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Zumutungen und Zukunftsoptionen eines Klassenstaats à la Deutschland
 

Es ist offenkundig, daß die Kriegspolitik der imperialistischen Staaten eine gigantische Zumutung für ihre Wirtschaft, das heißt, für ihr jeweiliges nationales Kapital ist. Ein Kapital, das mit seiner Produktion von abstraktem Reichtum (= Geld) die Grundlage eben dieser Staaten ist. Eine Grundlage, die die Staaten naturgemäß allzeit zu fördern trachten. Offenkundig unternehmen diese Staaten mit einem Krieg — und im Falle des derzeitigen Rußlandfeldzugs ist fürwahr nicht von einem Kleinkrieg zu sprechen — ein Projekt, das von ihrer ökonomischen Grundlage emanzipiert ist. Es stellt sich somit die Frage nach dem Warum.

Nun ist es ja so, daß die Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals in mancherlei Hinsicht beschränkt sind. Da gibt es die Konkurrenz der Kapitale untereinander, da gibt es den gesetzlichen Rahmen, den der jeweilige Staat aus guten, gesamtstaatlich erforderlichen Gründen vorgibt — Marx spricht vom Staat als dem »ideellen Gesamtkapitalisten« — und da gibt es die Staatsgrenzen, für deren Überschreiten zwischenstaatliche Vereinbarungen unabdingbar sind. Die Grenzen der Kapitalverwertung sind beginnend mit der Krise, die ab dem Jahre 2007 die Finanzmärkte erschütterte, enger geworden; eine Krise, die hauptsächlich einer gigantischen Überakkumulation von Kapital geschuldet war.¹ Auf diese Krise haben sowohl die einzelnen Kapitale wie auch die Staaten als Notanker derselben notwendigerweise reagieren müssen.

Die Kapitale, soweit sie sich in genannter Krise ihrer Entwertung entziehen konnten, haben neue Anlagemöglichkeiten gesucht. Sie haben sie gefunden, etwa im Agrarsektor »Landgrabbing« wurde seitdem zu einem geflügeltem Wort — oder im Farmabereich — nicht zufällig in einem wesentlichen Kern den gesundheitlichen Folgen der Pestifizierung der Landwirtschaft geschuldet; und nicht zuletzt in der Schaffung neuer Finanzprodukte, also in einem hochspekulativen, einem fiktiven Bereich.

Der Staat seinerseits ist dem Kapital in mehrfacher Hinsicht entgegengekommen. Zum einen hat er dem Kapital erlaubt, einen Teil fallierender Summen in erheblicher Höhe aus seinen Bilanzen zu streichen, den anderen Teil entwerteten Kapitals hat er mit seiner Geldhoheit gerettet. Diese Souveränität erlaubt die Schaffung von neuem Geld quasi aus dem Nichts — lediglich auf Kosten der Staatsverschuldung.
Jeder Staat hat zugunsten des Kapitals die Vorschriften insbesondere zugunsten der Vertrauenswürdigkeit der Banken reguliert, um eine künftige Finanzkrise auszuschließen. Sodann wurden staatliche Betriebe privatisiert, um neue lukrative Kapitalanlagemöglichkeiten zu schaffen. Zu Privatisierungen, einem probaten »Heilmittel« des Staates, sind neoliberale Staatsideologen übrigens schon lange vor dem 2007-Desaster übergegangen. Auch nicht ganz neu, höchstens dem Umfang nach, war die Erpressung ökonomisch abhängiger Staaten dazu, unnütz erscheinende Kosten für die Arbeiterklasse abzuschaffen sowie Staatsbetriebe zu privatisieren, um sie der Anlage auswärtigen Kapitals preiszugeben. Zu ebendiesem Zweck ist allerdings in jenen Staaten eine willfährige Regierung notwendig. Doch auch in diesem Belang ließen es die imperialistischen Mächte nicht fehlen. »Freie« Wahlen erweisen sich da erfahrungsgemäß als bedienungsfreundliches Mittel, um eine opportune Regierungsmannschaft zu erhalten. Manchmal ist dies freilich nicht ausreichend. Da müssen härtere Mittel angewandt werden. Und, wie zu sehen ist, werden sie angewandt. Das reicht von Sanktionen über Zölle, die mittlerweile von Sanktionen kaum mehr zu unterscheiden sind, bis hin zum inszenierten Umsturz und letzthin zum offenen Krieg, sollte es sich ein Staat herausnehmen, sich den Interessen der kapitalistischen Vorbildstaaten zu widersetzen.² 

Es kann selbstredend nicht ausbleiben, daß sich Staaten untereinander ins Gehege kommen. Zu wessen Gunsten solche Animositäten entschieden werden, ist dann wiederum eine Frage ihrer wohlkalkulierten Ansprüche, überlegener Macht und ihrer Machtmittel.

Es kommt, wie es kapitalistischer Logik nach kommen muß, zu allerhand Unschönheiten. Wer diese auszubaden hat — das ist nichts Neues —, das sind die breiten Bevölkerungsschichten, die eh nichts zu sagen haben, Demokratie hin, Demokratie her (sie sind ja dazu angehalten, ihre Stimme abzugeben!). Und obendrein werden die natürlichen Lebensbedingungen ruiniert, die können sich ohnehin nicht zur Wehr setzen.

