Eine demokratische Republik gerät ins Diskutieren — über:
Die braune Brut der Bildungsrepublik Deutschland
Auf den ersten Blick muten die »abendländischen« Demonstranten in ihrer Hochburg Dresden und sonstwo an wie ein Haufen Hinterwäldler: Wirrköpfe eben, wie sie seinerzeit ein Adolf Hitler verstand, unter seiner Hakenkreuzfahne einzusammeln und zu einer schlagkräftigen politischen Bewegung zu formen.
Auf den zweiten Blick fällt sofort auf, daß die Sprüche dieser Bewegung genau das offenbaren, was die Friedrich-Ebert-Stiftung schon vor einigen Jahren ermittelte: Etwa 10% der Deutschen verfügten nach wie vor bzw. wieder über ein geschlossen faschistisches Weltbild mit unverhohlenen Sympathien für eine starken Staat, ja eine Diktatur.
Die Reaktion der Demokraten ist geteilt. Die einen zeigen ihre unverhohlene Abneigung. Die anderen möchten sie am liebsten aufsaugen, indem sie ihnen rechtgeben und entsprechend gegen Flüchtlinge und Ausländer vorgehen wollen, worunter zumal Rassisten der bayerischen Regionalpartei CSU sich hervortun.
Beiden Fraktionen, den »Verstehern« und den »Nichtverstehern« braunen Gedankengutes stinkt nämlich eines ganz gewaltig und das ist nur allzu verständlich: Wie kann man heutzutage auf den Gedanken verfallen, der deutsche Staat sei irgendwie zu schwach und ließe an seiner Macht und den damit einhergehenden globalen Ambitionen etwas anbrennen?
Das ist wirklich absurd: Da liege, so die Demokraten, ein großes Mißverständnis vor, ein Zweifel, der sich ausgeräumt gehört. Und da pocht die eine Fraktion unter ihnen auf einer Klarstellung bezüglich des unbestreitbaren nationalen Erfolgswegs, der kapitalistischen Staatsräson Deutschlands; die andere Fraktion auf eine Modifizierung der Politik: Der Nutzen der Politik für die nationale Volksgemeinschaft soll verdeutlicht werden, indem nicht bloß die Indienstnahme von Ausländern für den deutschen Staat und seine (freie) Wirtschaft als überaus nützlich herausgestellt wird, vielmehr gleichzeitig die Vorzugsbehandlung der Staatsangehörigen gegenüber Ausländern, die es ohnehin in jedem Nationalstaat gibt, ausgebaut wird. Denn eines ist dieser Fraktion klar: Die malträtierten Untertanen, die in Dresden etc. demonstrieren, sind sich ihrer Vorrechte, die sie als nationale Untertanen gegenüber anderen haben, nicht recht bewußt: Sie bestehen nämlich darauf, daß, wenn sie schon enteignet sind bzw. ohnehin eigentumslos waren und nichts zu sagen haben, sie wenigstens als nationale Stimme und als allenthalben doch hofiertes Stimmvieh anerkannt werden.
Bisher war das, und das stinkt den im Bundestag vertretenden Parteien — ja, auch der national verantwortlich denkenden Linkspartei! — so gewaltig, kein allzu großes Problem, denn jene 10 Prozent der Bevölkerung mit einem geschlossen faschistischen Weltbild haben, wenn sie sich denn der nationalen Verantwortung in Form der Stimmabgabe bei Wahlen nicht verschlossen haben, in aller Regel ja nicht die NPD (sehr zum Verdruß dieser Partei), sondern die demokratischen Parteien von rechts bis links gewählt, je nachdem die ein oder andere ihnen mehr nationalen Erfolg versprochen hat. [Der Autor dieser Zeilen erinnert sich an seinen Geschichtslehrer, der feststellte, daß die etwas intelligenteren Nazis sich in den sogenannten Volksparteien befänden. Das war einige Zeit bevor sich der SPDler Sarrazin aus der Deckung wagte, weil er glaubte, die Zeit dafür wäre herangereift.]
Die große Frage nun ist, wie und wie gründlich rütteln die national Bewegten an der herrschenden Staatsräson: Allein ihre Uneinigkeit in dieser Frage macht ihre Wirrköpfigkeit aus. Und verdeutlicht zugleich die Crux, worunter sie leiden: Ihnen fehlt, obgleich sie in der »Alternative für Deutschland« eine Partei vorfinden, die ihr Anliegen teilt, ein Führer. Der Ex-CDU-Hinterbänkler und AfD-Chef Lucke scheint ihnen dieser Rolle keineswegs gewachsen, zumal dieser scheint, kaum etwas Wichtigeres zu tun zu haben, als sich explizit von Nazis in und außerhalb seiner Partei zu distanzieren.
