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Deutschland weiß am besten, was Griechenland braucht und die Griechen wollen!
Die deutsche Agitation gegen Griechenland läßt an Radikalität nichts zu wünschen übrig

Die Sache, auf der die griechische ΣΥΡΙΖΑ-Regierung (bislang jedenfalls) besteht, ist, daß die ökonomisch bereits entwerteten und nicht wiederverwertbaren Staatsanleihen politischerseits diese Anerkennung erhalten und abgeschrieben werden. Dieser Schuldenschnitt kommt für die maßgeblichen Instanzen des Euro-Projekts, hauptsächlich eben Deutschlands, nicht in die Tüte: Aus Griechenland sei, wenn überhaupt schon etwas, so doch noch lange nicht genug herausgeholt worden. Da werden Arbeitskräfte tatsächlich nicht solange einer Verwertung anheimgestellt, bis sie ins Grab fallen, nein, da zahle der Staat tatsächlich noch Renten, die jene solch ökonomisch sinnvoller Verwertung entziehen. Die Verbrauchersteuern, die Mehrwertsteuer insbesondere sei viel zu niedrig. Dazu leiste sich der Staat weit mehr Bedienstete als es seine Wirtschaftskraft zulasse — der deutsche Staat hingegen kann sich eine ungleich größere Zahl von Staatsdienern fraglos leisten, ja er leistet sich selbst jede Menge Blödmänner, pardon: Experten natürlich, die u.a. eben dem griechischen Staat Vorschläge erarbeiten sollen, womit er dahin kommen soll, wo ihn der deutsche Staat haben will:
Als Zuträger zu einem gesamteuropäischen Bruttoinlandsprodukt, das der deutsche Staat als Mittel seines imperialistischen Anspruchs, mit seiner Währung, dem Euro, gegen die Weltwährung US-Dollar endlich und erfolgreich anstinken zu können. Und eben nicht und keinen Augenblick länger als Kostgänger dieses Projekts einen Abzug von diesem Anspruch. Der angepeilte Erfolg erlaubt eben keinen Abzug. Was nicht sein kann, das darf eben nicht sein, da ist die deutsche Europa-Politik mit ihrer EZB vor.
Wie gigantisch und unverblümt unverschämt der deutsche Weltherrschaftsanspruch auftritt, wird deutlich, wenn man sieht, wie selbst der ökonomisch stärkste Partner des Euro-Projekts, Frankreich, in die deutsche Schußlinie gerät: Auch Frankreich ließe es hinten und vorne an den Notwendigkeiten fehlen, die das »gemeinsame« Projekt (erfolgs-)notwendig mache!
70 Jahre nach einem haushoch verlorenen Krieg sieht sich Europa erneut einem zwar nicht auf die damalige Weise, aber nicht weniger machtbesessenen, dreckig-imperialistisch vorgehenden Deutschland gegenüber. Das Komfortable an der Lage für die deutschen Ansprüche ist bislang jedenfalls noch, daß die BRD bis auf Griechenland ausschließlich mit Staaten konfrontiert ist, deren Regierungen es nicht wagen, der deutschen Sicht der Dinge, dem deutschen Staatsinteresse zu widersprechen. Sie hoffen nach wie vor, mit Deutschland zusammen besser voranzukommen als gegen es.

Eine Ahnung von dieser Sachlage haben die Agitatoren des deutschen Medienwesens sehr wohl. Sie verstehen unter Kritik, umso kräftiger in die Kerbe der deutschen Politik zu schlagen, je länger die Auseinandersetzung um die Rückzahlung der Kredite, die Griechenland erhalten hat, andauert. Walter Roller, der uns schon öfter als ein solcher über den Weg gelaufen ist, kocht geradezu vor Wut, daß der deutsche Staat und seine Merkel-Regierung gegenüber dem Ausland nicht einfach so durchregieren kann, wie sie das im Inland (nicht zuletzt dank der zutiefst nationalistisch gesonnenen DGB-Gewerkschaften) tun kann und tut.

