Erich Maria Remarque
»Scheltet nicht, wenn ich einmal von den alten Zeiten rede. Die Welt liegt wieder im fahlen Licht der Apokalypse, der Geruch des Blutes und der Staub der letzten Zerstörung sind noch nicht verflogen, und schon arbeiten Laboratorien und Fabriken aufs neue mit Hochduck daran, den Frieden zu erhalten durch die Erfindung von Waffen, mit denen man den ganzen Erdball sprengen kann.
Den Frieden der Welt! Nie ist mehr darüber geredet und nie weniger dafür getan worden als in unserer Zeit; nie hat es mehr falsche Profeten gegeben, nie mehr Lügen, nie mehr Tod, nie mehr Zerstörung und nie mehr Tränen als in unserem Jahrhundert, dem zwanzigsten, dem des Fortschritts, der Technik, der Zivilisation und des Massenmordens. —
Darum scheltet nicht, wenn ich einmal zurückgehe zu den sagenhaften Jahren, als die Hoffnung noch wie eine Flagge über uns wehte und wir an so verdächtige Dinge glaubten wie Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Toleranz — und auch daran, daß ein Weltkrieg genug sein müsse für eine Generation.«
(1956, Vorrede zum Roman »Der schwarze Obelisk«)
Remarque (1898-1970) ist im gleichen Jahr geboren wie Brecht. Doch er hat im Gegensatz zu dem früher Verstorbenen weitaus mehr und weitaus Besseres, weil zu Ende Gedachtes zu Papier gebracht. Erkenntnisse über das in die Weltordnung verstrickte Individuum zu gewinnen und literarisch weiterzugeben, das war Remarques Sache: Ja, die Scheiße kommt immer von außen auf einen zu und man hat selten 'was zulachen.
Daß er von Marlene Dietrich fasziniert war, ist übrigens in dem Buch »Sag mir, daß Du mich liebst… Erich Maria Remarque — Marlene Dietrich, Zeugnisse einer Leidenschaft« festgehalten (Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2001).
»Wichtiger noch als den Nazismus zu zerstören, ist die Vernichtung des Militarismus, um einen Dritten Weltkrieg zu verhindern. Der Nazismus wird nach seiner Niederlage in Deutschland nie wieder regieren. Eine untergegangene Diktatur kommt nie ein zweites Mal. Aber der Nazismus wäre in Deutschland nie erfolgreich gewesen ohne die typischen nationalen und militaristischen Zirkel. Sie unterstützten ihn. Sie werden nun versuchen, alle Schuld den Nazis zu geben, sich zu verstecken und für einige Zeit in den Untergrund zu gehen, um sich neu zu formieren und wieder aufzutauchen. Der Nazismus wird mit ziemlicher Sicherheit nach dem Krieg beendet sein; Nationalismus und Militarismus nicht. Hier liegt die Gefahr. Es ist wichtig zu untersuchen, wie sie nach dem Ersten Krieg wiederauftauchten. …« (Remarque, Sept./Okt. 1944, nachzulesen in: Erich Maria Remarque – Ein militanter Pazifist, Texte und Interviews 1929-1966, Kiepenheuer & Witsch, Köln,1994)
Bezüglich des zum Klassiker gewordenen Anti-Kriegs-Romans »Im Westen nichts Neues« folgendes Zitat aus der Biografie von Heinrich Thies: Die verlorene Schwester, Elfriede und Erich Maria Remarque (S. 62/63):
»Ich sage Euch«, Kat wird nachdenklich, »es sind die Leute, die durch diesen Krieg verdienen wollen. Den Quatsch, der in der Zeitung steht, glaubt ja kein Mensch, die schreiben so, weil sie nicht anders dürfen. Bevor ich hierher kam, habe ich nie einen Franzosen gesehen, und so wird es den meisten Franzosen auch mit uns gehen. Ich käme gar nicht auf die Idee, einen totzuschlagen, wenn ich nicht müßte. Wißt Ihr, weshalb wir hier sind? Für nichts, für gar nichts! Das kann einen verrückt machen.« Und ein Kamerad ergänzt: »Vielleicht hätte der Mann, den ich erschieße, mein bester Freund werden können.«
Diese bitteren Anklagen sind in der Druckfassung gestrichen. Der Autor legt noch stärker den Fokus auf die individuellen Schicksale der Soldaten — und vermittelt damit den Eindruck, eigene Erfahrungen zu schildern. So wirbt die Vossische Zeitung am 8. November 1928 auf der Titelseite für den Fortsetzungsroman, indem sie den Verfasser ganz in den Mittelpunkt rückt:
Erich Maria Remarque, kein Schriftsteller von Beruf, ein junger Mensch in den Dreißigern, hat zugegriffen, hat plötzlich vor einigen Monaten den Drang und Zwang empfunden, das in Worte zu fassen, zu gestalten und innerlich zu überwinden, was ihm und seinen Schulkameraden, einer ganzen Klasse von jungen, lebenshungrigen Menschen, von denen keiner wiederkehrte, geschehen war.