Einer wie Lucke bewegt sich in dem seltsamen Widerspruch, die herrschende Staatsräson bekämpfen zu wollen — gerade in einem ihrer Ankerpunkte, der nationalen Währung und Währungspolitik! — und gleichzeitig so zu tun, als hätte das nichts mit dem zu tun, was jene braunen Demonstranten fordern. Denen ist schließlich alles recht, was ihrem Rassismus dient und ihn bedient: Schließlich zeigt sich gerade an einer harten nationalen Währung die Macht und Überlegenheit Deutschlands, die ihnen so sehr aufs Gemüt schlägt, wenn sie auch nur zu fehlen oder abhanden zu kommen scheint.
Gerade die Ostzonesen hatten ja allen Ernstes geglaubt, mit der DM sich eine glückliche Heimstatt erstritten zu haben. Daß sie jetzt in ihrer Mehrheit so aufs Abstellgleis geraten sind, führen sie auf eine verfehlte nationale Politik — und keineswegs auf den stinknormalen Kapitalismus eines anspruchsvollen, global agierenden Staates — zurück.
Diese Feststellung führt unweigerlich zu den Resultaten der Politik der DDR, auf die an dieser Stelle zurückzukommen ist. Während in der alten BRD der Nationalismus immerzu drin war, ja eine direkte Kontinuität aus dem Dritten Reich heraus hinüber in den neuen Staat in vielfacher Hinsicht nicht bestritten werden kann (und mittlerweile auch von niemand mehr bestritten wird), eine Kritik faschistischer Ideologie sowieso nie wirklich stattfand (läßt man die Form moralischer Vorbehalte nicht als Kritik durchgehen), hätte man von einem sich betont antifaschistisch gebenden Staat wie der DDR ja anderes erwartet: Gleichwohl pflegte die DDR nichts anderes als einen alternativen Nationalismus, und zwar sehr offensiv und plakativ; das Parteiorgan ihrer Einheitspartei hieß bekanntlich »Neues Deutschland« und nicht etwa »Proletarische Weltrevolution«. Zurückzuführen ist diese Politik auf einen Kopf stalinscher Schule* namens Dimitrov, der, obschon keineswegs Angehöriger der BVP (der Vorgängerpartei der CSU), angesichts des Aufkommens des Faschismus in Europa, sich nicht entblödete dem Nationalismus, so er denn von unten kommt eine gewisse Berechtigung zuzuschreiben:
"In Deutschland haben unsere Genossen lange Zeit das verletzte Nationalgefühl und die Empörung der Massen gegen den Versailler Friedensvertrag nicht genügend berücksichtigt. … Sie sind mit dem Programm der sozialen und nationalen Befreiung zu spät hervorgetreten." (Dimitrov am 02.08.35 auf dem VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale, zitiert nach »Referate und Resolutionen«, Dietz-Verlag, Berlin 1975, S. 104)
Eine — sehr zu empfehlende, ausführliche Abrechnung mit dem Antifaschismus der DDR — findet sich in dem Standardwerk über faschistische Ideologie: »Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung«, GegenStandpunkt-Verlag, 1996. Statt in moralisch empörenden Gegendemonstrationen sich ziemlich nutzlos zu verausgaben, ist es angebracht, sich mal ein paar Argumente zur Sache zu verschaffen.
Das sei an dieser Stelle einmal explizit betont, weil beispielsweise der Chefredakteur Walter Roller von unserer allseits, gerade bei — wie man Leserbriefen entnehmen kann — Sympathisanten der rechten Szene so beliebten Heimatzeitung, der Augsburger Allgemeinen, weil also dieser Herr Roller in einem Kommentar darauf hinzuweisen sich veranlaßt sah, mit Erklärungen allein sei jener unseligen Bewegung nicht beizukommen.
Das ist bemerkenswert: Denn zum einen bietet Roller bzw. die demokratische Öffentlichkeit überhaupt keinerlei Erklärung an, womit sich Faschisten erklären ließen. Warum denn sind sie immer wieder mittendrin in einem so herrlich demokratischen Staat? Nein, darauf sucht man vergeblich eine Antwort. Denn daß sie etwas nicht sind, also keine Demokraten bzw. von demokratischen Parteien Absorbierte, ist ja nun alles andere als eine Erklärung dafür, was sie nun einmal sind, woraus ihr Standpunkt resultiert.
Der Rollersche Standpunkt zielt darauf, sich eben nicht theoretisch mit der Sache zu befassen, sondern praktische Maßnahmen ins Auge zu fassen. Roller erinnert die Politik daran, daß es ihre Aufgabe sei, aufrecht national Denkende in die nationale Gemeinschaft zu integrieren. Nationale Alternativen sollten als Befürchtungen eben derer genommen werden, die sie vorbringen**. Als solche wären sie ernstzunehmen und nicht etwa als das, was sie sind, als knallharte Alternativen zum etablierten Erfolgsweg der Nation.
