Journalistische Feindbildpflege exekutiert am Ernstfall Naher Osten:
Vom entschiedenen Kampf gegen einen Verbündeten Rußlands zum Kampf gegen ISIL
Man fragt sich ja wirklich, wem ausgerechnet die taz das Wort erteilt: Leuten, die offenkundig viel besser wissen, was die Interessen des »freien Westens« sind als dieser selber! Zu diesen Leuten, die die taz nicht als imperialistisch ver- und mit einem jener unsäglichen republikanischen US-Präsidenten namens Bush in einen Topf werfen möchte, zählt — neben ihren geliebten Schwaflern, dem grünen Ex-Außenminister und seinem halbfranzösischen Compagnon — die im deutsch-nationalen Journalismus geschulte und für einschlägig bekannte staatliche Rundfunkanstalten wie der ARD tätige Kristin Helberg. Eben jene äußerte in einem am 01.12.2012 veröffentlichten Kommentar folgendes, furchtbar Sachkundiges (dafür muß man schon mal sieben Jahre in Damaskus gelebt haben — seltsamerweise ganz offenbar ohne vom berüchtigt bösen Assad behelligt worden zu sein):
Zunächst ruft sie nach Führung, was fällt denn einer Deutschen sonst ein? Um dann überrascht festzustellen:
"Doch das allein reicht nicht. Denn die Aktivisten…, die die Einheit und Vielfalt des syrischen Volkes beschwören, sich für Versöhnung stark machen und die eigene Moral hochhalten, sind nur die eine Seite des syrischen Widerstands. Daneben sind Extremistengruppen auf dem Vormarsch, die islamisch auftreten und in ihren Videos nicht einmal mehr die Unabhängigkeitsfahne — das Symbol der syrischen Revolution — verwenden.
Ihre radikalislamischen Positionen machen den meisten Syrern Angst. Aber [Hervorhebung KoKa] auf ihre militärischen Fähigkeiten, ihre Ausrüstung und Erfahrung kann die Freie Syrische Armee im Kampf gegen das Assad-Regime nicht verzichten."
Dann malt sie des langen und breiten aus, was die imperialistischen Staaten tun müßten, um ihren Vasallen im Kampf gegen Assad und gegenüber den islamischen Rebellen die besseren Karten zu geben. Denn das wäre schließlich die Voraussetzung dafür, daß sich Rußland von Assad abwenden könne. Sicher, darum geht es, Rußland Syrien als einen Verbündeten zu entziehen: Rußlands strategische Belange als gleichwertige anzuerkennen, kommt nicht in die Tüte. Sie kommt zu folgendem Qualitätsschluß:
"Heraushalten ist in Syrien keine Option mehr. Statt weiter die Radikalisierung und Militarisierung des friedlichen Volksaufstands zu beklagen, gilt es jetzt endlich zu handeln. Mit der Nationalen Koalition ist eine übergangstaugliche Alternative zum Assad-Regime entstanden. Sie verdient schnelle und unbürokratische Unterstützung. Damit am Ende die Syrer über ihre Zukunft entscheiden und nicht al Qaida."
Man sieht schon, wie ernst sie sich Sorgen macht um eine gleichgeschaltete Weltordnung. Blöd bloß, daß sich dafür weder der oberste Russe Putin noch Assad noch sonstwer begeistern läßt. Von den Bevölkerungen der vom Krieg heimgesuchten Gegenden ganz zu schweigen. Die meisten wissen nur zu gut, daß der »freie Westen« außer zerbombten Landstrichen und – für sie höchstpersönlich – einen Job als Kanonenfutter nichts zu bieten hat.
