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Georg Büchner

 

 

Revolutionärer Aktivist, genialer Dichter
Ein Beitrag zu seinem 200. Geburtstag von Jens Renner in analyse & kritik, Oktober 2013

Seine Stücke werden immer noch oft gespielt, aber von seinen revolutionären Aktivitäten blieb nicht viel mehr in Erinnerung als der Slogan »Friede den Hütten, Krieg den Palästen!«. Für die deutschen Bildungsbürgerinnen ist Georg Büchner, geboren am 17. Oktober 1813, gestorben am 19. Februar 1837, vor allem der geniale Dichter. Selbst die Motive seines politischen Handelns und seine Grundüberzeugungen werden — immer mal wieder — in Zweifel gezogen, zuletzt in Hermann Kurzkes umfangreicher Biografie, auf die noch zurückzukommen sein wird.

Seit 1831 Medizinstudent zunächst in Straßburg, ab Oktober 1833 in Gießen, gehört Büchner im März 1834 zu den Mitbegründern der Gesellschaft der Menschenrechte: »eine Handvoll Studenten, radikale Kleinbürger und Handwerksburschen«.(H. M. Enzensberger) Zur selben Zeit schreibt er den Entwurf für die Flugschrift Der Hessische Landbote — ein Aufruf zur Revolution an die Landbevölkerung in Hessen. Die Schilderung von deren elendem Leben findet sich neben Anklagen des Adels und Statistiken über die extrem ungerecht verteilte Steuerlast sowie die Verschwendung des Staates und der Fürsten. Am Ende steht die Verheißung einer großen Zukunft: »Deutschland ist jetzt ein Leichenfeld, bald wird es ein Paradies seyn.« Das allerdings erkämpft werden muß: »Wann der Herr euch seine Zeichen gibt durch die Männer, durch welche er die Völker aus der Dienstbarkeit zur Freiheit führt, dann erhebt euch, und der ganze Leib [das deutsche Volk; Anm. ak] wird mit euch aufstehen.«

Während die zitierten Sätze mit einiger Sicherheit aus Büchners Originaltext stammen, wurden andere Passagen hinzugefügt von seinem Kampfgefährten Ludwig Weidig, der den Entwurf in seinem Sinne redigierte. So ersetzte er »die Reichen« durchgängig durch »die Vornehmen«, um die bürgerlichen Liberalen nicht zu verschrecken. Was dabei herauskam, sei, so der Literaturwissenschaftler Hans Mayer (1907-2001), »Verfälschung und Überarbeitung der Handschrift und der Gedanken Büchners durch Weidig, Büchner und Weidig in einem, Koalitionspolitik und kompromißlose Frontstellung zu gleicher Zeit.«

Weidigs Strategie der großen Koalition gegen die Fürsten lehnte Büchner ab, weil er die Klasseninteressen der Bourgeoisie durchschaute. Auch die Politik der intellektuellen Belehrung verwarf er: »Die Gesellschaft mittels der Idee, von der gebildeten Klasse aus reformieren? Unmöglich!« Er sieht »nur ein Mittel, die Welt sozialer Ungerechtigkeit, der Gegensätze von Produktivität und genießender Ausbeuterei aus den Angeln zu heben: die soziale Umwälzung der Entbehrenden und Wirkenden.« So formuliert es Hans Mayer, der aber unmittelbar den Satz folgen läßt: »Wohin aber dieser Aufstand zu führen vermöchte, darauf gibt der Hessische Landbote keine Antwort.«

Mehr Sozialist als Republikaner?

Bei aller Empathie für die leidende Landbevölkerung beklagt Büchner doch auch deren »ziemlich niederträchtige Gesinnung«. Um die »große Klasse« zu gewinnen, gebe es »nur zwei Hebel: materielles Elend und religiöser Fanatismus«. So erklärt sich die doppelgleisige Agitation des Hessischen Landboten: Er schildert die Not, beruft sich auf den Willen Gottes und verspricht dessen Unterstützung bei dem Versuch das Paradies auf Erden zu errichten. Einige, aber keineswegs alle religiösen Wendungen gehen auf den gläubigen Christen Weidig zurück, der Atheist Büchner nutzt sie als Mittel zum Zweck.

