koka

 

 

Upton Sinclair

 

 

Upton Sinclair (1878-1968) war sehr beeindruckt von den Romanen Émile Zolas.Er wollte allerdings sein Vorbild weiterentwickeln und zwar zu einem reportierenden Dichter, zu einem dichtenden Reporter. So ganz nach dem Motto Zolas »Wir müssen bei der einfachen Tatsache bleiben. Das Publikum freilich dürstet nach – Lügen und die Dichter lügen! Wir aber wollen der Wahrheit dienen!« 

Aus dem Nachwort (»Präsident der U.S.A*.«, Universal-Bücherei, 1927) von Gerhart Pohl:

»» … DER MENSCH. DER AMERIKANER, der den Kampf aufnahm gegen die Glanzwelt der Börsen-Barone und Kohlen-Könige, der und Baumwoll-Magnaten, dem aus der Liebe zu den Arbeitenden unauslöschlicher Haß gegen die Besitzenden wuchs, für den Wallstreet, dieses Symbol der heutigen U.S.A., Kampffanal der revolutionären Sozialismus wurde, ist ein echter Amerikaner. Dieses Lebenswerk eines fast Fünfzigjährigen kann man in seiner ganzen Größe nicht erfassen, ohne die Entwicklung Amerikas zu kennen und das Menschenmaterial, das diese Entwicklung formte.
… In einer mittellosen Familie wuchs der junge Upton auf, lernte früh die Not kennen, die hinter kleinbürgerlicher Dollar-Gläubigkeit lauerte. Der Vater Arthur Stirlings, des Helden seines autobiografischen Romans, endet als Trunkenbold.

Kaum fünfzehnjährig bricht Upton mit der Familie und stellt sein Leben auf sich selbst. Unermüdlich fabriziert er Magazin-Geschichten und Humoresken, Skizzen und Artikel, "Schauer-Romane" und Kinder-Verse, um durch Unterhaltung der Bourgeoisie seinen Unterhalt zu verdienen und das Geld für Schule und Studium. Sinclair hat oft gesagt, daß er einundzwanzigjährig schon ebensoviel geschrieben hatte, wie Walter Scott, ein damals beliebter Vielschreiber der englischen Bourgeoisie. Diese Zeit seines Lebens schildert Upton Sinclair in einer kurzen Selbstbiografie:
"Ich wurde in Baltimore 1878 geboren. Ich besuchte dann die Schule und das Kollege von New York, wo ich die Dinge studierte, die mich interessierten, und jene vernachlässigte, die mich nicht interessierten. Ich erhielt mich vom Schreiben seit meinem fünfzehnten Jahre. Aber als ich in die zwanzig ging und vor meiner Heirat stand, packte mich der Wunsch, nur noch ernste Dinge zu schreiben, ich konnte nicht länger die Humoresken, Novellen, Geschichtchen liefern, mit denen ich bis dahin meinen Unterhalt und mein Studium bezahlt hatte. In der Zeit zwischen meinem zwanzigsten und sechsundzwanzigsten Jahre starb ich beinahe vor Hunger. Alle meine Romane aus jener Zeit — "König Midas", "Prinz Hagen", "Arthur Stirlings Tagebuch", "Manassas", "Industriekapitän" — brachten mir alle zusammen weniger ein als 1000 Dollar. Ich lebte allein mit 4,50 Dollar die Woche in New York und später mit meiner Familie auf dem Lande mit 30 Dollar im Monat.“

Wie Sinclair damals von 4,50 Dollar in New York lebte, erzählt er selbst anschaulich in "Arthur Stirlings Tagebuch": — Mietskaserne, Mansardenstube, als Nachbar ein Cellist, der fortwährend übt oder mit Freunden lärmende Saufgelage gibt, auf dem Treppenaufsatz klatschende Weiber, laut und keifend, viele Stunden des Tages. In der armseligen Mansarde selbst hockt ein junger Mensch, unterernährt, schäbig gekleidet, nur wenige Dollars in der Tasche, aber mit dem eisernen Willen, ein großer Dichter zu werden. New York wird dem Mittellosen eine Orgie der Qualen: Staub, Geschäftigkeit, kraftloses Essen, verlumpte Weiber und diamantenbesäte Damen, Männer mit gebrochenem Rückgrat und glasigen Augen, Herren mit feisten Bäuchen und frechen Stirnen. Schroffe Gegensätze sieht der junge Amerikaner in dieser demokratischen Stadt seines allerdemokratischsten Vaterlandes. Aber nur der Hudson wird ihm Erlebnis, der, groß und majestätisch, von den Lichtern kühner Schiffe und eleganter Jachten besät, dem Ozean zuströmt. Das alte Seefahrerblut kreist noch in seinen Adern. Wohl sieht er die Gegensätze, sie verstören ihn, aber er vermag sie noch nicht zu begreifen, also zu durchleben und zu gestalten. Denn vor der Gestaltung stehen Erlebnis und Erkenntnis. Den Zwanzigjährigen erschüttert noch eine schöne Frau: "Gleite weiter, gleite weiter, wundervolle Stimme, ferne Vision des Glücks und der Schönheit" ruft er dieser Dame nach, die, an den Mast ihrer Jacht gelehnt, mit schöner Stimme ein sehnsuchtsvolles Lied in den Abend singt. Doch plötzlich bricht er ab, wird nachdenklich: "Dein Los ist nicht das meine."
Sein Großonkel und Vormund, der reiche Besitzer eines Engrosgeschäftes für Spezereiwaren in Chicago, bietet dem Mündel eine Lehrstelle in seinem Hause an, mit der Aussicht, einmal Prokurist, vielleicht sogar Teilhaber zu werden. Upton Sinclair schildert eine Unterredung mit diesem Onkel, der "ein Palais und einen großen Bauch" besitzt:
"Willst Du Spezereiwarenhändler werden?" "Nein."
— Hätte ich damals ja gesagt, so wäre ich heute bereits sein Kompagnon, besäße ebenfalls ein Palais und einen großen Bauch. —
"Was willst Du denn werden?" fragte mein Großonkel weiter.
"Ein Dichter."
"Also ein Tagedieb?"
"Ja," entgegnete ich, einem Streit ausweichend, "ein Tagedieb."