Länder in die Steinzeit zurückbomben, diese Freiheit nimmt sich der »freie Westen« jedesmal dann heraus, wenn er irgendwo erheblichen Mangel an Folgsamkeit, ja Widersetzlichkeit feststellt und alle doch so überaus gut gemeinten friedlich-ökonomischen Erpressungsmittel partout nicht verfangen wollen. Daß er sich damit noch viel radikalere Opponenten einhandeln könnte, wollte und will sich der »freie Westen« in seiner allmächtigen Geistesfreiheit nicht vorstellen: Welche Attentate hat man nicht alles dem Syrien unter Assad in die Schuhe geschoben! Und das, obwohl man hätte wissen können, daß Terrorgruppen in Syrien und insbesondere im Libanon ihre ureigensten Ziele schon vor Jahren verfolgt haben. Nicht zuletzt war das Syrien opportuner Grund genug, seine Truppen aus dem Nachbarland abzuziehen: Mit Terroristen wollte Assad nicht verwechselt werden! So recht das dem Westen war, so sehr hatte er sich damals über soviel Freiwilligkeit verwundert die Augen gerieben. Der Befangenheit des »freien Westens« in seiner Ideologie tat selbst das keinen Abbruch. Sie war und ist weiterhin eine hervorragende Bedingung für die Entwicklung der radikalen Islamisten, letzthin des ISIL.
Nein, jetzt auf einmal räumt selbst der mit Milliarden finanzierte US-Geheimdienst CIA »Versäumnisse« ein, fußend auf »Fehleinschätzungen« der Lage. Nun ja, eben auch für solche, erwünschten Fehleinschätzungen fließt bekanntlich Geld, sie werden ja nicht als solche, als falsche Einschätzungen bestellt. Schließlich regiert allein das bornierte staatliche Interesse an einer im US-Sinne gleichgeschalteten Welt und nichts anderes. Auf dieses Interesse hin wird jede Betrachtung zurechtgezimmert.
Doch um eine Korrektur der Ausrichtung kommen nun weder Politik noch Qualitätsjournalismus herum, wenn sich neue Fronten auftun, die sich bei ihren Zielen einen feuchten Scheißdreck um die Vorstellungen in Washington, London, Paris und Berlin scheren. Da können die Herren dort dann gar nicht laut genug »Terrorismus« schreien! Ganz im Gegensatz zu ihrem eigenen, hochüberlegenem, dn mit den allerneuesten Kampfflugzeugen! In dessen Schatten übrigens ließ der US-Imperialismus seinen nahöstlichen Kettenhund Israel einmal mehr von der Leine, den Gaza-Streifen niederwalzen. Dazu darf man dann um Himmels willen nicht Terrorismus sagen, obschon das den Tatbestand eines Genozids nicht nur erfüllt, sondern auch als solcher gedacht ist. Kurz & gut, die Definitionshoheit, was Gewalt und ihre Anwendung anbelangt, liegt bei denen, die aufgrund ihrer überlegenen Gewaltmittel das Sagen haben.
Wie also windet sich die genannte Sachverständige Kristin Helberg aufgrund der durch ISIL veränderten Lage? Auch dafür bekommt sie in der taz viel Platz eingeräumt (23.10.2014):
"Die USA und ihre Verbündeten verlieren dieser Tage in Syrien eine entscheidende Schlacht. Nicht die um Kobani, nein. Sie verlieren die Unterstützung der Syrer. Denn statt ihnen beizustehen und an ihrer Seite zu kämpfen, werfen die USA Bomben ab, wo es ihnen paßt, und verschließen vor dem Leid die Augen. Statt sich mit Kämpfern und Aktivisten vor Ort zu koordinieren, um militärische Ziele und Stellungen des IS zu identifizieren, zerstören die USA die Infrastruktur. Und statt gemäßigte Rebellen (Freie Syrische Armee und Kurden) mit modernen Waffen auszustatten, um gleichzeitig aus der Luft und am Boden gegen den IS vorzugehen, informiert man diese nicht einmal über Angriffsziele.
Dieser eindimensionale Kampf gegen den IS in Syrien ist nicht nur wirkungslos, sondern kontraproduktiv. Immer mehr Menschen haben den Eindruck, die Luftangriffe seien in Wirklichkeit ein Krieg gegen den sunnitischen Islam, der Assad verschont und womöglich heimlich mit ihm abgesprochen ist. Volltreffer für die Terroristen.
