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Im deutschen Frauenstaat:
Frauenbewegung quo vadis?

 

Die Lage der Frauen ist ja heute alles andere als berauschend, für die vom Lohn abhängigen sowieso und selbst von denen, welche bessere Berufe erstrebt haben, sind landauf landab Klagen zu hören. Zur sozialen Lage der Frau in der bundesdeutschen Vorzeigerepublik gibt es bereits einen Artikel. [1]
Auch die extremen Außenseiterinnen der Frauenbewegung Rosa Luxemburg und Clara Zetkin sollen an dieser Stelle nicht Thema sein ebensowenig wie Lilly Prem, die sich in Augsburg 1918/19 mit an die Spitze der Revolution stellte.

Hier solle es um die Hauptströmung der Frauenbewegung, der Frauenrechtsbewegung, des Feminismus gehen, die sich zweifellos durch gewisse Erfolge auszeichnet. Die Bewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts sowie in den Jahrzehnten danach kam im wesentlichen aus dem Proletariat. Es waren Frauen, Ehefrauen von ausgebeuteten Männern und Frauen, die sich selbst verdingen mußten — jedenfalls solange sie nicht ihr Ziel einer Versorgungsehe erreicht hatten, wobei das Heiraten, so es sich immer zwangloser gestaltete, zunehmend problematischer wurde und eben darob auch die Zahl der — moralisch immer weniger verpönten — Scheidungen anstieg.
All diese Frauen fanden Ansprechpartner insbesondere in der Sozialdemokratischen Partei, in der sie Beisitzerposten angeboten bekamen und von der ihnen unter dem Schein völliger Selbstlosigkeit versprochen wurde, sich um ihre Belange zu kümmern. Nun hat diese Partei die Lage der Frauen ebensowenig zum Positiven verändert wie die des Proletariats überhaupt. Erstmal durften sich die Frauen, agitiert von der SPD, in einem Weltkrieg für die Nation seelisch wie körperlich zerreißen. Und dafür erhielten sie dann durch die Niederlage Deutschlands weniger erkämpft als zwangsläufig das Wahlrecht — schließlich galt es für den Staat, einen neuen Erfolgsweg zu suchen und einzuschlagen, der dann in der demokratischen Form von Herrschaft blutig durchgesetzt wurde. Das galt der Frauenbewegung damals — ungeachtet dieses Entstehungshintergrundes — als ein Meilenstein schlechthin: Denn damit erhielten sie, wie sie meinten, immerhin den Hauch einer Chance, auch an ihrer materiellen Abhängigkeit etwas zu ändern.

Wie sehr die Frauen damals ihr Schicksal mit dem ihrer Nation verbunden hatten, ist sicherlich eine der großartigsten Agitationsleistungen der SPD gewesen. Angereichert wurde diese Agitation durch universitätsgebildete Frauen. Dies sei hier in einem Gedicht von Anita Augspurg [2], einer Juristin, dokumentiert, auf die sich übrigens erst kürzlich die Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer bezog:

»Nationalhymne der Frauen

Deutschland, Deutschland über alles,
Wenn es auch die Frau befreit,

Ihr die Bürgerkrone bietet,
Folgend einer neuen Zeit.

Weil die Frau in Heim und Werkstatt
An des Volkes Reichtum schafft,

Weil ihr Wesen und ihr Walten
Mehrt und hebt des Reiches Kraft.

Einigkeit und Recht und Freiheit
Heischt die Frau gleichwie der Mann.

Weil für ihre gleiche Leistung
Gleiches Recht sie fordern kann.

Frei, wer für die Volksgemeinschaft
Mühsal trägt und strebt und denkt,

Frei vor allem auch die Mutter,
Die dem Reich die Bürger schenkt!

Deutschland, Deutschland über alles,
Wenn es wie in alter Zeit

Seinen Frau‘n im Volksrate
Sitz und Recht und Gleichheit beut.

