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Was gilt heute als »links«?

 

Der Professor (Wirtschaft) Richard D. Wolff (USA) hat in einem auf youtube zu sehenden Beitrag für breakthroughnews einmal mehr den ökonomischen Niedergang¹ der G7-Mächte angesprochen. Dabei kam er auch auf die jüngsten Bundestagswahlen in dem von der Rezession schwer getroffenen Germany zu sprechen, welches jene gerade aufgrund ihrer kurzsichtigen Außenpolitik zu beklagen habe. Die Rezession im ökonomischen Zugpferd Europas, so Wolff weiter, habe zu einem signifikantem Anstieg der Stimmen sowohl für den rechten wie für den linken politischen Rand geführt. So bedauerlich der Anstieg rechts auch sei, so stimme ihn der Anstieg links durchaus hoffnungsvoll. Es gebe in Germany zwei linke Parteien, die zusammen etwa 14% der Wählerstimmen gewinnen konnten.
Nun kann man sich als ausländischer Beobachter sicherlich leicht täuschen, wenn selbst in der BRD die Sache von den Mainstreammedien ziemlich genau so gesehen wird. Da Wolff jedoch einer ist, der sich — selbst ein Linker — immer bemüht, Analysen abzugeben, die auf dem Boden der Realität stehen, soll er nicht unwidersprochen bleiben.

Was die Bewegung Sahra Wagenknecht (BSW) betrifft, hätte man schon gerne gewußt, was an dieser neuen Partei irgendwie links sei soll. Außer der Vergangenheit der Parteichefin wird man da wohl im Trüben fischen. Gerade das Prinzip der Argumentation dieser Partei besteht ja in einem nationalen WIR, mit dem so gut wie jede politische Aussage beginnt. Wenn die Bewegungspartei sagt, sie mache sich Sorgen um die deutsche Wirtschaft und insbesondere um die Industrie, dann sagt sie »WIR machen uns Sorgen um die Deutsche Wirtschaft …« Die Arbeiterklasse wird selbstverständlich als die abhängige Variable unterstellt, die sie gefälligst auch zu bleiben hat. Man höre sich die Stellungnahmen (ebenfalls auf breakthroughnews) von Parteifunktionärin Sevim Dağdelen einmal an. Wir, wir, wir in einem fort! Gemeint: wir Deutsche = identisch mit dem Wir unserer Partei. Da braucht man kaum noch zu erwähnen, geschweige denn sich zu wundern, daß jene links verortete Partei in die AfD-Hetze gegen Migranten einstimmt. Nationalismus ist ohne Rassismus eben nicht zu haben!