Gegen die wirtschaftlichen Sachzwänge ist es bekanntlich weder vorgesehen noch erwünscht, Einwände zu erheben, ernste schon gleich gar nicht.

Daß mittlerweile das Kapital unter den höheren staatlichen Sachzwängen leidet, daß es also fast ebenso wie die Arbeiterklasse massive Kosten zu tragen hat, ist also so aufzufassen, daß eben jene Kosten nur zum besten des Kapitals gedacht sind. Ähnlich verstehen sich ja die Zumutungen, die die Arbeiterklasse in ihrer Abhängigkeit von Staat und Kapital aufgebürdet bekommt.
Es liegt auf der Hand, daß die Politik der imperialistischen Staaten ihre Arbeiterklasse weiter verarmt, verarmen muß. Gleichzeitig befördert sie eine Krise des Kapitals unter dem Vorwand, ihm dienen zu wollen. Und wer ehrlich ist, muß zugeben, daß weder Rußland noch China noch Indien noch der globale Süden dafür verantwortlich sind.

Nun führen die imperialistischen Staaten seit Jahr und Tag Krieg. Unter Zuhilfenahme von Vasallenstaaten sogar gegen Staaten, in die ihr heimisches Kapital sehr viel investiert hat, vor allem eben in Rußland, wo deutsche Firmen Milliarden investiert haben². Verlorenes Kapital! Und dazu kommt der Wegfall günstiger Energieversorgung mit Öl und Gas, das betrifft wiederum Rußland, das Deutschlands größter Lieferant von Erdgas wie Erdöl war. Wie Rußland ist der Iran nun schon seit Jahren mit Sanktionen belegt und somit einer Anlage westlichen Kapitals entzogen. Es stellt sich also die Frage, wie die westlichen Hauptstaaten ihr Kapital für die ihnen vorenthaltenen Geschäfte zu entschädigen gedenken. Die USA waren nun unter den ersten, die darüber nachdachten. Ihre Idee: Die EU-Staaten, Kanada und Japan in die Pflicht nehmen, sie mögen ihnen Gas abkaufen und anderes mehr. Von den Rohstoff- und Getreide-Verträgen mit ihrem Hampelmann in der Ukraine mal ganz abgesehen. Bei den Rohstoffgeschäften mit der Ukraine kam Großbritannien den USA zuvor, doch zum Glück der imperialistischen Konkurrenten werden sie sich um die doppelt gekauften Bodenschätze nie streiten müssen. Aber das nur nebenbei. Der Witz liegt beim Hauptkriegsagitator Großbritannien, welches mittels seiner Geheimdienste seinen Mann in Kiew abgerichtet hat; ihm wurde und wird eingetrichtert, was er zu tun und zu sagen hat. Dem Grund für die Haltung Großbritanniens kommt man näher, wenn man sich das Verhältnis zwischen dem britischen Inlandsprodukt und den Bilanzen seines Finanzkapitals ansieht. Letztere sind um ein Mehrfaches höher als jenes Nationalprodukt und stellen im internationalen Vergleich in ihrer Höhe eine respektable Ausnahme dar.⁴

Bei der Kapitalisierung Rußlands und überhaupt Osteuropas hinken die Investitionen Großbritanniens dem deutschen weit hinterher. Aufgrund eigener Ölvorkommen in der Nordsee ist der Inselstaat auch weniger auf fossile Energieimporte angewiesen als die Bundesrepublik. All das trug zum Austritt der Insel aus der EU bei, zumal sich der noch immer als  Empire fühlende Staat infolge der Finanzkrise weder Bankauflagen noch anderen Vorgaben einer deutsch dominierten EU unterwerfen wollte. Und es trägt eben auch dazu bei, den imperialistischen Konkurrenten ganz anders zu kommen, nämlich im Hineinziehen in die britische Erbfeindschaft gegen Rußland. Großbritannien litt ja als EU-Mitglied schwer unter der Vorherrschaft Deutschlands.
Von den USA versprachen sich die Briten am wenigsten Gegenwind, da diese ohnehin eine gute Gelegenheit erblicken, ein ökonomisch geschwächtes Rußland sich als mächtiger, atomar bestückter Gegenspieler vom Hals zu schaffen. So vereint gelang es geradezu spielend, die deutschen Verbindungen zu Rußland zu kappen. Dabei konnte man auf den Opportunismus der deutschen Politik setzen, die sich nach zwei verlorenen Weltkriegen endlich einmal auf der Gewinnerseite sehen will, was ihr umso leichter fällt, als es dank famoser Bildungspolitik gelang, den Haß, die Revanchegelüste gegen Rußland über die Jahrzehnte zu perpetuieren. Natürlich kann auch der deutsche Staat, seine Konkurrenzsituation mit den anderen Imperialisten hintanstellend, nicht umhin, seine privilegierte Klasse, das Kapital eben für die ihm versagten Geschäftsmöglichkeiten zu entschädigen. Und was soll der Politik dabei schon anderes einfallen als das, was ihr immer einfällt!

