Apropos deutsche Ideologie:
Der allseits mißverstandene Nationalismus der SPD
Mit ihrem Gothaer Programm (1875), das Marx einer ebenso wohlwollenden wie radikalen Kritik unterzog, begann die deutsche Sozialdemokratie ihr Bewußtsein für eine nationale »Verantwortung« zu entwickeln. »…Bismarcks Norddeutsche war vollständig im Recht, wenn sie zur Zufriedenheit ihres Meisters verkündete, die deutsche Arbeiterpartei habe in dem neuen Programm dem Internationalismus abgeschworen. …« (Marx, MEW 19, S. 24)
Die Zementierung des nationalen Kurses
Mit den zunehmenden Erfolgen an den Wahlurnen verfestigte die deutsche Arbeiterpartei ihren Willen und beschleunigte so ihren Weg zur Machtübernahme in Deutschland. Die handfeste Bestätigung dafür und die Absage an ihre revolutionären Ursprünge (unter Berufung auf Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie) schlechthin lieferte schließlich ihr uneingeschränktes Ja zum Krieg des deutschen Kaiserreichs, für dessen Empfinden Deutschland seinen ihm gebührenden Spitzenplatz in der Staatenhierarchie eben erst noch erobern mußte.
Und wer bis dato immer noch Zweifel daran hatte, ob die deutsche Sozialdemokratie die soziale Frage nicht zugunsten ihrer nationalen Gesinnung über Bord geworfen habe, dem lieferte sie gleich im Anschluß an den mißglückten Krieg ein neues, im wahrsten Sinne des Wortes schlagendes Argument. Kaum die Staatsmacht ergriffen ließ sie im Verbund mit allen bislang schon rein deutsch denkenden Kräften die nach Kriegsende revoltierenden Soldaten und Arbeiter massakrieren. Ihr Reichswehrminister Noske warf sich stolz in die schwarz-rot-goldene Brust, indem er sich wörtlich dazu bekannte, einer müsse ja den »Bluthund« spielen.
Mit dieser vor Selbstbewußtsein strotzenden Haltung ging die Partei — ohne freilich das »sozial« aus Namen und Programm zu streichen — beim Volk, insbesondere dem Proletariat, das ihr als höchsteigenes Stimmvieh galt, hausieren. Jene Klasse, die nichts zu verlieren hatte außer ihren Ketten, bedurfte einer nationalen Erziehung, am besten eben gleich durch eine eigens dafür prädestinierte Partei. Um ihre Wahlerfolge zu neuen Höhen zu führen, versprach die Partei zudem dem weiblichen Geschlecht die Erlaubnis zu wählen. Wie sich nach Einführung des Frauenwahlrechts schnell herausstellte, bedurfte jedoch das schwache Geschlecht einer verstärkten Agitation, denn dessen Dankbarkeit an der Urne blieb erheblich hinter den Erwartungen zurück. Für eine nationale Vereinnahmung fehlte weitgehend noch die staatliche Inpflichtnahme durch die Notwendigkeit weiblicher Berufsausübung, insbesondere mangels für Frau und proletarischen Nachwuchs ausreichender Zahlungsfähigkeit des Ehemanns. Eine solche Verpflichtung erst konnte den Frauen dann als Chance, als Gleichberechtigung, gar als Emanzipation verkauft werden, womit sie reif werden sollten, die sozialdemokratische Fortschrittspartei zu favorisieren.
Die Agitation im allgemeinen war freilich viel weniger weltanschaulicher — die Weltanschauung, der Nationalismus, war die vorausgesetzte, nicht zur Diskussion stehende Grundlage und Ausgangsposition —, als hauptsächlich praktischer Art. Das zeigte sich in der brutalen Bekämpfung kommunistischer Umtriebe: Vor den volksschädlichen Kommunisten konnte die SPD nicht genug warnen und deren arbeiterfreundliche Proklamationen verkehrte sie parlamentarisch ins Gegenteil: So etwa die Etablierung von kapitalfreundlichen Betriebsräten anstelle von Arbeiter- und Soldatenräten. Zudem stellte die Partei mit der gewaltsamen Bekämpfung Aufständischer auf der Straße die Speerspitze des deutschen, republikanisch-demokratisch verfaßten Staates. (So wurde zum Beispiel von Reichspräsident Ebert, SPD, umgehend das Militär beauftragt, gegen revoltierende Kommunisten im Jahre 1923 zuzuschlagen.) Die Partei agierte dabei so, als wolle sie allen Konservativen, Liberalen, Monarchisten und überhaupt allen nationalen Sorgenträgern ein Vorbild und damit ein unschlagbares und unausschlagbares Angebot sein.
