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Gabriel García Márquez

 

Keine Frage. daß er seinen Standpunkt nicht geändert hat, weder um im Reich von freedom & democracy anerkannt zu werden noch um nach seiner Berühmt-Werdung (Nobel-Preis 1982) diesem seine Anerkennung zu erweisen. Seine zahlreichen Werke hier aufzulisten, sei hier erspart; die in die deutsche Sprache übertragenen Werke sind als Taschenbücher (dtv) oder als schöne, gebundene Ausgaben (Kiepenheuer & Witsch) erschienen und nach wie vor im Handel erhältlich, empfehlenswert sind sie allenthalben. Neben seinen Romanen und Erzählungen sind auch seine journalistischen Arbeiten von  – zumal politischem – Interesse. Zahlreiche Werke wurden zudem verfilmt, wobei "Die unglaubliche und traurige Geschichte von der unschuldigen Eréndira und ihrer herzlosen Großmutter" herausragt [zugegeben, der Autor dieser Zeilen hat nicht alles gesehen, wohl aber seine Werke zu etwa 90 % gelesen]

Diese Chronik von Gabriel García Márquez (1927-2014), die Granma internacional der Zeitschrift Tricontinental Nr. 53, 1977 entnommen hat, handelt von der ersten Etappe der "Operación Carlota". Der Autor schließt mit der Niederlage der Invasoren und dem allmählichen Abzug der kubanischen Truppen 1976 aus Angola, als alles vorüber zu sein schien. Die Präsidenten Fidel Castro und Agostinho Neto waren übereingekommen, zum Schutz der Souveränität Angolas einige kubanische Truppenteile im Land zu belassen. Die Situation verschlechterte sich und erneut entbrannte der Kampf. Wieder hatte Südafrika seine Hände im Spiel. Für die "Operación Carlota" begann eine neue Etappe, die erst vierzehn Jahre später, nach dem endgültigen Sturz des Apartheid-Regimes in Südafrika zu Ende war. Nun konnte der letzte kubanische Soldat in sein Land zurückkehren. Es war Mai 1991.

Gabriel García Márquez

Operatión Carlota

Im November 1975 informierten die Vereinigten Staaten in einer offiziellen Erklärung zum ersten Mal über die Anwesenheit kubanischer Truppen in Angola. Sie schätzten das Kontingent damals auf 15.000 Mann. Drei Monate später sagte Henry Kissinger bei einem Kurzbesuch in Caracas vertraulich zu Präsident Carlos Andrés Pérez: "Wie schlecht muß es um unseren Nachrichtendienst bestellt sein, wenn wir von der Absicht der Kubaner erst erfahren haben, als sie bereits in Angola waren." Bei dieser Gelegenheit berichtigte er, die Truppen aus Kuba seien nur 12.000 Mann stark. Aber niemals erklärte er den Grund für die Änderung der Zahl. In Wirklichkeit stimmte weder die eine noch die andere. Damals waren schon viele kubanische Truppen und Militärexperten und zivile Spezialisten in Angola, und es waren mehr, als Henry Kissinger anzunehmen bereit gewesen wäre. So viele kubanische Schiffe lagen im Hafen von Luanda, daß Präsident Agostinho Neto, der sie von seinem Fenster aus zählte, sehr erschrak, so peinlich war es ihm. Ein sehr typischer Zug seines Charakters. "Das ist ungerecht", sagte er zu einem befreundeten Mitarbeiter, "wenn das so weiter geht, ist Kuba bald ruiniert."
Wahrscheinlich haben die Kubaner selbst nicht ahnen können, daß die solidarische Hilfe für das angolanische Volk derartige Proportionen annehmen würde. Was ihnen aber von Anfang an klar war, ist, daß die Aktion entscheidend und schnell sein mußte und auf keinen Fall verloren werden durfte.
Die ersten Kontakte zwischen der kubanischen Revolution und der Volksbefreiungsbewegung Angolas (MPLA) gehen auf August 1965 zurück, und sie waren sehr intensiv gewesen, als sich Che Guevara an der Guerilla im Kongo beteiligte. Ein Jahr später war Agostinho Neto persönlich in Kuba, begleitet von Endo, dem Chefkommandanten der MPLA, der dann in dem Krieg gefallen ist. Beide trafen damals mit Fidel Castro zusammen. Später und unter den Bedingungen des Kampfes in Angola waren diese Kontakte nur noch unregelmäßig. Erst im Mai 1975, als die Portugiesen im Begriff waren, ihre Besitzungen in Afrika zu verlassen, traf der kubanische Kommandant Flavio Bravo in Brazzaville mit Agostinho Neto zusammen, und dieser bat ihn um Unterstützung für eine Waffenlieferung und beriet mit ihm die Möglichkeit für eine umfangreichere und spezifischere Hilfe. Daraufhin leitete Kommandant Raúl Díaz Argüelles drei Monate später eine zivile Delegation nach Luanda, und Agostinho Neto wurde damals präziser, aber nicht ehrgeiziger: Er bat um eine Gruppe Instrukteure zur Gründung und Leitung von vier militärischen Ausbildungszentren.
Es genügte eine oberflächliche Kenntnis der Lage in Angola, um zu verstehen, daß Netos Bitte charakteristisch für seine Bescheidenheit war. Die 1956 gegründete MPLA, die älteste Befreiungsfront und die einzige Angolas, die sich auf eine sehr breite Basis im Volk stützen konnte und ein den Bedingungen des Landes angepaßtes soziales, politisches und ökonomisches Programm besaß, befand sie sich militärisch jedoch nicht in einer so bequemen Situation. Sie verfügte über sowjetische Waffen, hatte aber nicht das Personal, das sie bedienen konnte. Dagegen waren die regulären Truppen aus Zaire gut ausgebildet und ausgerüstet und waren am 25. März in Angola eingefallen und hatten in Carmona eine De-facto-Regierung unter dem Vorsitz von Holden Roberto ausgerufen, dem Anführer der FNLA und Schwager von Mobutu, und dessen Verbindung zur CIA war der Öffentlichkeit bekannt. Im Osten befand sich unter dem Schutz von Sambia die UNITA mit Jonas Savimbi an der Spitze, einem Abenteurer ohne Prinzipien und engen Kollaborateur der portugiesischen Militärs und ausländischen Konzerne war. Die regulären Truppen Südafrikas waren am 5. August über die besetzten Gebiete in Namibia an der Südgrenze Angolas unter dem Vorwand eingedrungen, die Stauseen des Raucana-Caluaqua-Wasserkraftwerks zu schützen.
Alle diese Kräfte, mit ihrem enormen Wirtschafts- und Militärpotential, standen bereit, um am Vorabend des 11. November um Luanda einen undurchdringlichen Kreis zu bilden, wenn die portugiesische Armee dieses weite, reiche und schöne Land, in dem sie 500 Jahre lang glücklich gelebt hat, verlassen würde. Als die kubanischen Führungskräfte die Bitte Netos erhielten, ließen sie sich nicht von ihren strikten Bestimmungen leiten, sondern beschlossen, sofort ein Kontingent von 480 Spezialisten zu entsenden, die in sechs Monaten vier Ausbildungszentren einrichten, 16 Infanteriebataillone sowie 25 Granatwerfer- und Flugabwehrbatterien vorzubereiten hatten. Der Vollständigkeit halber schickten sie eine Ärztebrigade, 115 Fahrzeuge und eine geeignete Funkstation.
