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Griechenland — damals und heute

Eine besondere Herausforderung für den Journalisten ist es, das, was die politische Gewalt auf die Tagesordnung setzt, in einem höheren Glanze erscheinen zu lassen, es den Niederungen des politischen Alltags zu entziehen. Kurzum all jenes ganz grundsätzlich zu rechtfertigen mit allem, was einem (Star-)Journalisten dazu gerade in die Hände fällt. Selbstverständlich nicht ohne eine persönliche Fußnote, eine kritische Anmerkung zu vergessen — einen ihm wesentlich erscheinenden Beitrag zum Gelingen der gerade anstehenden großen nationalen Projekte.

So kommt einem beispielsweise — anläßlich der griechischen Staatskrise und deren Bewältigung im Interesse des deutsch-imperialistischen Euro-Projekts — glatt Aristoteles in den Sinn, welcher sich seinerzeit Gedanken über Politik und Ökonomie gemacht hatte. Wolfgang Schütz verfrachtet dessen Gedanken (in der Augsburger Allgemeinen vom 28.03.2015) kurzerhand von der Antike in die Moderne: Schließlich weiß jedes Kind, daß die antiken Griechen die Demokratie als Staatsform erfunden und Geld nicht weniger schon gekannt haben: Den griechischen 1-Euro-Groschen ziert bekanntlich eine antike Eulen-Münze und — vor Euro-Einführung — das 5-Drachmen-Stück der Kopf des Aristoteles (siehe Abbildung zu jenem Artikel). Also, so dachte Schütz offenkundig, beste Voraussetzungen den Griechen mit ihrem eigenen Vordenker Mores zu lehren und anderen obendrein!

Aristoteles weist drauf hin, daß Geld, sollte es denn Geltung beanspruchen können, des Staates bedarf:
"Nun ist aber kraft Übereinkunft das Geld gleichsam Stellvertreter des Bedürfnisses geworden, und darum trägt es den Namen Nomisma, weil es seinen Wert nicht von Natur hat, sondern durch den Nomos, das Gesetz, und weil es bei uns steht, es zu verändern und außer Umlauf zu setzen." (A., Nikomachische Ethik, 1132, 29-34, zit. nach: Filosofische Schriften 3, Meiner Verlag, S. 113) Und weiter: "Das Geld macht also wie ein Maß alle Dinge kommensurabel und stellt dadurch eine Gleichheit unter ihnen her. Denn ohne Austausch wäre keine Gemeinschaft und ohne Gleichheit kein Austausch und ohne Kommensurabilität keine Gleichheit. In Wahrheit können freilich Dinge, die so sehr voneinander verschieden sind, nicht kommensurabel sein [1], für das Bedürfnis aber ist es ganz gut möglich. Es muß also ein Eines geben, welches das gemeinsame Maß vorstellt, und zwar kraft positiver Übereinkunft vorstellt, weshalb es auch Nomisma heißt, gleichsam ein vom Gesetz, Nomos, aufgestelltes Wertmaß. Denn alles wird nach ihm gemessen." (ebenda, S. 114)

Bei Schütz liest sich ebenso begründungslos wie falsch zitiert schlicht so: "Ohne Geld gäbe es weder Tausch noch Gemeinschaft."[2]

Dem kann man schon mit Aristoteles selber widersprechen: "In der ältesten Gemeinschaft nun, der Familie, bedurfte es natürlich eines Tauschhandels nicht, sondern er wurde dann zur Notwendigkeit, als die Gemeinschaften größer wurden. Denn bei den einen war hier alles, was ihnen zur Verfügung stand, das nämliche, andere wiederum hatten auch manches gesondert für sich, und solches mußte dann je nach Bedürfnissen auf dem Wege des Tausches [erstmal ganz ohne Geld!] in Umlauf gebracht werden, wie auch manche nicht griechische Völkerschaften es noch gegenwärtig machen. Sie beschränken sich nämlich darauf, die Verbrauchsgegenstände selbst gegeneinander auszutauschen, indem sie z.B. Wein für Korn geben und nehmen, und ebenso für alle anderen derartigen Artikel." (Aristoteles, Politik, 1257, 20-30, F. Schr. 4, Meiner, S. 18)

Doch Schütz verfolgt ein anderes Ziel: so falsch angefangen behauptet er, Schütz, kurzerhand: "Und diese Gemeinschaft [also die Gemeinschaft mit Geld!] ist das oberste Ziel des Staates. Damit beginnt eines seiner Hauptwerke, die Politik."

