François Rabelais
Rabelais (1483 oder etwas später – 1553) fällt hier in der Literaturübersicht etwas aus dem Rahmen, denn er ist der einzige, der vor 1799 geboren ist. Mit dem Geburtsjahr Balzacs hat sich diese Rubrik auf KoKa-Augsburg nämlich ein frühestes Limit gesetzt. Doch Rabelais gehört eben in so eindrucksvoller Weise der Neuzeit an, daß er hier die einzige Ausnahme bleiben soll.
Der grotesk-komische zweiteilige Abenteuerroman »Gargantua und Pantagruel«, vor saftigen Späßen strotzend, ist nach Jean de La Bruyère eine »Chimäre mit dem Antlitz eines schönen Weibes und dem Schwanz einer Schlange, die ungeheure Verbindung feiner, geistvoller Sitte mit schmutziger Verkommenheit« Rabelais weiß sich nicht anders zu helfen, der Wirklichkeit zu begegnen, als zur Satire zu greifen. Als Pfaff, Arzt und Lehrer gehörte er ja nicht bloß der gebildeten Schicht an, sondern stand mitten im Leben seiner Zeitgenossen, Individuen aller Art, denen mit ihren vielseitigen, vor allem auch geistigen »Gebrechen« oftmals nur schwer, manchmal auch gar nicht mehr zu helfen war. Und es ist ja heute noch so, daß die Dummheit von ganz oben an, von der Obrigkeit her, gewaltig einem die Atemluft zu verpesten anfängt, so daß der Schritt zum Spott nicht schwerfällt. Wohl hat Rabelais das distanzierte Lachen für ein Mittel gehalten, unter unwirtlichen Gesellschaftszuständen zu (über)leben.
Natürlich eckte Rabelais aller Orten an, seine Werke wurden mißbilligt, schließlich war mit der Kirche und ihren Lehranstalten – der Sorbonne insbesondere – nicht zu spaßen, was zur gleichen Zeit weiter östlich ja auch ein Martin Luther erfahren mußte. Einige Male nahm Rabelais deshalb auch Änderungen am Werk vor. Klammheimliche Sympathisanten und Raubdrucke halfen dem Werk fortzubestehen. Die Öffentlichkeitswirksamkeit seines Werkes damals war aufgrund der technischen Möglichkeiten einerseits und der Lesekundigkeit und Auffassungsgabe des Publikums andrerseits recht begrenzt. Umso mehr gilt er Vorreiter für viel spätere Spottliteratur.
Hier mal hineingeschmeckt:
Des Johannes Fischart Vorred zur affentheuerlichen Geschichtsklitterung verkürzt und zugepaßt als Vorschnarch zu den Trollarischen Träumen des Pantagruel
Ihr meine schlampampische gute Schlucker, kurtzweilige Stall- und Tafelbrüder, ihr schlaffentrunckene wohlbesoffene Kautzen und Schnautzhähn, Bierpansen, Ertzvielfräss, fressschnaufige Maulprocker, Collatzbäuch, Gargurgulianer und Schmarotzer; ihr Sonntagsjünckerlein mit dem feyertäglichen Angesicht, Pflastertreter, Neuzeitungsspäher, lichtscheue Augennebler! Siehe da, ihr seine Schnudelbutzen, ihr Zuckerpapagoy, kunkelstubige Gänßprediger, ihr hildebrandstreichige wilde Hummeln, Bäumausreisser, die dem Teuffel ein Horn außrauffen. Und endlich Du mein gassentretendes Buhlerbürschlein, das hin und wider umbschielet und an der Geissen Ellenbogen hincket. Ja, kurzumb, du hausvergessen Mann und Weibsvolck, sampt allem andeern durstigen Gesindlein, denen der rohgefressen Narr noch aufstosset.
Ihr all, sag ich noch einmal, versteht mich wohl, sollt sampt und sonders hier sein, meine lieben Schulkindlein, euch will ich zuschreiben diß mein Fündlein, Pfündlein und Pfründlein, Euer sei dies Büchlein gar, mit Haut und Haar. Euch ist der Schild ausgehenckt, kehrt hie ein, hier wird gut Wein geschenckt.
