Die europäische Konkurrenz im
Buhlen um die Gunst der USA
Die USA setzen die Vorgaben und die europäischen Mächte fahren darauf ab. Freiwillig, doch mit jeweils eigenen Berechnungen. Diese sind ihren eigenen staatlichen Ansprüchen geschuldet und fallen daher nicht gerade unbescheiden aus. Eine Geschlossenheit der EU-Staaten erweist sich dabei dabei als wenig hilfreich. Jede Demonstration eben solcher Geschlossenheit läßt die Heuchelei unschwer erkennen.
Am trefflichsten wird das ersichtlich im Falle des von der BRD angetriebenen Projekts der Eingemeindung der Ukraine ins EU-Europa. Der damit verbundene Affront gegen Rußland, zu dessen historisch-kulturellen Einflußgebeit jener Staat unzweifelhaft zählt, war ein Unternehmen, sich bei den USA, auf deren Unterstützung Deutschland ja vor allem in Sachen Gewalt angewiesen ist, beliebt zu machen.
Das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine war 2014 unter Dach und Fach. Der dafür nötige Putsch in Kiew entfachte einen Bürgerkrieg in der früheren Sowjetrepublik ganz im Osten, im Donezk-Gebiet. Und als alle Schlichtungsbemühungen (Minsk I, Minsk II sowie die Istanbul-Verhandlungen, westicherseits sah man sie als Test auf die Nachgiebigkeit Moskaus) letztlich zerschlagen waren — der Westen hatte sie nie ernsthaft betrieben —, kam es zu dem, was Rußland — um die Bereitschaft zur Deeskalation weiterhin zu zeigen (die freilich im Westen ganz dogmatisch nicht gewürdigt wird) — die »Spezielle Militärische Operation (SMO)« nennt.
Damit war klar, daß die BRD auf die militärische Unterstützung der USA für eben diesen Stellvertreterkrieg angewiesen war, den sie eben dann zusammen mit den USA sowie den übrigen NATO-Staaten von ihrer »Kiewer Demokratie« führen ließen. Das freilich machten die USA nicht so ohne weiteres mit: Schließlich obliegt ihnen in diesem Falle die Federführung. So waren sie es sich schuldig, den Hauptanstifter Deutschland einem Test diesbezüglich zu unterziehen, wie ernst er es denn meine mit dem Krieg gegen Rußland.
Der Test — und da zeigte sich einmal mehr, daß die USA nie zimperlich in ihrem Vorgehen sind — bestand in der Sprengung der Nord Stream Pipelines (2022), zielte also auf fundamentale Abhängigkeit der BRD vom russischen Erdgas. Der deutsche Staat hat den Test in Person seines Bundeskanzlers Scholz glänzend bestanden. Der eilte nämlich schnurstracks nach Washington und demonstrierte herzlichstes Einvernehmen mit dem amtierenden Präsidenten Biden, als wäre nichts gewesen. Mit Fug und Recht kann man in diesem Falle von einer Win-Win-Begegnung sprechen. Im übrigen hegt Präsidentschaftsanwärter Trump nach wie vor Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bündnispartner, wenn er auf ihren — seiner Meinung nach— zu geringen Beitrag zur Kriegsfinanzierung verweist.
Im EU-Rahmen war die BRD nun erst recht obenauf. Sie bestimmte die offensive Stoßrichtung. Das stieß insbesondere in Frankreich auf einigen Widerwillen. Auf der einen Seite konnte und wollte man dort ja nicht aus dem EU-Erweiterungsprojekt auf Kosten Rußlands aussteigen. Auf der anderen Seite war damit das Selbstbewußtsein der Grande Nation angekratzt. Schließlich hat sich der französische Staat seit dem Zweiten Weltkrieg viel auf seine privilegierten Beziehungen zu den USA zugutegehalten, waren es doch hauptsächlich US-Truppen, die die Boches aus Frankreich wieder vertrieben. Gerade so gesehen waren und sind die USA für Frankreich ein Rückenschild gegen Deutschland, dem man bei aller geheuchelten Freundschaft mißtraut. Und wie sich am aktuellen Fall zeigt zurecht: Sollten Deutschlands Beziehungen zu den USA tatsächlich besser sein als die Frankreichs? Klar, daß dann nach Scholz auch Präsident Macron in Washington aufkreuzen mußte. Selbstredend wurde einmal mehr die Einigkeit des Westens beschworen, wofür die jeweiligen Interessensgegensätze ja den Grund abgeben.
