Faschismus heute
Die heutigen Faschisten – hauptsächlich versammelt in der AfD – wollen vom damaligen nicht mehr viel wissen. Vielleicht teilen sie noch die von den demokratischen Nationalisten nahegelegte Meinung, Hitler wäre mehr oder weniger ein Einzeltäter gewesen, der die braven allzu gutgläubigen Deutschen verführt hätte, aber das war es auch schon. Störend am Dritten Reich war ja vor allem die Weltkriegsniederlage, aus der die Bundesrepublik bekanntlich Jahr für Jahr großmächtiger auferstanden ist, so daß sich jeder nationale Widerspruch auf über 50 Jahre im großen und ganzen erledigt hatte.
In dieser Zeit gab es zwar immer wieder Versuche der Faschisten, den Kopf aus der demokratischen Schlinge zu ziehen — man denke an die NPD in den 60er Jahren, Nationalzeitung-Herausgeber Frey mit seiner DVU noch in den 70er Jahren und an die Republikaner in den späten 80er Jahren —, doch jeder sozusagen »intelligente« Nazi wußte sich mit seinem Nationalismus in den anderen Parteien (SPD, CDU/CSU, FDP) weit besser aufgehoben. Schließlich konnte er seine nationalen Gedanken dort prima einbringen (wenngleich noch strategisch gebremst) und dabei sich hilfreich betätigen, Deutschlands Weltgeltung voranzubringen. Ein vordringlicher Punkt war, Deutschlands Kriegsschuld und damit seine Kriegsniederlage zu relativieren und zu revidieren: Man teilte ja die allen Nationalisten gemeinsame Frontstellung gegen den in Moskau zentralisierten Bolschewismus, die mit dem Ende des Krieges ja keineswegs beendet war. Angesichts dessen nahm man es in Kauf, den Antiamerikanismus etwas zurückzustellen, da man, fokussiert auf den Hauptfeind im Osten, die USA ja brauchte, um mit ihm fertig zu werden.
Die Erledigung des Bolschewismus hat bekanntlich hervorragend geklappt, wenngleich der Erfolg wenig objektiv beurteilt wurde. Es war letzthin nämlich einzig eine souveräne Entscheidung des russischen Staates. Und schließlich hatten auch die Warschauer-Pakt-Staaten und unter ihnen die DDR das ihre dazu beigetragen: Hatten sie nicht ihre Bevölkerungen auf die Nation eingeschworen, zwar eine bessere, sozialistische, aber vor allem eine dem Volk dienliche erfolgreiche Herrschaft! Und nicht nur das Volk, sondern auch seine Obrigkeit hat zuletzt eingesehen, daß eine erfolgreiche Herrschaft besser ohne sozialistische Begleiterscheinungen verfährt. So sind neue beziehungsweise rundumerneuerte Staaten nach westlichem Vorbild entstanden, die DDR hat sich dem westdeutschen Modell einverleibt. Ein Modell Deutschland, das ihr vor allem von den Supernationalisten Willy Brandt und Helmut Schmidt seit geraumer Zeit schon anempfohlen worden war.
Nun, der Fortschritt, da hatte Honecker recht, läßt sich nicht aufhalten: Vor allem, wenn er auf die nationale Karte setzt! Der Bolschewismus und sein Moskauer Anker waren also über Nacht verschwunden. Nicht aber »die Russen«! Die störten und stören insofern weiterhin, solange sie Staat auf eigene Rechnung machen. Nicht, daß sie gerne dem »gemeinsamen Haus Europa« und den G7 als G8 beigewohnt hätten: Nur, das hatten sie mißverstanden: Unter Beiwohnung versteht man im Westen Untermiete und somit Unterordnung und das wollten die Russen dann doch nicht; dazu waren und sind sie sich zumal als anerkannte Atommacht ja dann doch viel zu schade.
Wie allseits bekannt hat Rußland dann begonnen, um seine Anerkennung zu kämpfen, zuletzt mit der imperialistischen Herausforderung, ihm sein Einflußgebiet Ukraine zu entreißen. Der Krieg, von langer westlicher Hand vorbereitet, verläuft aus westlicher Sicht nicht wunschgemäß. Was nützt da all das Gezetere und Kriegsgeschrei!
Und an dieser Stelle kommen die Nationalisten ins Spiel, die es schon immer gewußt zu haben glauben: Die US-Amerikaner haben uns Deutsche zu diesem Krieg verführt! Zu einem Krieg, der Deutschland nichts nützt und deshalb beendet werden soll. Diesem deutschnationalen Standpunkt zollen sogar die Russen Anerkennung, was den alternativen Deutschen aber nicht allzuviel nützt, weil ihnen damit Sympathie mit dem Erzfeind vorgehalten wird.
Was sieht man nun daran: Nationalisten sind Opportunisten des nationalen Erfolgs und seines Weges. Die einen, die demokratischen Nationalisten halten umso mehr an ihrem Rezept fest, den Erfolg auf die Art und Weise sicherzustellen, die sie eingeschlagen haben. Die anderen, die faschistischen Nationalisten sehen eine Gelegenheit, die Staatsräson zu ihren Gunsten zu revidieren, damit die zwar nicht von ihnen, nichtsdestotrotz erreichte deutsche Weltgeltung nicht gefährdet oder gar demontiert werde. Ihr Antiamerikanismus¹ erlebt eine Auferstehung, was sie sehr froh stimmt, nicht zuletzt in ihrem Rassismus gegen den »dekadenten Vielvölkerstaat USA«, während die Russen noch traditionelle »Werte« hochhielten, Werte, als deren Vorkämpfer alle Reaktionären, alle Ewiggestrigen sich gerne aufspielen. So sind sie also keineswegs prinzipiell gegen Krieg, vielmehr gegen einen Krieg, weil er nicht ihr Krieg ist. Bezeichnend dafür ist auch die Äußerung einer AfD-Funktionärin, 5% des Bruttoinlandsprodukts fürs Militär seien bei weitem nicht ausreichend.
