Emile Zola
Zola, 1868, Gemälde v. Edouard Manet
Zola, geboren 1840 in Paris und 1902 ebendort gestorben, ist hierzulande weitgehend nur dem Namen nach bekannt. Seine Werke gehören nicht zum an den Schulen gelesenen Standard. Das hat sicherlich seinen ebenso guten wie schlechten Grund. Sein Werk ist nämlich ziemlich materialistisch. Seine Beschreibungen der gesellschaftlichen Zustände lassen an Plastizität nichts zu wünschen übrig. Gerade sein wichtigstes Werk, die zwanzigbändige Romanreihe Les Rougon-Macquart, eine Familiengeschichte – jeder Roman ist einzeln verschlingbar, die vorlaufenden familiären Zusammenhänge sind nicht wichtig -, hält der kapitalistischen Gesellschaft den Spiegel vor Augen, reißt ihren schönen Schein in den Abgrund.
Zola war sogleich in Frankreich damals ein Renner. So konnte es nicht unterbleiben, daß schon bald seine Werke ins Deutsche übertragen wurden. Bloß wie!! So wurden als gesellschaftskritisch empfundene Stellen gestrichen, offene Erotik bis hin zum tabulos geschildertem Geschlechtsverkehr zumindest geglättet. Man wollte das deutsche Publikum nicht den Glauben an Ordnung & Moral verlieren lassen. Und so erschienen die ersten Übersetzungen Zolas in verstümmelter Form. So haben z.B. die Übersetzer Carlowitz und Dr. H. Rosé alle Abschnitte über die soziale Lage, die verheerenden Folgen des modernen Handels und die Wirkungen kapitalistischer Wirtschaft herausgekürzt und den Roman Das Paradies der Damen zu einem süßlich-kitschigen Liebesroman entstellt. Die Kapital IV und XIII sind so auf wenige Seiten geschrumpft. Dann haben sie die eigentliche "Liebesgeschichte" verzuckert und "ausgebaut".
In den 1960er Jahren machte sich das Romanische Institut der Humboldt-Universität in (Ost-)Berlin unter Leitung von Rita Schober an eine Neuübersetzung, die sich ungeschönt am Original orientiert. Diese wurde im Verlag Rütten & Loening veröffentlicht und von den westdeutschen Verlagen (Winkler und Goldmann) dann übernommen.
Leider wird Zola, wenn schon einmal von ihm hierzulande die Rede ist, nicht mit seinen fantastisch-realistischen Werken erwähnt. Vielmehr in Sachen Dreyfus-Affäre. Deshalb ein Wort hierzu. Der jüdische Hauptmann Dreyfus – Zola kannte ihn nicht persönlich – war wegen angeblichen Hochverrats zum Tode verurteilt und wurde schließlich zu lebenslanger Haft "begnadigt". Zola machte sich für dessen Freispruch stark, weil er offensichtlich unschuldig angeklagt war, und richtete am 13. Januar 1898 einen diesbezüglichen Brief an den Staatspräsidenten, der mit den Worten j'accuse (ich klage an) begann. 1901 schrieb er zu dessen Verteidigung La vérité en marche (Die Wahrheit auf dem Wege) und zog sich damit endgültig den Haß aller Reaktionäre zu. Zola kam deswegen selbst vor Gericht, wurde zu einem Jahr Gefängnis und 3000 Francs Geldstrafe verurteilt. Er ging dann in die Verbannung nach England. Sein Tod 1902 – nach seiner Rückkehr – durch eine Kohlenmonoxidvergiftung ist nie wirklich geklärt worden, Freunde vermuteten jedoch einen Anschlag seiner staatlichen Gegner.
Über die Aufnahme ins Pantheon, der Hall of Fame Frankreich, entbrannte ein erbitterter Streit – die etablierten Zeitungen hetzten dagegen und zahlreiche Karikaturen waren ernster gemeint als sie einem heute erscheinen (Abbildung aus einer Broschüre des Assemblée Nationale anläßlich des 100. Jahrestags seiner Aufnahme).
