Dmitrij Sergejewitsch Mereschkowskij
Дмитрий Сергеевич Мережковский
Angesichts des Romans »Leonardo da Vinci« der zweite einer Trilogie ist, geriet der erste in den Hintergrund. Und das obwohl der wohl am Lesenswertesten ist: »Julian Apostata«. In diesem historischen, sehr gut recherchierten Roman räumt Mereschkowskij (1865-1941) mit dem frühen Christentum gehörig auf. Bei vielen heutigen Basischristen steht das sogenannte Urchristentum völlig zu Unrecht in einem guten Ruf und wird oft gegen die römische Amtskirche hochgehalten. Völlig abwegig: Julian war von 360 bis 363 römischer Kaiser und war von der griechischen Kultur in vielerlei Hinsicht so fasziniert, daß er diese gegen die unter Kaiser Konstantin (der Große) — er war von 306 bis 337 Kaiser — erfolgte Christianisierung des Kaiserreichs wieder ins Recht setzen wollte. Daher erhielt Julian den griechischen Beinamen Apostata, der Abtrünnige. Kurz und gut, wie unter Julians Herrschaft sich die Christen benommen haben, spottet jeder Beschreibung: Sowohl das niedrige christianisierte Volk, das nicht davor zurückschreckte, griechische Tempel anzuzünden, wie die christliche Obrigkeit, die Bischöfe, die auf ihren Konzilen stritten, daß sich die Balken bogen: Da ging es zum Beispiel um die essenzielle, schismaträchtige Frage, ob der Galiläer Jesus Christus seinem Gottvater wesensgleich oder nur wesensähnlich gewesen sei. Das war die berühmt gewordene Frage um ein Ιota: Die griechischen Worte unterscheiden sich in geschriebener Weise nur dadurch: ομοούσιος und ομοιούσιος.
Mag sein, daß die Christenheit schon damals eines moralischen Erneuers wie Martin Luther bedurft hätte — dessen Name sich übrigen ebenfalls aus dem Griechischen, der christlichen Ursprache ableitet (von ελεύθερος, frei) — ; Mereschkowskij war kein Anwalt eines solchen. Wie sehr sich die Christenheit schon damals gespalten hat, sieht man gerade heute wieder, wo die moslemisch dominierte Welt angesichts der dort stattfindenden imperialistischen Kriege in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt: Da entdeckt man Jesiden, Maroniten, Kopten, Orthodoxe…
Was Mereschkowskij in dem genannten Roman anhand der damaligen Wirklichkeit dargestellt hat, läßt seine weitere Entwicklung nur schwer begreifen: Schließlich hat er festgestellt, daß für den römischen Staat sich das Christentum der Päpste als äußerst zweckmäßige Religion herausgestellt hat und allein deswegen etabliert worden ist. Die griechische Kultur hingegen, die sich ja bis in die Ära Alexander des Großen auf Stadtstaaten beschränkt hat, reichlich unzweckmäßig: Zum einen ziemlich materialistisch orientiert — man denke an Demokritos, der das Unteilbare (A-tom) entdeckte, man denke an ihre sehr menschlich sich gebenden Götterwelt — zum anderen auf Erkenntnissen bestehend, die im sprichwörtlich finsteren Mittelalter dank des sich ausbreitenden Christentums in Vergessenheit gerieten: Ein Beispiel: Schon der Grieche Aristarchos von Samos (ca. 310 bis 230 v. Chr.) entdeckte, daß sich die Erde um die Sonne dreht — eine Entdeckung, die ein gewisser Kopernikus dann zu Beginn der Neuzeit erneut machte. Galileo Galilei wurde ob seiner Parteinahme für diese Entdeckung von der römischen Kurie dann des Ketzertums geziehen. Im Grunde ist das der ganze Widerspruch einer Religion: Das Denken gegen das Geist, also gegen »die Materie, die denkt«, wie das Marx einmal ausgedrückt hat.