Der Gegnerschaft zum Ukraine-Krieg ist natürlich nicht die einzige Sache, mit der die Faschisten von der AfD punkten wollen. Mehr oder weniger mittelbar mit dem Krieg hängt die ökonomische Lage der Nation zusammen. Die Ökonomie ist ein interessanter Punkt, wie sich heutige Faschisten zu ihr stellen. Die Damaligen unter Hitler kannten eine Scheidung zwischen schaffendem = national orientiertem = gutem Kapital und raffendem = international orientiertem = schlechtem Kapital, manifest in jüdischem Finanzkapital. Diese ideologische Differenz kennen sie auch heute noch, allerdings rückt sie angesichts der nationalen Herausforderungen eines Exportweltmeisters in den Hintergrund. Auch hier ist der Opportunismus des Erfolgs der Gesichtspunkt schlechthin. Und da man auch in dieser Frage viel konsequenter Nationalist sein will, als es die herrschenden Nationalisten sind, wirft man ihnen vor, viel zu wenig Anstrengungen zur Förderung des Kapitals zu unternehmen, also die Freiheit des Kapitals geradezu unnötig einzuschränken, mit staatlicher Bürokratie zu drangsalieren etc. Mit diesen radikalkapitalistischen Forderungen versuchen sie, offene Türen beim Kapital selber und bei allen national denkenden Staatsverantwortlichen einzurennen. Und es ist tatsächlich so, daß sie die herrschende Elite in ihrer rigorosen Parteinahme für das Kapital zu verstärken und zu radikalisieren gedenken. Nur: Gerade da wollen sich die demokratischen Amtsverwalter nichts vormachen lassen — ebenso wenig übrigens wie sie sich in ihrer antirussischen Politik dreinreden lassen wollen.
Der Vorwurf schlechthin, den die Faschisten tagaus tagein lancieren, ist der des Versagens: Staatsversagen mit uns Deutschen nicht! Da kann natürlich ein historischer Vergleich nur stören, weshalb die Hitlerära ihrem Vor- und Nachdenker Gauland zufolge als »Vogelschiß in der deutschen Geschichte« in die Geschichte eingehen sollte oder wie eine andere Tante aus diesem Spektrum meinte, daß Hitler ein Sozialist gewesen wäre, was ja nicht anders sein kann, denn, wie man sehe, habe der die Nation mit der Kriegsniederlage ja verraten!
Verrat der Nation! Diesen Übergang machen Faschisten immer ganz selbstverständlich da, wo sie meinen, der herrschenden Staatsräson am Zeug flicken zu können. Auch die Corona-Pandemie benützten sie dazu. Als ob die staatliche Berechnung, Volksgesundheit und kapitalistische Bewältigung gekonnt ins Verhältnis zu setzen, nicht überaus rationell gewesen war — und zwar von einem ziemlich radikalen Staatsgesichtspunkt aus. Es war gerade so, daß die AfD neidisch auf die Radikalität des Staates blickte und ihm deshalb mit allerhand Opposition von unten beizukommen wollte². Ja, die Berufung aufs Volk, auf eine immerzu schweigende Mehrheit, die reklamieren Faschisten stets für sich! Der Staat habe die Untertanen, das gute und bedauernswerte — Faschisten zeigen Empathie! — deutsche Volk, verraten, vorsätzlich und mit bösen Hintergedanken — ein gängiger Vorwurf! Hier sind sie allemal offen für die krudesten Verschwörungstheorien.
Vor allem im Ausland gibt es die Befürchtung, mit der AfD könnte in Deutschland wieder eine faschistische Partei an die Macht gelangen. Das wird der bundesdeutsche Staatsapparat zweifellos zu verhindern wissen — er hat ja seine Sicherheitsventile, die vielfältigen demokratischen Institutionen. Doch das, eine Machtergreifung ist gar nicht der Punkt. Ganz abgesehen davon, daß in Italien mit der regierenden Meloni-Partei Fratelli d’Italia ein Beispiel außenpolitischen Opportunismus vorliegt, insbesondere im — in Übereinstimmung mit der EU — vorgetragenen Antirassismus und Antirussismus. Nein, der Punkt ist vielmehr der, daß der oppositionelle Einfluß der Faschisten auf die Regierungstätigkeit — ebenso vehement wie wohldosiert unterstützt übrigens von den hetzenden, Haß schürenden Springer-Medien — als solcher ja nicht zu leugnen ist. In den Maßnahmen gegen Migranten stimmen Regierung und AfD-Opposition ja prinzipiell überein. Ebenso in Sachen Aufrüstung. Ebenso in Förderung des Kapitals bei gleichzeitigen Zwangsmaßnahmen gegen das auszubeutende Menschenmaterial. Und nicht zuletzt in der »Werte«-Propaganda, in einer »deutschen Leitkultur«!
¹ Mit Antiimperialismus ist der schon deshalb nicht zu verwechseln, weil er vom Standpunkt eines konkurrierenden Imperialismus aus erfolgt.
² Und man muß sagen, leider sind ihnen da auch einige Naturwissenschaftler mit ihren in der mikrobiologischen Sache durchwegs richtigen Erkenntnissen auf den Leim gegangen.
19.05.2025
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