kokaDer Gebrauchswert von modernen Kommunikationsgeräten

Es stellt sich die Frage, welches Bedürfnis zu erfüllen, eines dieser elektronischen »Spielgeräte« verspricht. Welchen Gebrauchswert es also ganz offenkundig hat, haben muß, wenn es gekauft wird. Und es muß einen hohen Gebrauchswert versprechen, wenn es den relativen hohen Preisen zum Trotz massenhaft verkauft wird. Und es muß über einen speziellen Gebrauchswert verfügen für die, welche Neuigkeiten auf diesem Markt immer gleich als erste kaufen. Das sind überwiegend diejenigen, welche nicht über die große Kohle verfügen! Dazu nur ein Beispiel: Ein vergleichsweise armes Land wie Griechenland — arm im Sinne der Verfügung über abstrakten Reichtum, über Geld, versteht sich — war, als es Anfang des 21. Jahrhunderts mit den Mobiltelefonen losging, schneller durchgehend handisiert als das Hochtechnologieland BRD.

Für die andere Seite, die, welche es auf den Tauschwert der Geräte abgesehen hat, ist der Nutzen offenkundig. Sie machen ein Geschäft mit einem neuen Produkt, in dem sie seinen Gebrauchswert anpreisen und seinen Tauschwert im Verkauf realisieren.

Doch zieht man einmal den Gebrauchswert der Individuen selber in Betracht, welchen diese für jene Seite der offenkundigen Nutznießer haben, muß festgestellt werden: Ihr Gebrauchswert fällt ständig, sichtbar an dem Tauschwert, den sie für ihre Arbeitskraft erhalten: Er sinkt.*

Sinken gleichzeitig die Bedürfnisse der Individuen? Nein. Im Gegenteil! Zu den bisherigen kommen ja die, von den Produktentwicklern geschaffenen, neuen. Und weil gleichzeitig die Individuen weniger wert sind (bei gleichzeitig erhöhten Anforderung an sie!), jagen sie einem Ideal von Kompensation nach, welches die andere Seite nur zu gerne bedient: Die neuen Kommunikationstechnologien versprechen ja gerade, daß sie das Leben vereinfachen und erleichtern; und das angesichts dessen, daß die Individuen in ihrer Arbeitswelt und nicht weniger in der ihnen verbleibenden Reproduktionszeit — diese wird gerne als »Freizeit« apostrofiert —  immer mehr unter Druck stehen. Da sind die ganzen smarten Dinger ja nun wirklich ein Angebot! Ohne Mühe also lassen sich die Individuen auf dieses Abstellgleis schieben, auf die Illusion, diese Geräte könnten all ihre Defizite, die sie sich in einer durchkapitalisierten Gesellschaft einfangen, kompensieren**. Ein schöner Kollateralnutzen für die, die solche Bedürfnisse in den Individuen hervorzurufen und auszunutzen verstehen: Schließlich sind sie als Verursacher, die sie als Kapitaleigner und Wegweiser für Bedürfnisse sind, aus der Schußlinie. Und zwar auf so verteilhafte Weise, daß sie der staatlichen Gewalt zu Sicherung ihrer Interessen, nicht im mindesten bedürfen: Sich also als Inbegriff von Gewaltfreiheit, Zivilisation und Fortschritt ansehen lassen können.***

Der Kollateralnutzen der Geräte ist gerade so ein uneingeschränkter.  Er betrifft die Wirtschaft allgemein, ja die gesamte kapitalistische Gesellschaft, während der unmittelbare Nutzen, der im Tauschwert der Geräte steckt, allein den Hersteller- und Vertriebsfirmen zufällt. Das heißt allerdings nicht, daß alle anderen Firmen diese Möglichkeiten moderner Kommunikation nicht für sich nutzen wollen: Wenn so gut wie jeder ihrer Mitarbeiter über ein solches Gerät verfügen soll und oft genug ja muß, dann heißt der Nutzen für die Firma: Erreichbarkeit, Kontrolle, Effizienz. Da bleibt dann selbstredend kein Platz mehr für einen etwaigen Mißbrauch der Arbeitszeit für private Ausflüge in die Cyberwelt.
Für diese Unternehmen sind diese elektronischen Geräte also ein Mittel, ein in Kürze unverzichtbar gewordenes Mittel ihre Macht zu vergrößern, die Ausbeutung ihrer Mitarbeiter zu vergrößern, kurz: mit ihren Ansprüchen auf Geschäftserfolg sich an den Mitarbeitern schadlos zu halten. 

