Kurt Tucholsky
Kurt Tucholsky (1890-1935) war im Nachkriegsdeutschland sowohl im Westen wie vor allem im Osten ein ob seiner antifaschistischen antimilitaristischen Einstellung anerkannter Mann. Es gibt viele Äußerungen zu ihm und seinem Werk, so daß an dieser Stelle auf eine weitere verzichtet werden soll. Wer an einer kritischen Übersicht über sein Werden und Schaffen interessiert ist, der kommt an der »Biografie eines guten Deutschen« von Gerhard Zwerenz nicht vorbei.
W e n n d i e В ö r s e n k u r s e f a l l e n
Wenn die Вörsenkurse fallen,
zeigt sich Kummer fast bei allen,
aber manche blühen auf:
Ihr Rezept heißt Leerverkauf.
Keck verhökern diese Knaben
Dinge, die sie gar nicht haben,
treten selbst den Absturz los,
den sie brauchen, echt famos!
Leichter noch bei solchen Taten
tun sie sich mit Derivaten:
Wenn Papier den Wert frisiert,
wird die Wirkung potenziert.
Wenn in Folge Banken krachen,
haben Sparer nichts zu lachen,
und die Hypothek aufs Haus
heißt, Bewohner müssen raus.
Trifft's hingegen große Banken,
kommt die ganze Welt ins Wanken –
auch die Spekulantenbrut
zittert jetzt um Hab und Gut!
Soll man das System gefährden?
Da muß eingeschritten werden:
Der Gewinn, der bleibt privat,
die Verluste kauft der Staat.
Dazu braucht der Staat Kredite,
und das bringt erneut Profite,
hat man doch in jenem Land
die Regierung in der Hand.
Für die Zechen dieser Frechen
hat der Kleine Mann zu blechen
und – das ist das Feine ja –
nicht nur in Amerika!
Und wenn Кurse wieder steigen,
fängt von vorne an der Reigen –
ist halt Umverteilung pur,
stets in eine Richtung nur.
Aber sollten sich die Мassen
das mal nimmer bieten lassen,
ist der Аusweg längst bedacht:
Dann wird bißchen Krieg gemacht.
veröffentlicht in »Die Weltbühne« (1930)