So selbstverständlich Schütz sich eine Gemeinschaft nicht anders als eine des Geldes vorstellen will und deshalb Geld seiner Rede von Gemeinschaft einfach unterstellt, steht bei Aristoteles freilich an dieser Stelle ganz anderes: "Da jeder Staat uns als eine Gemeinschaft entgegentritt und jede Gemeinschaft als eine menschliche Einrichtung, die ein bestimmtes Gut verfolgt — denn um dessentwillen, was ihnen ein Gut zu sein scheint, tun alle alles — so erhellt, daß zwar alle Gemeinschaften nach irgendeinem Gute streben, vorzugsweise aber und nach dem allervornehmsten Gute diejenige, die die vornehmste von allen ist und alle anderen in sich schließt. Das ist aber der sogenannte Staat und die staatliche Gemeinschaft." (Aristoteles, Politik, 1252, 1-5, F. Schr. 4, Meiner, S. 1)

Also von wegen, daß der Staat aus einer Geld-Gemeinschaft sich ableiten würde! Auf welche Weise die Ökonomie zum Staat sich gesellt, darauf kommt Aristoteles erst später zu sprechen. Denn es ist etwas anderes, wenn vom Haushalten einer Familie und von dem eines Staates die Rede ist. Das war ihm — das läßt sich aus seinen Überlegungen allenthalben schließen — sehr wohl bewußt, Schütz hingegen tut so, als wäre das geradezu einerlei.
Hierzu Aristoteles: "So ist denn die für das tägliche Zusammenleben bestehende natürliche Gemeinschaft das Haus oder die Familie; Charondas nennt ihre Glieder Tischgenossen, und der Kreter Epimenides nennt sie Herdgenossen. Dagegen ist die erste Gemeinschaft, die aus mehreren Familien um eines über den Tag hinausreichenden Bedürfnisses willen entsteht die Dorfgemeinde. …. Endlich ist die aus mehreren Dorfgemeinden gebildete vollkommene Gesellschaft der Staat, eine Gemeinschaft, die gleichsam das Ziel vollendeter Selbstgenügsamkeit erreicht hat, die um des Lebens willen entstanden ist und um des vollkommenen Lebens besteht." (ebenda, S. 3) Fraglos hat Aristoteles hier einen freiwilligen Zusammenschluß gesehen und nicht einen Zusammenschluß, der auf Gewalt fußt.[3] Dieser Eindruck mag zu seiner Zeit noch eine gewisse Berechtigung gehabt haben angesichts einer von Natur oder anderen Völkerschaften bedrohten Existenz. Im Gegensatz dazu ist nicht zu übersehen, daß der Staat von heute ein auf purer Gewalt fußender Zwangszusammenschluß ist, der seinerseits nach Maßgabe seiner Ansprüche und Mittel für andere Staaten und Völkerschaften eine Bedrohung darstellt.

