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Deutschland erkennt die ägyptische Militärdiktatur an
Ein neuer deutscher Brückenkopf von strategischer Bedeutung

Kaum war der langjährige ägyptische Diktator Mubarak zur Überraschung seiner westlichen Schutzherrn gestürzt, gelobten diese Besserung: Ebenso wie aus den Stürzen Ben Alis und Gadafis wollten sie »Lehren ziehen«: Nie wieder sollte ein Diktator als ihr Handlanger gestützt werden! Jedenfalls nicht bis zu seinem Fall. Denn sonst müßten sie ja die für sie so ersprießlichen Beziehungen zu weiteren arabischen Diktaturen wie Marokko, Jordanien, Saudi-Arabien und den Golf-Emiraten (Kuwait, Bahrein, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Oman) in Frage stellen. Das ginge ja dann doch viel zu weit! Ermahnungen freilich sollten schon an sie ergehen, denn recht eigentlich betrachtet, wäre es ein Desaster, wenn auch sie fielen: Ein Chaos von Rabat bis Dubai möchte, das konnte man den übereinstimmenden Verlautbarungen entnehmen, der »freie Westen« aus Erdöl- wie überhaupt strategischen Gründen nicht leisten. Also, so die Ansage: Bitte keine weiteren Volksaufstände!
Die Staaten, wo die Aufstände zum Erfolg geführt hatten, galt es heimzuholen in das Reich der Freiheit, sie also dem dort entstandenem Chaos entreißen. Die stattfindenden Wahlen hielt der »freie Westen« dafür für nicht besonderes zweckdienlich, zumal ja gerade in dem bedeutendsten dieser Staaten, in Ägypten, ein Muslimbruder die freien Wahlen gewann und das Programm seiner Brüder sich erst einmal überhaupt nicht um die westlichen Interessen an seinem Staat kümmerte. Doch wie es so ist in einem Land, das darniederliegt, fühlen sich auch andere Nationalisten zur Rettung des Staates berufen: Mit der Kalkulation, daß der »freie Westen« dagegen im Grunde nichts einwenden könne, putschte das Militär unter Führung des Generals al Sisi.
Formell war das zwar nicht nach dem Geschmack des »freien Westens« (weshalb der General gleich Wahlen nachschob, selbstredend gezinkt hoch drei), in der Substanz der Sache allerdings sehr: Jetzt sollte in Ägypten aufgeräumt werden, am vordringlichsten natürlich mit den Muslimbrüdern, die nicht müde wurden, gegen die Militärherrschaft zu demonstrieren. Und das tat al Sisi dann auch. Just in der Justiz des Landes fanden sich dafür noch viele Mubarak-Getreue, denen der ganze Volksaufstand nicht gepaßt hatte.
So weit fortgeschritten, Mubarak mehr oder weniger freigesprochen (lediglich 3 Jahre wegen Korruption), Mursi zum Tode verurteilt, mußte Ägypten nicht lange auf außenpolitische Anerkennung warten. In einer Welt, wo die imperialistischen Mächte all überall um vorteilhafte Positionen mit- wie gegeneinander ringen, war die Bundesrepublik Deutschland der erste Staat, der dem neuen Diktator den roten Teppich ausrollte: Der oberste Moralprediger der Nation höchstselbst, Bundespräsident Gauck, schritt mit al Sisi eine Ehrenformation der Bundeswehr ab. Kurz danach wurde in Kairo das Todesurteil gegen Mursi, nun deutsch beglaubigt, bestätigt.

Es ist keine Frage, daß sich der deutsche Staat im Nordosten Afrikas so ganz hervorragend in Stellung gebracht hat. Zum einen, was die Wirtschaftsbeziehungen unmittelbar anbelangt: Ägypten braucht jede Menge Kredit und Waffen und es kann zahlen: Weniger mit Rohstoffen, mit denen auch (hauptsächlich Erdöl, Baumwolle, andere landwirtschaftliche Produkte), doch zum anderen hauptsächlich mit politischen Gefälligkeiten: Als Gewährleister der freien Durchfahrt für deutsche Handels- und Militärschiffe durch den Suezkanal — die Marine der Bundeswehr kreuzt bekanntlich seit Jahr & Tag schon im Indischen Ozean —, als  Befrieder der Grenze zum Gazastreifen und zu Israel, als Vermittler deutscher Interessen innerhalb der Arabischen Liga und in Afrika.
Dafür, einen neuen Freund und Partner zu haben, erschien der deutschen Regierung der Zeitpunkt günstig — man konnte der imperialistischen Konkurrenz zuvorkommen. Im übrigen konnte sie damit einmal mehr dementieren, daß Deutschland »nur« der Trittbrettfahrer der Vereinigten Staaten von Amerika sei.
 
Allerdings stieß die Anerkennung des neuen Diktators nichtsdestotrotz auf Rechtfertigungsschwierigkeiten. Das führte zu lustigen Kopfständen:
"Unterdrückung der Opposition, die Verhängung von Todesstrafen gegen Andersdenkende — all das ist für eine Demokratie undenkbar. Deshalb war es richtig, daß die Bundeskanzlerin diese Position im Gespräch mit dem ägyptischen Präsidenten vertreten hat. Hätte sie es nicht getan, hätte sie die Grundprinzipien des friedlichen und demokratischen Gemeinwesens verraten." (Ein Kommentator in der Süddeutschen Zeitung, 05.06.15)
Sicher, man muß zunächst die Herrschaft als solche anerkennen, der man Mores lehren will, und keineswegs umgekehrt! Erst warten, bis astreine demokratische Sitten einkehren, darauf kann man in einem Drittweltstaat ja nun wirklich lange warten!
Die deutsche Morallehre paßt und dient ganz hervorragend zur Beschönigung der wirklichen deutschen Absichten. So folgenlos sie ist, ist es ja einzig und allein für die deutsche Öffentlichkeit gedacht: Würde Putin so etwas tun, würde der gleiche Kommentator sicher sofort nichts als — nur allzu leicht zu durchschauende — Propaganda darin entdecken!
Kurzum, anerkannt wird jeder Staat gleich welcher Herrschaftsform, der vor den globalen deutschen Staatsinteressen den Kotau macht. Wer nicht, natürlich nicht. Mit ein paar Abstufungen dazwischen und einer einzigen großen Ausnahme, den USA, gegen die man (leider) nicht über die Machtmittel verfügt, um ernsthaft gegen sie anstinken zu können (siehe NSA-Affäre).

Daß Deutschland von einer Militärherrschaft selbstredend erwartet, daß sie künftige Aufstände, Hungeraufstände zumal, im Keim erstickt, daß sie erwartet, daß Ägypten alles tut, um Flüchtlinge von ihrer Reise ins europäische Glück abzuhalten, sei der Vollständigkeit halber nicht vergessen.

So sich die deutsche Regierung den deutschen Interessen verpflichtet weiß, sucht sie andere Staaten auf die seinen zu verpflichten. Im Falle Ägypten scheint dies fürs erste von Erfolg beschieden. Ob die Rechnung auf Seiten Al Sisis aufgeht, ist eine ganz andere Frage: Kann er antiwestlichen Stimmungen in der Bevölkerung mit einem starken »Partner« an seiner Seite wirklich entgegentreten, so daß es dazu nicht des Schwertes bedarf?

(25.06.15) 

bluete