Gabriel Chevallier
Gabriel Chevallier (1895-1969) hat mit »La Peur« (deutscher Titel: »Heldenangst«) anhand des 1. Weltkriegs die Verrücktheit nationaler Haltung vorgeführt. Sozusagen das französische Pendant zu »Im Westen nichts Neues« von Erich Maria Remarque und ebenso aufrüttend wie realistisch. Anschließend an die Zeit des Weltkriegs behandelte er die Zeit zwischen den Weltkriegen in einem kleinen Weinbauernort im Beaujolais. Er nennt den Ort Clochemerle, es handelt sich um Vaux-en-Beaujolais, dessen Ortstafeln mittlerweile mit »Clochemerle« ergänzt wurden. Außerdem findet sich dort neben einem im Romanmittelpunkt stehenden, nachgebauten Pissoir auch ein kleines Museum zu Ehren Chevalliers. Die Roman-Trilogie »Clochemerle«, »Clochemerle wird Bad« und »Clochemerle Babylon« sind nicht minder gesellschaftskritisch, allerdings so zugespitzt, daß dem Leser im Gegensatz zum Kriegsroman immer wieder ein Lächeln abgerungen wird. Um das Pissoir, eine zukunftsweisende Idee des fortschrittlichen Bürgermeisters, die vom Dorflehrer rückhaltlos unterstützt wird, um diese Errungenschaft entspinnt sich ein Bürgerkrieg, dessen Tragweite sogar den französischen Vertreter bei der seinerzeit in Genf stattfindenden Abrüstungskonferenz dazu veranlaßte, nach Paris zurückzukehren. Nicht weniger faszinierend die beiden nachfolgenden Bände über die bahnbrechenden kapitalistischen Errungenschaften des steil aufstrebenden Ortes, mit denen es in Wirklichkeit zwar nicht weit her war, die aber doch exemplarisch für die Entwicklungen an anderen Orten stehen.
Sodann hat er mit der gesellschaftlichen Situation seiner Heimatstadt Lyon gehörig aufgeräumt und zwar in dem Roman »Liebeskarussell«: Der erste Teil »Loulou Biche« nimmt die Bourgeoisie aufs Korn, der zweite »Sonderlinge« die abgehängten Bewohner der Randbezirke. Auf alle Fälle ist ferner noch das Buch »Die Mädchen sind frei« hervorzuheben, in dem die jungen Frauen der 1950er Jahre ihre nun gewonnenen Freiheiten ausgiebig auskosten konnten, was sich jedoch nicht selten als zweischneidiges Schwert herausstellen sollte, gerade in einer Gesellschaft, in welcher die moralischen Vorurteile nach wie vor fest verankert waren. Kurzum: Eine Welt, die immer so tut, als ob, wird von Chevallier schonungslos entlarvt.
Der Stahlberg-Verlag in Karlsruhe entdeckte Chevalliers Werke für die deutsche Leserschaft, der Verlag Rütten und Loening daraufhin für die DDR. Später gab es dann Taschenbuchausgaben im Fischer-Verlag. Der erste Band von Clochemerle wurde übrigens von der BBC vor Ort gekonnt verfilmt (die französische Verfilmung war schon viel früher).