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Politische Charaktermasken

 

Die Öffentlichkeit neigt allenthalben dazu, die Politik so zu personalisieren, daß der Staat und dessen Räson einer Beleuchtung gar nicht erst anheimfällt. Dabei machen sich die Politiker an den Prämissen, die der Staat als solcher vorgibt, zu schaffen, sie wollen sie zum Wohle der Nation per (schier uferlosen) Erweiterung des Rechts, der Legitimierung der Gewalt, vorantreiben. Für die Medien dreht sich also alles um den (Miß)Erfolg des Personals an den unterstellten, vorgegebenen Staatsaufgaben. Die regelmäßigen Umfragen bezüglich der Beliebtheit von Politikern sagen da schon alles über den allgemeinen politischen Geisteszustand einer Republik aus.

 US-Präsident Trump, wie man so schön sagt, »kommt aus der Wirtschaft«. Das ist heutzutage nichts Besonderes, fast überall in den führenden westlichen Demokratien, versuchen Magnaten des Kapitals auch in der Politik erfolgreich zu sein. Sie wissen um die Abhängigkeit des Kapitals vom Staat. Nur allzu oft stöhnen sie über die Maßregelungen des Klassenstaats, seine Beschränkungen empfinden sie als Zumutung, denn schließlich sind sie es ja, die mit ihren nicht selten riskanten Investitionen für den nationalen Reichtum — den abstrakten, in Geld gemessenen — sorgen. Solch ein Wirtschaftskapitän denkt nur allzu gern darüber nach, wie insbesondere Wirtschaftspolitik besser ginge. Und er neigt dazu, selber besser Politik machen zu können als die augenblicklichen Amtsinhaber. 
Vor allem in den USA ist das durchaus eine große Herausforderung, Als Staat mit dem weltweit größten Inlandsprodukt und der Weltreservewährung verfügen die USA über die ökonomischen Mittel, ihre Vormachtstellung gezielt zum eigenen Vorteil einzusetzen: Die Wirtschaft als Quidproquo aller Politik. Dem hat kein Staat — das aufstrebende China ausgenommen — etwas entgegenzusetzen. Dies erlaubt einem Staatsführer allenthalben über die Gründe einer Wirtschaftskrise — vor der auch die Weltmacht Nr. 1 nicht gefeit ist — hinwegzusehen. Stattdessen beschuldigt — im aktuellen Fall  — Präsident Trump andere Staaten, unfaire Handelspraktiken gegenüber den USA anzuwenden, die zu dem vorliegenden Zahlungsbilanzdefizit und einer hohen Staatsverschuldung geführt hätten. Daraus folgt zum einen mittels Steuersenkungen das eigene nationale Kapital in eine verbesserte Konkurrenzsituation zu versetzen; zum anderen gegenüber anderen Staaten Zölle als passable Waffe zu erachten, eben zum Schaden derer Wirtschaft. So andere Staaten das nicht auf sich sitzen lassen können — und welcher kann das schon? —, taugt diese Waffe zu Handelsabkommen, die für die USA vorteilhafter ausfallen als bisherige. Daß US-Finanzminister Scott Bessent — auch er kommt selbstverständlich aus der Wirtschaft — die von den erpreßten Partnern zugesagten Investitionen gleich ins Verhältnis zur US-Staatsverschuldung setzt, zeigt, daß man auch als Politiker genau so spekulativ denken kann wie als ganz gemeiner Kapitaleigner oder -manager.
Nun ist Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht alles, was den Wirtschaftsstandort, den Staat ausmacht. Schließlich handelt es sich beim Staat um ein Gewaltmonopol, das zum Einsatz kommt, wo ökonomische Maßnahmen nicht ausreichen. Das gilt erst einmal im Lande selber. Dort existieren tatsächlich Leute, die nichts zum Erfolg der Nation beitragen. Dies erscheint einem, der als Wirtschaftsführer schon so viel geleistet hat, geradezu als eine Unverschämtheit. Und deshalb schaut er genauer hin: Er stellt fest, daß es sich zu einem großen Teil um Ausländer handelt, die sich schmarotzender- und verbrecherischerweise im Lande eingenistet haben. Als Politiker sieht er es also als vordringlich an, diesen unökonomischen Ballast wieder loszuwerden und erst recht keinen neuen Ballast dieser Sorte hereinzulassen. Aber auch die untätigen Inländer, die als Obdachlose die amerikanischen Großstädte beleben, sind einem verantwortungsvollen Politiker ein Dorn im Auge. Er läßt die Nationalgarde aufziehen, um zumindest die Innenstädte als Flanier- und Verkaufsmeilen wieder attraktiv zu machen. Vor allem in der international repräsentativen Hauptstadt Washington scheint das ja besonders vordringlich gewesen zu sein. 