Ein nationaler Rückschlag
Kurzum, die Partei ließ es an nichts, was die deutsche Staatsräson angeht, fehlen und gerade darob verwunderte sie sich: Andere Parteien nörgelten an ihr herum, ja stellten ihre extragut gemeinten nationalen Absichten großenteils oder überhaupt infrage.
Als dann die deutschen Faschisten 1933 die Macht ergriffen hatten, jammerte jenen einer ihrer »Bluthunde«, ein gewisser Otto Wels, was vor. Am 23.03.1933 spielte der, der schon 1918 als Berliner Stadtkommandant gegen die Linken, die damals Spartakisten hießen, losschlagen ließ, angesichts Hitlers Ermächtigungsgesetz den enttäuschten Liebhaber:
»Wir Sozialdemokraten haben in schwerster Zeit Mitverantwortung getragen und sind dafür mit Steinen beworfen worden.«
Der Umgang mit ihnen seitens der Radikaldeutschen hat der SPD schon damals nicht eingeleuchtet. Allzu gerne hätten sie doch mit ihnen in einer Regierung zusammengearbeitet, wenn diese sie nur gelassen hätten! Derselbe Wels daher weiter:
»Der außenpolitischen Forderung deutscher Gleichberechtigung, die der Herr Reichskanzler [Hitler] erhoben hat, stimmen wir Sozialdemokraten um so nachdrücklicher zu, als wir sie bereits von jeher grundsätzlich verfochten haben.
Ich darf mir wohl in diesem Zusammenhang die persönliche Bemerkung gestatten, daß ich als erster Deutscher vor einem internationalen Forum, auf der Bremer Konferenz am 3. Februar des Jahres 1919, der Unwahrheit von der Schuld Deutschlands am Ausbruch des Weltkrieges entgegengetreten bin.«
Auf historische Lügen verstehen sich die Sozialdemokraten offenbar bestens, geht es ihnen ja ums Allerheiligste, um Deutschland! Und die Gemeinsamkeiten mit den Faschisten waren keineswegs einfach nur Erfindung ihr böswillig gesinnter Kommunisten:
»Nie hat uns irgendein Grundsatz unserer Partei daran hindern können oder gehindert, die gerechten Forderungen der deutschen Nation gegenüber den anderen Völkern der Welt zu vertreten. Der Herr Reichskanzler hat auch vorgestern in Potsdam einen Satz gesprochen, den wir unterschreiben. Er lautet: „Aus dem Aberwitz der Theorie von ewigen Siegern und Besiegten kam der Wahnwitz der Reparationen und in der Folge die Katastrofe der Weltwirtschaft.“ Dieser Satz gilt für die Außenpolitik; für die Innenpolitik gilt er nicht minder. Auch hier ist die Theorie von ewigen Siegern und Besiegten, wie der Herr Reichskanzler sagte, ein Aberwitz.«
Freilich, in ihrer ideologischen Ignoranz verfangen — sie hielten die SPD nach wie vor für marxistisch —, ließen die sich »Nationalsozialisten« Nennenden — eine ideelle Vereinnahmung von Sozialisten — das nicht gelten. Und deren Berechnung ging auf: In Kürze waren SPD-Mitglieder und -Wähler bis auf wenige Ausnahmen besonders strammer Parteisoldaten von den Erfolgen der NSDAP überzeugt und zogen unter deutsch-nationaler Flagge in einen neuen Krieg, einen, der die deutschen Weltmachtansprüche konsequent wie nie zuvor durchzusetzen versprach.
Wiederauferstehung ihres nationalen Programms
Nach dem erneut — desaströs wie nie zuvor — verloren gegangenen Krieg erstand die als solche aufgelöste Partei von neuem: Sie wäre ja nicht dabei gewesen und somit nicht verantwortlich zu machen! Ein paar von den Faschisten — im ideologischen Sinne zu Unrecht [siehe die Wels-Rede] — eingekerkerte Mitglieder dienten ihr als Kronzeugen. Und wie nach dem vorherigen Weltkrieg hielt es die SPD für schier unmöglich, daß ihre so überaus konstruktive Haltung zum deutschen Staat übergangen werden könnte. Nichtsdestotrotz bedurfte es einiger Zeit, bis sie neben unteren Staatsabteilungen mit der Führung der Nation selbst mitsamt ihren Regierungsgeschäften vom dafür geschätzten und ansonsten verachteten Stimmvieh beauftragt wurde. Zum einen entbehrte sie zunächst einer der politischen Konkurrenz gegenüber überlegene Lichtgestalt. Zum anderen blieben die Zweifel daran, sich von der sozialen Frage endgültig gelöst zu haben, bei nicht Wenigen schier unerschütterlich: Dagegen half weder ihr neues, nochmals aufgefrischtes, vor nationaler Verantwortungsbereitschaft strotzendes Bad-Godesberger Programm (1959) noch eine Koalition mit der CDU und dann später eine mit der FDP, Parteien, die Ex-Nationalsozialisten eine neue politische Heimat boten. Die, welche eine solche suchten, zogen offiziell rechts eingeordnete Parteien vor, wenngleich auch manch NSDAPler weitsichtig genug war, unter die Decke der SPD zu schlüpfen (und »drüben« ins Bett der SED), um so schnell Karriere zu machen oder sonstige Vorteile zu genießen. Wer wollte, konnte ja unschwer den in dieser Partei verkörperten, neu aufgelegten deutschen Weltmachtanspruch entdecken, einen zutiefst moralisch geläuterten zumal, ganz ohne KZs und Judenvergasungen.