Jenes erste Kontingent wurde auf drei improvisierten Schiffen transportiert. Die "Vietnam Heroico", die das einzige Passagierschiff war, hatte der Diktator Fulgencio Batista 1956 einer holländischen Reederei abgekauft und in ein Schulschiff verwandelt. Die anderen beiden, die "Coral Island" und "La Plata", waren eilig umgebaute Frachtschiffe. Aber die Form, in der sie beladen wurden, zeigte sehr deutlich, mit welcher Umsicht und welchem Mut sich die Kubaner mit der Verpflichtung Angolas auseinanderzusetzen hatten.
Ungewöhnlich mag erscheinen, daß sie den Treibstoff für die Fahrzeuge aus Kuba mitnahmen. Tatsache ist, daß Angola Erdöl produziert. Und die Kubaner fahren das ihre aus der Sowjetunion um die halbe Welt. Aber die Kubaner wollten sicher gehen und beförderten auf dieser ersten Fahrt auf den drei Schiffen 1000 Barrels Benzin, die "Vietnam Heroico" nahm 200 Tonnen in 55-Gallonen-Tanks an Bord und fuhr bei offenen Ladeluken, damit das Gas entweichen konnte.
"La Plata" staute das Benzin auf Deck. Der Abend, an dem die Schiffe fertig gemacht wurden, fiel mit einem kubanischen Volksfest zusammen, und Raketen gingen hoch und selbst im Hafen von Havanna wurden pyrotechnische Wunder veranstaltet, wo ein einziger verirrter Funke die drei schwimmenden Arsenale zu Staub gemacht hätte. Fidel Castro war persönlich gekommen, um sie zu verabschieden, wie er es dann bei allen Kontingenten tat, die nach Angola fuhren, und nachdem er die Bedingungen geprüft hatte, unter denen die Truppen reisen mußten, machte er, scheinbar zufällig, eine Bemerkung, die bezeichnend für ihn war: "Jedenfalls", sagte er, "habt ihr es bequemer als auf der 'Granma'."
Gewißheit bestand nicht, ob die portugiesischen Militärs die Landung der kubanischen Instrukteure gestatten würden. Am 26. Juli jenes Jahres, als Kuba die erste Anfrage der MPLA bereits erhalten hatte, bat Fidel Castro Oberst Otelo Saraiva de Carvalho in Havanna, die Genehmigung zur Verschiffung von Hilfsmaterial bei der Regierung von Portugal einzuholen, und Saraiva de Carvalho versprach, das zu tun, aber seine Antwort ist noch nicht eingetroffen. So lief die "Vietnam Heroico" am Morgen des 4. Oktober, um 6.30 Uhr, in Porto Amboim ein, die "Coral Island" am 7. und die "La Plata" am 11. in Pointe Noire. Sie legten ohne jede Erlaubnis, aber auch ohne jeden Gegenprotest an.
Wie vorgesehen, wurden die kubanischen Instrukteure von der MPLA empfangen und begannen umgehend die vier Militärschulen zu eröffnen. Eine in Delantando, das die Portugiesen Salazar nannten, 300 Kilometer östlich von Luanda; eine weitere im Atlantikhafen Benguela; die dritte in Saurino, dem ehemaligen Enrique de Carvalho, in der fernen Wüstenprovinz, östlich von Lunda, wo die Portugiesen einen Militärstützpunkt hatten, den sie zerstörten, als sie ihn verließen; und die vierte in der Enklave Cabinda. Zu diesem Zeitpunkt standen die Truppen von Holden Roberto Luanda so nah, daß ein kubanischer Artillerieinstrukteur in seinem ersten Unterricht in Delantando von seinem Standort aus die Panzerwagen der Söldner vorrücken sah. Am 23. Oktober drangen die regulären Truppen aus Südafrika über Namibia mit einer Panzerbrigade ein, und drei Tage später hatten sie ohne jeden Widerstand die Städte Sa da Bandeira und Mozamedes eingenommen.
Es war ein Sonntagsausflug. In ihren Panzern hatten sie Kassettenrecorder installiert und hörten Tanzmusik. Im Norden leitete der Chef einer Söldnerkolonne, neben einer blonden Diva, die Operationen von einem Sportauto Honda aus. Er war in Urlaubslaune, fuhr ohne Spähtrupp, und merkte nicht einmal, woher die Rakete kam, die das Auto zertrümmerte. In der Tasche der Dame war nichts weiter als ein Abendkleid, ein Bikini und eine Einladung für das Siegesfest, das Holden Roberto in Luanda vorbereitet hatte.
Ende jener Woche waren die Südafrikaner mehr als 600 Kilometer in angolanisches Territorium vorgestoßen und rückten täglich 70 Kilometer nach Luanda vor. Am 3. November hatten sie die wenigen Beschäftigten von der Rekrutenschule in Benguela angegriffen. Somit mußten die kubanischen Instrukteure die Schule verlassen, um dem Invasor zu begegnen, gemeinsam mit den Soldatenlehrlingen, die sie in den Kampfpausen unterwiesen. Selbst die Ärzte festigten in den Schützengräben ihre Kenntnisse aus der Miliz. Die für den Guerillakrieg, aber nicht für einen massiven Krieg ausgebildeten MPLA-Führer begriffen jetzt, daß die Konfabulation von Nachbarn, unterstützt von den raubgierigsten und mächtigsten Vernichtungsmitteln des Imperialismus, nicht ohne einen dringenden Appell an die internationale Solidarität besiegt werden konnte.
Der internationalistische Geist der Kubaner ist eine historische Tugend. Die Revolution hat diesen Geist bewahrt und mit den Prinzipien des Marxismus erhöht, aber sein Wesen war sehr gut fundamentiert im Verhalten und Werk von José Martí. Diese Berufung war offensichtlich – und konfliktiv – in Lateinamerika, Afrika und Asien.
In Algerien hat Kuba, noch bevor es den sozialistischen Charakters seiner Revolution proklamierte, den Kämpfern der FLN in ihrem Krieg gegen den französischen Kolonialismus maßgeblich geholfen. So viel, daß die Regierung von General De Gaulle als Repressalie die Flüge der Cubana de Aviación über Frankreich verbat. Später, während Kuba vom Hurrikan Flora verheert wurde, verteidigte ein Bataillon kubanischer internationalistischer Kämpfer Algerien gegen Marokko. Es kann behauptet werden, daß es damals keine afrikanische Befreiungsbewegung gab, die nicht mit der Solidarität Kubas gerechnet hätte, sei es mit Material und Waffen oder mit der Ausbildung von Militärspezialisten oder Zivilisten gewesen. Mosambik seit 1963, Guinea Bissau seit 1965, Kamerun und Sierra Leone haben die Kubaner zu einem gewissen Zeitpunkt um solidarische Hilfe gebeten und diese erhalten. Der Präsident der Republik Guinea, Sekou Touré, wehrte die Landung von Söldnern mit Unterstützung einer kubanischen Einheit ab. Kommandant Pedro Rodríguez Peralta, heute Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas, geriet in Gefangenschaft und wurde von den Portugiesen mehrere Jahre in einem Gefängnis in Guinea Bissau festgehalten. Als Agostinho Neto die angolanischen Studenten in Portugal aufrief, in sozialistischen Ländern zu studieren, hat Kuba viele von ihnen aufgenommen. Heute sind alle am Aufbau des Sozialismus in Angola beteiligt, und einige in sehr hohen Stellungen. Das trifft für Minga zu, Ökonom und jetziger Finanzminister von Angola; für Enrique Dos Santos, Bergwerksingenieur, Kommandant und Mitglied des Zentralkomitees der MPLA, und der mit einer Kubanerin verheiratet ist; Mantos, Agronom, leitet heute die Militärakademie, und N'Dalo, der als Student als der beste Fußballspieler Kubas hervorragte, ist heute der zweite Chef der Ersten Brigade Angolas.
