Wie bekämpft man das Umweltdesaster?
„Manche sagen, ich solle lieber in die Schule gehen. Manche sagen, ich solle lernen und Klimaforscherin werden, damit ich »die Klimakrise lösen« kann. Aber die Klimakrise ist bereits gelöst. Alles, was wir tun müssen, ist, aufzuwachen und etwas zu ändern.“ (Greta Thunberg, 31.10.2018 in London)
Marx war zwar nicht der erste*, der die Natur unter gesellschaftwissenschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet hat, allenfalls der erste für das Zeitalter des Kapitalismus. Wie selbstverständlich hat er die natürliche Umgebung des Menschen und ihn selber dargestellt als von ihm selber gestaltet: Er, der Mensch, also nicht Spielball der Naturgewalten ist, sondern deren Beherrscher. Und es ist klar, daß heute bzw. eben auch schon zu Marx‘ Zeiten längst nicht der Mensch als solcher Beherrscher der Natur ist, sondern er selber ein Spielball, nämlich der von ihm ins Leben gerufenen »Sachzwänge«. Am Anfang der Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften war es noch so wie Marx als Notwendigkeit eben solcher feststellt: »Nicht das tropische Klima mit seiner überwuchernden Vegetation, sondern die gemäßigte Zone ist das Mutterland des Kapitals.«**
Und Marx hat in seiner Analyse des Kapitals eine weitere Notwendigkeit des Interesses an Verwertung von Kapital herausgefunden: »Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.«*** Die Sorge bezüglich der Untergrabung der Natur einschließlich des Klimas hat als solche etwas Ideologisches an sich, dann nämlich, wenn sie nicht auf die kapitalistische Produktionsweise zurückgeführt wird. Wenn es heißt »der Mensch — das Schwein«, der Mensch, der so rein biologisch ja gar nicht tätig ist. Er betätigt sich allenthalben als Charaktermaske (Marx) gesellschaftlich etablierter und institutionalisierter Interessen. Der Mensch ist eben Staatsmann (Politiker), Kapitalist, Lohnarbeiter oder in anderer Form Funktionsträger der Gesellschaft. Als solche dürfen und sollen »die Menschen« sich betätigen, ihre Dienste (am Sachzwang, versteht sich!) einbringen. Gegen den gesellschaftlich sachzwanghaften Zusammenhang — der einer der monopolisierten Gewalt, eben eines Staates, ist, — Einspruch zu erheben, ist weder vorgesehen noch erwünscht noch gar zugelassen.
Klimasorgen zu ventilieren muß, soll und kann kein Einspruch gegen die herrschenden Verhältnisse sein, sondern umgekehrt, Sorgen eben dieser Verhältnisse zur Aufrechterhaltung ihrer selbst ernst zu nehmen: Als ob es sich nicht von selber verstünde, daß die Verhinderung der Zerstörung nicht den Verursacher retten kann. Oder anders ausgedrückt: Wem es um die Rettung des Kapitalismus geht, der nimmt die Zerstörung unweigerlich in Kauf. Die Zerstörung der Natur ist dann nichts anderes als eine geheuchelte Sorge. Diese Sorge paßt zu den maßgebenden Charaktermasken kapitalistischer Dogmata allen voran dem der Freiheit des Kapitals. An Zynismus ist diese Heuchelei nicht zu überbieten. Ja, es ist wirklich geradezu unangenehm, feststellen zu müssen, daß Kritiker der Klimaveränderung und der sonstigen Umweltzerstörung so naiv sind, daß sie sich an solche dem kapitalistischen Zwang verpflichteten Figuren wenden und mitunter von jenen gar einladen lassen. Und man merkt, wie sie sich so gar nicht wohlfühlen, gar nicht wohlfühlen können in deren unheimlichen Gesellschaft, in dieser Gesellschaft von scheißfreundlich sich gebenden Funktionärstypen.
