kokaRELIGION & GEWALT

Die Position der Religionen

Die Religionen, wie klein oder groß auch immer, ob als Sekten diffamiert oder staatlicherseits anerkannt, sie alle leben vom Elend der Massen [1], von den Selbsttäuschungen, die sie den Leuten ans Herz legen, indem sie vorgeben, für sie die Wahrheit schlechthin bereitzuhalten: Eine Wahrheit, die das glatte Gegenteil von der bescheidenen Lage verspricht, in der sich die meisten befinden. Kein Geheimnis ist dabei, daß sie die nicht umstandslos bereithalten: Das Land, wo Milch und Honig fließen, befindet sich ausnahmslos im Jenseits. Die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse haben »die Menschen« — ausnahmslos in dieser Abstraktion reden Religionen von ihnen — schicksalsergeben hinzunehmen und sich in ihnen gottergeben abzurackern. Alle irdische Mühsal soll als (moralische) Prüfung die Tür für Höheres öffnen.

Dafür freilich, daß die Elenden dieser — kapitalistischen! — Welt sich das zu Herzen nehmen, befleißigen sich die Religionen in aller Regel durchaus einer sozialen Attitüde: Glaubhaft wollen und müssen Religionen schon sein! Und so ist beispielsweise die Kritik am Papst, er ließe es in all seiner Weltfremdheit, wenn er mal wieder soziales Elend hier & dort als unerträglich anprangert, an Glaubwürdigkeit mangeln, verfehlt, will er doch gerade damit dem Glauben auf die Sprünge helfen. Auf Grundlage ihres paradiesischen Dogmas ist es selbstverständlich Häresie, sich — mehr als für die eigene Glaubwürdigkeit nötig — um die wirkliche Verbesserung (von Veränderung ganz zu schweigen) der Lebensumstände seiner tatsächlichen wie potenziellen Anhänger zu kümmern. [2]

Auch wäre das Dogma unvollständig, wenn man der im Prinzip allenthalben genauso denkenden Konkurrenz um die »Wahrheit«, nicht kategorisch die »Wahrheit« abspräche. Also wird es getan und nicht zu knapp. Religionskriege sind nicht ausgestorben und werden es nie sein, solange es Religionen gibt. Innerhalb des Christentums sind im Gegensatz zum Islam — wo die Schiiten den Sunniten und die Sunniten untereinander sich nicht grün sind — die Kriege längst auf diplomatische heruntergestuft [3]. Unter dem Begriff »Ökumene« ist seit längerer Zeit so einer im Gange: Seiner Logik nach ist klar, daß es dabei nicht um ein Zurücknehmen des eigenen Absolutheitsanspruchs geht, sondern um einen Versuch, den Frevler wieder auf die eigene Linie einzuschwören. Und so hätte es das römisch-katholische Schreiben Dominus Jesus (aus dem Jahre 2000 [4]) tatsächlich nicht gebraucht, so symptomatisch es dafür ist. Und die zumeist protestantischen Kritiker müssen sich fragen lassen, was sie unter ihrem Begriff einer »echten« Ökumene verstehen: Geht es ihnen statt um die Wahrheit um einen Kompromiß, von dem jeder weiß, wie sehr er die jeweiligen Dogmata kompromittiert?

Allein daß die pure Existenz anderer Religionen und bisweilen die praktische Verkehrsform untereinander immerzu »Verwirrung« unter den gemeinen Leuten hervorruft bzw. hervorrufen könnte, gibt den Chefideologen Gottes schwer zu denken. Freilich unterscheiden sich die Weltreligionen. Aber wodurch eigentlich? Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Wischnu/Krischna/Schiwa und der heiligen Dreifaltigkeit? Sind nicht beide Mysterien des Glaubens? Wo ist der große Unterschied zwischen Buddha und Jesus, zwischen Allah und Jehowa? Sind nicht alle auf das Eine hin orientiert: Die Leute auf den rechten, moralisch einwandfreien Weg zu führen…?

Kurzum, ihrer eigenen Sache nach unterscheiden sie sich keineswegs, auch nicht in ihrem Ausschließlichkeitsanspruch.

Das staatliche Interesse an Religion

Das Bedürfnis nach Religion ist unter aufgeklärten kapitalistischen Verhältnissen heutzutage im allgemeinen kein dem Individuum selber entspringendes mehr. Die politische Gewalt, der Staat empfiehlt es seinen Bürgern zu seinen Zwecken: nämlich Leute zur Verfügung zu haben, die sich mit all dem, was er ihnen einbrockt — und das ist nicht wenig —, schicksalhaft abfinden, sich loyal zu ihm verhalten und zugleich verwertbar für seine kapitalistische Wirtschaftsordnung zu sein. Dieses politische Bedürfnis bedient die Religion, sie hämmert der staatlichen Manövriermasse die Schicksalshaftigkeit ihrer Lage ein, indem sie ihr einen höheren Sinn andichtet.

Die Potenz einer Glaubensgemeinschaft steht und fällt mit der politischen Macht, die hinter ihr steht. Und da sieht es für die christlichen Religionen, angesiedelt u.a. in den Zentren des Kapitalismus einfach besser aus als beispielsweise für die islamischen, die vergeblich an dieser, keineswegs schlicht »kulturellen« Vormachtstellung — manifestiert im Begriff »christliches Abendland« — zu rütteln versuchen. Es sind die Waffen der politischen Gewalt, die das Gewicht der Religionen ausmachen. Was wäre z.B. der Staat der Juden ohne das Interesse der Militärmacht der USA? Ein islamischer Palästinenserstaat hingegen ist ohne jegliches US-Interesse einfach nicht existent, da nützt sein Ausrufen alles nichts.