Mereschkowskij ist deshalb schwer zu begreifen, weil er genau dieses Verdikt, das Christentum gereiche der Herrschaft zum Vorteil sich selber zum Anliegen gemacht hat: In seinem zweiten Band erwähnter Trilogie »Leonardo da Vinci«, der ursprünglich als »Auferstehung der Götter« betitelt war, versuchte er über die Kunst eine Wiederversöhnung mit dem Christentum zu erreichen. Diese gipfelte dann in der Pateinahme zunächst für das russische Kaiserreich; Peter dem Großen gilt sein 3. Roman der Trilogie unter dem Titel »Der Antichrist (Peter der Große und Alexej)«.
Wiewohl Mereschkowskij alles aus moralischer Distanziertheit betrachtet hat, hat er nie die Interessen der jeweiligen Herrschaft genauer unter die Lupe genommen, er hielt sie per se für verständlich, mitunter auch vereinbar. An der Frage der Vereinbarkeit divergierender Interessen mußte es schließlich scheitern. Sein Standpunkt war der einer nationalen Macht, jenseits moralischer Bedenken, insofern war er zugleich Gegner des Christentums wie dann aber auch wieder ein funktioneller Bewunderer desselben, wenn und insofern es sich für eine säkularisierte (russische) Macht dienlich erweisen sollte — da war er dann sehr nah an Peter dem Großen, nur war mit der alten Zarenherrlichkeit, die numehr zusehens verblaßt war, nicht mehr viel Staat zu machen. Der Schrei nach einer erneuerten Staatsräson trieb Mereschkowskij um.
Bezüglich der nationalen Frage betrachtete er selbst die Klassiker Tolstoj und Dostojewskij, wobei er die eigenstänfige russische Kultur, die ihm in Tolstojs »Anna Karenina« so glanzvoll aufleuchtete, dem »Westlertum entgegenhielt«.
Erschienen sind seine Hauptwerke in den Verlagen Piper (München) und Carl Voegels (Berlin) in den 1920er Jahren (rot = vordringliche Leseempfehlung):
Ewige Gefährten, Piper [enthält: Akropolis, Mark Aurel, Plinius der Jüngere, Cervantes, Montaigne, Goethe, byron,Flaubert, Turgenjew, Dostojewskij, Gontascharow, Puschkin]
Julianus Apostata (Hist. Roman, Band 1 der Trilogie), Piper
Leonardo da Vinci (Hist. Roman, Band 2 der Trilogie), Piper
Peter und Alexej (Hist. Roman, Band 3 der Trilogie), Piper
Auf dem Wege nach Emmaus (Essays), Piper [enthält u.a. Tolstoj und die revolution, Gorkj und Dostojewskij, Rosanow, Blüten der Bourgeoisie, Prophetentum und Provokation, Die Seele des Zuckers, St. Helena, Alexander I., Kaiserin Elisabeth, Mütterchen Schwein, Regenbogen im Winter, Rotkäppchen, Religion und Nationalismus]
Alexander der Erste (Hist. Roman), Piper
Der Zar und die Revolution, Piper (Essays) [enthält nur 1 Essay von Mereschkowskij und zwar: Religion und Revolution]
Der Anmasch des Pöbels, Piper (Essays: Der Anmarsch des Pöbels, Tschechoff und Gorkij, Hagia Sophia)
Vom Krieg zur Revolution – Ein unkriegerisches Tagebuch, Piper (Essays) [enthält u.a. Das unheilige Rußland, Krieg und Religion, Die beiden Islam, Die Judenfrage als eine russische Frage, Der Dichter des Ewig-Weiblichen, Die Dekabristen in den 60er Jahren, Der Mörder der Schwäne] In dem Kapitel »Krieg und Religion« kommt Mereschkowskij parteinehmend für die Religion zu der ihn wohl selber überraschenden Erkenntnis. »Die Überwindung des Krieges ist die Überwindung des Nationalismus.« und weiter »Das Christentum verneint nicht die Gewalt, sondern überwindet sie und "lebt sie aus sich hinaus",,,,« (S. 141)
Napoleon – Sein Leben – Der Mensch, Th Knauer Nachf. (Berlin)
Dante, Sperper Verlag (Zürich)
Julian Apostata (Hist. Roman, Band 1 der Trilogie), Karl Voegels
Leonardo da Vinci (Hist. Roman, Band 2 der Trilogie), Karl Voegels
Peter der Große und Alexej (Hist. Roman, Band 3 der Trilogie), Karl Voegels
Tolstoj und Dostojewskij (- als Menschen, – als Künstler), Karl Voegels
Michelangelo und andere Novellen, Karl Voegels [enthält Michelangelo, Die Liebe ist stärker als der Tod, Die Wissenschaft der Liebe, Der heilige Satyr]
Tut-ench-amon auf Kreta – die Geburt der Götter I, (eine Gebrut der Götter II wohl nicht erschienen), Allgemeine Verlagsanstalt, München
Der vierzehnte Dezember*, Goldmann Taschenbuch
Gogol und der Teufel, Verlag Heinrich Ellermann (Hamburg und München)
Diese Liste ist unvollständig.
