Kritische Stellungnahmen zu der derzeit grassierenden antirussischen Stimmungsmacherei — für eine solche sei die Süddeutsche Zeitung (SZ) namentlich hervorgehoben, zumal die sich auf ihre »Seriosität« besonders viel einbildet — sind allerdings nicht zu übersehen. Meinungsumfragen zeigen, daß die demokratischen Meinungsmacher, die »vierte Gewalt«, die öffentliche Meinung zu diesem Thema weit weniger bestimmen als verhofft. Diese Tatsache wiederum sieht sie (quasi als Opfer ihrer offenbar nach wie vor — aller täglichen Zurechtschleifung zum Trotz — doch recht dummen Leserschaft) genötigt, diese Kritik aufzugreifen. Und zwar als eine politischerseits nicht wirklich ernst zu nehmende und deshalb ins Feuilleton verbannt einem Dichter überlassen.
So kam am 29.03.14 bei der SZ ein drittklassiger* Schriftsteller zu einem vierspaltigen Artikel. Diesem Mann wollte man es nachsehen, Rußland zu verstehen, zumal er aus der unselig vergangenheitsbehafteten Ostzone stammt. Jener Ingo Schulze verwunderte sich alsdann sehr über den negativen Geschmack, der mit dem — zu nichts anderem als eben zur Diffamie erfundenen — Begriff »Rußlandversteher« zweifellos verbunden ist. Eine nähere Erklärung diesen Umstands blieb er schuldig. Er beharrte lediglich darauf, daß »Verstehen« doch per se etwas Positives sei. Nicht jedoch — und das hat der Ostzoni nicht begriffen — im »freien Westen« und für dessen Propagandapostillen! Da wird Verständnis allenthalben mit Billigung und Parteinahme gleichgesetzt. Einem solchen Begriff von Verständnis ist noch etwas inbegriffen: Verurteilung. Und die ist beabsichtigt, ganz gezielt und parteiisch allemal.
Umgekehrt unterstellt solches Urteil, das in (begriffsloser) Verurteilung besteht, also genaugenommen ein Vorurteil ist, daß der Urteilende selber für eben sein Urteil ein Verständnis überhaupt nicht beansprucht und zu beanspruchen braucht: Denn Billigung und Parteinahme sind seinem Verständnis vorausgesetzt! Ebenso wie eine Verurteilung dem (vorsätzlichen) Unverständnis einer Sache vorausgesetzt ist. Darauf fußt Propaganda, Indoktrination — ganz allgemein übrigens.
Jenseits aller politischen Betrachtung der Lage in und um die Ukraine kommt die Journaille des »freien Westens« nicht umhin, festzustellen, daß die materielle Lage der gemeinen Bevölkerung dort desaströs ist. Ihr kommen die millionenschweren »Hilfen« von IWF, EU etc. selbstverständlich nicht zugute. Es sind ja allein Kapitalhilfen bzw. Hilfen zur (Re-)Kapitalisierung; als solche werden sie nicht zweckentfremdet vergeben. Insofern und ausschließlich insofern ist an eine staatliche Stabilisierung des ukrainischen Staates gedacht. Die soziale Lage wird allein daraufhin beurteilt. So wird sie in eine nationale Frage übersetzt und nur so, in dieser Übersetzung ist sie erwünscht und gebilligt. Ihre Beantwortung steht im prowestlichen Sinne unumstößlich fest. Daß hier eine Übersetzung in einen prorussischen Nationalismus nicht wenigen Leuten vor Ort opportuner erscheint, bringt den freien Westen schier zur Weißglut. Wenn — so die »Logik« seines aktuellen Hasses auf Rußland — wenn es Putin und Co. nicht gäbe, dann gäbe es jene ärgerlichen Nationalisten eben auch nicht. Ganz im Gegensatz zum freien Westen würden dort in Rußland und in seinen Einflußgebieten die Menschen nämlich in Unmündigkeit festgehalten.
Das ist übrigens der Nachteil, wenn jemand ausgerechnet als Nationalist*** der vom »freien Westen« bestimmten kapitalistischen Weltordnung Paroli bieten möchte: Unerwünscht wie er ist, beißt er sich daran die Zähne aus. Zu irgendwelchen Zugeständnissen ist »der Westen« — er ist so frei — nämlich nicht bereit. Einen (Stellvertreter-)Krieg finanziert er locker, jedesmal, wenn es denn sein muß**. Die Eskalation dazu habe ja die andere Seite betrieben!
April/Mai 2014
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*KoKa hat dessen Ergüsse einst anläßlich des Brecht-Preises der Stadt Augsburg verrissen.
** Zum einen dann, wenn nicht richtig gewählt wird, d.h. die Richtigen, also seine Vasallen, gewählt werden und zum anderen dann, wenn seine ökonomischen Erpressungsmittel nicht automatisch dazu führen, daß die andere Seite klein beigibt.
*** Daß Boris Kagarlitsky im »Befreiungskampf« der russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine gegen die in Kiew auf westlichen Wunsch installierte Regierung einen Klassenkampf unterwegs sieht (ak, 20.05.14), verdankt sich allein dem Ansinnen, die Geschehnisse für das eigene Weltbild kompatibel zu machen: Also dem Nationalismus (von unten) ums Verrecken eine positive Seite andichten zu wollen.