Carlos Fuentes
Carlos Fuentes (1928-2012) lebte fast zeitgleich mit Gabriel García Márquez und war nebst diesem der gesellschaftskritischste Autor Lateinamerikas. Vor allem lag ihm seine Wahlheimat Mexiko (geboren in Panama-Stadt) am Herzen, welche er in umfassender Weise sowohl nach innen wie nach außen thematisierte. Er charakterisierte das Verhältnis zur USA wie kein anderer: In seinem Roman »Die gläserne Grenze« weist er darauf hin, daß der Begriff »freie Welt« gleichbedeutend mit »freiem Unternehmertum« verstanden wird und jeder überrascht ist, daß die Ölquellen Mexikos in staatlicher Hand sind. »… "Aber er [ein Kapitalist namens Wingate] sagt, er bewundere Reagan, der würde nämlich Schluß machen mit den Eingriffen der Regierung und die Steuern senken…." "Frag Mr. Wingate, ob die Regierung nichts mehr für die Rüstung ausgeben, keine bankrotten Banken mehr retten oder unrentabel arbeitenden Landwirte mehr unterstützen soll. Sag ihm das, ich bin gespannt, was er antwortet." "Wahrscheinlich nennt er mich dann einen Kommunisten." "Zyniker sind das. Für alle wollen sie das freie Unternehmertum,nur nicht, wenn es darum geht, Armeen mit Waffen zu versorgen und betrügerische Geldhaie zu retten."…« Und die Mexikaner? Die werden mal kurz zum Putzen der Glasfassaden übers Wochende nach New York eingeflogen. Sind einfach billig und brauchen keine Kranken- und Unfallversicherung! Und wer sich zu solch erwünschten Bedingungen nicht brauchbar machen kann, der wird hinter Mauer und Milizkordon weggesperrt. Und dann die Montagewerke auf der mexikanischen Seite der Grenze, wo US-Investoren einen mexikanischen Betriebsleiter für die effektivsten Produktionsbedingungen sorgen kann, die man sich vorstellen kann. Und anstatt dazu Ausbeutung hoch 3 zu sagen gilt das dann als die Wahnsinnswohltat schlechthin, die Schaffung von (so in dem Roman) von 135.000 Arbeitsplätzen und 200.000 extra in den Zulieferbetrieben. Vor allem die Frauen dürfen zufrieden sein, die dort zu den Ernährerinnen ihrer Familie werden können anstatt der Prostitution anheimzufallen. Sowas Geniales fördert dazu noch den Nationalstolz des Fabrikleiters.
Diese bis heute andauernden Zustände fielen nicht vom Himmel. Fuentes hat sich ausführlich mit der mexikanisch-lateinamerikanisch-nordamerikanischen Geschichte auseinandergesetzt. Ein faszinierendes Zeugnis ist »Der Tod des Artemio Cruz« (in der DDR 1966 unter dem übersetzten Originaltitel erschienen, später in der BRD unter dem Titel »Nichts als das Leben«). Dem stellt er u. a. ein Zitat von Montaigne voraus: »Die Vorahnung des Todes ist die Vorahnung der Freiheit«. Cruz ist ein Multimillionär und gewissermaßen der Traum, den die US-Propaganda jedem Besitzlosen vor Augen führt. So auch Fuentes, nur eben ganz anders.
Ähnlich, aber mit vertauschten Idealen, hat Fuentes das Leben des US-Schriftstellers Ambrose Bierce gezeichnet (in: »Der alte Gringo«): Dieser entfloh dem idealen US-Leben in San Francisco und stürzte sich 1913 in den mexikanischen Bürgerkrieg.
»Diana oder die einsame Jägerin«: 1970 – die USA mit einem Fuß auf dem Mond mit dem anderen in den Dschungeln Vietnams…»Kann ein Mond weiter die einsame Diana sein, nachdem ein Gringo dort seine Scheiße abgeladen hat?« Dies und anderes eingebaut in die scheiternde Love-Story zwischen der US-Schauspielerin Diana Soren und einem mexikanischen Schriftsteller… »Sie besaß sogar ein Sweatshirt mit der Darstellung Che Guevaras, der heiligsten Ikone der Sechziger, der, als er 1967 brutal getötet wurde, sich in Chic Guevara verwandelte und das gute Gewissen all jener beruhigte, die in Europa und Nordamerika zum sogenannten Radical Chic gehörten, also jenes westliche Talent besaßen, revolutionäre Paradiese in der Dritten Welt zu finden und sich in deren Weihwasser von den Sünden ihres kleinbürgerlichen Egoismus reinzuwaschen… « Ach, es sind so viele extrem gute Gedanken in dem (und all den anderen seiner Bücher), hier noch ein letzter. »Ein mexikanischer Revolutionär hat allerdings nicht die Symbolkraft, damit das breite puritanische und demokratische weiße Publikum der USA reagiert. Da hätte auch Marlon Brando sie [Diana Soren] schwängern können. … Das FBI ist geduldig. Es wartete so lange, bis Dianas Schwangerschaft offenkundig wurde. der Plan des Rufmords wurde folgendermaßen formuliert: "Diana Soren hat die Partei der Schwarzen Panther finanziell unterstützt und muß kaltgestellt werden. Ihre gegenwärtige Schwangerschaft – der Schwängerer ist (Name durchgestrichen) – bietet uns die Möglichkeit, es zu tun.«
Es ist kaum zu glauben, was Fuentes in seiner literarischen Fülle bietet. Umso mehr stutzt man, wenn man feststellt, daß er Idealist geblieben ist, geradezu konträr all seiner Sympathie für einen revolutionären Materialismus, für die Parteinahme der vom Reichtum der Welt Ausgeschlossenen.