Aber nichts von all dem spricht so deutlich für die Dauer und Intensität der Anwesenheit Kubas in Afrika wie die Tatsache, daß Che Guevara selbst, im Aufgang seines Sterns und seines Alters, der Guerilla des Kongos beitrat. Er ging am 25. April 1965, an dem selben Tag, an dem er Fidel Castro seinen Abschiedsbrief geschrieben hatte und darin auf den Dienstgrad eines Kommandanten und auf alles verzichtete, was ihn gesetzlich mit der Regierung Kubas verband. Allein, unter fremdem Namen und mit falschem Paß, seine Gesichtszüge durch zwei Meisterhandgriffe kaum verändert, reiste er in einem Linienflug mit einem Geschäftskoffer voller literarischer Bücher und Inhalationsapparate für sein unersättliches Asthma, und die toten Stunden in den Hotelzimmern vertrieb er sich mit unendlichen Soloschachspielen. Nach drei Monaten trafen 200 kubanische Militärs bei ihm im Kongo ein, die auf einem mit Waffen beladenen Schiff aus Havanna gekommen waren. Der besondere Auftrag des Che war, Guerillakämpfer für den Nationalrat der Revolution des Kongo auszubilden, der Moisés Chombé, die Marionette der alten belgischen Siedler und internationalen Bergwerkskonzerne stürzen wollte. Lumumba war ermordet worden.
Der Vorsitzende des Nationalrats der Revolution war Gastón Soumaliot, aber die Operationen leitete Laurent Cavila aus seinem Versteck in Kigona, am anderen Ufer des Tanganjikasees. Die Situation trug zweifellos dazu bei, Che Guevaras Identität zu wahren. Zur größeren Sicherheit war er auch nicht als der Leiter der Mission angegeben worden. Man kannte ihn unter dem Pseudonym Tatú, in Suaheli der Mann mit der Nummer Zwei.
Che Guevara war von April bis Dezember 1965 im Kongo. Er bildete nicht nur Guerillakämpfer aus, sondern führte sie auch im Kampf an und kämpfte selbst mit. An seiner persönlichen Freundschaft zu Fidel Castro, worüber so viel spekuliert wurde, änderte sich nichts. Ihre Kontakte über sehr effiziente Kommunikationssysteme waren regelmäßig und herzlich.
Als Moisés Chombé gestürzt worden war, baten die Kongolesen um den Abzug der Kubaner, eine Bedingung für den Waffenstillstand.
Che Guevara ging wie er gekommen war: Ohne Lärm zu machen. Er verließ Dar es-Salam, die Hauptstadt von Tansania, mit einem Linienflug und verbarg sich hinter einem Buch über Schachprobleme, um in den sechs Flugstunden nicht erkannt zu werden, während sein kubanischer Adjutant neben ihm versuchte, den Politoffizier der Armee von Sansibar, einen großen Bewunderer von Che Guevara abzulenken, der die ganze Zeit ununterbrochen Neues über Che wissen wollte und ständig wiederholte, wie sehr er wünschte, ihn bald wiederzusehen.
Dieser flüchtige und anonyme Aufenthalt Che Guevaras in Afrika säte das Samenkorn, das niemand mehr entwurzeln kann. Mitkämpfer von ihm gingen nach Brazzaville, um dort Guerillaeinheiten für den von Amilcar Cabral angeführten PAIGC und besonders für die MPLA auszubilden. Eine der von ihnen ausgebildete Kolonnen gelangte über Kinshasa illegal nach Angola und beteiligte sich als "Kolonne Camilo Cienfuegos" am Kampf gegen die Portugiesen. Eine andere infiltrierte Cabinda. Später überquerte sie den Rio Congo und ließ sich im Gebiet von Dembo, dem Geburtsort von Agostinho Neto nieder, und wo die Portugiesen schon 500 Jahre lang bekämpft wurden. Die solidarische Aktion Kubas in Angola war weder unbedacht noch zufällig, sondern die Folge einer weiterführenden Politik der kubanischen Revolution in Afrika. Neu und dramatisch bei dieser sensiblen Entscheidung war lediglich, daß es sich diesmal nicht einfach um eine Hilfe handelte, sondern um einen regulären Krieg großen Ausmaßes 10.000 Kilometer von seinem Territorium entfernt und unter nicht kalkulierbaren wirtschaftlichen und menschlichen Opfern und unvorhersehbaren politischen Folgen.
Die Möglichkeit der offenen Intervention der Vereinigten Staaten, ohne Söldner aus Südafrika, wie sie es bisher getan hatten, war sicher eins der Rätsel, das am meisten beunruhigte. Ungeachtet dessen konnte Kuba nach einer kurzen Analyse einschätzen, daß die USA, die gerade dem Sumpf Vietnams und dem Watergate-Skandal entronnen waren, es sich mehr als dreimal überlegen würden, und das mit einem Präsidenten, den niemand gewählt hatte, und mit einer vom Kongreß angefeindeten und vor der Öffentlichkeit angeprangerten CIA und der Notwendigkeit, sich vorzusehen, um nicht als Alliierte des rassistischen Südafrika zu erscheinen, und das nicht nur vor der Mehrheit der afrikanischen Länder, sondern auch vor der eigenen schwarzen Bevölkerung, die in einem neuen Jahr des 200. Jahrestages vor einer Wahlkampagne stand. Die Kubaner waren sich sicher, mit der Solidarität und der materiellen Hilfe der Sowjetunion und anderen sozialistischer Länder rechnen zu können, sich aber auch bewußt, welche Probleme ihre Aktion für die Politik der friedlichen Koexistenz und internationalen Entspannung mit sich bringen konnte. Es war eine Entscheidung irreversibler Folgen, zu groß und zu kompliziert, um in 24 Stunden gefällt zu werden. Die Leitung der Kommunistischen Partei Kubas hatte aber nicht länger als 24 Stunden Zeit für diese Entscheidung, die sie ohne Aufschub am 5. November in einer langen und gefaßten Versammlung traf. Im Gegensatz zu all dem Geredeten handelte es sich um eine unabhängige und souveräne Entscheidung Kubas, und erst danach, und nicht vorher, wurde die entsprechende Information an die Sowjetunion gegeben. Wieder ein 5. November, wie jener des Jahres 1843, als eine Sklavin aus der Zuckermühle Triunvirato, in der Region von Matanzas, die auf den Namen Negra Carlota hörte, mit der Machete in der Hand eine Gruppe Sklaven anführte und bei dem Aufstand ums Leben kam. Ihr zu Ehren bekam die solidarische Aktion in Angola den Namen "Operación Carlota".
Die Operación Carlota begann mit der Entsendung eines verstärkten Bataillons von 650 Spezialtruppen. Dreizehn Tage lang starteten vom Militärflugplatz, einem Teil des Internationalen Flughafens José Martí in Havanna, ununterbrochen die Maschinen nach dem noch von portugiesischen Truppen besetzten Flugplatz in Luanda.
Ihre spezifische Aufgabe bestand darin, die Offensive der feindlichen Kräfte auf die angolanische Hauptstadt zu stoppen, bevor die Portugiesen abgezogen waren, und so lange Widerstand zu leisten, bis Verstärkung auf Schiffen kam. Aber die Männer der ersten beiden Flüge ahnten, daß sie zu spät eintreffen würden und hegten ihre letzte Hoffnung, Cabinda zu retten.