Und es ist nicht so, daß das kapitalistische Empire nicht »Mißvertändnisse« zu kreieren weiß, 1. Beispiel:
Unverdrossen wird daran festgehalten, daß das kapitalistische Management, die Resultate ihrer Wirtschaft in den Griff bekommen kann: So lobt Jason Clay vom World Wildlife Fund for Nature einen Konzern: »Mars hat sich in Sachen Nachhaltigkeit verpflichtet, im Bereich Meeresfrüchte nur zertifizierte Produkte zu kaufen. Erstaunlicherweise kauft Mars mehr Meeresfrüchte als Walmart, weil sie Tiernahrung herstellen. Und sie machen wirklich interessante Sachen im Bereich Schokolade. Und all das kommt daher, daß Mars auch in Zukunft im Geschäft bleiben will. Sie verstehen, daß sie die Schokoladenproduktion verbessern müssen. Deshalb sequenzieren sie das Genom der Kakaopflanze, zusammen mit IBM und dem US-amerikanischen Landwirtschaftsministerium. Sie wollen, daß man ihnen hilft, nachhaltig zu werden. Jetzt ist ihnen klar geworden, daß sie 320 Prozent mehr Kakao auf 40 Prozent weniger Land erzeugen können, wenn sie die genetischen Merkmale für Wachstum und Dürretoleranz identifizieren können. Das übrige Land kann dann für etwas anderes benutzt werden. Das heißt: mehr mit weniger oder noch mal weniger. So muß die Zukunft aussehen!« Und Rob Wallace bemerkt dazu: »Keine Hilfe bei seinem Streben nach Nachhaltigkeit will Mars allerdings von den Tausenden von Kindern, die für seine Zulieferer in Ghana und der Elfenbeinküste unter sklavenartigen Bedingungen Monokultur-Kakao anbauen. Beziehungsweise von den Tausenden Vertragsbauern dort, die in bitterer Armut leben und von dem Unternehmen keine Fairtrade-Preise erhalten. Jason Clay verteidigt Cargill und Mars mit dem Argument, die Agrarindustrie sei am besten in der Lage, Effizienzgewinne in der landwirtschaftlichen Produktion zu erreichen, um den Ressourcenverbrauch zu senken. Diese Annahme ist das zentrale Glaubensbekenntnis des grünen Kapitalismus. Aber sie ist bestenfalls ahistorisch und läßt die umfassende Zerstörung außer acht, die die Monokulturen der Agrarindustrie hervorgebracht haben. Ihre Effizienzgewinne werden häufig mit Einbußen an anderer Stelle erkauft, darunter so sentimentale 'Fixkosten' wie Menschenrechte, Gesundheit, Löhne und, um einen reduktionistischen Begriff zu verwenden, Ökosystemdienstleistungen.«****
2. Beispiel:
Die in der G7 versammelten imperialistischen Staaten wissen, daß die Aufrechterhaltung zum einen auf (frei)willigen Mitmachern beruht, zum anderen dies durch einen einsatzbereiten Gewaltapparat abgesichert werden muß. Deshalb versuchen diese Staaten mit ihren Geheimdiensten und mit ihnen verpflichteten Nichtregierungsorganisationen (NGO) in den Staaten Einfluß zu nehmen, wo es ihnen gerade nötig erscheint. Da keinen sie kein Tabu. Sozial- und Ökoorganisationen werden unterstützt und gegen unerwünschte Regierungen aufgehetzt. In Nicaragua beispielsweise führte die Bewegung insbesondere
gegen das neue Kanalprojekt 2017 (finanziert von einem chinesischen Konsortium) zu Antiregierungsdemonstrationen, die dann 2018 anläßlich einer Rentenreform neu aufflammten. Die Demonstranten hatten sich dabei den falschen Adressat auserkoren: Jene anschließend zurückgenommene Reform war nämlich einem der berühmten IWF-Diktate geschuldet, womit die Vasallen des Imperialismus auf Kurs gehalten werden sollen. All diese Proteste führten dann zwar nicht zum Sturz der bei nachfolgenden Wahlen mit überwältigender Mehrheit bestätigten sandinistischen Regierung, wohl aber zu ihrer Diffamierung und Dämonisierung dieser durch die medialen Agenturen der Weltaufsichtsbehörden. Die FSLN weiß jedoch aus bitterer Erfahrung um die Verlogenheit der Behauptungen insbesondere aus den USA, die Umwelt und Mensch — gerade den nicht oder nicht länger ausbeutungsfähigen — als lästiges Vehikel ihrer Verwertungsmaschinerien betrachten. Für die Ortega-Regierung ergab sich freilich ein praktisches Problem beim Umgang mit den Demonstranten: Rädelsführer und naive Mitläufer mußten erst sortiert werden; letztere wurden freigelassen, erstere blieben inhaftiert und wurden später in ihr gelobtes Land ausgeflogen. Konsequenterweise wurden 2022 eine ganze Anzahl von NGOs verboten, Organisationen, die so »selbstständig« sind, daß sie vom imperialistischen Ausland finanziert werden.
3. Wie das imperialistische Vorgehen System hat, zeigt ein weiteres Beispiel:
In Tansania und Uganda soll eine neue Ölpipeline gebaut werden, um die Energieversorgung in küstenfernen Gebieten zu verbessern, ein Projekt, das von China mitfinanziert und -gebaut werden soll. Nun hat die Klimaorganisation »Letzte Generation« sich gegen dieses Projekt ausgesprochen*****, also ganz im Sinne der tonangebenden Staaten, die ihren Einfluß auf dem afrikanischen Kontinent schwinden sehen. Man muß nicht soweit gehen, um zu glauben, daß jene Organisation schon von staatlichen Stellen unterwandert ist. Doch umso schlimmer ist die schier unglaubliche Naivität, ihr offenbar völlig fehlendes poltisches Bewußtsein! Vom Zynismus, daß afrikanische Staaten das nicht haben sollen, was hierzulande selbstverständlich schon lange vorhanden ist, mal ganz abgesehen.
Und schließlich 4.