So frappant falsch also Wolffs Auffassung der BSW ist, so wenig hoffnungsvoll ist der Sache nach seine Interpretation der Partei Die Linke. Sie ist ja nicht mehr als die vehemente Vertretung eines Wohlfahrtsstaats, eines Sozialstaats, den sie seitens amtierender Regierungen stets stark vernachlässig sah und sieht. Sie hofft mit ihren sozialen Anklagen und Anträgen selbst in der Opposition Wirkung zu erzielen. So jedenfalls sieht ihr Aushängepolitiker Gregor Gysi die Sache: Die Linkspartei habe schon einen Mindestlohn gefordert, als der noch gar nicht auf der Tagesordnung der Regierung stand. Und nun fordere sie einen Mietdeckel solange, bis der beschlossen wird. Kurzum, sie sorgt sich um das existenzielle Reproduktionsminimum der Arbeiterklasse. Und das ganz ohne sich zu fragen, warum das immerzu und immer drängender notwendig ist. Daß man mit solch grundlegender Ignoranz Wählerstimmen einfangen kann und dabei noch nicht einmal als Kritiker des Nationalismus in Erscheinung treten muß, mag zugegebenermaßen schon eine politische Kunst sein, vor allem darin, das als irgendwie links zu verkaufen.
Hier stellt sich die Frage, wie das einen (Wahl-)Erfolg ermöglicht. Wie denken Wähler der Partei Die Linke? Zunächst denken sie wie alle, die sich zum Wählen entschlossen haben: Sie denken an das große Ganze, die Kluft zwischen Arm und Reich, die eben dies große Ganze bedroht, das sie freilich weder als nationale Schicksalsgemeinschaft titulieren wollen wie die Rechten noch wollen sie den nationalen Zusammenhalt beschwören, wie eine reaktionäre Partei à la SPD dies tut. Mit dieser gedanklichen Grundlage geben sie ihre unglaubliche Bescheidenheit zu erkennen, mit der sie den ganzen Zumutungen, die der Staat und seine Wirtschaft tagaus tagein ihnen aufbürden, aus- und durchzuhalten bereit sind. Ja, mit einem Mindestlohn und einem Mietdeckel ließe sich das Leben ja doch wenigstens irgendwie aushalten. Auch hier ist schön zu sehen, wie die Abhängigkeit von Staat und Wirtschaft bestätigt, also erst gar nicht versucht wird, diese zumindest gedanklich einmal anzutasten.
Ebensowenig kontert die Partei Die Linke die unverschämten, kapitalgerechten Ansprüche von Wirtschaftsmagnaten nach staatlichem Entgegenkommen vielerlei Art damit, eine gewaltige Umverteilung von Oben nach Unten zu fordern²: Denn sie weiß ganz genau, daß das nicht in den Rahmen paßt, in dem Deutschland und seine Firmen mit dem Ausland und dessen Kapital in Konkurrenz stehen. Zum Bestehen in dieser Konkurrenz und zu seinem Erfolg ist Wirtschaftswachstum nötig, zu dem eben nur Löhne passen, die so niedrig sind, daß sie sich am Existenzminimum der Klasse orientieren müssen, die lebensnotwendigerweise ihre Arbeitskraft feilbieten muß³. Und die sich selbstverständlich gefallen lassen muß, daß selbst aus ihrem zunehmend knapper bemessenem Wohnraum sich ein Geschäft machen läßt, dessen Renditen sich mit den Kapitalanlagemöglichkeiten in anderen Bereichen messen lassen können muß.