Das erste Kontingent flog am 7. November um 16.00 Uhr in einem Sonderflug der Cubana de Aviación, an Bord einer der legendären Bristol Britannia BB 218, ein Turbinenflugzeug, dessen Produktion die englischen Hersteller unterbrochen hatten und in der ganzen Welt ausrangiert war. Die Passagiere erinnern sich noch sehr genau, daß sie 82 waren, so viele wie die Männer der Yacht Granma, sie sahen gut aus, wie von der Karibiksonne gebräunte Touristen. Alle reisten in ziviler Sommerkleidung, ohne militärische Kennzeichen, trugen Geschäftskoffer bei sich und besaßen reguläre, auf ihre richtigen Namen ausgestellte Reisepässe. Die Mitglieder des Bataillons der Sondertruppen, die nicht den Revolutionären Streitkräften, sondern dem Innenministerium unterstehen, sind sehr gut ausgebildete Kämpfer von hohem ideologischen und politischen Niveau, einige sind akademisch gebildet, sie lesen gern und viel und sind ständig um ihre Fortbildung bemüht. Somit war diese Fiktion von Sonntagsausflüglern nicht neu für sie.
Aber in den Koffern hatten sie automatische Feuerwaffen und im Frachtraum des Flugzeugs waren statt Gepäck eine große Ladung leichter Artillerie, die persönlichen Kampfwaffen, drei 75-Millimeter-Kanonen und drei Granatwerfer 82 untergebracht.
Die einzige Veränderung in dem von zwei regulären Stewardessen betreuten Flugzeug war eine Zwischentür im Fußboden, um im Notfall von der Passagierkabine aus an die Waffen heranzukommen.
Der Flug Havanna-Luanda verlief mit einer Zwischenlandung in Barbados, um mitten in einem Tropensturm zu tanken, und mit einer zweiten Zwischenlandung von fünf Stunden in Guinea Bissau, hauptsächlich, um die Dunkelheit abzuwarten und unbemerkt in Brazzaville zu landen. Die Kubaner nutzten die fünf Stunden Aufenthalt zum Schlafen, und es war der schrecklichste Schlaf der ganzen Reise, denn in den Lagerräumen des Flugplatzes gab es so viele Moskitos, daß die Bettlaken auf den Liegen Blutflecken bekommen hatten.
Mobutu sagte einmal in seiner sprichwörtlichen Arroganz, Brazzaville werde vom Glanz Kinshasas beleuchtet, der modernen und pulsierenden Hauptstadt von Zaire. Damit hatte er nicht ganz unrecht. Die beiden Städte liegen sich, mit dem Rio Kongo in der Mitte, gegenüber, und die jeweiligen Flughäfen so eng zusammen, daß die ersten kubanischen Piloten sehr, sehr aufpassen mußten, um nicht auf der feindlichen Rollbahn zu landen. Sie taten es ohne Zwischenfälle bei abgeschaltetem Licht, um vom anderen Ufer nicht gesehen zu werden, und hielten sich nur so lange auf, bis sie sich über Funk über die Lage in Angola informiert hatten. Der angolanische Kommandant Xieto pflegte gute Beziehungen zu dem portugiesischen Kommissionär und hatte von ihm die Landeerlaubnis in Luanda für die Kubaner erhalten. So taten sie es und landeten am 8. November um 22.00 Uhr ohne Einweisung vom Flugturm und unter einem heftigen Tropenschauer. Fünfzehn Minuten später landete eine zweite Maschine. Zu diesem Zeitpunkt hatten gerade drei Schiffe mit einem Artillerieregiment, einem motorisierten Bataillon und dem Personal für die Reaktionsartillerie Kuba verlassen, die dann am 27. November in Angola zu löschen begannen. Stunden vorher hatten die weit vorgerückten Kolonnen Holden Robertos eine alte Angolanerin mit einer Kanone getötet und versuchten, die Kaserne Gran Farni zu erreichen, in der die Kubaner untergebracht waren. Diese hatten kaum Zeit zum Ausruhen. Eilig zogen sie die olivgrüne Uniform über, reihten sich in die Truppen der MPLA ein und bewegten sich zur Front.
Aus Sicherheitsgründen hatte die kubanische Presse nicht über die Beteiligung Kubas in Angola berichtet. Aber wie es in Kuba sogar mit derart sensiblen militärischen Angelegenheiten wie diesen geht, war die Operation ein Geheimnis, das acht Millionen Menschen sorgsam hüteten. Der 1. Kongreß der Kommunistischen Partei, der wenige Wochen später stattfinden sollte und der das ganze Jahr hindurch so etwas wie eine nationale Besessenheit war, erhielt eine neue Dimension.
Um die Einheiten der Freiwilligen zu bilden, wurden an die Mitglieder der ersten Reserve, an alle Männer im Alter von 17 bis 25 Jahren und an die ehemaligen Mitglieder der Revolutionären Streitkräfte persönliche Vorladungen geschickt. Per Telegramm wurden sie aufgefordert, im nächstliegenden Militärkomitee zu erscheinen, ohne daß der Grund dafür angegeben war, aber der Grund war so eindeutig, daß alle, die glaubten, militärisch geeignet zu sein, auch ohne Telegramme zum jeweiligen Komitee eilten, und es kostete große Mühe, zu vermeiden, daß diese massive Anmeldungswelle nicht in ein nationales Problem ausartete.
Soweit es die Dringlichkeit der Lage gestattete, waren die Auswahlkriterien verhältnismäßig streng. Es kam nicht nur auf die militärische Qualifizierung und auf physische und moralische Eigenschaften an, sondern auch auf den beruflichen Werdegang und die politische Bildung. Ungeachtet der Strenge sind unzählige Fälle von Freiwilligen bekannt, die nicht durch die Auswahlfilter liefen. Man weiß von einem Ingenieur, der sich zum Beispiel als Fahrer eines Lkw ausgab; von einem hohen Funktionär, dem es gelang, als Autoschlosser angenommen zu werden, von einer Frau, die beinahe als einfacher Soldat akzeptiert worden wäre. Man weiß von einem Jungen, der sich ohne die Erlaubnis seines Vaters gemeldet hatte und diesen später in Angola traf, denn auch der Vater hatte sich ohne Wissen der Familie gemeldet. Im Gegensatz dazu gelang es einem 20jährigen Gefreiten nicht, als Freiwilliger nach Angola zu gehen. Er mußte mit verletztem Mannesstolz ertragen, wie seine Mutter, eine Journalistin, und seine Braut, eine Ärztin, akzeptiert wurden. Ein paar gemeine Sträflinge baten aus dem Gefängnis, angenommen zu werden, aber kein einziger dieser Fälle wurde berücksichtigt.
Die erste Frau, die Anfang Dezember nach Angola ging, war mehrmals mit der Begründung abgewiesen worden, "für eine Frau sei es dort zu hart". Sie war wollte schon als blinder Passagier auf einem Schiff mitfahren und hatte ihre Sachen, in Komplizenschaft mit einem Kollegen, der Fotograf war, schon in der Ladeluke des Schiffes verstaut, als sie erfuhr, daß sie angenommen worden war, um legal und im Flugzeug zu reisen. Ihr Name ist Esther Lilia Díaz Rodríguez, eine 23jährige Lehrerin, die 1969 den Streitkräften beigetreten war und gute Ergebnisse im Schießen erzielt hatte. Mit ihr gingen drei Brüder von ihr, César, Rubén und Erineldo. Jeder auf seine Art und Weise und ohne sich abzusprechen. Alle vier hatten ihrer Mutter die gleiche Geschichte erzählt: zu den Manövern in Vorbereitung des 1. Parteikongresses nach Camagüey zu fahren. Alle sind gesund zurückgekehrt, und ihre Mutter ist stolz darauf, daß sie in Angola waren, aber die Lüge von den Manövern in Camagüey hat sie ihnen nicht verziehen.
