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Es ist geradezu unglaublich, daß gerade die taz, diese sich so CSU-kritisch gebende Zeitung jener Partei die Zicken durchgehen läßt (siehe Artikel vom 29.12.15 »Böses Buch kehrt zurück«). Daß Hitlers »Mein Kampf« von jener Partei und ihren Seilschaften 70 Jahre lang so gut wie irgend möglich unter dem Verschluß staatlicher Gewalt gehalten wurde, hat nämlich seine Gründe. So handfeste, daß CSU-Bayern jetzt selbst aus einer kritisch kommentierten Edition ausstieg: "Ich kann nicht einen NPD-Verbotsantrag stellen und anschließend geben wir sogar noch unser Staatswappen her für die Verbreitung von »Mein Kampf«", erklärte CSU-Boß Seehofer (zit. nach taz, ebenda). Der Mann ahnt wohl nicht zu Unrecht, daß all die faschistisch gesonnenen Brüder in seiner eigenen Partei, die diese unter ihrer Obhut am Leben hält, nur allzu mächtig werden könnten, denn es besteht kein Zweifel, daß jene sich in dem Buch wiederfinden, also Hitler recht geben und sich in ihrer Haltung bestätigt sehen.

Nun ja: Juden für schädliche Parasiten am deutschen Volkskörper zu halten, gehört nun wahrlich nicht mehr zur gängigen Weltanschauung eines guten Deutschen. Wäre dem neuen deutschen Staat mit seiner Staatsräson ja auch alles andere als förderlich auf seinem einmal mehr eingeschlagenen Weg zur Weltmacht. Soviel, aber auch nur soviel hat der demokratische Sachverstand aus der Niederlage des deutschen Faschismus in Weltkrieg Nummer zwei »gelernt«. Wirklich gelernt hat er dabei freilich noch nicht einmal, wie Antisemitismus geht. Das wird nur allzu offenkundig, wenn der demokratische deutsche Staat mit dem Verbot der Judenkritik auch gleich ultimativ moralisch mitverbietet, den Staat Israel zu kritisieren, der von einer rassistisch-völkischen Notgemeinschaft faschistischen Zuschnitts bis hin zu seinen permanenten, völkermordenden (Blitz-)Kriegen zur Gewinnung von Lebensraum sich in seinem Wesen keineswegs vom deutschen Faschismus unterscheidet: Ja man muß Israel bescheinigen, in ihm sein zwar unheiliges, so doch unwillkürliches Vorbild zu sehen! Ebenso wie nun jüngst dem türkischen Oberdemokraten Erdoğan Hitler ganz ungeniert als politisches Vorbild schlechthin eingefallen ist! Bestätigt hat dies schon zuvor der Oberisraeli Netanjahu, der Hitler damit entschuldigte, der wäre bezüglich seiner Judenfeindschaft ja bloß einem Moslem auf den Leim gegangen! Tut man sich da nicht schwer, den Demokraten im israelischen Führer vom Faschisten in ihm auseinanderzuhalten?

Doch abgesehen von der neuen Staatsräson in der Judenfrage: Worin besteht denn nun die demokratische Kritik des Vorgängerstaats und dessen Ideologie? Da ist nicht viel zu sehen, nicht einmal in Sachen Krieg. Kriege im nationalen Interesse gehören sich offenbar für das neue erfolgreiche deutsche Staatswesen nicht minder (und bisweilen aus »Auschwitz« moralisch abgeleitet ähnlich wie seinerzeit aus »Versailles«) — freilich nur wirklich erfolgsversprechende: Jeder Demokrat weiß ja, daß der NS-Weltkrieg von vorneherein aussichtslos war. Diese Hypererkenntnis gewinnt man allerdings ganz ohne die Lektüre von »Mein Kampf«.

