Anton Tschechow
Anton Tschechow (1860-1904) versucht in seinen Novellen die Armen der Lächerlichkeit, dem Spott, der ihnen oftmals entgegenbracht wird, zu entziehen. Er versucht die Kleinbürger, die Spießer hingegen in ihrem Dahinvegetieren in ihrer Beschränktheit vor Augen zu führen. Der Adel wird seiner Dummheit überführt. Kurzum, Tschechows Werk war der gesellschaftlichen Wirklichkeit, wie sie in den Individuen reflektiert wird, verhaftet. So verhaftet, daß eine gewisse Ausweglosigkeit aus der gesellschaftlichen Misere auch dem Leser vorschwebt. Wer die Melancholie stets unbegründeten Idealismus vorzieht, der kann seine Werke als Ausgangspunkt dafür nehmen, was zu ändern ist, welche vorherrschenden Denkweisen eine Kritik verdienen. [Karikatur von Miroslav Jágr in: Humoresky (Humoresken, tschechische Ausgabe)]
Tschechow war der Ansicht, eine Veränderung könne nur von unten, von Individuen ausgehen. Die Mächtigen und die, die sich aufplustern, auch und gerade, wenn dies in idealistischer Absicht ist, solche Leute waren ihm suspekt. Insofern beargwöhnte er auch den sich revolutionär betätigenden Schriftstellerkollegen Gorkij. Ob Tschechow gefühlt hat, daß jener hauptsächlich sich aus Opportunitätsgründen – er erwartete die Revolution als künftig quasi determiniert – sich revolutionär betätigte? (siehe sein Brief an Iwan Orlow vom 22.02.1899)
Bei seinen tiefen Empfindungen blieb er nicht stehen, wenn es sein mußte, so verteidigte er Zola in der Dreyfus-Affäre noch im nachhinein: „Mag Dreyfus schuldig sein – Zola hat trotzdem recht, weil es Sache der Schriftsteller ist, nicht anzuklagen oder zu verfolgen, sondern sich sogar für die Schuldigen einzusetzen, auch wenn sie schon verurteilt sind und ihre Strafe verbüßen. Man wird sagen: Aber die Politik? Die Interessen des Staates? Aber die großen Schriftsteller und Künstler sollen sich mit Politik nur soweit beschäftigen, als sie Mrtve Dusesich ihrer erwehren müssen. Ankläger, Staatsanwälte, Gendarmen gibt es auch ohne sie reichlich […]“ (Sein Brief an Suworin vom 06.02.1898)
Seine Werke, die abgesehen von einigen Schauspielen (u. a. »Iwanow«, »Tatjana Repina«, »Der Waldschrat«/»Onkel Wanja«, »Die Möwe«, »Drei Schwestern«, »Der Kirschgarten«) im wesentlichen in Novellen bestehen, sind dermaßen zahlreich, daß es an dieser Stelle vorzuziehen ist, auf die drei Dünndruckbände des Winkler-Verlages zu verweisen, geteilt in Erzählungen 1883-1887, 1887-1892 und 1893-1903. Im gleichen Verlag sind die Dramata, den Bericht »Die Insel Sachalin« (die er nach intensivem vorangehenden Studien besucht hatte und wo die dortigen Gefängnisse inspizierte) und die Briefe erschienen, welche auch im Verlag Rütten & Loening, Berlin, 1968 verlegt worden waren. Olja Knipper war seine Frau und die Liebesbriefe sind ebenfalls veröffentlicht (S. Fischer Verlag). Sie schrieben sich viele Briefe, weil sie sehr lange getrennt lebten: Eine Romantik, die der Kapitalismus mit seinen technischen Errungenschaften in dieser Weise jedenfalls ausgerottet hat.