Die Unterhaltungen mit denen, die zurückkehrten, lassen die Feststellung zu, daß einige Kubaner aus persönlichen Gründen verschiedenster Art nach Angola gehen wollten. Zumindest einer filtrierte mit der simplen Absicht zu desertieren und entführte dann ein portugiesisches Flugzeug und bat in Lissabon um Asyl. Niemand wurde ging unter Zwang: Alle mußten vor ihrer Abreise auf einem Formular ihre Freiwilligkeit unterschreiben. Einige Angenommene weigerten sich nach ihrer Annahme zu gehen und wurden Opfer aller Art öffentlichen Verspottung und privater Verachtung. Aber zweifellos ist die große Mehrheit mit der vollen Überzeugung nach Angola gegangen, einen Akt politischer Solidarität zu erfüllen, mit dem gleichen Bewußtsein und dem gleichen Mut, wie sie 15 Jahre vorher die Landung in Playa Girón verhindert hatten, und darum war die Operación Carlota keine simple Exkursion von Berufskriegern, sondern ein Krieg des Volkes.
Neun Monate lang war die Mobilmachung von Menschen und Material ein Heldengedicht von Tollkühnheit. Die altersschwachen Britannia mit Ersatzbremsen von sowjetischen Iliushin 18 hielten den ständigen und fast unglaublichen Verkehr aufrecht. Bei einem normalen Ladegewicht von 185.000 Pfund flogen sie häufig mit 194.000 Pfund, was in keiner Tabelle angegeben ist. Die Piloten, deren normale monatliche Flugzeit 75 Stunden ist, flogen mitunter mehr als 200. Generell flog jede der drei eingesetzten Britannia mit zwei vollständigen Mannschaften, die sich während des Fluges ablösten. Ein einziger Pilot erinnerte sich, bis auf einem Hin- und Rückflug 50 Stunden auf seinem Sitz gesessen zu haben, bei 43 Stunden effektiven Fluges. "Manchmal ist man so müde, daß man nicht mehr müder sein kann", sagte er, ohne als Held gelten zu wollen. Unter diesen Bedingungen des Zeitunterschiedes hatte Piloten und Stewardessen das Zeitgefühl verloren und ihre einzige Orientierung war die Reaktion des Körpers: sie aßen nur, wann sie Hunger hatten und schliefen nur, wenn sie müde waren.
Die Flugroute Havanna-Luanda ist trostlos und verlassen. In der Flughöhe der Britannia, die zwischen 18.000 und 20.000 Fuß liegt, gibt keine Information über Windstärke und Windrichtung in der Zeit der Düsenjäger.
Die Piloten starteten in jede Richtung, ohne die Situation der Route zu kennen, und flogen in unzulässiger Höhe, um Treibstoff zu sparen, und hatten nicht die geringste Ahnung, was sie bei ihrer Ankunft vorfinden würden. Zischen Brazzaville und Luanda, der gefährlichsten Strecke, gab es keinen Ausweichflugplatz. Dazu flogen die Militärs mit geladener Waffe und beförderten den Sprengstoff lose und die Geschosse ungeschützt, um das Gewicht zu reduzieren.
Die USA hatten es auf die schwächste Seite der Britannia abgesehen: ihre geringe Flugautonomie. Als es ihnen gelang, der Regierung von Barbados die Zwischenlandung der Kubaner zu verbieten, richteten diese eine Transatlantikroute von Holguín, im Osten Kubas, bis zur Insel Sal in Kap Verde ein. Es war eine Operation von Trapezkünstlern ohne Netz, denn für den Hinflug hatten sie bei der Ankunft nur noch für knapp zwei Stunden Treibstoff und auf dem Rückflug aufgrund des Gegenwinds reichte die Reserve vielleicht noch für eine Stunde. Aber auch diese Zirkusroute wurde unterbrochen, um dem schutzlosen Kap Verde keinen Schaden zuzufügen. Nun brachten sie in den Flugkabinen vier zusätzliche Benzintanks an, so daß sie ohne Zwischenlandung fliegen konnten, aber mit 30 Passagieren weniger von Holguín bis Brazzaville. Die andere Lösung, in Guyana zwischenzulanden, war aussichtslos, einmal wegen der zu kurzen Rollbahn, und zum anderen, weil die Texaco, die in Guyana das Erdöl fördert, sich weigerte, den Treibstoff zu verkaufen.
Kuba versuchte das mit einem Schiff, beladen mit Benzin nach Guyana zu umgehen, aber auf unerklärliche Weise war es mit Erde und Wasser verschmutzt. Angesichts dieser unzähligen und bitteren Erfahrungen blieb die Regierung von Guyana in ihrer Solidarität mit den Kubanern standhaft, obwohl der US-Botschafter persönlich drohte, den Flugplatz von Georgetown zu bombardieren und zu zerstören. Die Wartung nahm nur noch die Hälfte der Zeit in Anspruch, und ein Pilot erinnerte sich, mehrmals ohne Radar geflogen zu sein. Aber bei keinem versagten die Fluginstrumente. Unter diesen unvorstellbaren Bedingungen erledigten sie bis Ende des Krieges 101 Flüge.
Der Schiffstransport war nicht weniger dramatisch. Auf den beiden letzten Schiffen für Passagiere, Viertausend Tonnen jedes, wurden alle Freiräume zu Schlafplätzen, im Kabarett, in den Bars und in den Gängen improvisierte man Latrinen. Statt der 226 zulässigen Passagiere waren es auf einigen Reisen dreimal so viele. Die für 800 Personen vorbereiteten Schiffe beförderten mitunter mehr als 1000, dazu Panzerwagen, Waffen und Sprengstoff. In den Ladeluken und an den Seiten wurden die Feldküchen aufgestellt. Um Wasser zu sparen, wurden Wegwerfteller benutzt und statt Gläsern nahm man Yoghurtbehälter. Gewaschen wurde sich mit dem Trimmwasser, und die auf Deck aufgestellten 50 Latrinen wurden ins Meer entleert. Die müden Motoren der ältesten Schiffe begannen nach sechs Monaten äußerster Leistung zu streiken. Das war der einzige Grund zur Verzweiflung für die ersten, die zurückkehren sollten, deren ersehnte Rückreise um mehrere Tage verschoben wurde, weil die Filter der "Vietnam Heroico" verstopft waren. Und die übrigen Schiffe des Konvois fuhren nicht ohne sie ab. Der eine und andere Passagier verstand dann Che Guevara, der gesagt hatte, daß der Vormarsch der Guerilla immer von dem langsamsten Mann bestimmt wird. Jene Hindernisse schienen damals sehr lähmend gewesen zu sein, weil die kubanischen Schiffe allen möglichen Provokationen der US-Zerstörer ausgesetzt waren, die sie tagelang umkreisten, und die Kampfflugzeuge fotografierten sie und belästigten sie mit ihren rasanten Flügen.