Was also das Gute ist, das der Staat verfolgt, hat sich gänzlich von dem emanzipiert, was für die einzelnen Familien und Individuen gut ist. Sie zählen ja allüberall zu eines Staates Manövriermasse. Aristoteles war da der Auffassung, daß sich der Staat tatsächlich um das Gute kümmern möge — und inwiefern sie dem nachkommen, sich Staatsverfassungen unterscheiden. Wenn Aristoteles meint, der Status eines Sklaven — ja, Aristoteles lebte in einer Sklavenhaltergesellschaft und nicht in einer kapitalistischen — verdanke sich seiner Natur, weil die Abhängigkeit ihn zu eben solchem mache, weil "Herrschen und Dienen … nicht nur zu den notwendigen, sondern auch zu den nützlichen Dingen" gehöre (Politik, a.a.O., S. 8) , dann dementiert er den Gegensatz von dem er spricht, er will nicht auf ihm beharren: " …der Gegensatz von Herrschenden und Dienenden tritt überall auf, wo etwas aus mehreren Teilen besteht und eine Einheit bildet, seien die Teile nun kontinuierlich oder direkt. …." Man merkt die angestrengte Ausflucht des Theoretikers, nur Schütz bemerkt sie nicht  — sofern er Aristoteles' Schrift überhaupt zur Hand genommen hat und nicht nur aus dem Die-Zeit-Artikel in bekannter Freiherr-von-und-zu-Guttenberg-Manier abgefeilt hat.

Das Ziel einer staatlichen Gemeinschaft, das gute Leben proklamiert Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik. Die »Ethik« — das griechische Wort für das lateinische »Moral« (deutsch: Sitte) — gefällt Schütz deshalb so gut, weil er mit ihr seinem eigenem, moralischen Bedürfnis auf die Sprünge helfen will, schließlich will er ja den Griechen von heute und nicht nur jenen, Mores lehren.
"Denn wenn der von uns in der Ethik aufgestellte Grundsatz zu Recht besteht, daß das glückliche Leben ein Leben unbehinderter Tugend und die Tugend eine Mitte ist, so muß das mittlere Leben das beste sein, ein Leben, sagen wir, in einer Mitte, die für jeden zu ereichen ist. Diese nämlichen Bestimmungen müssen aber, wie für die Tugend und die Schlechtigkeit eines Staates, so auch für die einer Verfassung gelten, da die Verfassung wie ein Leben des Staates ist." (Politik, a.a.O., S.145) Wie man sieht, leitet Aristoteles die Verfassung aus der Tugend ab und nicht wie umgekehrt Schütz, der die Tugend der (kapitalistischen) Verfassung eines heutigen Staates wenn nicht abzuleiten gedenkt so doch gleich unterstellt — er denkt sich den Staat gleich als Gemeinschaft ideeller Werte (schon im Titel seines Artikel redet er "wahren Werten" das Wort) —, wenn er diesen Vorsatz seines Aristoteles-Zitats übergeht. Dort steht, und allein das zitiert Schütz: "In allen Staaten gibt es drei Klassen von Bürgern: sehr reiche, sehr arme und drittens solche, die zwischen beiden in der Mitte stehen.[4] Da also die Voraussetzung gilt, daß das Gemäßigte und das Mittlere das beste ist, so sieht man, daß auch auf die Vermögensverhältnisse der mittlere Besitz von allen der beste ist; ein solcher Vermögensstand gehorcht am leichtesten der Vernunft." (ebenda)

Aristoteles — das ist unübersehbar — zielt auf die beste Grundlage des Staatswesens, das sich aus dem Ideal der Tugendhaftigkeit ergibt. Dafür erscheint ihm eine mittlere Vermögenslage als materieller, quasi automatischer Garant. Schütz hingegen umgekehrt: "Das [die Mitte] also muß die Politik organisieren." Und oben drauf: "Und dazu muß sie dafür sorgen, daß sie die Kontrolle über die Ökonomie behält und nicht von deren Notwendigkeiten getrieben wird." Hier sieht er ein Problem, das Aristoteles gar nicht sehen konnte. Denn die heutige ökonomische Notwendigkeit schlechthin, aus Geld mehr Geld zu machen, die kannte er selbstredend gar nicht. Keine seiner durchdeklinierten Staatsverfassungen kannte eine solche, kapitalistische Staatsräson, die die staatliche Gewalt ihrerseits automatisch mehrt: Das ist der Grund, weshalb eine durchgreifende Kapitalisierung der Ökonomie jedem Staat im Eigeninteresse obliegt — und woran es das moderne Griechenland in Augen seiner auswärtigen Aufseher hat fehlen lassen. Als die Triebfeder des Staates betrachtete Aristoteles hingegen — für die heutige Zeit völlig unangemessen — die Tugend seiner Sachwalter. Heute steht der Staat und sein Quidproquo völlig unabhängig von denen, die seine Geschäfte betreiben, fest. Jene sind deshalb auch nichts anderes als Charaktermasken des Staates, seines Gewaltvermögens und seiner Ansprüche.
Schütz vermißt ausgerechnet in diesen heutigen Zuständen die Tugend der Mitte, weil der Staat, wie er keck behauptet, durch die globalen Bedingungen der Ökonomie ausgehebelt sei. Er fragt sich nicht, wer denn die Bedingungen der Ökonomie setzt und — auch über die Staatsgrenzen hinaus — durchsetzt. Nein, er tut so, als wäre die Staatsgewalt nicht (mehr) das Subjekt ihrer selbst, wenn sie mittels einer  Europäischen Zentralbank "Billionen in die Märkte pumpt"; einer Zentralbank, die sie als Mittel zu ihrem (weltherrschaftlichen) Zweck zusammen mit anderen Staaten gegründet hat. [5]

