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Oriana Fallaci

 

1. Der Fall Mexiko:
Ihre erste antiimperialisitsche journalistische Glanzleistung war es, von den Ereignissen anläßlich der Olympiade in Mexiko 1968 zu berichten. Die Studenten dort hatten die Ideale dieser Veranstaltung mißverstanden und für mehr Freiheiten an den Universitäten des Landes demonstriert. Das demokratisch legitimierte Regime duldete dies nicht und veranstaltete ein Massaker, bei dem Fallaci (1929-2006) vor Ort war. Die imperialistischen Zentren billigten dies, auch die BRD, ein Boykott der Spiele stand außer jeglicher Diskussion, übrigens auch für die UdSSR und ihre Bündnispartner.
Die Ausgabe der Lateinamerika-Nachrichten vom April 2008 befaßt sich schwerpunktmäßig ausführlich mit den politischen Ereignissen in Mexiko des Jahres 1968 und mit der Vergangenheitsbewältigung, mit der die mexikanische Justiz 40 Jahre später noch befaßt war. Zugleich wird darauf eingegangen, wie die 2008 US-hörige Regierung so überhaupt kein Interesse an der Aufklärung über diese Zeit hat: Mexiko als ambitioniertes Projekt in der imperialistischen Staatenwelt zu sehen, war schließlich schon der Ausgangspunkt der seinerzeitigen Regierung, die in der Olympiade ein Mittel zu ebendiesem Zweck gesehen hatte. 

Zur Abbildung: Unmittelbar nach den Ereignissen diktierte, im Krankenhaus liegend, die durch mehrere Kugeln schwer verwundete Journalistin Oriana Fallaci einen Exklusiv-Bericht für die Zeitschriften Ο Ταχυδρόμος und L'Europeo. Die Überschrift im Ταχυδρόμος (18.10.1968): "Oriana Fallaci telegrafiert uns aus Mexiko: So wurde ich auf dem Platz der Drei Kulturen traumatisiert!" [Unter den drei Kulturen versteht man: Die der Azteken, die der Spanier und die zeitgenössische!]  Das hinzugefügte Foto zeigt die Reporterin behelmt in Vietnam, einem anderen damals laufenden imperialistisch-zivilisatorischen Auftrag.
2. Der Fall Vietnam
Auch dort war sie vor Ort und hat über die arroganten Schandtaten der USA berichtet. Diese Berichte sind in dem Buch "Wir, Engel und Bestien" (spätere deutsche Ausgabe "Nichts und Amen" (1970) betitelt) zusammengefaßt.
3. Ihre Interviews
In einem dieser hat sie Bundeskanzler Willy Brandt überführt, Europäer einzig aus deutsch-nationalem Interesse zu sein. Allerhand einflußreiche Interviewpartner gaben ihre auch heute noch historisch interessante Auskünfte, z. B. Henry Kissinger, Nguyen Van Thieu (Präsident und Statthalter der USA in Süd-Vietnam), Vo Nguyen Giap (General der (Nord-)Vietnamesischen Volksarmee), Golda Meir (Israel), Yasir Arafat (Palästina), Hussein bin Talal (Jordanien), Indira Gandhi, Ali Bhutto, Gadafi, Deng Xiaoping und andere mehr. Großenteils gesammelt in dem Buch "Interview with History", Houghton Mifflin Company, Boston, 1976)