* Dieser Roman behandelt den Dekabristenaufstand gegen den Zar (1825), in dem Zar Nikolai einer bürgerlichen Revolution weichen sollte. Der Versuch einer neuen nationalen Staatsräson scheiterte. Da dieser Staatsstreich christlich begründet war, sah in ihm Mereschkowskij die Zukunft Rußland. Soll Rußland sein oder nicht sein, fragt er in seinem Roman über Alexander den I. Soviel er einer ideell christlichen Nation abgewinnen konnte, so wenig versprach er sich von der bolschewistischen Revolution, die ja der Religion auch in ihrer ideellen Fassung als die Vergötterung der menschenunwürdigen Verhältnisse wahrnahm und deshalb abschaffen wollte. Mereschkowskijs Auffassung zur Oktoberrevolution ist in 2 Aufsätzen und einigen Notizen zusammen mit 3 anderen Autoren antimaterialisitscher Gesinnung in einem Band "Das Reich des Antichrist" (Drei Masken Verlag, München) enthalten. Zum einen wird deutlcih in welchen abgehobenen, herumspinnenden Kreisen er sich bewegte und von denen er offenbar nicht unbeeinflußt blieb. Zum anderen verdeutlich er selber, worum es ihm geht, um die Rettung der (christlichen) "Kultur", ja um die Rettung Tolstojs: "Sozial und politisch ist Tolstoi 'Kapitalist und Gutsbesitzer'; sein ganzes Fleisch ist das alte Fleisch Rußlands. Aber er verstümmelt und tötet es mit der gleichen blinden Wut wie die Bolschewisten. … Am nächsten steht Tolstoi den Bolschewisten in der Ästhetik und Metaphysik. Nicht in den amtlichen Aushängeschilden des 'Proletkult', nicht in ihrem Schwindel und Geschrei, sondern im Wesen der Sache, in jenem Volkselement, das den Bolschewismus emporgespült hat und trägt. Was ist der Bolschewismus? Die Verneinung jeder Kultur als einer krankhaften und widernatürlichen Kompliziertheit, der Wille zur 'Vereinfachung', d.h. letzten Endes der metaphysische Wille zur Wildheit. Aber auch der ganze Genius Tolstois ist der gleiche Wille," (S. 192) Man sieht, daß Mereschkowskij das gemeine Volk verachtet, er immerzu eine elitäre Haltung einnimmt. Religion hält er für zweckmäßig, für die Kultur, für den "Pöbel", der ansosnten aufmarschiert und wenn ein Lenin kommt, auch noch mit diesem eine antichristliche antikulturelle und gewissermaßen antirussische – schließlich soll Rußland im Weltkommunismus aufgehen – Revolution macht. Wenn man so will, hat der Bolschewismus das Denken dieses Herrn entzaubert. Und das obschon er selber anfangs einen ganz anderen Ansatz hatte, nämlich in einer Kritik des Christentums in seinem fänomenalen Roman "Julian Apostata".