Warum viele Syrer das so sehen? Ganz einfach. Europäer und Amerikaner tragen mit Blick auf Syrien eine Augenklappe – auf manches reagieren wir mit Abscheu und Gepolter, auf anderes mit Gleichgültigkeit und Schweigen – und das in dreifacher Hinsicht."
Wohl die gleiche Augenklappe, die sie selber vor zwei Jahren getragen hat, als sie schrieb: "Heraushalten ist in Syrien keine Option mehr." Jetzt sieht das Sich-Nicht-Heraushalten eben so aus, wie es aussieht und das ist ihr auch wieder nicht recht, weil es nicht die Erfolge zeigt, die es zeigen sollte. Und was ihrer Meinung, vorgetragen im deutschnationalen »Wir«, nach das Schlimmste ist, ist, daß im nun präferierten Kampf gegen den IS der Kampf gegen Assad ganz aus dem Blick zu geraten scheint:
"Erstens unterscheiden wir zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Gewalt. Die staatliche, also die des Regimes, beachten wir kaum noch, obwohl ihr die meisten Zivilisten zum Opfer fallen – 1707 im September, ein Drittel davon Frauen und Kinder. Im Durchschnitt sterben jeden Tag zehn Kinder durch die Bomben Assads. »Abstoßend« und »menschenverachtend« finden wir jedoch nur das, was der IS macht. Dabei sind die staatlichen Verbrechen durch Menschenrechtsgruppen im Land, internationale NGOs und die UN glaubwürdig dokumentiert: Chlorgas in Jobar, Aushungern und Bombardierung von Al-Waer in Homs, Faßbomben auf Aleppo, Raketen auf Ost-Ghouta bei Damaskus sowie Saraqeb in Idlib, um nur eine aktuelle Auswahl zu nennen. Wer will, kann fast täglich zuschauen, wie staubbedeckte Kleinkinder aus Schuttbergen gezogen werden, mal tot, mal lebendig. Aber wir wollen nicht hinsehen."
Wirklich schlimm, wenn der Westen so seine Propaganda vernachläßigt! Schließlich läßt sich doch gerade in den Wirren des Krieges dem Herrn Assad alles Mögliche andichten. Wofür hat man denn seine ideologischen Trittbrettfahrer, die NGOs, zumindest noch dort, wo keine Bomben fallen. »Eingebettete«, als Journalisten getarnte Geheimdienstmitarbeiter gibt es darüber hinaus selbst in umkämpften Gebieten. Und das Geschrei muß dann natürlich besonders groß sein, wenn ein solcher in die Hände des Feindes fällt und als solcher enttarnt wird. Doch da will selbst Frau Helberg nicht genauer hinschauen.
"Zweitens engagieren wir uns vorrangig für IS-Opfer, die religiösen Minderheiten angehören. Als die Dschihadisten (damals noch Isis) im Sommer 2013 die syrische Provinzhauptstadt Raqqa einnahmen und ihr Terrorregime etablierten, interessierte das niemanden – schließlich leben dort überwiegend Sunniten. Öffentliche Hinrichtungen und die Steinigung zweier Frauen waren kaum eine Nachricht wert. Erst als im Nordirak die Christen aus Mossul vertrieben wurden und die Jesiden in den Bergen saßen, entdeckte der Westen den IS. Den religiösen Minderheiten im Irak eilten die USA schnell zur Hilfe, der sunnitischen Mehrheit in Syrien nicht. Während die Welt auf das Sinjar-Gebirge starrte, massakrierte der IS in der syrischen Provinz Deir al-Sor 700 Mitglieder des Sheitat-Stammes, darunter viele Frauen und Kinder. Wieder nahm bei uns keiner Notiz davon."
Wie bei allen Nationalitäten und Religionen wissen »wir« doch zwischen Guten und Bösen unterscheiden. Dieser Gesichtspunkt gerät, so beklagt sie völlig aus dem Dunstkreis: Denn nur wer dem altrömische Herrschaftsprinzip des Divide & Impera! [Teile & Herrsche!] folge, könne schließlich siegreich sein!
