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Max von der Grün

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Als er im Jahre 1964 in einer sich christlich gebenden Wochen­zeitung eine Rezension über seinen Roman »Irrlicht und Feuer« las, wo es hieß, daß dieses Buch doch ein eminent marxistischer Roman sei, und er einige Wochen später in einer kommunisti­schen Wochenzeitung eine Rezension las, daß eben besagter Ro­man ein eminent christliches Buch sei, da verlor er das letzte Quentchen Naivität, mit der er in das, was wir Literatur nennen, hineingeschlittert war.
Und er schlitterte weiter.
Als ihm zwei Jahre später im Verlauf einer Diskussion ein ewig Gestriger sagte, daß er doch im Grunde genommen ein fieser Kommunist sei, und ihn Wochen später ein SDS-Mitglied Reak­tionär schimpfte, begann er wieder darüber nachzudenken, ob es überhaupt Zweck hatte, Bücher oder sonstiges Zeug, das mit Li­teratur zu tun hatte oder unter dieser Firmierung lief, zu produ­zieren.
Aber er produzierte weiter.

Da er selbst 17 Jahre Arbeiter war, davon 13 Jahre 800 Meter unter Tage schwere und schwerste Arbeit verrichtete, um sein Geld zu verdienen, glaubte er, die Situation der Arbeiterschaft an­nähernd zu kennen, und er war der Überzeugung, daß es nicht damit genug sein kann, Bücher oder Fernsehspiele oder Stücke zu schreiben, sondern vielmehr mit den Leuten selbst zu sprechen; so las er vor Arbeitern, diskutierte mit ihnen über ihre soziale Situation, und auch darüber, daß sich an ihrer Lage, trotz Auto und Kühlschrank, seit hundert Jahren nichts geändert hat, sie nach wie vor die Ausgebeuteten sind, weil er glaubte, nur so könne er beitragen, daß sie ihre Lage erkennen, ihren Standort fixieren, und damit vielleicht ihre Abhängigkeiten abbauen könn­ten. Aber er erlebte immer stärker, daß er nicht nur auf Unver­ständnis stieß, daß er auch ausgepfiffen wurde, oft sogar verjagt wurde und sie Spottverse hinter ihm hersangen.
Aber er versuchte es weiter.

Und weil er selbst, als er noch arbeitete, erfahren mußte, daß die Gewerkschaften nicht daran dachten, die bestehenden kapita­listischen Herrschaftsverhältnisse abzuschaffen und die Selbstbe­stimmung der Arbeitenden herbeizuführen, daß sie lediglich dar­auf aus sind, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse nur zu ra­tionalisieren, begann er, die Gewerkschaften zu attackieren als die eigentlich Schuldigen an der Situation der Lohnabhängigen. Was er erreichte, war, daß ihm die Funktionäre bescheinigten, er habe ein gestörtes Verhältnis zu den Gewerkschaften, sei ein Ge­werkschaftsfresser, und er sei doch unglaubwürdig, denn er habe doch nicht 13 Jahre unter Tage gearbeitet, sondern nur 121/2, und die Prozesse, die wegen »Irrlicht und Feuer« geführt werden mußten, hätte er doch selbst initiiert, um Reklame für sich zu machen.
Aber er beschuldigte die Gewerkschaften weiter.
…."

Diese Abschnitte stammen aus dem Buch »Vorletzte Worte — Schriftsteller schreiben ihren eigenen Nachruf« (S.82/83).
Weder treffender noch sympathischer läßt sich Max von der Grün (1926-2005) beschreiben.

Seine allesamt die soziale Frage berührenden Werke sind als Taschenbücher oder gebunden hauptsächlich im Luchterhand-Verlag sowie als rororo-Taschenbücher erschienen. Er ist in der BRD — selbstverständlich systembedingt — stets in den Hintergrund gedrängt worden; schon gleich angesichts anderer, die hier aufgeblasen werden, zumal jene sich zeit lebens selber aufgeblasen hatten. Der Pendragon Verlag in Bielefeld hat eine neue Gesamtausgabe herausgebracht.

bluete