Trotz der harten Bedingungen dieser ca. 20tägigen Überfahrten traten keine schwerwiegenden Krankheiten auf. Auf den 42 Reisen, die in den sechs Kriegswochen stattfanden, hatte der medizinische Dienst an Bord lediglich einen Blinddarm und einen Bruch zu operieren. Einmal mußte eine Diarrhöe-Welle gestoppt werden, die durch eine Fleischkonserve verursacht worden war. Dagegen mußte eine viel schwierigere Epidemie kontrolliert werden, die der Schiffsbesatzung, die in Angola weiter kämpfen wollten. Einer davon, ein Reserveoffizier besorgte sich eine olivgrüne Uniform und ging mit der Truppe an Land und es gelang ihm, illegal dort zu bleiben. Er war einer der guten Funkoffiziere, die sich im Krieg verdient gemacht haben. Außerdem verlangte die sowjetische Hilfe, die über verschiedene Kanäle eintraf, immer mehr Fachpersonal, um den Angolanern den Umgang mit den neuen Waffen und komplizierten Ausrüstungen zu erklären. Der kubanische Stabschef kam Ende November persönlich nach Angola. Alles schien zulässig zu sein, wenn nur der Krieg nicht verloren wurde.
Die historische Wahrheit ist aber, daß er beinahe verloren worden wäre. In der ersten Dezemberwoche hatte sich die Lage zugespitzt, daß man in Erwägung zog, Cabinda zu verstärken und einen Brückenkopf um Luanda zu retten und einen Korridor zu bahnen und mit der Evakuierung zu beginnen. Aber diese unklare Perspektive zeigte sich sowohl den Kubanern als auch den Angolanern im schlechtesten Augenblick. Die Kubaner bereiteten sich auf den 1. Kongreß der Partei vom 17. bis 22. Dezember vor und ihre Führungskräfte waren sich bewußt, daß eine militärische Niederlage in Angola einem politischen Todesstoß gleichkam. Die Angolaner dagegen hatten die OAS-Konferenz vor sich und hätten gern eine günstige militärische Position vorgezeigt, um die Mehrheit der afrikanischen Länder für ihre Sache zu gewinnen.
Die aussichtslose Lage im Dezember war in erster Linie der ungeheuren Feuerstärke des Feindes zuzuschreiben, der damals schon mehr als 50 Millionen Dollar militärische Hilfe von den Vereinigten Staaten erhalten hatte. An zweiter Stelle der Verzögerung, mit der Angola die Kubaner um Hilfe gebeten hatte und die zwangsläufig langsame Beförderung der Mittel. Und schließlich der Armut und dem kulturellen Rückschritt, die der entseelte Kolonialismus in einem halben Jahrtausend in Angola zurückgelassen hat. Mehr als die ersten beiden Gründe verursachte dieser letzte Punkt die größten Schwierigkeiten, um zu der entscheidenden Integration zwischen den kubanischen Kämpfern und dem bewaffneten Volk Angolas zu kommen.
Für die Kubaner waren es eigentlich das gleiche Klima, die gleiche Vegetation, die gleichen apokalyptischen Regengüsse und die gleichen Gewitterabende mit dem Geruch nach Pflanzen und Reptilien. Einige ähnelten den Angolanern so sehr, daß sehr bald die fröhliche Version umging, daß man sie nur unterscheiden konnte, wenn man sie an der Nasenspitze berührte, weil der weiche Knorpel der Afrikaner hat die Form, in der die Mütter ihre Säuglinge mit dem Gesicht gegen ihren Rücken gepreßt tragen.
Die portugiesischen Siedler, wahrscheinlich die gierigsten und niederträchtigsten der Geschichte, bauten moderne und schöne Städte, um ihr ganzes Leben dort zu bleiben, mit Gebäuden aus klimatisierten Glasfenstern und Läden, überladen mit enormen Leuchtreklamen. Aber es waren Städte für Weiße, ähnlich denen, die von den Gringos um die Altstadt von Havanna Vieja errichtet worden waren, und von denen die Bauern beeindruckt waren, als sie das erste Mal aus der Sierra gekommen waren, mit dem Gewehr auf dem Rücken.
Unter dieser Zivilisationsschale siechte ein weites und reiches Land in Armut. Der Lebensstandard der einheimischen Bevölkerung war einer der niedrigsten der Welt, die Kennziffer für Analphabetentum lag bei 90 Prozent und die kulturellen Bedingungen waren noch nicht viel anders als in der Steinzeit. Auch in den Provinzstädten sprachen nur die Männer portugiesisch und lebten mit bis zu sieben Frauen unter einem Dach. Der verwurzelte Aberglaube lähmte nicht nur das Alltagsleben, sondern auch den Krieg.
Die Angolaner waren von Anfang an davon überzeugt, daß die Weißen von den Kugeln nicht getroffen würden, sie hatten eine magische Angst vor den Flugzeugen und weigerten sich, in den Schützengräben zu kämpfen, weil sie sagten, daß die Gräber nur für die Toten da seien. Che Guevara hatte schon im Kongo gesehen, daß die Guerillakämpfer ein Halsband gegen Kanonenschüsse und ein Armband gegen Maschinengewehrkugeln umbanden, und daß sie ihr Gesicht mit Glut verbrannten, um den Gefahren des Krieges zu begegnen. Er interessierte sich so sehr für diese absurden Kulturzeugnisse, daß er die afrikanische Mentalität eingehend studierte und Suaheli sprechen lernte, um zu versuchen, sie von innen her zu ändern, wissend, daß es eine böse und tiefgreifende Kraft ist, die in die Herzen der Menschen gesät wird und nicht durch Kugeln beseitigt werden kann: die Kolonisierung des Gehirns.
Die sanitären Verhältnisse waren natürlich unzumutbar. In San Pedro de Cota brachten die Kubaner mit Gewalt ein Kind zum Arzt, das sich den ganzen Körper mit kochendem Wasser übergossen hatte und dessen Familie es lebend dem Tode weihte, weil sie nicht daran glaubten, daß es gerettet werden könnte.
Die kubanischen Ärzte trafen auf Krankheiten, von denen sie noch nie gehört hatten. Unter portugiesischer Herrschaft gab es in Angola nur 90 Ärzte für sechs Millionen Einwohner und die Mehrheit konzentrierte sich auf die Hauptstadt. Als die Portugiesen gingen, blieben nur 30 Ärzte im Land zurück. An dem selben Tag, an dem in Porto Amboim ein kubanischer Kinderarzt ankam, sah dieser fünf Kinder sterben, ohne etwas dagegen tun zu können, weil keine Mittel vorhanden waren. Für einen 35jährigen Arzt, der in einem Land mit einer der niedrigsten Kennziffern für Säuglingssterblichkeit der Welt studiert hatte, war diese Erfahrung unerträglich.
Die MPLA hatte große Fortschritte gegen den Primitivismus in ihren langen und stillen Jahren des Kampfes gegen die portugiesische Herrschaft gemacht, und schuf damit die Bedingungen für den endgültigen Sieg über sie. In den befreiten Gebieten erhöhte sich das kulturelle und politische Niveau der Bevölkerung, man bekämpfte Tribalismus und Rassenhaß. Man schuf das kostenlose Bildungs- und Gesundheitswesen und legte damit den Samen für eine neue Gesellschaft.
Aber diese verdienstvollen und außergewöhnlichen Anstrengungen nahmen sich winzig klein aus, als der Guerillakrieg zu einem großen und modernen Krieg wurde und es war nötig, sich nicht nur an die Leute mit militärischer und politischer Ausbildung zu wenden, sondern an das ganze Volk von Angola.
