Angesichts dieser klaren Linie könnten eigentlich auch einmal kritische Demokraten und Linke merken, was sie an ihrer Regierung haben — mit der Schonung der Regierten haben ihre weltpolitischen Händel nie etwas zu tun, nicht einmal dann, wenn vorerst noch [diese Zeiten gehören 2014 ja nun endlich der Vergangenheit an!] einmal die Bundeswehr fast nicht eingesetzt wird und »nur« Leukoplast zum Golf fliegen muß. Innenpolitische Folgen hat die Sache selbst in diesem Fall des »kleinsten Übels«, auf dem Markt, in den Fabriken, Kasernen und anderswo. Es ist also ziemlich abwegig, ausgerechnet jetzt — wie ein paar Schriftsteller es getan haben — zu nationaler Politik zu raten und dabei die Illusion zu erwecken, wegen seiner Wähler würde Schmidt [heute Frau Merkel & Co.] so oder so entscheiden. Er tut es für sie!

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*Der Artikel stammt aus dem Jahre 1980 [aus der MSZ vom 28.04.1980] und ist hier all denen zur Erinnerung gebracht, die sich heute wie aus heiterem Himmel über manche »Ungereimtheit« des imperialistischen Bündnisses (ver)wundern.

(12.01.14)
bluete