So scheiden sich eben auch Zivilisation und Terrorismus einzig und allein an der überlegenen politischen Gewalt. Bisweilen wird die aufs religiöse Prinzip emporgehoben. Verfechter eines Gottesstaates wie der IS sehen das noch viel grundsätzlicher: Eine Unterordnung der Religion unter eine staatliche Vorherrschaft begreifen sie als einen prinzipiellen Angriff auf ihre Religion selber. Wenn Das Christentum sich der staatlichen Herrschaft, einer laizistischen zumal, unterworfen hat dann spricht das nach IS-Meinung ganz entschieden gegen das Christentum.

In vielen anderen Streitfällen ist Religion ohne oder nahezu ohne Bedeutung, handelt es sich bei solchen für die moderne Welt des Kapitals und des Kapitalverkehrs schlichtweg um lästigen Ballast. Dem zwar die Zuständigkeit für die geistige Betreuung des untergebenen Menschenmaterials anheimgestellt wird, die sich aber ansonsten am besten aus der Tagespolitik herauszuhalten hat. Diesen Deal haben die christlichen Kirchen geschluckt, weil sich die politische Gewalt verpflichtet hat, ihnen die Drecksarbeit abzunehmen. So massakrieren US-Bomber und -Drohnen ganz ohne Kreuzzeichen moslemische Zivilbevölkerung, wo immer sie muslimische Fanatiker auch bloß vermuten. Daß die Christkirchen in ihrer abendländischen Heimat in vielfältiger Weise staatlicherseits ausgehalten werden, ist ihrer fraglosen Nützlichkeit für Staat und Gesellschaft geschuldet.

Sicher, wo die staatliche Zugehörigkeit umstritten ist, da geht es nach wie vor ans Eingemachte. Der Konflikt um Kaschmir zwischen Pakistan und Indien ist so ein Fall. Meist finden die schlagkräftigen Auseinandersetzungen jedoch innerhalb eines Landes statt, wie z.B. auf den Filippinen, auf Sri Lanka, in Indonesien, in Myanmar, in Nigeria etc. Nicht immer sind sie von ethnischen zu trennen.
In Jugoslawien plädierte der Heilige Stuhl schon immer für eine Scheidung nach Religionszugehörigkeit: Er fand es unerträglich, daß die katholischen Kroaten sich gegenüber Moslems und orthodoxen Christen in einer Minderheit befanden. So war er selbst maßgebender Wegbereiter des Ustaša-Faschismus [5], nachdem der deutsche Imperialismus diesem den Weg zur Macht freigeräumt hatte, und gut 50 Jahre später sollte erneut Deutschland den jugoslawischen Staat im päpstlichen Sinne zerschlagen. Erst die Zerschlagung selber gebar neben nationalistischen Streitigkeiten religiöse in beachtenswertem Umfang.

Vorbehaltlose Unterordnung als Voraussetzung staatlicher Anerkennung

Innerhalb Deutschlands haben es Mohammedaner wahrlich nicht leicht, staatlich anerkannt zu werden — bis hin zum Religionsunterricht: Stehen sie nicht für (eine) fremde Macht? Sogleich wird untersucht, wer sie finanziert und wie sich deren Religion mit dem Grundgesetz verträgt: Wobei klar ist, daß auch ein braver Allah-Jünger, der nichts anderes als seinen religiösen Zeremonien nachgeht, es nie an seiner Untertänigkeit und damit an seinem prinzipiellen Gebrauchswert für die politische Herrschaft fehlen lassen wird. Die Frage ist nur, und die ist beim Wesen der Religion — siehe oben — nur allzusehr berechtigt: Läßt sich die Religion tatsächlich darauf beschränken? Erwächst hier nicht eine zumindest potenzielle Gefahr für das staatliche Gewaltmonopol? Erst wenn sich eine Religion als quasi 5. Kolonne der politischen Herrschaft bewährt hat, kann ihr auch Anerkennung gewährt werden. Sicherheitshalber nimmt der deutsche Staat gleich die Ausbildung moslemischer Geistlicher in die eigene Hand, Religionslehrpläne für die Schulen sowieso.

Preisfrage

Fragt sich jetzt eigentlich noch, warum in aller Welt »der Mensch« religiös sein soll?

(05.07.2015)
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[1] "… Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes. …." (Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsfilosofie, in: MEW 1, S.378)
[2] Damit die verehrten Massen nicht auf falsche Gedanken kommen, empfiehlt es sich, überhaupt Skepsis gegenüber der Gehirntätigkeit zu propagieren: "Die Meditation ist eine gute Methode, das Denken auszuschalten und zur Ruhe zu kommen." Zynisch? Glaubensprediger wie der Buddhisten-Mönch, Phra Kittikuno, von dem dieser Satz stammt (Augsburger Allgemeine, 24.05.2013), brauchen diesen Vorwurf nicht zu befürchten: Auch die politischen Herrschaften warnen ja bisweilen vor einer »Hybris des Geistes« (Psalm 131), dann nämlich, wenn ihnen zur Verteidigung ihres Mists nichts anderes mehr einfällt. Da möge sich also keiner scheinheilig etwa über »Boko Haram« (wortwörtlich: Bücher = Sünde) entrüsten!
[3] Im übergeordneten staatlichen Interesse wurden hierzulande die Religionskriege beendet. Verfügt im Augsburger Religionsfrieden von 1555, welcher selbstredend nach dem 30-jährigen Krieg im Westfälischen Frieden von 1648 der Bestätigung bedurfte.
[4] Text der Enzyklika
[5] Selbst die KZs erhielten damals den katholischen Segen. Näheres in dem Buch von Vladimir Dedijer: Jasenovac — das jugoslawische Auschwitz und der Vatikan

bluete