So geht es also dahin, mit dem Schützschen Märchen von der Machtlosigkeit der Politik, die, wie er meint, "auf den Märkten untergeht". Darunter leidet das "Funktionieren des Staates", denn die "Vernunft aus der Mitte", die Aristoteles verlangt, fehle. Das »Primat« der Politik, welches Aristoteles der Ökonomie für selbstverständlich unterstellt (und deshalb keineswegs zu fordern braucht), das vermißt Schütz zusehends. Freilich nicht in Hinsicht auf die mittels staatlicher Gewalt hergestellte Grundlage der Ökonomie, welche Schütz für nicht weiter betrachtenswert hält, vielmehr hinsichtlich ihrer Ergebnisse. Über die kraß ungleiche Verteilung des »Wohlstands« einer kapitalistischen Gesellschaft brauchte sich Aristoteles wenig Sorgen zu machen, es genügte ihm eine dafür eine tugendhafte Haltung der Staatsdiener. Diese Haltung paßt Schütz sehr gut ins Konzept, so als wäre die aktuelle Krise eine Frage von Tugend und mehr oder weniger erfolgreicher Korruptionsbekämpfung. [6]

Als bedenklich erkennt er dabei seltsamerweise gleich eines:
"Die Wirtschaft also dient dem Staat, dient der Gemeinschaft, dient dem Menschen. Und nur die Politik kann für die gerechte Verteilung des Wohlstands sorgen. Wie? Über diese Frage wurde Aristoteles zu einem der ersten Denker der sozialen Gerechtigkeit. Mit Planwirtschaft und Sozialismus hat der Pragmatiker dabei nichts im Sinn. Dergleichen hätte er wahrscheinlich ins zweite Buch seiner »Hauswirtschaft« verbannt, in dem er als negative Lehrbeispiele 70 »Schurkenstreiche« von griechischen und persischen Politikern aufführt."