4. Der Fall Alexandros Panagoulis
Ihre sehr persönliche Beziehung zu diesem griechischen Widerstandskämpfer gegen die damalige griechische Militärdiktatur (1967-1974) beschreibt sie in dem Buch "Ein Mann" (1980), welches ihr größter, schier unglaublicher Erfolg wurde, in zig Sprachen und Auflagen erschienen und natürlich noch heute lesenswert. Von Anfang an für die Belange der Frau ("Penelope auf dem Kriegspfad", 1969) interessiert läßt sich nicht bestreiten, daß aus dieser Beziehung das Buch "Brief an ein nie geborenes Kind" resultiert. Die Absage an den Wunsch, Kinder zu gebären, verstand sie als Beitrag zur Emanzipation der Frau, nämlich der Gesellschaft ihren Dienst als Reproduktionsmaschine zu verweigern.
5. Der Fall Libanon
Ihr Buch "Inschallah" (1992) ist das einzige, welches sich intensiv mit der politischen und sozialen Situation dieses Nahost-Landes befaßt. Der Libanon kommt ja nur sporadisch in den Blickpunkt der westlichen Öffentlichkeit und dann ganz unter dem Aspekt der aggressiv vorgetragenen imperialistischen Interessen, wofür Israel freie Hand zum Zuschlagen zugebilligt wird. Ein schönes Beispiel westlicher Ignoranz gegenüber den Verhältnissen vor Ort war die Katastrofe im Hafen von Beirut 2020, wo eine Explosion rund 200 Menschen tötete und eine Vielzahl mehr verletzte. Kein einziger sich solidarisch zeigender Politiker hat sich
– das sei hier gewagt zu behaupten – weder vor noch nach diesem Ereignis näher mit dem Land der Zedern befaßt, indem er zum Beispiel dieses Buch zur Hand genommen hätte.
6. Die Herausforderung durch den Glauben
Schon in ihrer italienischen, römisch-katholisch geprägten Heimat ging ihr die Religion gehörig gegen den Strich, sah sie in ihr doch ein Anschlag gegen den logischen Gebrauch des menschlichenn Verstandes. Als 2001 die islamischen Terroranschläge sich gegen dien Weltpolizisten USA richteten sowie am 11.03.2003 islamische Fundamentalisten ein Massaker in Madrid veranstalteten, verspürte sie  die Unangebrachtheit religiöser Kritik an den USA und der westlichen "Zivilisation" überhaupt. In dieser Stimmung verfaßte sie das Buch "Die Kraft der Vernunft" (2004). Gleichzeitig kritisiert sie in diesem Buch die Heuchelei des Westens (namentlich des deutschen Politikers Genscher), welche die ganz normale Religiosität von der fanatischen zu scheiden sich bemüht, als wäre erstere aufgrund ihres Dogmatismus nicht Ausgangspunkt für brutaleres Vorgehen. Ja, dieses Buch fand einen Vorgänger ("Die Wut und der Stolz", 2001), wenngleich allein in eiiner (moralischen) Verurteilung aller Bekenntnisse, seien sie religiöser oder ziviler, national begründeter Art. Bekenntnisse, die anderen Staaten und Menschen Vorschriften zu machen trachten, waren ihr sehr zuwider. Es wird dem Buch allerdings keineswegs gerecht, wenn man es auf eine Kritik des Islams reduzieren würde. Zum Lakaien des Imperialismus hat sie sich nie erniedrigt. Den Beweis liefert über alles Erwähnte hinaus folgende Aussage:
" Frage: Bekümmert Sie es in Europa nicht, daß da jemand mit einer Cowboy-Mentalität [Ronald Reagan] den Finger am Abzug der Atombombe hält? Fallaci: Ich glaube nicht, daß es in den nächsten drei, vier Jahren zum dritten Weltkrieg kommen wird. Aber ich halte ihn für unabwendbar. Vielleicht können wir ihn zeitweilig noch abwenden und ein paar Jahre in Frieden leben. Frage: Sie sagen das sehr gelassen, geradezu fröhlich. Fallaci: Na hör'n Sie mal! Wir Europäer sind wütend, weil wir als erste draufgehen werden. Ich bezweifle nämlich, daß ihr Amerikaner, wenn ihr euren verdammten dritten Weltkrieg führt, ihn auf eurem Boden austragen werdet. Ihr und die Sowjets! Ihr werdet vermutlich all die Atombomben gar nicht einsetzen müssen. Und wißt ihr auch warum? Weil ihr es gar nicht nötig habt. Denn ihr werdet den Krieg mit konventionellen Waffen über unseren Köpfen austragen. Der Krieg wird in Europa stattfinden. Ihr bereitet den Untergang Europas vor! Und das soll mich nicht empören?…" (Playboy, deutsche Ausgabe 11/1981)

Cristina de Stefano hat Fallacis lesenswerte Biografie verfaßt: "Oriana Fallaci – Ein Fauenleben", deutsch: btb, 2016
Eine erste Übersicht über ihr Leben und Schaffen bis zu jenem Zeitpunkt findet sich in dem US-Magazin Life vom 21.02.1969.

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