Ihr sollt zum Eingang wissen, dass der athenisch Kriegsfürst Alkibiad in Platons Gespräch, dessen Überschrift "Die Zech" ist, als er unter andern sehr will loben seinen lehrweisen Socrat (welcher ohne ohn alle Einred und Streit aller Philosophen oder Gernklugen, der erst Anführer war) spricht er, er sey gleich oder ähnlich gewesen den schielenden Sylenis oder Silänen. Was ist aber das für ein Teuffel in der Höll, der also heisst?
Syleni, sollt ihr mich verstehen, waren etwan die wundergestalte, grillische, grubengrottische, fantästische Krüg, wie sie heut in den Apotheken stehen, von aussen bemahlet mit lächerlichen, gecklichen, ja oft erschrecklichen Heu- und Grasteuffeln, wie sie aus Pandorens Büchs fliegen, wie sie Dante in der fegfeurigen Höllen beschreibet und Michelangel im Jüngsten Gericht mahlete: Olaische, mitternächtische Meerwunder, wie sie einem zu Mitternacht in der Fronfasten, wann man zu viel Bohnen isst und am Rücken liegt, fürkommen. Ovidische Verformungen, weinsaufende Grillos und Apuleios, seltzame Drachenschlünd an Bronnrohren, mydisch Königsohren, akteonisch Fürstenhörner: Leut, wie Megasten, Solin, Franck und Münster in ihren Cosmographien sie gegen Mohrenlandt und Affrich versetzen und colonisieren, als einfüssige Hasenjäger, einäugige Schützen, brustgeköpfte Hundsköpf, die auf eim Fuss postieren, geruchlebige Leylachohren, geile Satyri und Geißmännlein, Höllhacken und Vogelhund, vornen schön und lieb gestalt als Frauen und hinten arge Dieb mit Klauen.
Ja zu diesen authentischen beschriebenen Fastnachtbutzen suchen sie noch rumörischere Ladengezierd, die eim allen Confekt verleyden sollten: als gezäunt Vögel in Planetenschlitten, Rappen in Mönchskappen, Kropfigel in nadelbesteckten Lätzen, Donnenköpf mit Bäuchen der Eßlingischen Jungfrauen im Hasenreff, bemäntelt, besteppt, dreyfussgekrönte Widhopffen, die man mit Lichtern besteckt, wie zu Strassburg im Münster bey dem Chor an der Säulen stehen und im Bruderhof übder dem Keller gemahlt zu finden. Kännlein-mäuler wie der gorgonisch römische Medusenkopf. Geschleiert Gäns auf Pantoffeln, bebrillet und schulsackbehängt. Esel auf Stelzen,thorweit geflennet Schusslöcher, carpatische hogerische Ofenkrücken, Brotmeyer, die den Bauch im Schubkärchlein führen, halb Pfaffen und halb Landsknecht. Gehalbiert Menschen vom Bischof und Bader. Krebs, die im Schlitten ziehen, gehörnte Hasen, Menschen mit Krrebsnasen, gesattelt Hund, fliegend Hexenböck, Kunden, die man hinter Hiob und Sankt Antonius mahlet, in Spielen und Mummereyen brauchet, in christoffelgrosse Säulen und Gebäu hauet, auf die Pfähl als Vogelscheuchen stellet, für Gerems und Compartement auf Teppich sticket, damit man die Kinder schweiget und andere dergleichen Malerträum, wie deren mit der Weil ein ganz Büchlein von
Rabelais Trollatischen Träumen sollen ausgehen, womit diese Pulverkrämer Gaffleut an sich ziehen, dass die Leut die Mäuler aufsperren, die Mägd den Korb und Zuber niedersetzen, die Frauen die Kinder vergessen und alles Gesind wie zu der Regenspurgischen Wallfahrt zulauft.