Die 3 Bücher, die unter dem Titel »Hauswirtschaft« [7] zu späterem Datum zusammengefaßt sind, sind allerdings gar nicht von Aristoteles. Was man schon am ersten Satz des ersten Buches sieht, den Schütz — so er die Schrift überhaupt zur Hand genommen haben sollte (sie kommt ebenfalls in dem bereits erwähnten Die Zeit-Artikel vor) — geflissentlich überlesen hat:
»Hauswirtschaft und Staatswirtschaft unterscheiden sich nicht nur, wie Haus und Staat — das sind ja ihre Gegenstände -, sondern die Staatswirtschaft sieht viele Herren vor, die Hauswirtschaft ist eine Alleinwirtschaft. …« Wäre Aristoteles der Autor dieser ihm (von Gohlke) unterstellten Frühschrift, stellt sich die Frage, warum er diese wesentliche Unterscheidung nicht in einem seiner Hauptwerke aufgegriffen hat.
Es ist eher anzunehmen, daß ein späterer Denker an Aristoteles Schriften dermaßen weitergedacht hat. Schütz hingegen ignoriert eben das, wie er eben das Geld als solches in seiner Bestimmung ignoriert: Dabei könnte er leicht feststellen, daß die Wirtschaft der DDR wesentlich mehr mit der antiken gemein hatte, als ihm recht ist: Geld war hier wie dort nämlich nichts anderes als ein Tauschmittel — eben ganz im Gegensatz zum Kapitalismus, wo Geld eben nicht bloß ein für den Tausch nötiges Mittel, vielmehr zugleich Zweck der Produktionsweise ist. Nicht der Reichtum als solcher soll ja vermehrt werden, sondern der Reichtum in seiner abstrakten Form, als Geld. Und von dem sind automatisch all die ausgeschlossen, denen nichts anderes zum puren Leben bleibt als der Verkauf ihrer Arbeitskraft. Mit dem Lohn, den sie dafür erhalten, verbleiben ihnen vorzugsweise die minderwertigen Erzeugnisse an konkretem Reichtum dieser Produktionsweise.[8]

Das, was also bezüglich der DDR noch eine Frage der Gerechtigkeit entfachen könnte (oder hätte können), das erweist sich als absolut deplaziert in einem Staat wie der BRD: Da ergibt sich das, was gerecht ist, aus dem Zweck der Veranstaltung, der Geldverwertung und -vermehrung. Der Erfolg wird bekanntlich der Leistung eines Einzelnen zugesprochen. Der Mißerfolg ebenso.[9]

Warum sieht sich Schütz gezwungen, eine Breitseite gegen Planwirtschaft und Sozialismus abzufeuern, wenn er heute mitten im — allen Krisen zum Trotz — blühendsten Kapitalismus (mehr?) Gerechtigkeit einfordert? In dieser Frage hatte Aristoteles es in seiner antiken Klassengesellschaft von Freien und Sklaven zugegebenermaßen leicht: In der Gerechtigkeitsfrage sind die einen von vorneherein ausgeklammert: Deshalb gerieten die Auslassungen des Aristoteles darüber umso kläglicher, je mehr er sich um Erkenntnisse darüber bemühte. Beinahe ebenso kläglich übrigens wie die einem geistig wirklich arm gebliebenen Jesus, der landauf landab nichts als Moral zu predigen wußte. Schütz hingegen tut sich hart, zerrissen zwischen der fulminanten Logik des Kapitalismus einerseits und den Ideologien über ihn andrerseits:

Er tut so, als glitte dem Staat seine Ökonomie, die freie, private Ökonomie, an der er so großes Eigeninteresse zeigt, weil seine Macht mit den Mitteln, die er aus ihr zu ziehen vermag, steht und fällt, als glitte dem Staat dieses sein Quidproquo samt der angedichteten inhärenten Tugendhaftigkeit aus den Händen. Es sei also nicht das beabsichtigt, was doch offensichtlich beabsichtigt ist — etwa daß die Europäische Zentralbank Billionen in die Märkte pumpt —, weil sie der Kontrolle des Politik entzogen sei: Dabei ist gerade die EZB zum Exekutivorgan einer Politik der Ökonomie von staatlichen Gewalten beauftragt worden. Und konkret: Hat nicht der Aufkauf von griechischen, spanischen, italienischen etc. Staatsanleihen nicht eben den politischen Zweck, den Druck auf jene Staaten ganz direkt auszuüben, zu dem private Banken und »Investoren« allein nur vermittels der politischen Gewalt (und ihrer Rechtsprechung) in der Lage sind?