Nur ein Land, das seine Frauen
Frei und gleich und würdig stellt,
Nur ein solches Land strebt aufwärts,
Steht voran in aller Welt!«

Dieses Gedicht übrigens wurde nicht von KoKa-Augsburg aus der Versenkung geholt, sondern von den Initiatorinnen der kürzlich gezeigten Ausstellung »Die modernen Frauen des [Foto]Ateliers Elvira in München und Augsburg 1887 – 1908« [3] Diese Verse wurden ganz offensichtlich deshalb hervorgezaubert, weil ihr Gehalt den heutigen modernen Frauen eben auch aktuell absolut zeitgemäß erscheint.

Nun war die Beteiligung der Frauen an der Männerdomäne Politik richtungsweisend und gab schon Anfang der 1920 Jahre Visionen frei, die mit dem mittlerweile erreichten Stand der Frauenbewegung verglichen werden können. Arthur Zapp hat die Entwicklung in seinem Roman »Im Frauenstaat« zu antizipieren versucht.[4] Ausgehend von den sich damals ändernden Verhältnissen, in denen sich junge Frauen bei allen Vorbehalten ihrer Eltern in ihren Ansprüchen nicht länger bremsen lassen wollten einerseits und einer nach wie vor — sich auf die Natur berufenden! — frauenfeindlichen Gerichtsbarkeit andrerseits, stellt er das heraus, wohin das Staatswesen heute so ziemlich gelangt ist: Frauen zur Genüge in den Parlamenten, in Spitzenpositionen der Regierung.

An dieser Stelle ein Zitat aus dem Roman, die Alterspräsidentin des Parlaments bei der Sitzungseröffnung:
»"Deutschland habe sich mit einem Ruck an die Spitze aller Kulturstaaten gestellt, es habe eine große Kulturtat zu verzeichnen, eine der größten in der Geschichte der Menschheit. Ein Riesenunrecht habe das deutsche Volk gutgemacht, eine große Schuld abgetragen. Zum erstenmal, seit es Weltgeschichte gab, sei die Vorherrschaft der Männer im Staat gebrochen. Bisher sei den Frauen nur ein bescheidener Anteil an der Erledigung der regierungsgeschäfte gegönnt gewesen. Jetzt zum erstenmal würden sie das Steuer eines Staates in die Hand nehmen. Unter der männlichen Herrschaft seien Krieg und Gewalttätigkeiten aller Art die Regel gewesen, hätten die Ungerechtigkeiten der sozialen Verhältnisse, der krasse Gegensatz zwischen reich und arm — von den sozialen Errungenschaften der letzten Jahre abgesehen — Unheil über Unheil über die Welt gebracht, die übergroße Mehrheit der Menschen zu Armut und Not, zu Elend und Niedrigkeit verdammt und nie zu sorglosen, frohem Lebensgenuß gelangen lassen. …
Die Schmach, die uns einst zugefügt wurde, mit den Worten: ‚Die Frau gehört ins Haus‘ und ‚mulier taceat in ecclesia‘ [ein Weib hat in der Kirche zu schweigen] ist glänzend gesühnt. …