Roller (in: Augsburger Allgemeine v. 06.06.15): "Der Versuch Angela Merkels, den Schuldenstreit mit Griechenland noch vor dem G-7-Gipfel beizulegen oder doch wenigstens einen Weg zu diesem Ziel zu finden, ist gescheitert. Das Endspiel um die Zukunft Griechenlands und des Euro wird wieder mal verschoben. Das nervige Gerangel mit den Athener Sozialisten geht weiter wie gehabt. Und das »letzte Angebot«, das Kanzlerin Merkel, Frankreichs Staatschef Hollande, EU-Kommissionschef Juncker, EZB-Präsident Draghi und IWF-Chefin Lagarde eben unterbreitet haben, hat sich als das vorvorletzte oder vorvorvorletzte Angebot entpuppt. Auch die großen Chefs spitzen halt gern den Mund, trauen sich aber nicht zu pfeifen.
Das Problem ist: Die EU und die Europäische Zentralbank (EZB), die das bankrotte Hellas mit Notfallkrediten über Wasser hält, wollen die Griechen unbedingt in der Währungsunion halten. Die griechische Regierung weiß das und reizt ihr Erpressungspotenzial voll aus. Sie feilscht und pokert unverdrossen weiter — und ringt den Kreditgebern immer wieder Zugeständnisse ab. Wann immer die Zahlungsunfähigkeit ganz konkret droht, beginnt dieses alte Spiel von neuem."

Es ist eben ein Unterschied, ob man Griechenland unbedingt im Euro-Club behalten will — oder ob man den dort gefangen gehaltenen Staat entläßt. Das kommt nicht in Frage. Deutschland und seine Mitstreiter haben da einen langen Atem, solange eben der Gefangene ein Gefangener bleiben will und seinerseits nicht die Flucht ergreift, die Türe hinter sich zuschlagend. Was also spricht gegen neue Kredite, die ja keine Geschenke sind, sondern allenthalben stets aufs Neue nicht allein an die ökonomische Bedingung der Rückzahlung samt Zinsen geknüpft ist, sondern gleichzeitig an politische Bedingungen, die die griechische Bevölkerung (mit Ausnahme einer vergleichsweise kleinen Bourgeoisie und der orthodox christlichen Staatskirche) in die Armut gestürzt hat und noch weiter hineintauchen soll. Man kann nicht sehen, daß Tsipras & Co. bislang etwas herausgeholt hätten, geschweige denn selber eine Gegenerpressung hätten aufmachen auch nur können. Nicht an der Substanz des Sache konnten Tsipras und Co. rütteln, lediglich ein Aufschub von Zahlungen und Bedingungen ist erfolgt.
Die griechische Regierung setzt auf die Einsicht in die ökonomische Unhaltbarkeit und Unzweckmäßigkeit der Forderungen an sie. Doch eben da hat sie sich geschnitten. Der Aufschub ist nicht mit irgendeiner Einsicht verbunden. Was man nicht eben gerade zuletzt an den jüngsten Forderungen der Aufseher sieht, aus denen hervorgeht, wie sie sich Griechenland zurechtregiert sehen möchten. [1]

Kontrafaktisch dazu Roller: "Die Spar- und Reformauflagen, die den Griechen ursprünglich im Gegenzug zu den hunderten Milliarden von Hilfsgeldern aufgebürdet werden sollten, sind inzwischen deutlich abgemildert. In jeder neuen Verhandlungsrunde holt Tsipras, wie der jüngste Zahlungsaufschub zeigt, was raus. Die Gläubiger wollen Griechenland irgendwie über den Sommer retten, Athen ein paar vorzeigbare Konzessionen abringen und so schon mal das Feld bereiten für ein drittes großes Hilfspaket: Das ist es, was Merkel, Draghi & Co. planen – in der Hoffnung, daß Athen endlich mitspielt und zumindest eine Blaupause für die gründliche Reform des maroden griechischen Staats und die Wiedergewinnung der Wettbewerbsfähigkeit liefert."

Oder kann Roller denn sagen, worin Auflagen abgemildert seien? Und was Tsipras »rausholt«, außer eben einer Verzögerung der Kreditbedienungen?
Auf Seiten der Gläubiger kann gar nicht davon gesprochen werden, daß sie in der Sache Konzessionen machen würden: Haben sie auch nur eine einzige griechische Staatsanleihe für gegenstandslos, wertlos erklärt? Haben sie irgendeine daraus abgeleitete politische Forderung fallengelassen: Nein, die politischen Forderungen, haben sie zwar des öfteren umformuliert, aber an ihrer Substanz hat sich kein Iota geändert: Wo Verarmung für nötig befunden wird, da muß sie schließlich durchgesetzt werden!