Ein solcher Grillus und Sylenus sagt Alcibiad war sein Präceptor Socrates. Wieso? Daso, denn gleich wie solche Apothekergeschirr und Weinbüchsen von aussen hässlich und grässlich scheinen und doch zu innerst mit herrlichem Schleck und onfekt sind gespiecket, von Balsam, Bysam, Latwergen, Syrup und andern kostbaren Fantaseyen, also wär auch der weisest Lehrer Socrat, äusserlichem schein nach von Gestalt nach gering anzusehen, also dass, so du nach erstem Anblick ein Urteil von ihm hättst fällen sollen, würdest ihn gleich einer lorischen Zwiebelschelffoder Knoblauchsbutzen werth gehalten haben, so bäurisch quartiert war er von Leib, so seeländisch lahm von unfechterischen Geberden, so franciscanisch von ungespitzter Elennasen, oder (wie etliche wöllen) Schafsnasen, mit einem glanzenden Kopf, eingezogenen Hals, haarigem Nacken, dazu allzeit lachend, übersichtig und augensperrig wie ein Stier, dem gebunden sind alle Vier, von Sitten einfältig, von Kleydung bresthaftig, zu Weibern (aber vielleicht nit zu Alcibiad) unglückhaftig, im Regiment untauglich. Tranck einem jeden soviel zu als dem andern, war mit allen überwerflich, redgeb und schimpflich, damit er seinen Hocherleuchteten Verstand decket glimpflich.
Aber so du ihm hettest sollen in die Herzbüchs hineinschauen, würdest du einen recht himmlischen, unschätzbaren, indianischen Geruch von edlem Gewürz gefühlet haben, ein mehrer denn menschlich Klugheit, ein unüberwindlichen Standmut, unermeßliche Nüchternheit, gewiss bestimmte Genügung, vollkommenen Trost, vernünfftige Geringachtung alles dessen, darumb jederman so tollgierig zabelt und grabelt, lauft und schnauft, machet und wachet, wühlt, stiehlt, wandelt und handelt, fecht und recht und alle Hertzbefriedigung verschmächt.
Wohn meinst aber, du mein kurtzweiliges Geschöpf, dass dies vorgespielt, vorgetrabet und vorgeloffen werde? Zu nichts anders, als dass ihr meine Jünger, und etliche andere eurer Mitnarren nicht glech nach dem äussern betrüglichen WSchein urteilen lernet. Also dass, so ihr einmal über etliche von unsern Büchertiteln kommeet, die euch wunderlich krabatisch in den Ohren lauten, als: Gargantua, Pantagruel, Podagramische Trostbüchlein, Von der blinden Hundsgeburt heutigen Bücherschreibens, Thesen im Frauenzimmer zu disputieren vorgelegt, die halbdachisch volle Säuordnung, Anatomie der Knackwürst, Würdigkeit der Sauställ oder
Trollatisch Träum.
Dass ihr, sag ich, nicht gleich darauf fallet und meinet, es werd nichts anders als Spottwerk, Narrey und anmütige Lügen darinnen gehandelt, sintemal die Rubrik und Titul einen darzu anlachen.
O nein, ihr meine lieben Kinder, die Meinung hat es nit. Es steht in des gereimten Eulenspiegels Vorred, es sei angenehmer, ermahnt werden scherzlich als schmerzlich, gecklich dann schrecklich, wörtlich dann mördlich. Also auch hie muss ich euch fein hinterschleichen und und wie eim Kind das Mus einstreichen, ich geb es sonst dem Hund.
Es gebührt sich gar nit der Menschen Händel nach solchem leichtfertigen, lächerlichen Anschein zu schätzen, sonst möcht nach des Erasmi Thorheitlob gar nichts hie bestahn, das nit zu verlachen wär. Denn was fängt nicht lächerlich an? Wer wollt gern mit eim altklugen Kind spielen? Wer vertritt nicht die Narrenschuh? Wer ertanzt nit sein Buhlen? Wo ist ein Gastung ohn Narren? Dennoch so werden aus Kindern auch Leut, aus stammelnden Kindern werden Redner, und dass ich mit des Ismenii Vorred schliess: Wenn alsdann kommet Guts aus Spott, was tut den Spott zu schelten not?