All das bisher Gesagte läßt sich getrost ignorieren: Man kann stattdessen ja über alles Unwesentliche vom Abstellgleis aus prima kommunizieren, seine Einbildung**** pflegen und von anderen wertgeschätzt werden, was das Elektronikgerät eben so hergibt (und das ist bekanntlich ja eine ganze Menge).

p.s. Es ist ein schöner Witz, wenn behauptet wird, irgendwelche Aufstände in arabischen Staaten oder sonstwo wären auf die neuen Kommunikationsmöglichkeiten zurückzuführen: Den Leuten, die sich dort versammelt, demonstriert und rebelliert haben, hätte bislang allein dieses Mittel der Kommunikation gefehlt! Ansonsten wären Ben Ali, Mubarak, Gadafi, Chalifa, Erdoğan etc. schon viel früher abgeräumt worden…

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* Warum dem so ist und sein muß, hat Marx im »Kapital« erklärt.

** Das Internetportal FEYNSINN hat das so auszumalen versucht:
"Für mich das Symbol dieses Jahrhunderts: Menschen gehen gebeugt durch die Straßen, kein Blick links oder rechts, schon gar nicht für Mitmenschen, und streicheln ein Spielzeug. Ein Spielzeug, für dessen Besitz sie ungeheure Ressourcen aufbieten müssen und das ihnen dafür suggeriert, sie hätten Kontakt zu anderen Menschen.
Das Fänomen ist nicht von langer böser Hand geplant, aber natürlich ein Kollateralschaden, den der Kapitalismus nicht bloß hinnimmt, sondern nach Kräften vergrößert, weil er den Profiten dient. Eine Voraussetzung für dieses Verhalten ist die beinahe totale Entfremdung, und diese wiederum ist das Resultat einer zeitlichen Verwerfung, die sozial nicht mehr handhabbar ist. Es geht um Kommunikation, für die keine Zeit mehr ist, Kommunikationsersatz in Echtzeit, der die Zeit verschlingt, die für Kommunikation eigentlich nötig wäre.

Es gab vor dem Internet auch schon Kommunikation in Echtzeit und solche mit Zeitverschiebung. Letztere war der klassische Brief, für den sich die Schreiber gemeinhin Zeit nahmen, häufig ihre Formulierungen wohl bedachten und sich darüber im klaren waren, daß bis zur Antwort Zeit vergehen konnte – Tage, vielleicht Wochen. Alles andere, telefonieren und das persönliche Gespräch, verlangte Anwesenheit, zumindest direkte Aufmerksamkeit. Das Gespräch hatte einen Anfang und ein Ende. Die Partner bewegten sich bewußt innerhalb dieser Grenzen.
Im Netz ist das anders. Die Kommunikation erfüllt niemals mehr die Erwartungen, weil sie unbegrenzt ist. Niemand kann unbegrenzt kommunizieren, sehr wohl aber unbegrenzte Erwartungen entwickeln. Für Menschen, die nicht die nötige Disziplin und Vernunft aufbringen, ist sie also stets frustrierend und hinterläßt das Bedürfnis nach mehr. Sie sind Getriebene einer unerfüllbaren Erwartung, Süchtige. Sie sind die Mehrheit der Nutzer, zumal der jüngeren.
Die unbegrenzte Zeit der Kommunikation und ihre Erwartung führen dazu, daß ständig irgend eine Antwort auf irgend eine Antwort ersehnt wird, ohne daß man wüßte, ob und wann diese erfolgt. Das Stakkato eingehender Nachrichten ohne Relevanz ist derweil ebenso unerträglich wie das vergebliche Warten, das den Zweifel nährt: Bin ich vielleicht unbeliebt, irrelevant, langweilig?" (feynsinn.org, 09.11.14)

*** Man denke nur, welch kolossale Verehrung die Persönlichkeiten einschlägiger Firmen besitzen. Ihre Namen kennt jeder. Sie gelten als Pioniere der Freiheit, als schlichtweg sagenhaft, zumal einige von ihnen den so seltenen, steilen Aufstieg vom Tellerwäscher zum Mulitmillionär geschafft haben.

**** Daß die massenweise Benutzung dieser Kommunikationsgeräte nichts mit Bildung zu tun hat, ist offensichtlich. Weder, daß sie dazu gedacht sind, noch daß sie dazu benutzt werden. (An dieser Stelle ist der ganz ordinäre bürgerliche Begriff von Bildung — also der produktive Gebrauch des Verstandes als Zahnrädchen im kapitalistischen Verwertungsgetriebe — gemeint.) Wozu die Inhalte der Angebote auf den Geräten taugen, siehe dazu ausführlich den Artikel über das soziale Netzwerk facebook in GegenStandpunkt 4-2011.

(12.11.14)

bluete