So lamentiert ein Schütz eben über die »entmachtete Politik«, in der er die Vernunft des Aristoteles vermißt. Doch gibt er damit der neuen griechischen Regierung unter Tsipras recht, die ja bekanntlich der dem griechischen Staat seitens der deutschen EU-Vormacht aufoktroyierten Verarmungspolitik entgegenwirken will? Das wäre ja schließlich naheliegend, wenn man schon Gerechtigkeit einfordert, welche — wie Schütz beklagt — »die Märkte« weder von sich aus herstellen noch staatlicherseits dazu gezwungen werden. 
Nein, in solch sozialistische Ecke möchte er sich nun wirklich nicht stellen. Seine eingangs festgestellte »Spannung« zwischen "der Not eines griechischen Arbeitslosen und den Sorgen eines deutschen Unternehmers, des europäischen Bankers und des amerikanischen Anlegers" — das ist doch mal eine schöne volksgerechte Sortierung! — löst sich folgendermaßen auf: "Damit das Geld dem rechten Maß, der Vernunft, zur Verfügung steht, in der Gemeinschaft der Bürger wie in der Gemeinschaft der Staaten, muß für die Regulierung der Märkte gesorgt werden. Auf der jeweils erforderlichen Ebene — im heutigen Fall also notwendigerweise global. Nur durch diese Steuerung ist soziale Gerechtigkeit möglich."
Die Spannnung löst sich also auf in Nichts: Da die Staaten jeweils eigene Interessen verfolgen und sich nicht auf eine Regulierung einigen können, ja gerade die soziale Deregulierung als Mittel ihrer Konkurrenz begreifen, ist Gerechtigkeit im Kapitalismus nicht möglich: Diesen Schluß seiner eigenen Rede zieht Schütz selber, wenn er sich zu folgendem Nachklapp hinreißen läßt: "Freilich muß man [wer?] auch [logischerweise gemeint: wenigstens!] gegen alle Korruption eintreten. Sonst führt der Weg bloß, wie Aristoteles es nannte, zur langen Liste der Schurkenstreiche."

So müssen sich letzthin nur »die Griechen«, korrupt wie sie sind, etwas zu Herzen nehmen.
Doch wieso sollten ausgerechnet »Tsipras und Varoufakis auf einen ihrer großen Landsleute hören«, wo Korruption [10] nun beim besten Willen nicht dem — wie sie sich nennen — Zusammenschluß der radikalen Linken — angelastet werden kann?! Wer konnte sich denn als politischer Tugendbold aufblasen, insofern die Unterwerfung unter deutsche EU-Bestimmungen und -Bedingungen nichts zu wünschen übrig ließ? Besteht die Tugendhaftigkeit, die Schütz meint, etwa in nichts anderem als Unterwerfung?

(Juni 2015)

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[1] Karl Marx kommt in seinem »Kapital«, Band 1, MEW 23, S. 75f auf die die Ökonomie betreffende Stelle der »Nikomachischen Ethik« zu sprechen und erklärt, warum Aristoteles die Erklärung der Wertform aufgibt — er scheitert an der Frage der Kommensurabilität der verschiedenen Dinge, die mit Geld ausgetauscht werden, und muß scheitern: Ihm fehlt der erst im Kapitalismus herrschende objektive Begriff des Wertes, objektiv durch die Arbeitszeit, in welcher der Wert der Arbeitskraft (nebst allen anderen eingehenden Kosten) auf das Produkt übertragen wird. Mit dem Verweis auf die Bedürfnisse schleicht sich Aristoteles aus der zu klärenden, aber eben seinerzeit nicht erklärbaren Sache. Daß der Staat Dingen mehr oder weniger willkürlich einen Wert zumißt, ist im kapitalistischen Staat geradewegs undenkbar, ein Verbrechen gegen seine Räson.

[2] Dieses so falsche Zitat findet sich seltsamerweise schon in einem Artikel der Zeitung Die Zeit vom 11.06.1993. Die Fundstellen bei Aristoteles sind weder in der Die Zeit noch in der AZ angegeben: Souverän darüberstehend, solch Sorte Journalismus!