Das alles sehen also all die ein, die ihr Kreuz bei der Linkspartei gemalt haben. Doch es kommt noch etwas ganz Entscheidendes hinzu: Ohne einen Idealismus, ohne eine Verklärung der real existierenden Verhältnisse kommt das nicht aus. Im Prinzip wissen Idealisten es mit den herrschenden Verhältnissen prinzipiell ganz gut getroffen zu haben. Nur: Was macht die Politik daraus: Wo bleibt beispielsweise die Menschenwürde, die im Grundgesetz ganz vorne steht, wenn man Migranten behandelt wie es Rassisten eben tun — als Minderwertige, bestenfalls als ausbeutbare Personen und ansonsten als abschiebbaren Dreck? Flüchtlingsretterin Carola Rackete fand so den Weg in die Partei Die Linke. Doch diese Haltung hat durchaus eine schwerwiegende Konsequenz: Man entdeckt solch beklagenswerte Zustände nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland, speziell in den Staaten, die auf der offiziellen Feindschaftsliste Deutschlands stehen. Dabei stehen solche Staaten gar nicht deshalb auf solcher Liste, sondern aus ganz simplen staatsmaterialistischen Gründen — diese Staaten beschränken nämlich den Zugriff des deutschen Staats auf dessen Staatsgebiet und seine menschlichen und sonstigen Ressourcen. Und dieser Standpunkt wird vorgetragen mit einer verlogenen Heuchelei, nämlich daß jene Staaten sich nicht so demokratisch und menschenrechtlich einwandfrei aufführen würden wie die vorbildliche Bundesrepublik. Kurzum, Idealisten wie Carola Rackete halten ihren Idealismus und die Heuchelei eines imperialistischen Staates wie Deutschland nicht auseinander. Damit wäre es doch gar nicht so schwierig, wenn man sich mal überlegt, daß jedes Recht, das ein Staat mit seiner Verfassung gewährt, auf Gewalt beruht, auf seiner Gewalt; eben auch jedes Menschenrecht. Das beinhaltet selbstverständlich auch, daß der Staat und er alleine darüber wacht und es auch nach Belieben einschränken kann, so er Bedarf hat. Daß ein Staat, wenn er von anderen Staaten etwas will, ausgerechnet seine Rechte für jene zum Maßstab machen will, auch wenn jene Staaten diesen Rechten als solche gar nicht wiedersprechen und selber so gut wie ausnahmslos ebensolche in ihrer Verfassung stehen haben, ist ein Witz, den eine solch naive Politikerin wie die Bundesaußenministerin Baerbock unlängst in Beijing und zuvor schon anderswo erleben durfte⁴. An dieser Stelle sei bemerkt, daß die GRÜNEN längst allen wirklichen Idealismus, den sie einst unter Petra Kelly hatten, für ihre Politikfähigkeit an den Nagel gehängt haben. Mit einer gehörigen Portion Idealismus kann sich noch jeder Linker in die Front des deutschen Imperialismus gegen Putin, Xi Jinping und mittlerweile auch gegen Trump einreihen.
Bei der Partei Die Linke gibt es also einen Idealismus, der, verlangend nach politischer Einmischung, eben solche, billligst zu habende Vorschläge gebiert wie Mindestlohn und Mietpreisbremse; eine Art Klimaschutz, dessen Vorantreiben hauptsächlich dem arbeitenden Verbraucher anheimfällt (indem zum Beispiel das Flugbenzin für seinen alljährlichen Urlaubsflug verteuert wird), gehört dazu. Vorschläge, denen sich beim besten Willen weder Staat noch Wirtschaft zu verschließen bräuchten, so die Auffassung einer Partei, die mit ihrer parlamentarischen Existenz den Pluralismus der demokratischen Gesellschaftsordnung und damit deren Legitimität aufhübschen darf. So sehen es auch die deutschen selbsternannten »Qualitätsmedien« als begrüßenswert an, daß Die Linke wieder im Bundestag Platz nehmen darf. Wenn das einem nicht verdächtig vorkommen mag?

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¹ Soll man den Niedergang als »Linker« überhaupt beklagen? Oder als Argument nehmen? Für was denn? Für den Fehler, gegen Rußland einen Krieg provoziert zu haben? Aber wenn das gar kein Fehler eines Staates ist, sondern die folgerichtige Konsequenz aus ihren globalen, um nicht zu sagen: imperialistischen  Ansprüchen? Die allenthalben gepaart sind mit dem Rassismus einer solchen Nation, die vor keiner auch noch so gewaltigen Aufgabe zurückschreckt und dafür die eigene Wirtschaft gehörig in die Pflicht nimmt — auch sie soll schließlich ihren Beitrag leisten, einen Beitrag der sich freilich nur vorübergehend negativ in ihrer Bilanz niederschlagen soll.
² Die von ihr geforderte Reichensteuer heißt ja noch lange nicht, daß, durchgesetzt, davon auch nur ein Euro »unten« ankommt.
³ Die Linkspartei ist ja weit davon entfernt, sich in PgW (Partei gegen Wirtschaftswachstum) umzubenennen!

⁴ Offenbar fehlt so manchem deutschen Politiker in seinem nationalen Hochmut mittlerweile jedes Gespür für Diplomatie. Nicht in Einsicht dessen jedenfalls, was Diplomatie ist und wofür sie gebraucht wird. Im Falle Rußland wird Diplomatie sogar ausdrücklich abgelehnt; da setzt man bekanntlich ausschließlich auf eine andere politische Methode, den Gegenüber weichzuklopfen, auf Krieg.

© KoKa Augsburg, 11.03.2025
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