Die Marketingstrategen des Ullstein-Verlags stilisieren Remarque zum »Sprachrohr einer stummen Generation« und den Roman zum »Denkmal unseres unbekannten Soldaten«. Das entspricht zwar nicht ganz der Wirklichkeit — Remarque ist ja durch seine Redakteurstätigkeit und diversen Prosatexte längst so etwas wie ein Profi und bei weitem nicht identisch mit seinem Ich-Erzähler — aber die Anpreisung zieht, und das Marketingkonzept geht auf. Schon der Fortsetzungsroman, der vom 10. November bis 9. Dezember in der Vossischen Zeitung erscheint, erweist sich als bombastischer Erfolg. Die Auflage der Zeitung steigt sprunghaft an. Als der Roman dann am 29. Januar 1929 in Buchform aufgelegt wird, bricht die Resonanz sämtliche Rekorde: Nach elf Wochen sind 450000 Exemplare verkauft, bereits im Juni ist die Millionengrenze überschritten. Noch im selben Jahr wird der Roman in 26 Sprachen übersetzt, und der deutsch-amerikanische Filmproduzent und Universal-Chef Carl Laemmle kauft die Filmrechte. (…)
Aber Erfolg und Ruhm, die so plötzlich über ihn gekommen sind, wie Sternschnuppen vom Himmel fallen, haben auch ihre Schattenseiten. Denn das Buch stößt in Deutschland nicht nur auf Begeisterung. Nationale und militaristische Kreise halten Remarque die Herabwürdigung des deutschen Soldaten, Landesverrat und schmutzige Meinungsmache vor und bombardieren ihn mit übelsten Schimpfkanonaden. Ehre, Heldentum und Vaterlandsliebe, schreiben sie, werden in diesem »jüdischen Machwerk« in den Dreck getreten. Besonders heftig schlagen die erstarkende NSDAP und ihr Wortführer Joseph Goebbels auf das Buch ein.
Remarque trifft die Schelte. Ohnehin schockiert von dem plötzlichen Rummel um seine Person gibt er sich anfangs überraschend kleinlaut und betont immer wieder, das Buch habe keine politische Ausrichtung. »Ich habe mich nicht berufen gefühlt, über den Krieg selbst zu argumentieren«, teilt er dem britischen General Ian Hamilton als Reaktion auf dessen höflich verpackte Kritik in einem Briefwechsel mit. »Das muß den Führern vorbehalten bleiben, die allein alles wissen, was zu wissen notwendig ist.« Nein, er sei kein Politiker, sondern Schriftsteller, beteuert er.
Werke (erschienen in diversen Auflagen und in diversen Verlagen):
— Frühwerk (1916; veröffentlicht 1929)
— Die Traumbude (1920)
— Station am Horizont (1927/28)
— Im Westen nichts Neues (1928/29) — rechts abgebildet die französische Ausgabe, das deutsche Pendant zu »Heldenangst« (la peur, 1930) von Gabriel Chevallier. Sowohl der Deutsche wie der Franzose kritisieren anhand des Ersten Weltkriegs den Nationalismus.
— Der Feind (1930/31)
— Der Weg zurück (1930/31)
— Drei Kameraden (1936/37)
— Liebe Deinen Nächsten (1939/41)
— Arc de Triomphe (1945)
— Der Funke Leben (1952)
— Zeit zu leben und Zeit zu sterben (1954)
— Der letzte Akt (1955)
— Seid wachsam!! (1956)
— Die letzte Station (1956)
— Der schwarze Obelisk (1956)
— Geborgtes Leben/Der Himmel kennt keine Günstlinge (1959/61)
— Die Nacht von Lissabon (1961/62)
— Das gelobte Land (1970)
— Schatten im Paradies (1971)