kokaWahlsieg der Hindu-Nationalisten in Indien
Das Geheimnis des Erfolges: In Vishnu we trust!

Wenn im »freien Westen« die Rede auf Indien kommt, ist gerne von der größten Demokratie der Welt die Rede. Und in der Tat werden dort regelmäßig Wahlen abgehalten, noch dazu solche, denen kein richtungsweisender Putsch vorhergeht. Für einen Staat der »Dritten Welt« ist das durchaus bemerkenswert, zumal in Indien seit britischen Kolonialzeiten die Ursache für Aufstände, die kolossale Armut der Massen, fortbesteht, ja sich noch ausgeweitet hat.
Dieser Gefahr war sich die vom »Westen« alldieweil favorisierte Kongreß-Partei stets bewußt. Sie hat es, das kann man ihrem Gandhi-Clan und seinen Nachfolgern wirklich nicht vorwerfen, nie daran fehlen lassen, auf das westliche Erfolgsrezept schlechthin, eine durchgreifende Kapitalisierung, zu setzen, um so die Menschenmassen einer produktiven Verwertung zum nationalen Wohl zu unterwerfen. Mit der Folge, daß der Reichtum einiger weniger Profiteure (in jüngster Zeit vor allem in der IT-Branche) ebenso rapide zunahm wie die Armut derer, die von ihm ausgeschlossen wurden, nachdem ihr ganzes Hab & Gut — sofern (noch) vorhanden —  in Händen anderer kapitalisiert worden war. Der Subsistenzwirtschaft war der Kampf angesagt. Nicht zuletzt ein besonders intelligenter Wirtschaftswissenschaftler namens Yunus aus Ost-Bengalen (Bangla Desh) hat mit seiner Idee der Kleinkredite gerade auch in Indien zur Enteignung von Kleinbesitz beigetragen. Im übrigen hat sich für die Kapitalisierung gar eine ML-Partei, die KP-Marxist, speziell in ihrer Hochburg (West)Bengalen stark gemacht. Die Schimäre einer »Entwicklung der Produktivkräfte« gilt einer solchen Partei nämlich als Dogma ihrer gesellschaftlichen Anerkennung: Nein, als Fortschrittsfeinde wollen solche »Kommunisten« partout nicht gelten! So haben sie nichts gegen Ausbeutung, Verwertung der Arbeiterklasse im Sinne eines allgemeinen, des nationalen Fortschritts.

Es ist genau die Diskrepanz zwischen dem neu geschaffenen Reichtum auf der einen Seite und der damit einhergehenden Armut auf der anderen, welche nun zum Desaster der Kongreßpartei bei den Wahlen geführt hat. Die oppositionelle Partei BJP (Bharatiya Janata Party: Indische Volkspartei) konnte dies der Regierung ebenso verlogen wie erfolgreich ankreiden. Den von ihr regierten Bundesstaat Gujarat pries ihr Führer Narendra Modi als Erfolgsmodell, obschon dort keine andere Staatsräson durchgesetzt wurde als eben die rigoroser, rücksichtsloser Kapitalisierung. Insofern mag der Wahlerfolg verwundern. Nicht jedoch, wenn man sich den durch die Religion — in diesem  Falle die hinduistische — dominierten Bewußsseinszustand der Massen vor Augen führt: Das, was die Kongreßpartei nicht erreicht hat, das konnte sie, so Modi, gar nicht erreichen — aufgrund ihrer Gottesferne! Folgendes Beispiel mag den Glauben im Zeitalter des modernen Kapitalismus zeigen:
"Vor kurzem organisierten Hindus in Indien größere Demonstrationen gegen McDonalds, als sich herausstellte, daß McDonalds die Pommes Frites vor dem Einfrieren in einem Öl brät, das mit Tierfett (Rind) versetzt ist. Nachdem das Unternehmen diesen Punkt zugegeben und versprochen hatte, daß sämtliche in Indien verkauften Pommes Frites nur noch in Pflanzenöl gebraten würden, gaben sich die Hindus zufrieden und setzten ihren Pommes-Frites-Konsum unbekümmert fort. Weit davon entfernt, die Globalisierung zu unterminieren, veranschaulicht dieser Protest gegen McDonalds und die schnelle Reaktion des Unternehmens, daß die Hindus vollkommen in die diversifizierte globale Ordnung integriert sind." (Slavoj Žižek, Die Revolution steht bevor, S.21)
Für einen Atomstaat, für ein IT-Indien, für einen der aufstrebeden BRIC-Staaten hat die Religion offenkundig nach wie vor ihre Bedeutung. Warum auch sollte der Hinduismus in Indien eine andere Rolle spielen als der Islam für eine Kapitalisierung der EU-ambitionierten Türkei unter einer muslimischen AKP oder das Christentum für die viel früher erfolgte Kapitalisierung des »freien Westens« unter all ihren famosen christlichen Demokraten? Es sei daran erinnert, daß auf den us-amerikanischen Münzen (seit 1864) und seit 1955 auf Banknoten der Spruch "In God we trust" steht…

Eine andere Sache ist die Reaktion des freien Westens auf den Wahlsieg der BJP. Die Anerkennung dieses Sieges, die sogleich durch den amtierenden US-Präsidenten Obama erfolgte, setzt zweifellos das Festhalten der neuen Regierung am kapitalistischen Konzept voraus. Angesichts dessen ist die allenthalben schwer beargwöhnte Religion samt ihren heiligen Kühen den Oberhäuptern der freien Welt zwar nicht minder suspekt, rückt aber in den Hintergrund. Im Vordergrund steht die strategische Berechnung des Westens, die strategische Bedeutung Indiens: Als Atommacht von den USA seit 2006 faktisch anerkannt (und zwar ohne auf einem Beitritt Indiens zum Atomwaffensperrvertrag zu drängen), als ökonomischer Faktor, also als Investitionsstandort und Absatzmarkt für US-Kapital hoch gehandelt. Und nicht weniger ist Deutschland an einer Pflege »indoarischer« »Freundschaft« interessiert, so wie es sich für einen ambitionierten imperialistischen Staat eben gehört. Wobei »wir« es natürlich vorziehen, wenn hochqualifizierte »Computerinder« gleich bei und für »uns« arbeiten…. (Nicht zuletzt dafür gibt es dann massiven deutschen Kulturimperialismus u.a. in Form von Goethe-Instituten in elf Städten.)

(29.05.2014) 

bluete