Mit Investitionsmöglichkeiten im Ausland sieht es zwar eher bescheiden aus, umso dringlicher trieb man zumindest den EU-Freihandelsvertrag mit den MercoSur-Staaten voran. Die Privatisierungen staatlicher Einrichtungen sind schier erschöpft. An die Rundfunkanstalten allerdings will die Politik nicht ihre Axt legen, denn die Beeinflussung der öffentlichen Meinung ist ihr eine Herzensangelegenheit — so als wäre gegenüber privaten Medien Mißtrauen angebracht — in den USA beispielsweise gibt es nur private Medien, was weder der Kapitalistenklasse noch der Freiheit der Politik keineswegs abträglich ist. Die Deregulierung des Arbeitsmarktes freilich kann man getrost den Tarifparteien überlassen, zumal die Gewerkschaften noch jede Verschlechterung zuungusten der Arbeiterklasse zu unterschreiben bereit sind, um selber als staatstragende Instanz im Geschäft zu bleiben. Bleibt, das Lieferkettengesetz ganz zur Disposition zu stellen, nachdem es der Einfluß der Kapitallobby eh schon auf ein bloßes bürokratisches Monstrum heruntergebracht hat.

Kurzum, all das führt in den Hauptstädten der G7-Staaten zu dem immer intensiver vorgetragenen Entschluß, ihre Kriege, insbesondere den gegen Rußland nicht aufzugeben. Diesbezüglich hielt der neu inthronisierte deutsche Bundeskanzler vor einem gleichgesinnten erlesenem Publikum eine Art Sportpalastrede: Wollt Ihr den totalen Frieden…dann muß der Krieg weitergehen!
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​¹ »Staatsfeind Finanzkapitalismus — … Nicht umsonst vergleicht der US-Investor Warren Buffett spekulative Finanzinstrumente mit Massenvernichtungswaffen, Anstelle von Atomraketen wie Pershing und SS20, die in den 80er Jahren die Welt in Atem hielten, sind heute verschachtelte Finanzprodukte getreten. … Der 81-jährige prangert an, seine Sekretärin unterliege einem höheren Steuersatz als er. Wenn Groß-Spekulanten wie Soros und Buffett, die nicht unter Marxismusverdacht stehen, zu den größten Kritikern des Zustands unserer Wirtschaftsordnung gehören, ist etwas faul im Staate Kapitalismus. …« (Augsburger Allgemeine, 06.10.2011) Interessent zu lesen, wenn man heute, 14 Jahre später, das Verhältnis von Krieg und Kapitalismus betrachtet! Krieg als Rettungsanker kapitalistischer Spekulation?!
² Nach westlichen Vorbild gelungene Staaten müssen zumindest drei Bedingungen erfüllen, mit denen gleichzeitig ihre Kontrolle gewährleistet wird. Die Gesetzgebung muß analog westlicher Gesetze vorgenommen sein, die Medien müssen »frei« sein und die meist nur allzu offensichtliche Korruption von staatlich unabhängigen Behörden bekämpft werden. All diese Punkte sind genuine Titel, sich in auswärtige Belange einzumischen. In einem jüngsten Fall mußte der ukrainische Vasall seinen Anschlag auf die Korruptionsbehörden (
NABU und SAP) seines Staates, die den westlichen Aufsichtsmächten unterstellt sind, zurücknehmen. Wenn Polen seine Rechtsprechung im nationalen Interesse modifizert, zetert und droht Berlin. Oder wenn die Türken falsch wählen, weil die dortigen Medien nicht »frei« sind. Usw. usf.
³ »Angst ums Geschäft — Deutsche Konzerne haben in Rußland Milliarden investiert« (Süddeutsche Zeitung, 04.04.2014)
⁴ Dieser Vergleich wurde von der Süddeutschen Zeitung aufgebracht (09.03.2013). Dabei hinkt der Vergleich ohnehin. Es wird ja nicht die nationale Wertschöpfung mit dem Finanzkapital in Beziehung gesetzt. Vielmehr das Finanzkapital mit dem nationalen Produkt, in das alle Geschäfte einfließen, also gerade auch die Säule der profitträchtigen Dienstleistungen, welche bekanntlich die der Industrie um ein Mehrfaches überragen, die aber keinen Wert schaffen, vielmehr eine notwendige Hilfe der Industrie darstellen, ein Hilfe, Warenproduktion überhaupt produktiv und erfolgreich zu machen. Dienstleistungen werden erbracht mit dem Zweck, sich einen Teil des industriellen Mehrwerts zu sichern. Industrielles Kapital kann ohne Kredit, ohne die Auslagerung der Vermarktung seiner Produkte und anderes mehr nicht überleben. (Im übrigen liegt der Anteil der Industrieproduktion am BIP in Frankreich und Großbritannien jeweils bei lediglich knapp 10%.)

 »Wie die EU Milliarden auftreiben will« (Süddeutsche Zeitung, 20.12.2021) Unter anderem sollen US-Internetkonzerne wie Google berappt werden. 

11.08.2025
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