Ist Büchner also zu den Frühsozialisten zu zählen? Hans Mayer hält das für eine »müßige Frage«, andere bejahen sie, aktuell der Literaturwissenschaftler Burghard Dedner, der seinen Text über »politischen und ökonomischen Egalitarismus im Hessischen Landboten« mit einem Zitat von Büchners Bruder Ludwig überschreibt: »Mehr Socialist als Republikaner« sei Georg Büchner gewesen. Auch Frank Deppe sieht »frühsozialistische Themen« im Hessischen Landboten, auch wenn die Eigentumsfrage dort nicht gestellt werde. Deppes Fazit: »Die Sozialkritik — und die daraus abgeleitete Kritik des Staates als Instrument der Ausbeutung der Mehrheit der Bevölkerung im Interesse einer kleinen Oberschicht — verleiht dem Landboten seine Radikalität und ordnet ihn in die Tradition des Frühsozialismus ein …«

Erfolgreich war die Schrift trotz ihrer Sprachgewalt nicht. In zwei Auflagen wurden insgesamt kaum mehr als 1.500 Exemplare gedruckt. 139 davon fielen in die Hände der Polizei, die im August 1834 den Mitverschwörer Karl Minnigerode festnehmen konnte. Auch Büchner geriet in Verdacht. Auf Wunsch seines Vaters kehrte er im September 1834 ins Elternhaus nach Darmstadt zurück. Hier schrieb er heimlich innerhalb von fünf Wochen das Revolutionsdrama »Dantons Tod«. Eine Möglichkeit, seine subversive Tätigkeit fortzusetzen, sah er nicht. Im folgenden Winter löste sich die Darmstädter Sektion der Gesellschaft der Menschenrechte auf. Durch die Denunziationen eines Spitzels und eines Kronzeugen wurden weitere Verschwörer verhaftet, darunter Weidig. Er starb später im Gefängnis an einer Halswunde. Ob er sich selbst tötete oder aber ermordet wurde, konnte nie geklärt werden.

Büchner floh im März 1835 über die Grenze nach Straßburg. Dort schrieb er die Erzählung »Lenz« und das Lustspiel »Leonce und Lena« — als Beitrag für ein Preisausschreiben des Cotta-Verlages. Allerdings verpasste er den Einsendeschluß um wenige Tage. Zur gleichen Zeit übersetzte er zwei Dramen vor Victor Hugo und setzte sein Studium fort. Im Frühjahr 1836 vollendete er seine Dissertation »Abhandlung über das Nervensystem der Barbe«, die er im Somemr der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich vorlegte. Zum Doktor der Philosophie ernannt, zog er im Oktober nach Zürich. Hier lebte er bis zu seinem Tode. Georg Büchner starb am 19. Februar 1837 an Typhus, mit nur 23 Jahren.

Rückzug aus der aktiven Politik

Auch in Zürich blieb er auf vielen Gebieten aktiv; er hielt Vorlesungen in Philosophie, forschte an Fischen und schrieb am »Woyzeck«. Hermann Kurzke interpretiert in seiner kürzlich erschienenen Biografie Büchners Rückzug aus der aktiven Politik als Ausdruck von Resignation und schlechtem Gewissen gegenüber seinen eingesperrten Genossen. Überhaupt sei er mehr »Sozialromantiker als Sozialrevolutionär« gewesen. Daß in seinen Werken religiöses Vokabular weit häufiger vorkomme als politisches, deutet Kurzke als Sehnsucht Büchners nach einer Versöhnung mit dem Christentum — während seine mit großem Fleiß verfolgte akademische Karriere der Versöhnung mit dem strengen Vater gedient habe. Das mag man für plausibel halten oder auch nicht — die psychologischen Deutungen, die der fantasievolle Biograf in Ermangelung eindeutiger Quellen zusammenträgt, beruhen zum größten Teil auf Spekulation. Seine Darstellung richtet sich explizit gegen die »linke Büchner-Orthodoxie« — nicht nur in der DDR, sondern vor allem im »westdeutschen Verbalradikalismus« seit 1968.

