Der Fall Nord-Stream:
Die vielbeschworenen deutschen Gemeinsamkeiten mit den USA
Offensichtlich ist — wie so Vieles — der deutschen Öffentlichkeit folgendes nicht erklärungsbedürftig: Bundeskanzler Scholz reiste nach Washington und demonstrierte dort herzlichstes Verschwörungsgrinsen mit US-Präsident Biden. Und zwar postwendend nachdem die USA die Gaspipelines Nord Stream gesprengt hatten. Dabei tut es nichts zur Sache, ob sie dies selbst ausführten oder ausführen ließen. Und es bedarf auch nicht eines vielgelobten Journalisten wie Seymour Hersh, um dies zu enthüllen.
Die USA haben die Abkopplung von der deutschen Energieabhängigkeit von Rußland als Preis dafür berechnet, daß sie das deutsche Weltmachtprogramm mit seinem kolossalen Anspruch, die Ukraine in die EU einzugemeinden, militärisch unterstützen, obgleich eine dadurch erreichte Schwächung ihres Hauptwidersachers durchaus nicht weniger in ihrem ureigenen Interesse liegt. Diesen Preis hatte der US-Strippenzieher und Kopf des Präsidenten, Jake Sullivan, schon am 06.02.2022* (also vor Rußlands »Spezial-Operation«) öffentlich beteuert, nachdem die USA schon seit Bestehen des Energie-Projekts ihre vehementen Vorbehalte geäußert hatten. Die deutsche Strategie, Rußland den Einfluß auf die Ukraine zu entreißen und gleichzeitig ihm Erdgas und Erdöl abzunehmen — und das obendrein bei einer Sanktionierung sonstiger Waren —, zeigt den kolossalen Wahnwitz deutscher Weltmachtansprüche.
Kurzum, die.USA schwächen mit der Pipeline-Sprengung ihren deutschen Konkurrenten und.der tut so, als wäre nichts gewesen: Und zwar einzig deshalb, weil der diesen und offenbar jeden Preis zu zahlen bereit ist, um seine eigenen Weltmachtansprüche voranzubringen. Es paßt dem deutschen Staat wunderbar ins Kalkül, wenn die USA auch diesmal wieder wie im Falle der Zerschlagung Jugoslawiens den allergrößten Teil der Kosten des Gewalteinsatzes zu tragen bereit sind: Deutschland fehlen ja dazu schlicht die Mittel. Dafür gibt der deutsche Staat die günstige Energieversorgung preis. Die Kosten legt er lässig auf die Arbeiterklasse um: Soll die doch Strom sparen und frieren für das großdeutsche EU-Reich!
Die Heuchelei, die der Umarmung der beiden Staatsfuhrer zugrunde liegt, besteht im Schein eines gemeinsamen Interesses, das den imperialistischen Gegensatz beider Staaten überdeckt.
Dies- und jenseits des Atlantiks wird die Heuchelei nicht als solche genommen. Selbst die nationale Opposition nimmt sie nicht wahr, da sie keineswegs am nationalen Interesse zweifelt. Wohl aber will sie die Staatsräson, die dieses Interesse umsetzt, konsequenter verfolgt sehen: Expräsident Trump wirft Deutschland unverhohlen vor, viel zu wenig für das Projekt Ukraine zu leisten, ein Projekt, das im engeren Sinne, wie er meint, kein us-amerikanisches ist. Die CDU besteht auf der Konsequenz der Heuchelei und ist der Meinung, daß die Gemeinsamkeit im NATO-Bündnis deutscherseits viel mehr unterstrichen gehört. Sie befürchtet allenthalben und das durchaus zurecht, daß im Militärbündnis nicht alle am Ukraine-Strang fest genug ziehen. Dabei hat sie es nur in der Hinsicht schwer, als die SPD/Grüne-Regierung ja nun wirklich alles tut, es weder an eigenem Kriegswillen noch an ihrer Bündnis-Verpflichtung fehlen zu lassen.
Nichtsdestotrotz werden US-Republikaner und BRD-Christdemokraten bei anstehenden Wahlen nicht chancenlos sein. Das liegt daran, daß die Arbeiterklasse die Kosten, die sie zu tragen hat, für zu hoch empfindet. Freilich nicht einfach so, daß sie damit auf staatskritische Gedanken verfiele. Vielmehr übersetzt sie — nicht zuletzt durch die nationalistische Agitation der Gewerschaften (der sie großenteils bedingungslos folgt) — ihre Lage in ein verfehltes oder zumindest schlecht kalkuliertes Staatsprogramm: Die Politik habe versagt, neues Führungspersonal müsse her!
* Sullivan in: https://www.foxnews.com/transcript/fox-news-sunday-on-february-6-2022
»And we have been absolutely clear that if Russia invades Ukraine, one way or the other, Nord Stream 2 will not move forward. That's leverage for us that we have right now, so we intend to use that leverage and Vladimir Putin has a choice to make. If he chooses to move on Ukraine, he will not be getting the benefits of Nord Stream 2.«
15.10.2023
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