Man sagt immer, …, daß die Politik eine rein verstandesmäßige Angelegenheit sei. Wie soll man dann den Verstand der Männer einschätzen, die die Politik, die sie bis zur großen Revolution ausschließlich beherrschten, so herrlich ausgeübt haben, daß Deutschland 1918 einem Trümmerhaufen glich? Haß, Gewinnsucht, Unterdrückung und Ausbeutung des Schwächeren durch den Stärkeren, das waren die treibenden Kräfte der männlichen Politik im Verhältnis zum Ausland und in den Beziehungen der Bürger untereinander. Dann begann das große Aufbauwerk, die große Mehrzahl der Probleme war rein wirtschaftlicher Natur. Erst als wir Frauen nach und nach mehr Terrain im öffentlichen Leben gewannen, wurden die Kulturprobleme, soziale und Sittlichkeitsfragen aller Art energisch in Angriff genommen. Das warme Herz der Frauen holte nach und machte gut, was der kalte Verstand, die sogenannte Realpolitik der Männer, versäumt und verschuldet hatte. …
Friedensverträge, in denen man die im Krieg besiegten Völker zu Heloten, zu wirtschaftlichen Sklaven gemacht, aufs unerhörteste ausgesogen hatte, fielen unter der sittlichen Empörung der zur Besinnung kommenden breiten Massen der uns ehemals feindlich gesonnenen Völker. Deutschland gelangte zu neuer Blüte, nicht nur zur Blüte kleinerer Teile der Nation, wie vor 1914, sondern zu einem Wohlstand aller Schichten des Volkes. Der Sozialismus war in Deutschland immer breiter und tiefer begründet gewesen, als sonstwo in der Welt. Er ist es, der Deutschland an die Spitze der Welt stellt. Wir waren es, die zuerst den entscheidenden Schritt auf dem Wege zur Vollendung der großen sozialen Reform taten, zur Aufhebung des unseligen Gegensatzes zwischen reich und arm, zwischen Überfluß und bitterstem Mangel, diesem Fluch der Menschheit, ohne dessen Beseitigung Ruhe und Frieden, Einigkeit und Glück unter den Menschen unmöglich ist. Das ist der große Ruhmestitel unsres Volkes, womit die deutsche Republik alles gesühnt hat, was die Monarchie verbrochen hatte. …
Aber noch anderer Fortschritte in Kultur und Gesittung können wir uns rühmen. Zwei der wichtigsten Faktoren im Kulturleben, die Rechtsprechung und die ärztliche Hilfe sind sozialisiert. Das Gericht ist verpflichtet jedem Bürger ohne Kosten zu seinem Recht zu verhelfen, und nicht mehr hat der Reiche vor dem Armen den Vorteil voraus, sich den gewiegtesten, aber auch teuersten Anwalt kraft seines größeren Geldbeutels zu sichern, sondern die Behörde weist je nach der Art der Fälle den Parteien einen Anwalt zu. Ähnlich wird bei den Erkrankungen verfahren. Nicht der Reichste erhält den tüchtigsten Arzt, sondern der am schwersten Leidende.
Wir haben …, unsre Dichter und Künstler in ihrem Schaffen von den Rücksichten auf den materiellen Ertrag ihrer Tätigkeit unabhängig gemacht. …
Wissenschaft und Kunst ersetzen unserm Volk einen Aberglauben, der sich nur auf Legenden und Märchen aus der Kindheit der Menschheit stützte. Unser Volk hat es nicht mehr nötig, in den Gotteshäusern Erhebung seiner Seelen zu suchen, denn alle Kunstdarbietungen sind frei. …"« (S. 86-92)