So manches Ausland allerdings fällt einem Präsidenten nicht weniger unangenehm ins Auge. Da gibt es doch tatsächlich Staaten, die nicht nach der Pfeife des USA tanzen. Deren Staatsführer widersetzen sich allen Vorschlägen, zugunsten der von den USA protegierten, somit einzig demokratischen Opposition abzutreten. Dabei meinen es die USA ja nur gut: Welch supertolle Wirtschaftsbeziehungen stellen die USA auch solchen Staaten in Aussicht. Die USA wissen doch sehr gut, daß es doch auch anders geht: Gerade in Europa bemühen sich doch fast alle, — um es einmal salopp auszudrücken — einen Wohlfühlplatz im Arsch der USA zu finden, der einzige wirkliche Platz an der Sonne. Es ist also sehr frustrierend, wenn ein verantwortungsvoller Staatsmann zum letzten Mittel greifen, sein Militär auffahren lassen muß. Allerdings ist es noch frustrierender, wenn selbst Luftschläge nicht auf Verständnis stoßen, sondern in jenen Staaten eine Verhärtung ihrer Haltung hervorrufen. Nun hat der Präsident schon in seiner ersten Amtszeit ein erstes Exempel mit einem massiven Luftschlag gegen Syrien (am 07.04.'17 mit 59 Tomahawk Cruise Missiles) gezeigt. Auch wenn der Erfolg nicht unmittelbar eintrat, so konnte der US-Präsident in seiner zweiten Amtszeit den Erfolg begrüßen, in Person von al-Julani, den vormals als Terrorist gesuchten Führer von al-Qaida-Ableger Hayat Tahrir al-Sham (HTS), nun Präsident Syriens, welchem Trump die Ehre erwies, ihn im Weißen Haus zu empfangen. 
Dieses Erfolgsrezept sieht sich der Präsident gezwungen, auch in seiner zweiten Amtszeit anzuwenden: Die Luftschläge gegen den Jemen und den Iran haben demonstriert, zu welchen Schäden der dort ansässigen Bevölkerung eine falsche Herrschaft gereicht. [Bei einer Ehrung beteiligter Militärs (am 29.22.'25) rühmte sich Trump, obschon der Schlag gegen den Iran seit 22 Jahren vorbereitet worden war, habe er ihn endlich ausführen lassen.] Noch freilich haben es weder die Huthis noch die Perser verstanden. So stellt sich die Frage, ob die USA da noch nachlegen müssen. Im Irak hat ja seinerzeit der Sohn George W. Bush das nachgeholt, was sein Vater George H.W. Bush als Präsident noch offen gelassen hat: Nämlich den Wechsel an der Staatsführung und damit in der Staatsräson des Irak zu erreichen. Die damalige Begründung des Krieges, es handele sich um einen Staat mit Massenvernichtungswaffen, die einem so unzuverlässigen nicht zustehen, flog erst dann in vollem medialen Umfang als Lüge auf, als der Erfolg schon sichergestellt war.
Einen Wechsel in der Staatsführung zugunsten der USA fordern diese seit langem auch in Venezuela. Die Sanktionen gegen diesen Staat — Trump hatte 2017 die staatliche Erdölgesellschaft Petróleos de Venezuela S.A. sanktioniert — haben noch nicht zu einem Erfolg geführt, was doppelt ärgerlich ist, weil Venezuela den USA das — so sehen sie es — hauptsächlich ihnen zustehende Erdöl verweigern und damit auch für die als für zu hoch empfundenen Energiekosten verantwortlich sind. Auch wenn die Regierung in Caracas über Handelsfragen nach eigenem Bekunden mit sich reden läßt, soll sich der Erfolg endlich viel grundsätzlicher und gründlicher einstellen. Doch wer glaubt, die USA befänden sich darüber in einer Verlegenheit, täuscht sich. Was liegt näher, als einem südamerikanischen Staat vorzuwerfen, die USA mit Drogen destabilisieren zu wollen? Und so ließ Trump seine Armada vor Venezuela aufkreuzen. Und sie hat sogleich einige mutmaßliche Drogenboote versenkt, so daß der Präsident einen Rückgang des Drogenimports über die Karibik von 85% konstatieren konnte (am 28.11.'25) — wahrscheinlich hat er einfach die Zahl der dabei Getöteten, die sich auf ungefähr 85 belief, dafür hergenommen. Damit ist er freilich nicht zufrieden. Ein ökonomisch Denkender macht ja nichts unter 100%, bevor er seine Mission als erfüllt ansieht. Das bedeutet, daß die Armada noch ein ganzes Weilchen vor Venezuela bleiben muß. Solange jedenfalls, bis die CIA, die den Befehl erhalten hat, im Feindeslande selbst nach Zielen zu suchen, Bescheid geben kann, was wiederum heißt, daß dann ein Befehl zum Einsatz der Streitkräfte erfolgen kann. Es sei denn, Präsident Maduro überlegt sich das noch einmal anders und tritt ab. Er hat also noch eine Galgenfrist (Stand: 30.11.'25). Allerdings ist die auch noch durch einen anderen unglücklichen Umstand bedingt. Kaum jemand — weder in den USA noch sonstwo auf der Welt — nimmt der US-Regierung die Lüge ab, es handle sich bei Venezuela um einen Drogenhändlerstaat. Doch auch da setzen die USA alles auf eine Karte. Und die hieß in diesem Falle »Friedensnobelpreis«. Mit dieser carte blanche wurde bekanntlich eine venezuelanische US-Vasallin beglückt. Da konnten die staatshörigen Medien des freien Westens kaum umhin, dies zu begrüßen. Der US-Aufmarsch gilt nun als legitime Bekräftigung einer Kriegsnobelpreisträgerin (angepaßte Bezeichnung à la »Kriegsministerium«). Wie Venezuela so haben die USA mit Nigeria ein weiteres wichtiges Ölförderland ins Visier genommen und zwar unter der verlogenen Anschuldigung, die dortige Regierung würde die christliche Bevölkerung gegen terroristische Übergriffe der islamischen Fundamentalistenmiliz Boko Haram nicht zu schützen wissen.
Im übrigen weist auch der Ukraine-Krieg darauf hin, daß die USA alle Gewalt unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachten: Der Vorwurf, dieser Krieg sei allein der Vorgängerregierung unter Biden geschuldet, heißt ja im Klartext: Alle Mittel für diesen Krieg seien umsonst aufgewandt worden, da sich der Erfolg nicht eingestellt hat. So etwas kann selbstverständlich einem Trump nicht passieren! Das ist ihm Grund genug, sich dieses Krieges entledigen zu wollen. Den hatte er in seiner ersten Amtsperiode mit einer drastischen Aufrüstung des antirussischen Vasallenstaates eingeleitet.