Wer jenes Hitler-Buch aufschlägt, bekommt Standpunkte vermittelt, die einem heutigen Demokraten weder fremd noch kritikabel sind. Zum Beispiel Hitlers Maxime »Gemeinnutz geht vor Eigennutz«. Ein Leserbrief schreibender Faschist bekommt diese Parole lässig in ein demokratisches Blatt wie dem CSU-Verlautbarungsorgan Augsburger Allgemeine eingerückt; natürlich ohne jede Klarstellung seitens der Redaktion, die selber weder weiß, daß diese Maxime Bestandteil faschistischer Ideologie ist, noch, wie sie zu kritisieren wäre. Sie ist das Dementi eines existierenden Klassengegensatzes. In anderer Version heißt sie »Du bist nichts, Dein Volk ist alles«. Dieser Standpunkt geht als durch und durch demokratisch durch, offenkundig ein wertvoller Beitrag zur demokratischen Meinungsbildung. Und das, obwohl es in der politischen Praxis sehr wohl einen Unterschied gibt: Der offensiv durchgesetzten Leugnung des Klassengegensatzes im Faschismus steht die staatliche Institutionalisierung des Klassengegensatzes in der Demokratie gegenüber.

Aufgrund der geistigen Verwandtschaft ist es auch kein Wunder, daß Faschisten die BRD ideologisch aufgebaut und politisch ausgerichtet haben (und selbst in der nationalen Alternative DDR gab es genügend »geläuterte« Faschisten — viel mehr als ein allemal leicht von den Lippen gehendes Bekenntnis zum neuen Staat und seiner Räson wurde selbst dort niemandem abverlangt). Auch heute ist den führenden Parteien und ihren Parteigenossen nichts abhold, was sie damals zu gestandenen guten Faschisten gemacht hat oder gemacht hätte: Die unumstößlich nationalistische Gesinnung, die einem Offizier namens Helmut Schmidt seinerzeit von der NS-Wehrmacht bescheinigt wurde: Diese Haltung mußte jener nicht revidieren, um es in und mit einer Erfolg versprechenden, nicht minder national gesonnenen Partei im Nachkriegsdeutschland bis hinauf zur Kanzlerschaft zu bringen. Wie zum Hohn, allerdings bitter ernst gemeint lobte der stets medienpräsente SPDler Martin Schulz bei dessen Beerdigung dessen »Prinzipientreue«!

Demokraten wie Faschisten verstehen es und unterlassen nichts, jede aufkommende soziale Frage in eine nationale Frage zu übersetzen: Gerade beim aktuellen Thema »Flüchtlinge« wird deutlich, daß es keine ideologische Trennung zwischen Demokraten und ihrem »rechten Rand« gibt. Als minderwertiges Menschenmaterial brauchbar gehören sie entweder im nationalen Interesse verheizt — sie, so lassen Politiker und Journalisten reihenweise kritisch verlauten, würden ja nicht mal den Mindestlohn verdienen, geschweige denn etwaige Sozialleistungen — , oder ansonsten, als überzähliges Menschenmaterial, rasch wieder in »ihre« — als wären die Zustände in Afrika, Asien und Ex-Jugoslawien nicht westlichen Interessen geschuldet — Misere abgeschoben! Wie feinfühlig Demokraten gegen Flüchtlinge zu predigen verstehen, zeigt Walter Roller, sich übrigens oft und gerne auf das nationale Vorbild Helmut Schmidt beziehend: Just zu Weihnachten stellte er seinen Kommentar unter das Motto »Weihnachten in Zeiten der Flüchtlingskrise« (AZ, 24.12.15) — eine Analogie zu Gabriel García-Márquez berühmten Roman »Die Liebe in den Zeiten der Cholera«. So soll noch dem letzten (christlichen) Idealisten klar werden, daß nicht die Flüchtlinge Not leiden, sondern vielmehr der Staat mit ihnen seine liebe Not hat. Mit offen Haß predigenden Pegida- und AfD-Faschisten soll solch subtile demokratische Agitation ja nun wirklich nicht vergleichbar sein.

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Wer sich ernsthaft mit faschistischer Ideologie auseinandersetzen will, dem sei dieses, seit Jahren auf dem Markt befindliche Buch empfohlen: »Konrad Hecker, Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung«. Dort findet sich dessen Ideologie und zugehörige Praxis in sortierter Form (u.a. anhand von Zitaten aus Hitlers Buch) erklärt. Ihre Gemeinsamkeiten mit einer Herrschaft demokratischer Art ebenso wie die kleinen, feinen Unterschiede zwischen heutiger und gestriger Staatsräson.

(02.01.2016)

bluete