Der Text des Romans zeigt klar die Illusion, mit moralischer Kritik die bisherigen Zustände aufheben und beseitigen zu können. Denn welcher hier im Roman vorweggenommene Erfolg hat sich denn in rund 100 Jahren deutscher Republik wirklich eingestellt? Und wollen denn die heutzutage zahlreich in den Parlamenten vertretenen Staatsdienerinnen überhaupt etwas wissen davon, was die romanhafte Alterspräsidentin als Erfolge der Frauen herausgestellt hat? Davon ist nun wahrlich nichts, aber auch überhaupt nichts zu sehen:
Von einer Auflösung des Militärs — auch die wurde in dem 1922 erschienen Roman begrüßt — schon gleich nicht: Frauen an der Spitze des Kriegsministeriums, das konnte sich selbst der Frauenbewegteste seinerzeit  beim besten Willen kaum vorstellen! Ebenso die weitgehende Beschränkung der Polizei auf eine einzig angemessene Aufgabe, die Verkehrsregelung. Von einer wirklichen und nicht bloß formellen Beseitigung der Benachteiligung der zwecks notwendigen Gelderwerbs arbeitenden Klasse in Rechtsstreitigkeiten, bei Erkrankung etc. ist nun wirklich nichts zu sehen.

Doch selbst wenn dies alles erreicht wäre, hat Zapp die Wunde schlechthin nicht übergangen:
»… Üppigkeit und Prasserei, die unter den veränderten sozialen Verhältnissen schon in der Abnahme begriffen gewesen, nahmen wieder zu. Das Geld wurde wieder zum Gegenstand des heißesten Begehrens, und der soziale Frieden, der angefangen hatte, den früheren Kampf aller gegen alle abzulösen, wurde wieder erschüttert. Die Rücksichtslosigkeit der noch im Besitz kaufmännischer und industrieller Betriebe befindlichen Geschäftsleiter gegen Angestellte und Käufer kehrte wieder. …

Wo war die Wurzel des Übels? War die Welt doch nicht reif gewesen für die Umleitung des kapitalistischen Systems in den sozialen Staat? Sollte man die Abschaffung des Erbrechts, die in absehbarer Zeit das soziale Programm restlos zur Ausführung bringen würde, wieder rückgängig machen? Oder war man zu zögernd gewesen, sollte man die Konfiskation aller Vermögen mit einem Ruck gesetzlich bewirken? Sollte man das Geld, das doch schließlich die Ursache aller Unzufriedenheit, aller Gehässigkeit unter den Menschen und aller Verbrechen war, und das auch in weiterer Folge die Genußsucht und die Unsittlichkeit unterstützte und förderte, abschaffen und so letzten Endes den vollen Kommunismus herbeiführen?. …« (S. 148-149)
 

Wie sehr die heutigen Verhältsnisse den unerreichten Zielen weiblicher Politikbeteiligung als Erstrebenswerte recht geben — abgesehen davon, inwieweit sie nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt noch verfolgt wurden —, das war im Detail damals noch kaum erkennbar: Frauen erhalten für gleiche Tätigkeiten mittlerweile weitgehend den gleichen Lohn. Aber die Ausdifferenzierung der Tätigkeiten nach minder- und höherwertiger Arbeit, die insbesondere die deutschen Gewerkschaften als ambitionierte Manager des Kapitals vorangetrieben haben, führt ja dazu, daß Frauen sich hauptsächlich in Billiglohntätigkeiten wiederfinden. Das gilt im übrigen nicht allein für Arbeiter im engeren Sinne, auch für Angestellte und Staatsbüttel.
Nun gibt es ja nicht wenige Frauen, die etwas Besseres werden wollen, weil sie kapiert haben, daß in dieser Gesellschaftsordnung ihre Freiheit mit dem Verfügen über Geld zusammenfällt. Also werden sie als Universitätsabsolventinnen dem Staat und seiner Wirtschaft nützlich und hausen sich so in den damit einhergehenden neuen Sachzwängen ein. Eine Ärztin zum Beispiel muß sich mit der von Staats wegen eingeleiteten knallharten Profitausrichtung des Gesundheitswesens herumschlagen, die den gleichzeitigen Staatsauftrag, die Verwertungsfähigkeit der Bürger wiederherzustellen und zu erhalten, torpediert. Eine Juristin muß sich sowieso spezialisiert haben, um den immer neuen und umfangreicheren Gesetzen und Rechtsprechungen überhaupt folgen zu können und sich eine zahlungskräftige Kundschaft zu sichern. Eine Pädagogin oder Lehrerin darf sich mit den gesellschaftlich zugerichteten Kreaturen eben dieses modernen Staates herumschlagen. Eine Wirtschaftswissenschaftlerin darf sich für die Sachzwänge der Geldverwertung eines Betriebes oder gleich über die Bilanzen des ganzen Staates den Kopf zerbrechen. Eine Journalistin darf dem Publikum die Politik verdolmetschen und beißende Kommentare darüber schreiben, wie sehr die sich an ihren Idealen, der Durchsetzung ihrer »Werte« gemessen blamiert [5]. Usw. usf. Indem gerade solche Frauen in ihrem Beruf aufgehen, betätigen sie sich völlig unemanzipiert als die Charaktermaske Staatsbürger, pardon: Staatsbürgerin. Zweifellos ist das 3. »K« des Trios KKK (Kinder-Küche-Kirche) durch »Karriere« ersetzt worden. Die bewegten Frauen bedauern nur noch ihren nach wie vor viel zu geringen Anteil in den Vorständen der Aktiengesellschaften und sonstigen Konzerne. Wenn die Geschäftemacherei erst in weiblichen Händen ist, gibt es dann noch irgendeine Lohnfrage? Dann ist doch wohl endgültig bewiesen, daß jede/r seines Glückes Schmied höchstselbst ist!