Kleiner Zusatz:
Eine Meinung, die man immer wieder hört, ist, Trump sei ein Faschist. Auch der sich selbst als »demokratischer Sozialist« bezeichnende, frisch gewählte Bürgermeister von New York, Zohran Mamdani nannte ihn so. An dieser Stelle sei ein Vergleich erlaubt: Wie gesagt, Trump kommt aus der Wirtschaft, ein gemachter Mann mit viel Geld. Hitler hingegen entstammte dem Subproletariat; aus purer Not verpflichtete er sich bei der Wehrmacht und entwickelte ein positives, völlig unökonomisches Verhältnis zur staatlichen Gewalt. Deshalb setzte er sich, als er Kanzler geworden war, auch vorsätzlich über alle ökonomischen Belange hinweg und schlug ganz unmittelbar den Weg der Gewalt ein. Im weiteren Verlauf seiner Politik verfolgte er diesen umso intensiver, je weniger der ökonomisch rationell war. Viel eher als Trump haben sich in dieser Hinsicht Bundeskanzler Merz, der bekanntlich ja auch aus der Wirtschaft kommt, und sein Vorgänger Scholz auf diesen Pfad begeben. [Das soll jetzt nicht heißen, ein Reicher könne kein Faschist werden und ein Elender wäre prädestiniert, Faschist zu werden.]

 

30.11.2025 © Kommunikation & Kaffee Augsburg
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