Roller sieht denn auch logischerweise vielmehr Griechenland in einem Dilemma: "Vor dieser Aufgabe steht Griechenland ja so oder so, ob mit oder ohne Euro. Das Land wurde von den eigenen Eliten zugrundegerichtet und ist nicht das Opfer einer »neoliberalen Verschwörung«, wie Tsipras unter dem Beifall auch deutscher Syriza-Versteher suggeriert. Es braucht, das ist wahr, mehr Luft zum Atmen – und Zeit, um das Wachstum anzukurbeln. Aber niemand, außer seiner eigenen radikalen Partei, hindert Tsipras daran, endlich zu handeln, Steuern einzutreiben, dem aufgeblähten Staatsapparat Beine zu machen oder die Frühverrentungen zu stoppen."

Es ist ja nun wirklich völlig unverständlich, wenn eine Regierung nicht das Renteneintrittsalter auf das deutsche heraufsetzt, die Strompreise für die Kleinabnehmer nicht erhöht (Nur nebenbei: Eben dies wurde schon vor über drei Jahren in die Wege geleitet, als die Preise für die Kilowattstunde für Geringverbraucher um ca. 23 % vom staatlichen Energieversorger ΔΕΗ erhöht wurden und gleichzeitig für Größtabnehmer um 23 % gesenkt wurden). Es ist völlig unverständlich, daß sich Griechenland noch Ölkonzerne und manches mehr in Staatsregie leistet, wo doch gerade eine jede Privatisierung völlig neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen würde, »Investoren« würden dann ja quasi automatisch angeschissen kommen etc. etc. Ganz abgesehen davon, daß Steuereintreibungen mit Staatsbeamten zu machen sind, die eingespart werden sollen: Die Frage, wie das nun zusammengehen soll, überläßt Roller sicher gerne den deutschen Wirtschaftsweisen.
Wenn hier etwas nicht so ohne weiteres zu verstehen ist — und damit spielt Roller mit seiner Differenzierung zwischen dem griechischen Premierminister und seiner Partei — dann ist es allein die Tatsache, daß Tsipras und Varoufakis immer wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren, wo es nichts zu verhandeln gibt. Zuletzt nannte Tsipras an ihn herangetragenen Vorschläge, zu Recht »absurd«. Da hilft es nichts, wenn die Vorschläge mit einem neuen »Hilfs-«Kredit angepriesen werden. Das allerwenigste, was Griechenland gebrauchen kann, sind doch wohl neue Kredite, neue Zahlungsverpflichtungen und damit neue Erpreßbarkeiten. Also genau das, worauf sich der Merkel-Vasall Samaras sich noch im letzten Jahr eingelassen hat. Und schon gar nicht, die »Fähigkeit«, neue Staatsanleihen den darauf warteten Finanzgeiern zum Fraß vorzuwerfen: Im April letzten Jahres wurden — gedacht als ein Zeichen für das Ende der Krise — wieder griechische Staatsanleihen aufgelegt, für die Griechenland bei Rückzahlung eine Rendite von 4,75 % versprach. Sehr zum Wohlgefallen der Euro-Aufseher, die Griechenland auf dem rechten Weg sahen, dem Weg seiner »Rettung«. Und die Geier wußten, daß für ihre Rendite die Euro-Staaten insgesamt einstehen werden — die Rechnung ging für sie ja auf, die EZB hat ihnen die Anleihen ja entsprechend vergütet abgekauft! Investiert haben sie das dafür erhaltene gute Geld allerdings nicht in Griechenland. So frei sind sie — und schließlich ist es der europäischen Aufsicht egal, wo sie »die Wirtschaft« ankurbeln, Hauptsache sie kurbeln fest: Daß groß D davon profitiert und gleich wie profitieren muß, steht nämlich von vorneherein fest.

