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Paul Bourget
 

Paul Bourget (1852-1935) ist in seiner Heimatstadt Amiens so gut wie unbekannt, ganz im Gegensatz zu dem Schreiber fiktionaler Romane Jules Verne, der ebendort begraben und dem ein ganzer Stadtrundgang gewidmet ist. Aber wie könnte es auch anders sein? Schließlich war kein oberflächlicher Zeitgenosse. Seinen Roman »Der Luxus der Andern« leitet er so ein: »Wenn man mehrere Pariser Zeitungen regelmäßig liest — und wer verschwendet heutzutage nicht eine Stunde am Morgen und am Abend, um in einem Dutzend von Blättern dieselben Nachrichten, dieselben spitzfündigen Klügeleien, denselben Parteistandpunkt wiederzufinden? — und so ….« Die Hauptfigur des Romans ist ein Journalist, der von seiner Gemahlin angetrieben wird, immer noch mehr zu arbeiten, damit sie sich mehr leisten und  in den besseren Kreisen sehen lassen kann. Die Quantität seiner Artikel nimmt zu, denn er kommt dieser privaten Anforderung nach. Die Qualität seiner Arbeiten jedoch sinkt unaufhörlich, so daß er hinter seinem Rücken von den Mitarbeitern der Redaktion verlacht wird. Gesellschaftlich ist er unter seinesgleichen ein geachteter Mann. Seine Gesundheit freilich geht baden. Allein seine Tochter erkennt die Wirklichkeit, versucht ihm zu helfen…
Die gefühlte, wenngleich unbegriffene Lage des Individuums steht auch in den meisten seiner anderen Werken im Zentrum. Immer wieder glaubt der Leser, jetzt müsse der Übergang zur vernichtenden Gesellschaftskritik erfolgen. Doch Bourget schreckt davor zurück. Will er diese dem Leser selbst überlassen? Er favorisiert leider eine rein moralische Haltung, möglicherweise weil er einen gesellschaftlichen Wandel nirgendwo am Horizont zu sehen vermag einerseits und andrerseits ganz sicher einer ist, der den kulturellen Werken der Vergangenheit seine Bewunderung nicht entziehen will.
Sein an sich absurdes Plädoyer für Rechtschaffenheit manifestiert sich zum Beispiel in der Geschichte »Der Wahlkandidat«. Ein konservativer Kandidat wird in einer Wahlversammlung von der radikaldemokratischen Konkurrenz niedergeredet. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als voller Zorn den Schwanz einzuziehen und sich zu verdrücken. Er sinnt auf Rache und siehe da, es bietet sich eine ausgezeichnete Gelegenheit. Kurz vor Vollzug jedoch besinnt er sich, ob wohl seine Tat rechtens sei. Er beschließt zu einem ihm bekannten Priester zu gehen, um ihn um Rat zu fragen. Jener rät ihm ab, da unsereins ja nicht so sei. So etwas täten doch allein unsere Gegner, wäre also unter unserer Würde! Und auf lange Sicht würden wir ja doch obsiegen! So platzte die Bombe nicht und der Kandidat verlor die Wahl, wie vorherzusehen war.
Seine »bewunderswürdige Feinheit der Seelen-Analyse« (Martha Schiff, Übersetzerin des Reclam-Verlags) ist das, was ihn so ungeheuer und zeitlos lesenswert macht. 
In deutscher Sprache zumeist vor dem 1. Weltkrieg erschienene Werke (oft ist keine Jahreszahl der Veröffentlichung angegeben):
— Der Luxus der Anderen (Philipp Reclam jun.)
— Kosmopolis (2 Bde.) (Engelhorn's allgemeine Roman-Bibliothek, 1894)
— Das Spitzenmäuschen (Engelhorn's allgemeine Roman-Bibliothek, 1902)
— Schwestern (Engelhorn's allgemeine Roman-Bibliothek, 1908)
— Herz und Handwerk (Erzählungen: Eine Gewissensfrage; Der Kuli; Cordelia; Ein Almosen; Der Wahlkandidat; Das Portrait) (Engelhorn's allgemeine Roman-Bibliothek, 1909)
— Der Emigrant (2 Bde., zusammengebunden) (Engelhorn's allgemeine Roman-Bibliothek, 1909)
— Das Mädchen von heute (Interterritorialer Verlag »Renaissance«)
— Stille Wasser (Verlag Continent)
— Der Sachverständige und andere Erzählungen (diese sind: Der Strafaufschub; Die Spießgesellin; Simone) (Verlag Weltgeist-Bücher)
— Verträumtes Herz (Phönix-Verlag), viel später erneut aufgelegt »Ein Frauenherz«
— Lazarine (Amalthea Verlag, 1923)
nicht aufgefundene Veröffentlichungen deutscher Sprache: Ein grausames Rätsel (1885?); Der Schüler (1889?);  Lügen (1891?); Der Todessinn (1916?)

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