»Seit dem Beginn des Jahrhundert ist die Durchschnittstemperatur in meinem Land, dem Tschad, um mehr als 1,5° C angestiegen. Für die meisten Länder Afrikas gilt das gleiche. Unsere Bäume brennen. Unsere Wasservorkommen versiegen. Unsere fruchtbaren Äcker verwandeln sich in Wüste. Als indigene Frau lebte und arbeitete ich mit meiner Gemeinschaft stets im Einklang mit der Natur. Die Jahreszeiten, die Sonne, Wind und Wolken waren immer unsere Verbündeten. Inzwischen sind sie zu Feinden geworden,«******
Es liegt auf der Hand, daß die zerstörte Natur, die zerstörten Lebensbedingungen des Menschen selber zu den Fluchtursachen gehört, von denen die imperialistischen Staaten am liebsten nichts wissen wollen: So werden auch die restriktiven Maßnahmen begreifbar: Sie sind ihrer Ignoranz gegenüber den Ergebnissen ihrer eigenen Politik geschuldet. Der Rassismus, der mit den Flüchtlingen gefüttert wird, ist somit ein unabtrennbarer Teil der kapitalistischen Weltordnung und damit der Umweltzerstörung.
Und wenn man dann folgendes liest,
»Wissenschaftler aller Disziplinen sind sich einig, daß die Menschheit vor einem Abgrund steht. Der Klimawandel, die Versauerung der Ozeane, die Wasser- und Luftverschmutzung, Nitrat- und Fosfatbelastung, Störungen der Ozeanströmungen, all diese Elemente des Erdsystems haben entweder Kippunkte bereits überschritten oder nahem sich ihnen rasch an. Die drängendsten ökologischen und sozioökologischen Probleme sind die Zerstörung der Habitate, der Verlust biologischer Vielfalt, kollabierende Ökosysteme, neue Krankheiten, die Erschöpfung von Ressourcen, Peak Oil und zunehmende Schwierigkeiten bei der Energiegewinnung insgesamt, die Eutrofierung. der Gewässer, der Kollaps der Ozeane, die Verschlechterung der Bodenqualität, die Anreicherung von Giftstoffen in der Umwelt und natürlich die Klimaveränderungen. All das bedroht viele Pflanzen und Tierpopulationen, ohne die unsere Gattung nicht überleben kann. Die Umweltschäden sind nicht auf einzelne Biome beschränkt, sie haben globale Ausmaße….«
fragt man sich dann etwa nicht: Weshalb? Wollen jene Wissenschaftler dem Kapitalismus partout kein Haar krümmen? Sind für sie die westlichen Industriestaaten nach wie vor die richtige Adresse, an die sie ihren Aufschrei richten? Hat die Feststellung eines Mißstandes auch schon irgendetwas mit Kritik zu tun? Oder ist es nicht viel mehr eine Bestätigung der Politik, die mit nicht enden wollenden der Umwelt geschuldeten Konferenzen den status quo perpetuiert? Wird in Afrika beispielsweise der Hunger nicht schon seit der Entkolonisierung um 1960 bekämpft, ohne daß er beendet wurde? Ist das Umweltdesaster nicht schon in den 1970er Jahren breit bekannt geworden, ohne das sich daran etwas geändert hätte? Zeigt sich jetzt etwa nicht, daß Marx mit der Analyse des Kapitals nicht schon einen ganzen Schritt weiter war, die Katastrofe und ihr Ausmaß in eben dieser seiner Schrift als notwendig antizipierend?
02.05.2024,
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* »Er [(Karl Nikolaus) Fraas, 1847] behauptet, daß mit der Kultur – entsprechend ihrem Grad – die von den Bauern so sehr geliebte Feuchtigkeit verlorengeht (daher auch die Pflanzen von Süden nach Norden wandern) und endlich Steppenbildung eintritt. Die erste Wirkung der Kultur nützlich, schließlich verödend durch Entholzung etc. Dieser Mann ist ebensosehr grundgelehrter Filolog (er hat griechische Bücher geschrieben) als Chemiker, Agronom etc. Das Fazit ist, daß die Kultur – wenn naturwüchsig vorschreitend und nicht bewußt beherrscht (dazu kommt er natürlich als Bürger nicht) – Wüsten hinter sich zurückläßt. Persien, Mesopotamien etc., Griechenland.« [Marx an Engels, MEW 32, S. 52]
** Kapital, Band 1, MEW 23, S. 536
*** Kapital, Band 1, MEW 23, S. 529. Das Wörtchen »daher« verweist auf Marx' ausführliche Begründung dieser Notwendigkeit!
**** in: Rob Wallace, Was Covid-19 mit der ökologischen Krise , dem Raubbau an der Natur und dem Agrobusiness zu tun hat, 2021 (2. A.), S. 125
***** (Pressemitteilung vom 18.03.24)
****** Hindou Oumarou Ibrahim, in: Carola Rackete, Handeln statt Hoffen, 2019, S. 10