So nun dem also, dass nit nach dem äusserlichen Schein zu sehen sei, so will sich auch gebühren, dass man hie dies Büchlein recht eröffne und dem Inhalt recht nachsinne, so wird sich befinden, dass die Specerey darinnen von mehrerem und höherem Wert ist, als die Büchse von außen anzeiget und verheisset. Das ist, dass die fürgestellte Materie nit so närrisch und aus der Abweis geschaffen, wie die Überschrift möcht vielleicht fürwenden.
Und auf den Fall gesetzt, dass ihr in allzu mildem Verstand etwas Lustiges, so sich zum Namen schicket, darinnen antreffet, muss man darumb nit an demselben allein kleben und scheben, harren und verstarren, wie an dem schlafsüssen syrenischen Meydlingesang, sondern dasjenig, so vielleicht aus Freymütigkeit geredt scheint auf eine höhersinnige Auslegung ziehen.
Nach diesem Fürbild sollt ihr euch weislich wissen anzustellen. So werdet ihr die Süsse dieses holdseligen Büchleins voll innerlicher dicker Fette und merklichem markhaftem Schmer vieler Lehren gespicket, fühlen und hochzielen. Dieweil sie im Anlauf und Trieb wohl leichtschäftig, aber im Antreffen, Nachdruck und Vollführen sich werden erweisen als heftig und kräftig. Deswegen erbrecht das Bein fleissig durch genau sorgfältiges Nachsinnen und sauget daraus das substantialisch wesentlich Mark. Schlappert nit auf chorherrisch die Bilder in euch, wie der Hund die Supp, sondern kauet und wiederkauet wie die Küh, so findet ihr die Bohn, das ist, findet was ich durch diese pytagorischen, unsimpelen Smbole und geheime Losungen gesucht hab: In gewisser Hoffnung, dadurch euch ganz trocken aus dem Bad herauszuzwacken und abgerieben heim zu fertigen.
Ich schätz es für ein Ehr, wann man mich für einen guten Grillenreisser ausschreit. Ich bin darumb nicht gescholten, sondern desto vollkommener in allen meinen pantagruelistischen Gesellschaften und Zünften. Dem Demostheni ward es für ein Unehr nachgesagt, dass er in seiner Herstellung der Reden brauchet, mehr an Öl vertat denn an Wein, dass seine Orationen wie ein Salat nach Öl stanken. Dasselb cerephonisch nachteulisch und fledermäusisch Klittern will ich mir beileib nit lassen nachsagen: Sondern Wein her, der schärfet das Hirn, führnehmlich wann einer die Stieg abfällt.
Hör Baccho mit dem grossen Bauch, lang mir dort her den vollen Schlauch, ein gute Brratwurst aus dem Sack, dass mir ein kühler Trunck darauf schmack. Da lass mich thun einen guten Suff, Marco besth, der gilt dir druff, He hem das heisst ein guter Tranck, Jetz bin ich gesund, vor war ich krank.
Nun wohlauf, ihr meine holdseligen Lehrkinder, erschwinget und erspringet euch und schauet das überig leibschutzlich und nierenkutzlich an mit Lust, nit mit Wust, das ist, dass euch vor rollendem Lachen und lachendem Rollen kein Nestel zerspring und es den Bauch in Auflauf bring. Hiezwischen vergesst nit mir zuzutrinken: Suafs gar aus, denn halb trinken ist bettlerisch, es ertrinkt im Meer kein Fisch, jetzt das Maul gewischt und dahinten gefischt, so seid ihr zu dem Buch gerüst.
Subscripsit: In Freuden gedenkt mein.
Les songes drolotiques de Pantragruel, ou font contenues plusieurs figures de l inuention de maistre Francois Rabelais: & derniere öuure d iceluy, pour la recreation des bons esprits.
A PARIS
Par Richard Breton, Rue S. Iaques, a lk Escreuisse d argent.
M.D.LXV.