Es war ein schrecklicher Krieg, in dem man sich sowohl vor Söldnern, als auch vor Schlangen hüten mußte, sowohl vor Kanonen, als auch vor Kannibalen. Ein kubanischer Kommandant fiel in vollem Kampf in eine Elefantenfalle. Die Schwarzafrikaner waren mit ihrem verwurzelten Rachegefühl gegen die Portugiesen den weißen Kubanern anfangs feindlich gesinnt. Oft, vor allem in Cabinda, fühlten sich die kubanischen Kundschafter durch die primitiven Trommeltelegrafen verraten, deren Tam Tam 35 Kilometer im Umkreis zu hören war. Die weißen Militärs aus Südafrika, die auf Ambulanzen mit 140er Kanonen schossen, warfen Rauchgardinen auf das Schlachtfeld, um ihre weißen Toten aufzusammeln. Die schwarzen überließen sie den Aasgeiern. Im Hause eines Ministers der UNITA, der mit dem Komfort lebte, der seinem Rang zukam, fanden die Männer der MPLA im Kühlschrank Eingeweidereste und mehrere Flaschen gefrorenen Blutes der Kriegsgefangenen, die sie aufgegessen hatten.
Kuba erreichten nur schlechte Nachrichten. Am 11. Dezember wagte sich in Hengo, wo die FAPLA eine starke Offensive gegen den Invasor aus Südafrika machte, fuhr ein Panzerwagen aus Kuba mit vier Kommandanten an Bord auf einem Weg, auf dem Pioniere Minen entdeckt hatten. Vorher waren dort vier Autos unversehrt entlang gefahren, aber die Pioniere warnten den Panzer vor dieser Route, deren einziger Vorteil ein paar Minuten Vorsprung gewesen wäre, der den übrigen unnötig schien. Kaum auf dem Weg, flog der Panzer in die Luft. Zwei Kommandanten der Sondertruppen waren schwer verwundet. Kommandant Raúl Díaz Argüelles, der Generalkommandeur der internationalistischen Operation in Angola, Held im Kampf gegen Batista und ein in Kuba sehr geehrter und geachteter Mann, starb sofort. Das war eine der bittersten Nachrichten für die Kubaner, aber es sollte nicht die letzte aus dieser schlimmen Zeit gewesen sein. Am nächsten Tag geschah das Unglück von Catofe, vielleicht der größte Rückschlag des ganzen Krieges. Es passierte so: Eine südafrikanische Kolonne hatte über den Rio Nhia mit beeindruckender Geschwindigkeit eine Brücke gebaut, den Fluß im Morgennebel überquert und die Kubaner im taktischen Rückhalt überrascht. Die Auswertung dieses Schlags ergab, daß er einem Fehler der Kubaner zuzuschreiben war. Ein europäischer Militär mit einer großen Erfahrung aus dem 2. Weltkrieg betrachtete jene Auswertung als zu schwerwiegend. Später sagte er zu einem hohen kubanischen Führer: "Ihr wißt nicht, was ein Fehler im Krieg ist." Aber für die Kubaner war es ein Fehler und ein sehr ernster, knapp fünf Tage vor dem Parteikongreß.
Fidel Castro persönlich verfolgte alle Kampfhandlungen bis ins Detail. Er war bei jeder Verschiffung anwesend, und zuvor hatte er die Truppeneinheiten im Theater der Festung La Cabaña eingewiesen. Er selbst hat die Kommandeure der Sondertruppen des ersten Fluges abgeholt und in seinem eigenen sowjetischen Jeep bis an die Gangway des Flugzeugs gefahren.
Wahrscheinlich mußte Fidel Castro damals wie bei jeder Truppenverabschiedung ein verdrängtes Neidgefühl unterdrücken, weil er diesen Krieg nicht miterleben konnte. Schon damals gab es keinen Punkt auf der Angolakarte, den er nicht identifizieren konnte, nicht eine Stelle auf dem Terrain, die er nicht genau kannte. Seine Konzentration auf den Krieg war so stark und tief, daß er auswendig jede Kennziffer von Angola angeben konnte, als handele es sich um Kuba, von seinen Städten, Bräuchen und Menschen sprach er, als habe er sein ganzes Leben dort verbracht.
Zu Beginn, als die Lage angespannt war, arbeitete Fidel Castro bis zu 14 Stunden ununterbrochen im Generalstab. Manchmal ohne zu essen und zu schlafen, als befände er sich selbst auf dem Schlachtfeld. Er verfolgte die Kämpfe mit farbigen Stecknadeln auf den Detailkarten, die so groß wie die Wand waren, und hatte ständige Verbindung mit den Stabsquartieren der MPLA, auf einem Kriegsschauplatz, auf dem es sechs Stunden später war. Einige seiner Reaktionen aus jenen unsicheren Tagen verrieten seine Siegesgewißheit. Eine MPLA-Einheit sah sich gezwungen, eine Brücke zu sprengen, um den Vormarsch der Panzerkolonnen aus Südafrika zu verhindern. Fidel Castro versicherte in einer Meldung: "Sprengt keine Brücke mehr, ihr könnt sie dann nicht mehr verfolgen." Er hatte recht. Wenige Wochen später mußten angolanische und kubanische Pioniereinheiten dreizehn Brücken in 20 Tagen instand setzen, um die flüchtenden Invasoren einzuholen.
Am 22. Dezember, dem letzten Tag des 1. Parteikongresses, gab Kuba erstmalig offiziell zu, daß in Angola kubanische Truppen kämpfen. Die Situation des Krieges war weiterhin ungewiß. Fidel Castro sagte in seiner Abschlußrede, daß die Invasoren aus Cabinda innerhalb von 72 Stunden besiegt worden waren, daß an der Nordfront die Truppen von Holden Roberto, die am 10. November 25 Kilometer vor Luanda standen, mehr als 100 Kilometer zurückweichen mußten, und die Panzereinheiten aus Südafrika, die in knapp 20 Tagen 700 Kilometer vorgerückt waren, 200 Kilometer vor Luanda aufgehalten worden sind und nicht mehr weiter marschierten. Es war eine beruhigende und kurze Information, aber der Sieg war noch lange nicht erreicht. Mehr Glück hatten die Angolaner am 12. Januar auf der OAS-Konferenz in Addis Abeba. Die Truppen unter der Befehlsgewalt des kubanischen Kommandanten Victor Schueg Colás, ein enorm großer und aufgeschlossener Schwarzer, der vor der Revolution Autoschlosser war, hatten Tage zuvor Holden Roberto aus seiner berühmten Hauptstadt Carmona verjagt und die Stadt besetzt und wenige Stunden danach den Militärstützpunkt Negage eingenommen. Die Hilfe Kubas war damals sehr intensiv. Anfang Januar fuhren 15 kubanische Schiffe gleichzeitig nach Luanda. Die unaufhaltsame Offensive der MPLA an allen Fronten verwandelte die Lage für immer zu ihren Gunsten. So stark, daß Mitte Januar die Südfront die Operationen der Offensive, die für April vorgesehen waren, vorverlegte. Südafrika hatte Flugzeuge vom Typ Canberra, und Zaire kämpfte mit Mirages und Fiat. Angola hatte keine Luftstreitkräfte. Die Portugiesen hatten die Stützpunkte vor ihrem Abzug zerstört. Mit ein paar von den kubanischen Piloten bereitgestellten alten DC-3 mußten sie nachts mit Verwundeten auf einer mit Fackeln schlecht beleuchteten Rollbahn landen. Um die Räder der Maschinen hatten sich Lianen und Blumen aus dem Urwald gerankt. Zuweilen setzte Angola ein Mig-17-Geschwader ein, die von kubanischen Piloten gesteuert wurden, aber sie standen der hohen Militärführern als Reserve zur Verfügung und wurden zur Verteidigung von Luanda gebraucht.
Anfang März war die Nordfront mit der Verjagung englischer und US-amerikanischer Söldner, die in der letzten Minute von der CIA in einer verzweifelten Operation zusammengerufen worden waren, beschäftigt. Alle Truppen wurden mit ihrem vollen Generalstab auf den Süden konzentriert.