So zerfällt Büchners Erwachsenenleben für Kurzke in zwei klar abgrenzbare Teile: einen politischen (»sozialromantischen«) und einen akademisch-literarischen. Hans Mayer dagegen hebt »Büchners Totalität der Lebensinteressen« hervor und nennt neben der Naturwissenschaft und der Philosophie diverse unmittelbar politische Gegenstände dieser Interessen: die Aufklärung und die Französische Revolution, soziale Utopie und Arbeiterbewegung, die Kritik an den »großen Männern«. Damit war er weit von einem Literatenleben entfernt, wie es zeitgenössische Dichter führten; auch »seine Literaturproduktion einer Nichtselbstverwirklichung und Nichtidentitätsfindung«, so Mayer weiter, mache ihn zur »großen Ausnahme«, zum »Außenseiter« und »Vorwegnehmenden«.
 

Wie gewalttätig darf, muß die Revolution sein?

Bei allen autobiografischen Elementen, die Büchners Werke enthalten, versteht es sich für Mayer von selbst, daß diese politisch gedeutet werden müssen »Dantons Tod» ist eine Auseinandersetzung nicht nur mit der Französischen, sondern mit der Revolution schlechthin, ihren Zielen, Methoden und — vermeidbaren oder notwendigen — Opfern. Der historische Revolutionär Danton wollte nach den »Septembermorden« an etwa 1200 politischen Gefangenen, für die er mitverantwortlich war, einen gemäßigten Kurs einschlagen. Büchner läßt ihn, im Streitgespräch mit seinem Gegenspieler Robespierre, sagen: »Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an; ich sehe keinen Grund, der uns länger zum Töten zwänge.« Robespierre antwortet: »Die soziale Revolution ist noch nicht fertig; wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab.«

Hans Mayer kommentiert, Robespierres radikale Position sei »geschichtlich durchaus sinnvoll und denkbar und auch schwer zu widerlegen«, außerdem habe ihm die Geschichte Recht gegeben, Büchner verzichtet darauf, Partei zu ergreifen. Sein Stück endet mit Dantons Hinrichtung und ohne Hoffnung auf einen revolutionären Aufschwung. Der Schluß entspricht diversen pessimistischen Äußerungen Büchners, u. a. in dem sogenannten Fatalismusbrief an seine Verlobte Wilhelmine Jaeglé von Januar 1834: »Ich studirte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte.«

Das darf nicht als Sich-Abfinden mit den Verhältnissen mißverstanden werden. Noch kurz zuvor hatte er, ebenfalls an Wilhelmine Jaeglé geschrieben: »Die politischen Verhältnisse könnten mich rasend machen. Das arme Volk schleppt geduldig den Karren, worauf die Fürsten und Liberalen ihre Affenkomödie spielen. Ich bete jeden Abend zum Hanf und zu d. Laternen.« Wenig später, im März 1834, schrieb er dann den Aufruf für Den Hessischen Landboten.

Selbst sein Lustspiel »Leonce und Lena«, das er hauptsächlich in der Hoffnung auf Geld schrieb, ist politisch: eine »echte Satire, gespeist aus Haß, nicht aus Spott und Laune«, Haß auf »eine Gesellschaftsordnung, die Büchner als unmoralisch empfand«. (Mayer) In Büchners bekanntestem Stück, dem Fragment gebliebenen »Woyzeck«, ist die politische Anklage offensichtlich — bis hin zur‘ Parteinahme für einen leidenden, verwirrten Menschen, der zum Mörder an seiner untreuen Geliebten wird. Büchner verteidigt den Mord nicht, zeigt aber, wie es dazu kommen kann in einer Welt, wo »Moral« und »Tugend« für die Armen ein Luxus sind. Die Privilegierten, die davon schwatzen, heißen bei Büchner schlicht »Hauptmann«, »Doktor« oder »Tambourmajor«, die Geknechteten dagegen werden durch Eigennamen als Individuen sichtbar. Einen revolutionären Ausweg aber gibt es für sie nicht, nur Demütigung und Verzweiflung.

»Woyzeck« ist also mit Sicherheit ein Sozialdrama, keinesfalls aber ein Vorläufer des Sozialistischen Realismus. Entsprechende Instrumentalisierungsversuche, die es gab, etwa in der DDR, sind lächerlich. Kurzke und seine Bewunderer in den Feuilletons betreiben das Gleiche mit anderem Vorzeichen.

bluete