So verließ ich ihn und dachte bei mir: "Alles, oder nichts." —

"Sieben Jahre lang ertrug ich Armut und Gemeinheit, Krankheit, Hitze, Kälte und Mühen, auf daß ich zum Künstler werde. Ich kann die Erniedrigung, die Beschämung nicht schildern, die ich erduldete. Ich lebte in Dachkammern, lebte mit schlechten Menschen, in Fetzen und schmutzige Gewänder gekleidet, nährte mich von Wasser und Brot; der hassenswerte Hochmut der Reichen trieb mich zum Rasen, ich hatte keinen einzigen Freund. Zorn und Schmerz überwältigten mich, alle haßten mich, ich mußte schuften wie ein Vieh, oder hungern. Doch ich sprach: »Ich will ein Künstler werden.«"

Noch dreht es sich für den jungen Sinclair um ein ganz individuelles Ziel, noch grollt in ihm nur das Gewitter der eigenen Not, der eigen Entbehrung, der eigenen Unterdrückung. Noch ist er, im Individuell-Artistischen befangen, nicht imstande, das Logische und Kollektive in diesem Proletarier-Dasein aufzuspüren. Noch glaubt er — befangen in der idealistischen Weltanschauung des Bürgertums —, nur der Künstler werde unterdrückt.
……
Aber dieses „Ecce Homo!“ ist nur der Abgesang des europäischen Dekadents Arthur Stirling, nicht des blutvollen, lebenstüchtigen Amerikaners Upton Sinclair. Denn der geht, sechsundzwanzigjährig, mit Weib und Kind aufs Land, weist "einen Jahresgehalt von 10 000 Dollar als Annoncenaquisiteur für eine der größten Tageszeitungen und einen annähernd so günstigen Vertrag" zurück, den ihm einer der größten amerikanischen Verleger anbietet, "Herausgeber korrupter Boulevardblätter", und lebt von kaum 400 Dollar im Jahr das Leben eines proletarischen Kopfarbeiters. Seine ersten Romane "Frühling und Herbst" und "Arthur Stirlings Tagebuch" waren bereits erschienen, die Fantasie "Prinz Hagen", die, später dramatisiert, in der Sammlung "Proteststücke" Aufnahme fand, und der Roman aus dein Bürgerkrieg "Manassas", der unter dem Titel "Sklaverei" auch in Deutschland erschien. Dieser Roman war der erste Erfolg des Autors. Der amerikanische Schriftsteller Clement Wood nannte "Manassas" "unvergleichlich besser als die gefällige Mittelmäßigkeit …" "Die Verfolgung eines geflüchteten Sklaven ist eine der großartigsten und dramatischsten Schilderungen der amerikanischen Literatur."
1906 erschien "The jungle" ("Der Sumpf"), der Upton Sinclair in wenigen Jahren weltberühmt machen sollte. Welche entscheidende Wandlung der Geistige und der Künstler Sinclair vorher durchgemacht hatte, die erst die Voraussetzung für diesen Markstein der modernen Weltliteratur schufen, werden die folgenden Abschnitte darlegen.
Von nun an konnte Sinclair von den Erträgnissen seiner Schriftstellerarbeit leben. Er hatte sich durchgesetzt. Mit dem "Sumpf" verdiente er sogar — nach eigener Angabe — rund 30 000 Dollar, selbst für amerikanische Verhältnisse ein Vermögen. Aber Sinclair war — wie und warum werden wir noch sehen — Sozialist geworden. "Ich habe das Geld" — schreibt er an Maurice Low — "sofort in einer sozialistischen Kolonie investiert, die so organisiert war, daß ich keine Möglichkeit hatte, daraus Profite zu schlagen."
…….
Über seine Frau schreibt Sinclair: "Mary Craig Sinclair stammt aus dem fernen Süden. Ihre Familie war ebenso konservativ, wie man es von den Nachkommen einer alten Sklavenhalterklasse nur erwarten kann. Jedenfalls hat ihre Familie immer auf der Basis eines primitiven Kommunismus gestanden. Es gab gelegentlich Aufstände, die durch 'Ungesetzlichkeiten' hervorgerufen wurden, die die Vorstellungen über ihr eigenes Eigentumsideal erschütterten."