Aber egal, ob Proletarierin oder besser gestellte Frau: Es bleibt immer noch ihr biologisches Spezialproblem: Der Nachwuchs. Der stellt sich ein, mal mehr gewollt, mal weniger. In jedem Fall jedoch erfordert er zusätzliche Substanz. Neben dem beruflichen Dasein, sprechen alle deshalb von einer Doppelbelastung. Und der Staat möchte diese den Frauen nicht abnehmen, sondern ermöglichen. Die Frauenbewegung hat dagegen keine Einwände. Und zwar deshalb nicht, weil sie die Wirtschaftsordnung apodiktisch für an sich total in Ordnung hält. Diese Haltung ist dem Staat äußerst willkommen, weil er sich nicht nur in seinem Verwertungswahn — er betrachtet seine Manövriermasse als potenzielle ökonomische Verwertungsmasse — bestätigt fühlt, sondern weil er es ebenso für höchst gerechtfertigt hält, den Frauen das zuzumuten, was sie selber in ihrer vermeintlichen Emanzipiertheit als Herausforderung begreifen.

Die Frauen, die sich entschlossen haben, in die Politik zu gehen, sich dort — emanzipiert wie sie glauben, daß sie gerade dadurch sind — für die Nation stark machen, wollen nichts zu wünschen übrig lassen und so werfen sie sich dann an die nationale Front. [6] Was zeichnet diese Regierungsfrauen vor allem und vor allen aus? Nicht die Sache die vor, nach und neben ihnen die männlichen Politiker nicht weniger ordentlich erledigen und die jedem national Gesonnenen ganz abstrakt als »Verantwortung für Deutschland« geläufig ist. Auffallend ist eine gewisse Radikalität, in der die Frauen diese »Verantwortung« vortragen. Im Gegensatz dazu, daß Frauen im allgemeinen von weicherer Natur sind, treten sie in der Politik bemerkenswerterweise oftmals als das glatte Gegenteil auf. Sie werfen sich doppelt massiv für die staatlichen Belange in die Brust, allen voran beispielhaft die deutsche EU-Kommissionspräsidentin. So vermitteln sie gegenüber ihrer Natur einen geradezu schrägen Eindruck: Sie gelten als unschöne Abart des weiblichen Geschlechts und sogar mancher gar nicht frauenfeindliche Betrachter wünscht sie sich an Heim & Herd zurück: Hat jene keine Kinder?

Eben so wird allerdings wieder wie überhaupt mit der gesamten Personalisierung der Politik das Wesentliche übersehen: Es ist nämlich völlig egal, welchen Geschlechts die Person ist und wie stark sie in den Saal brüllt, um die von der Politik erheischten Notwendigkeiten — all die Zumutungen des »Gürtel-enger-Schnallens« samt ihren Trostpflästerchen — den Staatsbürgern herunterzubeten und aufzuherrschen. Oder schmecken einem deutschen Staatsbürger Ausbeutung, Verarmung und Kriegsvorbereitungen besser, wenn sie ihm von einer aparten Zuckerpuppe — die dann vielleicht sogar ausländische Wurzeln haben darf — mit warmen Worten eingesäuselt würde?