[3] Daß er des weiteren die Idee eines zweckmäßigen Zusammenschlusses von Menschen, den Staat also dann wiederum als Grundlage für Familien und einzelne Menschen nimmt (ebenda, S.5), macht ihn so modern und vielzitiert für die heutige demokratische Staatsableitung: Nur als Staatsbürger zählt ein Mensch überhaupt (wobei des weiteren noch ein Riesenunterschied ist, welchem Staat ein homo sapiens angehört, einem mächtigen oder eher ohnmächtigen). Aristoteles meint hier den Menschen schlechthin, zu dem er erst im und durch den Staat wird. Der Staat also sei Voraussetzung für die Menschwerdung. Ein zivilisatorisch sehr wertvoller Gedanke, eine Ideologie, die noch heute ihre amtliche Gültigkeit besitzt.

[4] Es versteht sich, daß die wirkliche Klasseneinteilung der damaligen Sklavenhaltergesellschaft eine andere ist, hier bei Aristoteles sind darunter die (drei) Schichten der als solche anerkannten Staatsbürger zu verstehen. Den außerhalb der staatlichen Gemeinschaft stehenden Sklaven, die ja auch zum Besitz eines Bürgers gehören, widmet er sich an anderer Stelle ausführlich; ebenso den Frauen und ihrer gesellschaftsdienlichen Stellung. [Politik, a.a.O., S. 8ff]

[5] Daß Schütz mit dieser Vulgäranalyse Anhängern einer Vorstellung, mehr oder weniger dunkle Mächte hätten sich gegen den Staat verschworen und er könne seinen eigentlichen Aufgaben nicht mehr nachkommen, wäre also im Grunde gar kein Souverän mehr, den besten Nährboden bietet, das ist sich Schütz entweder nicht bewußt oder aber er ist selber Anhänger solch kruder Vermutungen aus der sich zur Staatsrettung berufen fühlenden (neo)faschistischen Ecke.

[6] siehe hierzu — weiter unter — seinen Nachklapp

[7] Die KoKa vorliegende Ausgabe ist 1947 im Verlag Ferdinand Schöningh Paderborn erschienen und wurde von einem Dr. Paul Gohlke herausgegeben, der in seinem Vorwort vehement versucht, Aristoteles die drei durchaus sehr verschiedenen Teile zuzuschustern. Dabei verwahrt er sich gegen alle bis dato diesbezüglichen Feststellungen (z.B. von Susemihl).
Die Schurkenstreiche, die als zweites Buch dort zu finden sind, sind nur allzu offensichtlich gar nicht von der Art, wie sie der DDR angelastet werden können: Das kann nur ein Blinder übersehen: In einem bespielsweise gaukelt ein Herrscher seinen Untertanen vor, die Stadt sei bedroht und man müsse zu ihrem Schutze eine Mauer bauen. Dafür sammelte er auch stracks Geld ein. Doch sobald er den angesetzten Betrag beisammen hatte, wollte er vom Mauerbau nichts mehr wissen: Die Götter hätten nun anderes beschlossen! An Rückzahlung der eingesammelten Gelder freilich dachte nicht im geringsten.
Einmal abgesehen davon, daß die DDR wirklich bedroht war, dafür eine Mauer, einen »antifaschistischen Schutzwall« nicht nur ersann, sondern auch wirklich baute, dafür weder Gelder einsammelte noch sonstwo schuldig blieb, stellt sich allein die Frage: Wie tugendhaft war die DDR bzw. wodurch wurde diese Tugendhaftigkeit manifestiert? Letzthin durch ihren freiwilligen Abtritt von der Weltbühne?

[8] Geld als bloßes Zahlungsmittel ist eine ebenso bleibende Notwendigkeit im Kapitalismus wie sein Ärgernis — was man sehr schön an der Diskussion um das Bargeld und seine von manchen Wirtschaftsidioten geforderte Abschaffung sieht. Geld ist ja gerade als Zahlungsmittel seinem Anspruch auf Vermehrung entzogen. Nichts Schlimmeres für einen Kapitaleigner als eine Rechnung bezahlen zu müssen! Dafür ist ihm doch sein Geld viel zu schade!

[9] Hier der Ursprung des ökonomisch begründeten Rassismus!

[10] Zur Klärung des Begriffs Korruption sei auf diesen Artikel verwiesen 

bluete