Eine gewisse Schwierigkeit hat sich dabei erhalten und zwar die, die staatliche Heuchelei mit der öffentlichen Moral nicht als solche zu nehmen, obschon sie nach und nach immer offenkundiger wurde — man denke etwa an die Debatte um die Wiederbewaffnung der BRD, an das rabiate Vorgehen gegen die 68er-Bewegung, an die angebliche Notwendigkeit einer »Nachrüstung« bis hin zur Rechtfertigung eines Angriffskriegs mit dem Totschläger-Argument »Nie wieder Auschwitz«!
Haltlose Vorwürfe von Seiten der nationalen Opposition
Freilich, viele wollten weiterhin nicht so ohne weiteres mitziehen, wollten nicht auf den zukunftsorientierten Kurs der SPD abfahren: In der neuen Ostpolitik, welche die nationale »Wiedervereinigung« voranbringen sollte, witterte die Opposition nicht weniger als einen Landesverrat. Ein mit allen Wassern gewaschener Politiker hingegen erkannte alsbald die neuen Chancen dieser »Öffnungs«-Politik: CSU-Chef Strauß begann mit der DDR handfesten Handel, ein Geschäft, das einen ganzen Staat dem deutschen Kapital — ziemlich exklusiv übrigens — zur Ausbeutung erschloß. Diese Trittbrettfahrerei mußte ein die SPD begünstigendes, zutiefst national gesonnenes — sich immerzu als das Durchblickerblatt für Besserverdienende schlechthin verstehendes — Magazin wie der Spiegel natürlich mißbilligen.
Die Selbstaufgabe der durch ihren Westhandel stark geschwächten DDR — noch dazu unter dem immensen Eindruck von Gorbatschows Perestrojka — schließlich rechtfertigte alle SPD-Bemühungen; Ex-Kanzler Brandt wurde stracks in den Götterhimmel des demokratischen deutschen Staates aufgenommen, der dem Personenkult keineswegs abhold ist, ganz im Gegenteil. Einmal mehr hatte sich die Partei um dieses Deutschland und seinen Erfolg in Europa und der Welt verdient gemacht. Die irrsinnige Leistung bestand nicht zuletzt darin, jeden Zweifel am Glauben an die große »unteilbare« deutsche Nation ausgeräumt und dabei — was angesichts dessen galant unter den Tisch fallen konnte — die Kosten rigoros auf die »kleinen Leute« abgewälzt zu haben.
Schwer zu verschmerzen war nur, daß gerade andere Parteien unter einem großen Führer namens Kohl an den Schalthebeln der Macht waren und eben gerade sich ob des nationalen Erfolgs feiern lassen konnten. Doch ein tiefgläubiger Sozialdemokrat gibt nicht so ohne weiteres auf, der ringt verbissen weiter, weil er glaubt — das entnimmt er mühelos der Geschichte seiner Partei —, ohne diese komme Deutschland nicht wirklich voran. Und ihm half nach geraumer Zeit das Glück des Tüchtigen: Für den neuen wiedervereinigten gesamtdeutschen Staat brauchte es schon bald ein Aufbruchprogramm, eine Standortzurichtung besonderer Güte. SPD-Kandidat Schröder versprach das und diese neue Führerpersönlichkeit wurde dazu mitsamt seiner Partei auch prompt ermächtigt.