An dieser Stelle noch einmal der Roman:
»Er [Robert Wussow, Hauptfigur des Romans] gab ihr [Dr. Susanne Ruland, seine Angebetete] einen kurzen historischen Abriß der Frauenbewegung, ihrer Ursachen und ihrer Irrwege. Der Mann war von Natur ein politisches Wesen, die Organisation des öffentlichen Lebens betrachtete er, seit er in die Kultur eingetreten war, als seine höchste Aufgabe. Er gründete die Familie, die Gemeinde, die Kirche und den Staat. Die Frau aber gehörte lediglich der Familie an, der Staat war ein abstraktes Gebilde, dem sie verständnislos, gleichgültig, feindlich gegenüberstand. Die Neigung des Mannes zur Entpersönlichung, zum Aufgehen in der Gemeinschaft war ihr etwas Fremdartiges. Sie lebte nicht abhängig von einem abstrakten sozialen Zustand, sondern von der konkreten Einzelperson des Mannes, auf dessen Schutz sie, die körperlich Schwache, angewiesen war. Dadurch blieb ihr Blick viele Generationen hindurch auf das Persönliche gerichtet, und sie ergab sich und ordnete sich dem unter, der sie mit seiner stärkeren körperlichen Kraft und seiner sozialen Überlegenheit in seine Obhut nahm. Erst viel später, als die Familie immer mehr beeinflußt wurde von dem öffentlichen Leben, als alles: Beruf, Wirtschaft, Wohnungswesen, Kinder- und Jugendpflege und Bildungsfragen zu politischen Problemen wurden, entstand die Frauenbewegung. Die Frau, vom männlichen Denken abseits geleitet, entfremdete sich immer mehr ihrem eigentlichen Wesen und heischte ihren Anteil an der Politik. Sie vergaß, daß ihrer größeren Naturgebundenheit das Interesse am Persönlichen weit mehr entsprach, als die Abstraktion, zu der der Mannesgeist nach der Geschichte seines Werdens neigte.

Damit begann die Loslösung des Weibes von ihrer Natur, ihr quälerisches Bestreben, immer mehr in die männliche Sfäre einzudringen. Es kam wie ein Rausch über die Frauen. … ‚Hat aber der Eintritt der Frau in die Politik an den Parteiverhältnissen und an der öffentlichen Meinung etwas geändert? Haben die Frauen etwas Besonderes, Neues, Originelles im Staat geschaffen? Nur die Zahl der Mitglieder der einzelnen politischen Parteien ist gewachsen. Gibt es eine einheitliche Frauenpolitik? Sind die Frauen nun glücklicher geworden? Die wenigen verständigen Frauen, die sich ihre Menschlichkeit durch die Politisierung der Frau nicht haben verderben lassen, verneinen diese Frage. Freilich, als die Frauen in die Politik handelnd eintraten, war die Politik und die Kultur krank, schwer krank. Der Weltkrieg, dieser Rückfall in die Bestialität, in die Zerstörungs- und Vernichtungswut der Urzeit, und danach die Revolution, bewies wie ungesund das Verhältnis der Bürger eines Landes untereinander und die gegenseitigen Beziehungen der Völker gewesen waren.‘
Nun‘, unterbrach Susanne die Ausführungen des Geliebten, ‚ist das nicht ein Beweis, daß die Männer der Aufgabe der Politik, das Menschentum zu erhöhen, nicht gewachsen waren? Führte die Männerpolitik nicht zum Imperialismus und Nationalismus, fast zum Untergang? War deshalb die Mitwirkung des Weibes nicht notwendig, um ein neues Staatswesen, um eine neue Kultur aufzubauen?‘
Ich antworte die mit einer Gegenfrage: Wohin sind wir mit dem Eintritt der Frau in den Staats- und Kommunaldienst, in Parlament und Verwaltung gekommen? Meinst Du nicht, daß wir aufs neue dem Untergang zusteuern?‘ …‘…Das politische Weib ist nichts als eine Karikatur des Mannes, ganz gewiß ist ihr der Logos, der Geist, nicht in höherem Maße verliehen als dem Mann, ganz gewiß ist sie kein besserer Organisator, kein besserer Staatsbaumeister, als der Mann. In allem Geistigen ahmt sie doch nur dem Manne nach. …‘ …« (S. 206-208)