Die Eisenbahn von Benguela war freigekämpft worden, die UNITA hatte sich im Chaos aufgelöst. Eine Rakete der MPLA in Gogo Cutinho zerstörte das Haus von Jonas Savimbi, in dem er eine Stunde vorher noch gewesen war.
Ab Mitte März flohen die Truppen aus Südafrika. Es mußte ein hoher Befehl gewesen sein, aus Angst, daß die Verfolgung der MPLA durch das unterworfene Namibia fortgesetzt und der Krieg nach Südafrika getragen würde.
Jene Möglichkeit hatte zweifellos die Unterstützung ganz Schwarzafrikas und der großen Mehrheit der UN-Länder, die gegen die Rassendiskriminierung waren. Die kubanischen Kämpfer zweifelten nicht daran, als ihnen befohlen wurde, sich massiv an die Südfront zu bewegen. Aber am 27. März, als die flüchtenden Südafrikaner die Grenze hinter sich gelassen hatten und Namibia erreichten, erhielt die MPLA nur einen einzigen Befehl, die verlassenen Staudämme zu besetzen und das Wohl der Arbeiter, aus welcher Nation sie auch immer seien, zu gewährleisten.
Am 1. April, um 9.15 Uhr, war die MPLA unter dem Befehl des kubanischen Kommandeurs Leopoldo Cintras Frías bis zum Staudamm Raucana, direkt am Stacheldraht der Grenze, vorgerückt. Eine Stunde und 15 Minuten später bat der südafrikanische Gouverneur in Namibia, General Ewefp, den zwei andere Offiziere seiner Armee begleiteten, um Erlaubnis, die Grenze übertreten und Verhandlungen mit der MPLA aufnehmen zu dürfen. Kommandant Cintras Frías empfing die Vertreter beider Länder mit ihren jeweiligen Dolmetschern in einer Holzbaracke in der neutralen Zehn-Meter-Zone, die beide Länder voneinander trennte. Sie setzten sich an einen langen Kantinentisch. General Ewefp, ein korpulenter Kahlkopf von etwa 50, versuchte sich von seiner sympathischsten Seite und als Mann von Welt zu geben und akzeptierte ohne viel Worte die Bedingungen der MPLA. Die Verhandlung nahm zwei Stunden in Anspruch. Aber die Versammlung löste sich noch nicht auf. General Ewefp hatte ein köstliches Mittagessen für alle kommen lassen, das auf der namibischen Seite zubereitet worden war. Mit Bier stieß er mehrmals auf das Wohl aller an und erzählte seinen Gegnern, wie er bei einem Verkehrsunfall seinen rechten kleiner Finger verloren hatte.
Ende Mai besuchte Henry Kissinger in Stockholm den schwedischen Premierminister Olof Palme. Beim Abschied erklärte er der Weltpresse freudig, daß die kubanischen Truppen Angola verlassen. Die Nachricht, so hieß es, stamme aus einem persönlichen Brief Fidel Castros an Olof Palme. Die Freude Kissingers war verständlich, denn der Abzug der kubanischen Truppen nahm ihm eine große Sorge vor der US-Öffentlichkeit, der Wahlen bevorstanden.
In Wirklichkeit hatte Fidel Castro keinen Brief an Olof Palme geschrieben. Aber die Information war korrekt, wenn auch unvollständig. Das Abzugsprogramm der kubanischen Truppen aus Angola war zwischen Fidel Castro und Agostinho Neto am 14. März in Conakry vereinbart worden, als der Sieg schon eine Tatsache war. Sie beschlossen einen allmählichen Abzug, aber in Angola sollten Truppenteile stationiert bleiben, solange es notwendig war, um eine starke und moderne Armee aufzustellen, die in Zukunft die innere Sicherheit und die Unabhängigkeit des Landes ohne fremde Hilfe gewährleisten sollte.
Als Henry Kissinger die Sache von Stockholm bekannt gemacht hatte, waren schon mehr als 3.000 Kämpfer aus Angola nach Kuba zurückgekehrt und viele waren unterwegs dorthin. Aus Sicherheitsgründen sollte auch der Abzug geheim gehalten werden. Aber Esther Lilia Díaz Rodríguez, das erste Mädchen, das nach Angola gegangen und eine der Ersten war, die im Flugzeug zurückkehrten, bewies einmal mehr, wie der Kubaner es anstellt, alles in Erfahrung zu bringen. Esther wurde im Krankenhaus Hospital Naval in Havanna einer ärztlichen Untersuchung unterzogen, bevor sie ihre Familie über ihre Rückkehr informieren konnte. Zwei Tage später konnte sie das Krankenhaus verlassen und bestellte ein Taxi, um nach Hause zu fahren. Der Taxifahrer nahm das Geld nicht an. Sie fragte verwundert nach dem Grund und er antwortete: "Ich habe dich gestern auf der Terrasse des Krankenhauses gesehen, und dort halten sich nur die auf, die aus Angola zurückgekommen sind."
In jenen Tagen traf ich in Havanna ein und hatte auf dem Flugplatz definitiv den Eindruck, daß etwas sehr Ernstes im kubanischen Leben geschehen war, seitdem ich vor einem Jahr das letzte Mal da war. Es war eine undefinierbare, aber sehr auffällige Veränderung im Denken der Menschen zu spüren, aber auch in der Natur der Dinge, der Tiere und des Meeres und im Wesen der Kubaner überhaupt. Es gab eine neue Herrenmode, Anzüge mit einer Jacke aus leichtem Stoff und kurzem Arm, portugiesische Wörter im Straßenjargon, neue Akzente auf den früheren afrikanischen Akzenten der Popmusik. Lautere Gespräche als früher in den Reihen vor den Geschäften und in den übervollen Linienbussen zwischen Leuten, die im Krieg waren und solchen, die damals gerade begannen, die Aktion zu begreifen. Es war jedenfalls eine interessante und eigenartige Erfahrung. Die Zurückgekehrten schienen sich bewußt zu sein, an der Veränderung der Welt mitgeholfen zu haben, aber sie verhielten sich schlicht und einfach, wie jemand, der seine Pflicht erfüllt hat.
Aber sie wußten selbst nicht, daß auf einer anderen, vielleicht weniger großzügigen, aber auch humaneren Ebene, sich selbst Kubaner, die nicht so große Leidenschaften hatten, sich durch das Leben entschädigt fühlten, nach den vielen ungerechten Rückschlägen. 1970 konnte die Zuckerernte der zehn Millionen nicht erfüllt werden, Fidel Castro bat das Volk, den Rückschlag in einen Sieg zu verwandeln. Aber die Kubaner haben das schon viel zu lang mit einem zähen politischen Bewußtsein und einer moralischen Stärke getan, die jeder Probe gewachsen war.
Nach dem Sieg von Playa Girón vor 15 Jahren mußten sie mit zusammen gebissenen Zähnen die Ermordung von Che Guevara in Bolivien und des Präsidenten Salvador Allende in Chile verkraften und litten unter der Auflösung der Guerilla in Lateinamerika und der nicht enden wollenden Nacht der Blockade und der verdrängten und nicht übersehbaren Wunden so vieler interner Fehler in der Vergangenheit und sie in einem gewissen Augenblick an den Rand eines Unglücks gebracht hatten. All das und der irreversible, aber langsame und leidenschaftliche Sieg der Revolution hat in den Kubanern unbedingt ein Gefühl unverdienter Strafe angesammelt. Angola gab ihnen endlich die Wohltat des großen Sieges, den sie so sehr brauchten.

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