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Nikolai Gogol
Николай Васильевич Гоголь
 

Nikolai Gogol (1809-1852) wurde in Sorotschinzy, einem Ort nahe von Poltava in der Ukraine, geboren. Obwohl er die ukrainische Sprache liebte, zog er es vor, seine Werke in der russischen zu verfassen. Er setzte auf Rußland, er setzte auf einen nationalen Aufbruch für einen gesamtslawischen Aufbruch – dafür erschien ihm die Ukraine viel zu eng und rückständig. Schon damals machten sich die Einflüsse aus dem Westen Europas, die kapitalistischen Einflüsse, in Rußland unangenehm bemerkbar, zumal in den Großstädten – Gogol war, Höheres im Sinn, nach Petersburg gewechselt. Diese Einflüsse stießen auf Ablehnung, nicht nur bei denen, die sich die Zusammehänge halbwegs zurechtbiegen konnten, also bei den Gebildeteren; auch bei den Ungebildeten stießen sie auf breite Ablehnung, was an der politischen Konstellation der Zeit lag. Während der russische Staat mit seinem Oberhaupt, dem Zaren, kapitalistischen Neuerungen aus dem Westen keineswegs ablehnend gegenüberstand – er versprach sich eine Sicherung seiner Macht -, stießen diese bei der russisch-orthodoxen Kirche auf vehemente moralische Ablehnung und Verurteilung. Sie bot sich allen Kritikern als Heimstatt an. Eine Rechnung, die solange aufging, wie keine sozialistische Alternative sichtbar wurde.
Gogol nun waren als einem scharfen Beobachter seiner Zeit die gesellschaftlichen Veränderungen natürlich nicht entgangen, am allerwenigsten auch die Art & Weise, wie sie sich in den Gemütern und Verhaltensweisen seiner Zeitgenossen niederschlugen. Dies bewies er in vielen seiner Werke, in denen sich oft althergebrachte Romantik und neue Berechnungen der handelnden Personen einen Zwist liefern, die den Lesern in seinen Bann schlagen und Gogol literarischen Erfolg brachten. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Petersburger Novellen, insbesondere auf "Nevskij Prospekt"  (eine Straße in Petersburg)  und "Der Mantel".
Freilich, die Hoffnungen, die Gogol hegte, wurden von der Wirklichkeit scharf konterkariert, was ihn zunehmend melancholisch und resignierend stimmte. Das kommt ihn seiner Rückbesinnung auf seine ukrainische Heimat zum Ausdruck – z.B. In der Sammlung "Mirgorod" und in den "Abenden". In "Taras Bulba" versuchte er eine Synthese eines nationalen Aufbruchs mit der als niederschmetternd empfundenen Lage: Der Verteidigungskampf der ukrainischen Kosaken gegen die imperialen Bestrebungen Polens. Das Werk förderte allerdings allein den nationalen Gedanken und keineswegs soziale Veränderungen. Man mag meinen, auf letzteres sei es Gogol nicht mehr angekommen, doch zu jener Zeit entstanden durchaus auch offenkundig sozialkriitische Werke wie "Der Revisor". [„Taras Bulba“ ist dem Leser übrigens nur in der später umgebauten Form bekannt.] Gogol wagte sich gar an ein zeitkritisches Gesamtwerk über Rußland, deren 1. Band "Die toten Seelen" 1842 fertiggestellt wurde und deren 2. Band nur in einem Entwurf überliefert ist. Zu dieser Zeit vollzog er einen Bruch in seinem Leben. Auf der Suche nach einem Ausweg erschienen ihm seine Werke als Abweichung von einer geraden, alles Irdische verneinenden Haltung. Es ist eine letzte fatale Konsequenz, die er in seinem Leben zog. So übergab er als Pilger in Rom – auch nach Palästina pilgerte er – den zweiten Band den Flammen.

Im übrigen gab es auch in der russischen Kirche dann zunehmend "Westler", während der Zar es nicht soweit treiben mochte, sich mit der Kirche zu überwerfen. Kurzum, aus den Wirren des Kuddelmuddels zwischen Staat, Kirche, zwischen eigener Tradition und Westlertum, auszubrechen, war nicht einfach. Gogol jedoch war der erste, der mir seinen sozialkritischen Schriften dazu einen Anfang gemacht hat, wenngleich ihm Weitergehendes nicht glücken wollte. Er schuf eine Grundlage der Gesellschaftskritik, die, wenn man sie überhöht, den Nachteil hat, daß sie immer mit der Moral ihrer Herkunft behaftet ist. Diese national-moralische Attitüde kann man Gogol weniger zum Vorwurf machen als denen, die sich – ob auf ihn berufend oder nicht – als Sozialisten an eine Umgesteltung der russischen und ukrainischen Gesellschaft machten, an die Befreiung vom Kapitalismus, ohne ihm die Zöpfe abzuschneiden, die mit ihm mehr ver- als gewachsen waren. Da waren Revolutionäre aller Schattierungen nicht gerade radikal. Das ist auch schon der ganze Grund dafür, daß die Sozialisten, schließlich an die Macht gelangt, auch wieder der Macht zugunsten des Kapitalismus entsagten… [Bild rechts: Illustration von Adolf Born in Mrtvé duše (Die toten Seelen, tschechische Ausgabe)]

Dimitrij Merschkowskij schrieb eine Replik auf Gogol, über dessen tragischen Absturz in das Christentum & in den Tod, "Gogol und der Teufel". Mereschkowskij ist ja selber in die Fänge der Kirche geraten, wie wohl er ja ganz einen entgegengesetzen Anfang nahm (in "Julian Apostata"). Eine Versöhnung von Glauben und aufgeklärtem Geist ist zum Scheitern verurteilt. Im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lastete der Druck der Angst, mit der aller Glaube sein Geschäft macht wie ein Alptraum (nicht nur) auf der russischen wie überhaupt slawischen Gesellschaft. Das Vorwort in dem Buch von Merschkowskij schrieb Juri Semjonow. Es ist im Heinrich Ellermann verlag 1963 erschienen.
Im übrigen ist Gogol ein Zeitgenosse von Edgar Allan Poe gewesen, dem das Idiotentum seiner Zeit ebenso aufs Gemüt schlug wie ihm (Karikatur. J. Cheskirsky, 2014)
Eine deutschsprachige Gesamtausgabe ist im Propyläen Verlag, Berlin, (1920er Jahre) erschienen:
Band 1 Phantastische Novellen – Band 2 Meisternovellen – Band 3 Die Abenteuer Tschitschikows oder Die toten Seelen [1. und 2. Teil jeweils mit Anhängen, Band 2 wurde von Gogol vernichtet – orientiert war die Komposition an Dantes „Göttlicher Komödie“] – Band 4 Dramatische Werke, Jugendschriften – Band 5 Die Beichte des Dichters (politisch-religiöse Schriften)
Bezüglich des nationalistischen Streits um Gogol — anläßlich der (mangelhaften) Verfilmung von Taras Bulba hat sich auch Polen eingemischt — sei an dieser Stelle nur bemerkt, daß die Streithähne damit nichts als ihre sachliche Ignoranz offenbaren. Aber wer will schon Objektivität erwarten von Leuten, die mit einer nationalen Brille durchs Leben stiefeln?

bluete