Eine Bekämpfung des Patriarchats — das wird an dieser Stelle deutlich — neben der bestehenden Gesellschaftsordnung ist eine Schimäre. Entweder denken manche Frauen (eine Minderheit) sich ganz einfach mal Staat & Kapital weg, sodann bleibe immer noch das Patriarchat übrig, mit dem sie sich dann ganz vornehmlich zu beschäftigen gedenken. Oder sie (die Mehrheit) denken sich das Patriarchat weg und dann geht mit einem Schlag — so die aktuelle Lage — der Kapitalismus samt seinen Krisen & Kriegen doch vollauf in Ordnung. Die einzige Kritik, die dann noch aufkommt ist die, daß, obzwar in der Politik frauenmäßig im Prinzip alles in bester Ordnung ist, in den Vorstandsetagen der deutschen Aktiengesellschaften und sonstigen Konzerne der Frauenanteil nach wie vor sehr zu wünschen übrig läßt.

»„Meine Regierung“, sagt der Politiker, „wird vor allem sagen, wie schon der große englische General Waterfoot: ‚Ladies to the front!‘“ Er will Damen stark mit der Verantwortung bedenken, weil allein die Tatsache, daß sie welche sind, ein politisches Programm abgibt.« [7] Das ist exakt der Stand im Jahre 2023.

(07.03.2023)
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 [1] siehe GegenStandpunkt 4-2019

[2] in der ersten Ausgabe der in München erscheinenden Zeitschrift Frauenstimmrecht — Monatshefte des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht, erste Ausgabe, 1912, erschienen

[3] umfangreich in dem von Ingvild Richardsen herausgegebenen, im Verlag Volk, München, 2022, erschienenen gleichnamigen Band dokumentiert und illustriert; Anita Augspurg war zur Juristin ausgebildet und an diesem Fotoatelier beteiligt.

[4] Arthur Zapp, Im Frauenstaat, Verlag Gebrüder Enoch, Hamburg, 1922.

Arthur Zapp (1856-1925, Abb. KoKa-Archiv) verstand wie kaum ein Zweiter seiner Zeit das Ticken des weiblichen Geschlechts und war sich nicht weniger der gesellschaftlichen Lage desselben ebenso bewußt. Dies beweist eine ganze Anzahl seiner Bücher u. a. »Bürgerliche und natürliche Liebe«, »Die freie Frau«, »Vom Stamm der Helena«, »Moderne Frauen«, »Moderne Ehen«, »Versorgungsehe«, »Eine wilde Ehe«, »Die Lüge der Ehe«, »Sünde wider das Weib« etc..
Nicht nur dieses Buch des Autors ist empfehlenswerte und größtenteils eben nicht bloß Unterhaltungslektüre. Leider sind seine Bücher rar geworden, zumal sie der bürgerlichen Moral unter den Nationalsozialisten zum Opfer fielen und verbrannt wurden.
Hinter Zapp stand seine, offenkundig emanziperte Frau, Hedwig Scharfenort (1862-?). Bekannt ist auch, daß er zumindest zwei Kinder hatte, eine Tochter und einen Sohn, die er in seiner Schrift gegen die Religion nachfragend zu Wort kommen läßt. Diese Schrift wurde ein Jahr nach seinem Tod als Agitationsschrift unter dem Titel »Wir brauchen keinen Gott« neu aufgelegt: »Kleine Agitations-Bibliothek« Nr. 38, Freidenker-Verlag, Leipzig, 1926.

[5] Eine der unverschämtesten imperialistischen Einpeitscherinnen ist übrigens Kristin Helberg.

[6] Sicher, ein paar Frauenfeinde von Rechtsaußen haben immer an der Bundeskanzlerin herumgemäkelt, auch an der jetzigen Außenministerin, aber nicht, weil solche Persönlichkeiten ihren Aufgaben nicht gewissenhaft nachkämen, sondern weil sie jene als Mitglieder nicht genehmer Parteien wahrnehmen: Parteien, denen sie anlasten, Deutschland nicht (genug) voranzubringen, ja gar es zu verraten. Und es sei ja kein Wunder, daß solche Parteien zunehmend von »Weiberwirtschaft« geprägt seien.

[7] Benno Plabst, »Im sozialen Netz hängt mancher Karpfen« in: »Leute, laßt uns endlich leben«, 1985, S. 53

 

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