Das alles — vom übergeordneten Anspruch deutscher Weltordnung einmal ganz abgesehen. Roller: "Es gibt, bei allem Ärger über das krawallige Auftreten Athens, gute Gründe für die Geduld [von der er neulich noch nichts wissen wollte] im Umgang mit Griechenland. Der »Grexit« hat zwar seinen Schrecken insofern verloren, als die Turbulenzen auf den Finanzmärkten wohl beherrschbar wären. Aber ein Austritt des EU-Mitglieds Griechenland stellte nicht nur die Unumkehrbarkeit des Währungssystems infrage, sondern fügte auch der Einheit Europas schweren Schaden zu. Und niemand kann wollen[2], daß das Nato-Mitglied Griechenland ins Chaos abgleitet und zu einem gescheiterten, mit Rußland liebäugelnden Staat wird. Dies alles hat seinen Preis und erfordert Kompromißbereitschaft. Nur: Europa und die Eurozone leben von Regeln und Verträgen, die einzuhalten sind. Geschieht dies nicht und knickt Europa vor den Griechen ein, ist der Schaden mindestens so groß wie im Falle eines »Grexit«."

Daß auch Verträge, die einem passen, weil nützen, einmal historisch überholt sein können, das darf demnach nicht sein. Daß sich Griechenland (und andere Staaten) mit ihrer Mitgliedschaft im deutsch-imperialistischen Projekt eines vereinigten Europa geschnitten haben, diese Einsicht hat sich, darauf baut Roller, nicht, noch nicht durchgesetzt und sie dürfe sich nicht durchsetzen. Er projiziert also einen Schaden, einen politischen Schaden, der in seiner Größe genau dem politischen Anspruch des Projekts entspricht. Es verhält sich so, wie einer, der den Krieg will und gleichzeitig vor einer Niederlage in ihm warnt. Ganz so, als ginge er nicht bewußt dieses Risiko ein! 

"Nicht nur, weil faule Kompromisse das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Politik zerstören. Sondern auch, weil der Reformdruck von anderen Schuldenstaaten genommen und die Währungsunion entgegen allen Versprechen zur Schulden- und Transferunion würde. Merkel steht im Wort, diese Entwicklung nicht zuletzt im Interesse Deutschlands zu verhindern."

"Nicht zuletzt" ist gut: Es ist ja gerade, ja gerade nahezu ausschließlich im Interesse Deutschlands, für das der Euro nicht weniger hart sein soll als die DM vormals! Daran jedenfalls, daß die deutsche Presse nicht vehement hinter dem deutschen Interesse stehen würde, soll und kann es nicht liegen! Wenn es denn allmählich sein muß, steht sie auch hinter Bomben auf Athen.

Das Schlußwort gehört Stefan Remmler, der schon vor etwa 30 Jahren messerscharf erkannte:  »Keine Sterne in Athen«  —  in der Tat: Frau Merkel und Frau Lagarde, Herr Draghi und Herr Djisselbloem, die Herren Juncker und Großmaul-Schulz machen den Leuten selbst das Licht aus, welches ohne Stromrechnung zu haben ist.

(07.06.15)

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[1]
"Bei einem Treffen mit Juncker sei Tsipras am Mittwoch eine fünfseitige Forderungsliste vorgelegt worden, sagten Insider. Darin verlangen der IWF und die Euro-Partner Pensionskürzungen im Umfang von einem Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP). Zudem sollen 800 Millionen Euro durch Einschnitte bei den Pensionen für Geringverdiener eingespart werden. Tsipras solle auch auf die Rücknahme der Pensionsreform und auf eigenmächtige Schritte bei Maßnahmen am Arbeitsmarkt verzichten. Die Mehrwertsteuer solle im Volumen von einem Prozent des BIP angehoben werden. Die Geldgeber bestünden zudem auf der Privatisierung der Häfen in Piräus und Thessaloniki, von Ölkonzernen und Netzbetreibern sowie des Telefonunternehmens OTE." (die presse, online am 05.06.15)
[2]
Neuerdings wird diese Haltung (»niemand kann wollen«) durch Umfragen zu stützen gesucht, denen zufolge die Griechen selber ja am Euro festhalten wollen. Das weder die, welche die Umfragen in Auftrag geben, noch die, welche sich ihnen stellen, einen Unterschied zwischen dem Euro als Zahlungsmittel und dem Euro als Kapital, als Kredit kennen, macht die Umfragen für die politische Agitation vor allem in Deutschland so brauchbar. 

bluete