Diese Gegensätze sind mit den Einigkeitsbeschwörungen natürlich nicht aus der Welt. Frankreich hat nach dem siegreichen Ersten Weltkrieg maßgebend die Staatenkarte Europas gestaltet. Nun hat die Verlierermacht beider Weltkriege sie umgestaltet, zunächst durch die Zerschlagung Jugoslawiens, wobei Frankreich nicht über eine Zuschauerrolle hinauskam. Und nun die Sache mit der Ukraine, einer Sache, welche die beanspruchte besondere Stellung in Washington zu untergraben droht. Das zu verhindern, ist sich die französische Nation selbstredend schuldig. Da das Aussteigen aus dem Ukraine-Projekt schon allein damit ausgeschlossen ist, versucht man in Paris eigene Akzente in dem Krieg zu setzen. Militärische Akzente mit besonders beeindruckenden Waffenlieferungen, mit Militärberatern vor Ort, womöglich sogar eigenen Hilfstruppen.
Sollte der nächste US-Präsident, der ja aller Wahrscheinlichkeit Trump heißt, den Ukraine-Konflikt tatsächlich beenden, dann käme das Frankreich gar nicht so ungelegen. So sieht man es realistischerweise jedenfalls in Beijing — Chinas Präsident Xi Jinping war nicht zufällig kürzlich in Paris, neben Serbien und Ungarn — Ungarns Präsident Orban bemüht sich im Gegensatz zu den übrigen EU-Staaten um eine Beendigung des Krieges — der einzigen Station auf seiner Europareise. Allerdings liegt es, wie gesagt, nicht in Macrons Händen, den Vorreiter einer Konfliktlösung zu machen, da er ja einen offenen Riß mit den USA vermeiden möchte. Außerdem will er den Streit um die Vormacht in der EU nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, was ja einer Schädigung französischer Weltmachtinteressen gleichkäme.
Auch Italien, die dritte Macht in der EU will sich in der Ukraine-Affäre nicht lumpen lassen und bleibt bei Stange. Und das, obwohl Gerüchte der Ministerpräsidentin Meloni, die aus dem faschistischen Lager kommt, gute Beziehungen zu Moskau nachgesagt haben. Wie dem auch sei, jedenfalls will Italien seine außenpolitische Stellung nicht durch einen Affront gegen die USA, Deutschland und Frankreich schwächen. Davon zeugen zum einen die weiter durchgeführten Waffenlieferungen an die Kiewer von Faschisten maßgeblich gelenkte Regierung, vor allem aber auch der Rückzug aus der von der Vorgängerregierung beschlossenen Teilnahme an der Belt & Road Initiative Chinas. Letzteres ist insofern bemerkenswert, als die USA einen ausgesprochen antichinesischen Kurs eingeschlagen haben. (Auch Faschisten verstehen sich auf staatspolitischen Opportunismus!)
So tief die Gräben der ambitionierten NATO-Mächte sind, so lächerlich ist die Rolle ihrer Vasallenregimes. Diese könnten höchstens zur Kenntnis nehmen, wer die Kosten imperialistischer Bestrebungen zu tragen hat. Ein Aussteigen aus ihrer Rolle ist nichtsdestotrotz nicht erlaubt: Daher ist der ukrainische Präsident permanent auf Bittstellertour. Er spielt diese Rolle großartig.
18.07.24
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