Man möchte die gute Frau gerade hier noch einmal an ihre Agitation von vor zwei Jahren erinnern: Da kamen ihr die radikalen Islamisten im Kampf gegen Assad gerade recht, sie erschienen ihnen nützlich und sie plädiert lauthals für deren Indienstnahme!
"Drittens befördern wir jetzt auch noch die Spaltung zwischen Arabern und Kurden. Seit der Belagerung von Kobani reden alle über die Kurden. Das ist gut so, denn diese fühlen sich zu Recht mißachtet und verraten von der Welt. Ob 1920, als die Europäer ihnen einen eigenen Staat versprachen und nichts daraus wurde, 1962, als Damaskus Zehntausenden syrischen Kurden die Staatsangehörigkeit entzog, oder 2004, als die Kurden gegen das Assad-Regime aufstanden und sich niemand mit ihnen solidarisierte.
Das Mißtrauen zwischen Arabern und Kurden wächst seit Jahren, jetzt schlägt es um in offenen Haß – eine Tragödie für Syrien. Im Internet fragen syrische Araber, warum alle auf den Kampf der PYD (Partei der Demokratischen Union) in Kobani schauen und nicht auf den Widerstand anderer Rebellengruppen gegen den IS bei Aleppo, in Deir al-Sor und Raqqa. Seinen Kämpfern sei bislang niemand zur Hilfe gekommen, sagt ein Oberst der Freien Syrischen Armee (FSA), dabei bekämpfe die FSA den IS doch »stellvertretend für die ganze Welt«.
Aus syrischer Sicht ist das Vorgehen der USA nicht nachvollziehbar. Offiziell bezeichnet Washington FSA-Einheiten als Verbündete im Kampf gegen den IS, doch sie werden nicht als solche behandelt. Assad wird über Luftschläge informiert, die FSA nicht. Immer mehr Oppositionelle sehen sich gezwungen, die US-Angriffe zu kritisieren, um nicht den Rückhalt ihrer Landsleute zu verlieren."
Die USA machen halt alles falsch, was sie nur falsch machen können! Da spricht mal wieder eine gute Deutsche, die alles viel besser weiß. Natürlich stellt sie sich nicht die Frage, was die USA mit den versprengten Resten der »FSA« anfangen sollte? Ist nicht längst im Gerede, ganz neue Kampfeinheiten aufzustellen und auszubilden? Haben die USA da nicht mehr Realitätssinn, wenn sie die Kurden mittlerweile als einzige nennenswerte militärische Kraft in Syrien betrachten, die sich einspannen läßt (wofür man sie natürlich auf Distanz zur PKK halten muß)? Und wen bitteschön sollten die USA informieren? Wohin sollten sie ihre Mails senden? An die FSA-Propagandisten, die im Ausland hocken?
Man sieht also der Sachverstand des »Qualitätsjournalismus« liegt einzig und allein in seiner unverdrossenen, ideologisch-bornierten Feindbildpflege begraben. Man kann glatt daraus schließen, daß er auf Teufel-komm-raus der Politk die Verhinderung einer Konfliktlösung empfiehlt. Angesichts solch wahnhafter Agitation erscheinen dann selbst die Bombardements – durch den Oberbefehlshaber der freien Welt, dem US-Präsidenten und Friedensnobelpreisträger Obama, veranlaßt – geradezu witzlos, wie Schneeflöckchen in der Wüste.
Und so muß – so endet ihre Agitation, deren Wortlaut dem Leser hier erspart sei – Frau Helberg als Qualitätsjournalistin eines ganz fest fordern: Noch mehr Krieg! Noch durchdachteren Krieg! Deutsche Waffen liefern, sowieso klar.
Einzig deutsche Kampftruppen sind einer weiteren Deeskalationsstufe und einem dann endgültig eingeleitetem Friedensprozeß vorbehalten. Deeskalation und Frieden, wie »wir« das meinen, versteht sich.
(04.11.2014)