Ob dieser windelweichen Sorte Antifaschismus — die der Sache nach nichts als Ignoranz ist — Erfolg beschieden ist, bleibt abzuwarten. Sie ist allenthalben dem Opportunismus des Erfolgs geschuldet: Der Mißerfolg des Faschismus wird antizipiert, so nach dem Motto, was schon einmal gescheitert ist, wird nicht ein zweites Mal gutgehen können.
(28.12.14)
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* "…Das Verbrechen der Stalinschen Bürokratie — ja, das direkte Verbrechen — besteht jedoch darin, daß sie sich mit diesen Elementen solidarisiert, ihre Stimmen mit der Stimme der Partei identifiziert, auf die Entlarvung ihrer nationalistischen und militaristischen Tendenzen verzichtet, die durch und durch kleinbürgerliche, reaktionärutopische und chauvinistische Broschüre Scheringers in ein neues Evangelium des revolutionären Proletariats verwandelt. Aus dieser minderwertigen Konkurrenz mit dem Faschismus erwuchs der scheinbar plötzliche Entschluß des 21. Juli: ihr habt die Volksrevolution, wir haben auch die Volksrevolution; ihr habt nationale Befreiung als höchstes Kriterium. wir auch; ihr habt Krieg gegen den Westkapitalismus, wir versprechen das gleiche; ihr habt Volksentscheid, auch wir haben Volksentscheid, einen noch besseren, einen durch und durch »roten«.
Es ist Tatsache, daß der ehemals revolutionäre Arbeiter Thälmann heute aus allen Kräften bestrebt ist, nicht hinter dem Grafen Stenbock-Fermor zurückzustehen. Der Bericht über die Versammlung der Parteiarbeiter, in der Thälmann die Schwenkung zum Volksentscheid proklamiert, ist in der »Roten Fahne« unter der prätenziösen Überschrift »Unter dem Banner des Marxismus« abgedruckt. Indes gipfeln die Schlußfolgerungen Thälmanns in dem Gedanken, daß »Deutschland heute ein Spielball in den Händen der Entente ist.« Es geht also vor allem um die »nationale Befreiung«. …
Doch stehen diese Fragen immerhin in zweiter Linie. Unsere Politik wird nicht davon bestimmt, daß Deutschland ein »Ball« in den Händen der Entente ist, sondern vor allem davon, daß das zerspaltene, entkräftete und erniedrigte deutsche Proletariat ein Ball in den Händen der deutschen Bourgeoisie ist. »Der Hauptfeind steht im eigenen Lande!« lehrte ehemals Karl Liebknecht. Oder habt ihr das vergessen, Freunde? Oder vielleicht taugt diese Lehre nicht mehr? Für Thälmann ist sie offensichtlich veraltet. Karl Liebknecht ist durch Scheringer ersetzt worden. Deshalb klingt wie eine bittere Ironie die Überschrift: »Unter dem Banner des Marxismus!« ….
Die deutsche Kommunistische Partei hat sich in kurzer Zeit vor unseren Augen in die Sphäre des Sozialpatriotismus hineingestürzt. d. h. in jene Stimmungen und Parolen, denen die Komintern bei ihrer Gründung Todfeindschaft erklärte. Ist das erstaunlich? Nein, nur gesetzmäßig!
Die Methode der geistigen Anpassung an den Gegner und Klassenfeind — eine der Theorie und Psychologie des Bolschewismus direkt entgegengesetzte Methode — ergibt sich organisch aus dem Wesen des Zentrismus, aus seiner Prinzipienlosigkeit, Inhaltlosigkeit und geistigen Leere. So hat die Stalinsche Bürokratie eine Reihe von Jahren die thermidorianische Politik verfolgt, um den Anhängern des Thermidors den Boden unter den Füllen wegzuziehen. Erschrocken über die Linke Opposition, begann die Stalinsche Bürokratie, die linke Plattform stückweise nachzuahmen. Um die englischen Arbeiter der Macht des Trade-Unionismus zu entreißen, wandten die Stalinisten statt der marxistischen die tradeunionistische Politik an. Um den chinesischen Arbeitern und Bauern zu helfen, den selbständigen Weg zu finden, trieben die Stalinisten sie in die bürgerliche Kuomintang hinein. Diese Aufzählung läßt sich endlos fortsetzen. In großen wie in kleinen Fragen sehen wir stets die gleiche Mimikry, die gleiche Anpassung an den Gegner, das Bestreben, gegen den Feind nicht die eigenen Waffen anzuwenden — die man leider nicht besitzt! — sondern die aus dem Arsenal des Gegners gestohlenen…." (Leo Trotzki am 08.12.1931, zitiert nach »Vor der Entscheidung — Schriften über den Kampf gegen den Faschismus 1931-1933«, Verlag Die IV. Internationale, 1970)
** Übrigens: Allen interessierten Interpretationen, die Demokraten hinsichtlich des rechten Packs anstrengen, sei entgegnet: Niemand ist so kopflos, daß er nicht weiß, wem er hinterhertrottet. Demokraten geht es ja auch nicht um eine Kritik des Hinterhertrottens als solchem…