Selbstverständlich gab es für diese Familie kein "gräßlicheres Gespenst" als den Sozialismus. Man wollte die geliebte Tochter beschenken, fürchtete aber damit "dieser schlimmsten aller Sachen" zu helfen. Als Mary Craig schließlich ihr Geschäft und ihr Mobiliar verpfändete, um die Druckrechnungen der Bücher ihres Mannes zu bezahlen, wandte die Familie sich empört von ihrer "verlorenen Tochter" ab und trieb eine konterrevolutionäre Hetze gegen Mary und Upton Sinclair. Aber Mary Craig ist nicht nur ein guter Lebenskamerad, sie ist auch eine entschlossene Sozialistin geworden. Also schrieb sie ihrer Sippe, "wenn sie mit ihrer sozialistischen Einstellung kollidieren solle, dann möge sie ihr doch schreiben und sie bekehren …"
Upton Sinclair ist nicht nur der Autor seiner Bücher, er ist auch ihr amerikanischer Verleger. Warum er seine Bücher selbst verlegen muß, hat er einmal in einem Aufsatz klargelegt: Nach vielen Enttäuschungen sah er ein, daß es "noch schwerer ist, die Wahrheit gedruckt zu erhalten, als sie zu sagen." "Deshalb mußte ich auch weiter meine Bücher selbst verlegen und bin zu dem Ergebnis gelangt, es lohne sich nicht, den Verlag aufzugeben. Meine Drucker wissen genau, daß sie letzten Endes dennoch immer ihr Geld erhalten, meine Bank gibt sich mit einem Depot von 100 Dollar zufrieden, und meine Frau fügt sich darein, daß ich so weiter wursteln werde, bis ich in Stücke falle."
Während des Krieges hatte Sinclair wirtschaftlich schwer zu kämpfen. "Große Mengen Papier mußten Monate vorher zu doppelten Preisen bestellt werden, und wenn endlich das Papier gekommen war und die Bücher gedruckt waren, brach irgendeine böse Konjunktur über Amerika herein, und ein großer Vorrat von Büchern blieb liegen, ebenso ein großer Vorrat an Schulden. Wenn über die Bücher disponiert war und die Schulden bezahlt waren, ging der Überschuß, wenn einer da war, zugunsten der Ausgaben der früheren Bücher, die aus dem Handel gezogen oder seit Jahren vergriffen waren, darauf."
1923 gab er einen Prospekt heraus, in dem er zur Subskription von sechs seiner früheren Werke auffordert, die seit Jahren vergriffen waren. Es ist typisch für das heutige Amerika, daß einer seiner besten Geister keinen Verleger hat, nur weil er die Wallstreet-Gesinnung der Millionäre aus Liebe für Die bekämpft, die Wallstreet stündlich erleiden müssen. … 
««

Seine Romane sind gesammelt im Malik Verlag zu 5 Bänden erschienen:
Band 1 (1924): »Der Sumpf« – »Hundert Prozent«
Band 2 (1924): »Jimmie Higgins« – »Man nennt mich Zimmermann«
Band 3 (1924): »Samuel der Suchende« – »Der Liebe Pilgerpfad«
Band 4 (1925): »Der Industriebaron« – »König Kohle«
Band 5 (1925): »Die Metropole« – »Die Wechsler – »Nach der Sintflut«
1927 erschien dann auch der brandneue Roman »Petroleum« bei Malik [späterer dt. Titel »Öl«]
1928 dann bei Malik »Die goldene Kette oder Die Sage von der Freiheit der Kunst«
1929 dann bei Malik »Boston – Die Geschichte von Sacco und Vanzetti [rechts abgebildet]« (Ein Bild der Bostoner Klassengesellschaft und ihrer nationalistischen Justiz)
»Der Sündenlohn – Eine Studie über amerikanischen Journalismus«
1930 sodann bei Malik »Das Geld schreibt – Eine Studie über die amerikanische Literatur«
1931 bei Malik der Roman »So macht man Dollars«
1932 bei Malik der Roman »Alkohol«
1938 bei Malik der Roman »Autokönig Ford«
alle anderen, vor allem die spätere Werke sind in diversen Verlagen erschienen, unter anderem seine Erinnerungen »Auf Vorposten« (Neuer Malik Verlag)

"Das Buch »Präsident der U.S.A« ist übrigens für jemand, der mindestens zweimal wöchentlich in den Schönheitssalon geht – man denke etwa an Sahra Wagenknecht – sehr lehrreich!

bluete