Und noch ein Wort zu der literarischen Schubladeneinstufung "Naturalismus". Wie schon oben angedeutet, wäre das Wort "Materialismus" besser. Zweifellos finden sich wunderbare Naturbeschreibungen in alle Romane eingeflochten, das Wesentliche sind sie nicht. Auch scheint über diese Einstufung seine kritische Betrachtung der Natur in Folge der gesellschaftlichen, d.h. eben kapitalistischen Einwirkungen auf sie getilgt. Daß Flüsse zweckmäßig begradigt werden und vieles andere mehr, findet sich schon bei Zola en detail. Das Wesentliche freilich ist Zolas Blick auf die Individuen, wie sie unter dem Diktat der Ökonomie und der Politik allenthalben zuschanden werden und ihre Menschlichkeit – mal mehr mal weniger – verlieren bzw. selber aufgeben oder auch – selten genug – erhalten bzw. wiedergewinnen.
Übersicht über die spannenden, non-fiction Romane der Rougon-Macquart (Thematik kurz angerissen), Verlag Rütten & Loening; rechts eine frühe griechische Herausgabe von Nana:
01 Das Glück der Familie Rougon (Thema: Die bürgerliche Familie in einem kleinen Ort)
02 Die Beute (Thema: Börsenspekulation)
03 Der Bauch von Paris (Thema: Nahrungsmittelversorgung und Essens"gewohnheiten")
04 Die Eroberung von Plassans (Thema: Der politische Kampf in der Provinz)
05 Die Sünde des Abbé Mouret (Thema: Der Kampf eines Pfaffen mit seinen materiellen Bedürfnissen)
06 Seine Exzellenz Eugène Rougon (Thema: Korruption in der Politik)
07 Der Totschläger (Thema: Arbeiterklasse & Alkoholismus)
08 Ein Blatt Liebe (Thema: Die Zauberkraft der Liebe)
09 Nana (Thema: Prostitution)
10 Ein feines Haus (Thema: Ein Mietshaus und seine Mieter)
11 Paradies der Damen (Thema: Ein modernes Warenhaus und die Verdrängung kleiner Läden)
12 Die Freude am Leben (Thema: Leid)
13 Germinal (Thema: Die Welt der Bergarbeiter)
14 Das Werk (Thema: Der bildende Künstler und seine Ambitionen)
15 Die Erde (Thema: Die Welt der Landarbeiter)
16 Der Traum (Thema: Das Jenseits in der Realität)
17 Das Tier im Menschen (Thema: Die Eisenbahn)
18 Das Geld (Thema: Die Welt der Finanzen)
19 Der Zusammenbruch (Thema: Der Krieg)
20 Doktor Pascal (Thema: Zwischen Glauben und Wissenschaft)
Anmerkung: Frühere Übersetzungen ins Deutsche haben zum Teil anders übersetzte Titel: So heißt der Roman Die Beute: Die Jagdbeute, Der Totschläger: Die Schnapsbude, Ein feines Haus: Am häuslichen Herd, Die Erde: Mutter Erde, Das Tier im Menschen: Die Bestie im Menschen.
Darüber hinaus hat Zolas weitere Romane und Kurzgeschichten sonder Zahl sowie Literaturkritiken verfaßt. Zum Beispiel die religionskritischen Romane der drei Städte (Lourdes, Paris, Rom) sowie die nach Wegen aus der unwirtlichen Realität suchenden Romane der vier Evangelien (Fruchtbarkeit, Arbeit, Wahrheit – der 4. "Gerechtigkeit" blieb unvollendet).
[16 (also nicht alle) Bände der Rougon-Marquart sind mit bibliofilem Titel im Goldmann-Verlag als Taschenbücher erschienen.]