Möglich war das mithilfe der Grünen, die mit der Eliminierung ihrer Gründungsikone Petra Kelly endgültig zu einer Partei nationaler Verantwortung geworden waren. Dem Schwarz-Rot-Gold fügten sie die Farbe grün hinzu, womit die nationalen Interessen schlagartig umweltkompatibel waren, inklusive der im Interesse einer national gesicherten Energieversorgung unverzichtbaren Atomkraftwerke. Auf die damit verbundene Machtoption sprang die SPD an. Kaum an der Macht wurde rücksichtslos daran gearbeitet, Deutschland voranzubringen:
Nationale Flurbereinigung für den Aufstieg zur Weltmacht
Im Inneren wurde mit der »sozialen Hängematte« aufgeräumt. »Hartz IV« hieß die Krönung der von der SPD aufgelegten »Agenda 2010«: Sie beinhaltete die Zwangsverarmung dauerhaft nicht oder kaum mehr verwertbarer Arbeitskräfte. Später dann wurde mit dem Mindestlohn dem Kapital eine Richtlinie gegeben, auf welches Niveau die allenthalben für zu hoch erachteten Löhne noch absenkbar sind, ohne die Verwertbarkeit der Arbeitskräfte unter das auf den Groschen genau berechnete Existenzminimum zu drücken. Darüber hinaus wurden die Arbeitszeiten zugunsten einer optimalen Verwertung der Arbeitskräfte flexibilisiert und das Renteneintrittsalter erhöht, was keineswegs ausschließen sollte, daß die Ware Arbeitskraft sich nicht noch mangels Rentenhöhe jenseits von 67 Jahren zu Markte tragen können sollte. (Eine Rechnung wie die, käme der technologische Fortschritt tatsächlich allen — und nicht allein den Verwertungsbedürfnissen der Wirtschaft — zugute, jeder Arbeitende spielend mit 50 Jahren in den Ruhestand treten könnte, ist für eine Partei völlig undenkbar, dem der nationale Standortgedanke in Fleisch und Blut übergegangen ist.) All diese Maßnahmen zur Stärkung der Nation wurden als reine Wohltat und feine, weil unausweichliche Zukunftsperspektive eben jener Manövrier- und Verwertungsmasse, die dafür herhalten sollte, so verkauft, als ob die Stärkung der Nation unmittelbar ihr zugute käme. Wiewohl die Partei ihrem nationalen Anerkennungsbedürfnis nach Sachlage entsprochen hat, so hat sie zugleich denen eine Vorlage geliefert, die darauf bestehen, daß die Stärkung der Nation eben auch »unten ankommen« müsse. Die also darauf bestehen, daß zwischen »Oben« und »Unten« wirklich ein Gleichheitszeichen gesetzt werden kann, also eine wahre Volksgemeinschaft, ein einhelliges deutsches Wir und eben keine Spaltung der Nation Resultat der nationalen Bestrebungen ist.
Im Äußeren war ein Restposten des Realsozialismus, Jugoslawien, zwar schon zerschlagen, doch die SPD trieb mit dem Krieg gegen Serbien — mit dem der deutsche Staat aus zwei Weltkriegen sowieso noch Rechnungen offen hatte — ihr Bestreben voran, deutschen Erfolg in strategische Gewinne umzusetzen: Man entdeckte, das Kosovo harre noch seiner Befreiung! Niemand sollte sagen, Deutschland unter einer SPD geführten Regierung scheue seine Zuständigkeit für eine ihm nützliche Ordnung jenseits seiner Landesgrenzen. Ganz im Gegenteil: Deutschland übernahm die Führungsrolle, die sie insbesondere in Europa nicht länger den USA überlassen wollte. Dem Erpressungsversuch mit dem »Vertrag von Rambouillet« — der die im Vertrag von Dayton garantierten Grenzen aushebeln sollte und damit für Belgrad völlig unannehmbar war — folgte der NATO-Aggressionskrieg gegen Rest-Jugoslawien. — Kaum hatten dann die USA ihrerseits gehörigst um Unterstützung in einem ihrer Kriege, in Afghanistan, nachgefragt, schon war das SPD-geführte Deutschland auch dort militärisch zugange, und zwar nicht bloß als Hilfstruppe der USA, sondern eben nicht minder als deren weltpolitischer Konkurrent. Daß deutsche Truppen mal bis zum Hindukusch gelangen, davon haben die deutschen Faschisten nur träumen können. Mit der SPD jedoch wurden wirklich Einflußzonen zu schaffen in Angriff genommen, die wegweisend für die weltpolitische Rolle Deutschlands geworden sind: Kein Fleckchen Erde, wo dieser Staat nicht seine Mitsprache und Zuständigkeit anmeldet, mit seinem ganzen, erpresserischen Gewicht dahinter (insbesondere SPD-Außenminister wie Steinmeier, Gabriel und Maas taten bzw. tun sich da in der heldenhaften Tradition von Genscher und Fischer hervor)!
Daß die Verdolmetschung der neuen deutschen Erfolge allen geheuchelten Rechtfertigungen zum Trotz bei den eigenen Bürgern nicht recht verfing, war der amtierenden Staatspartei sehr ärgerlich. Viele von ihnen, die sich vom sozialdemokratisch-deutschen Mobilisierungsprogramm nicht recht mitgenommen sahen, wandten sich wieder (2005) der Opposition zu, die sich ihrerzeit zwar kaum seltener an solch radikale innen- und außenpolitische Aufbrüche gewagt hatte — die demokratische Staatsform ist ja ein Wettbewerb um die effektivste, also radikalste Stärkung der Staatsgewalt —, ihnen aber — wenngleich nicht selber gemacht — Respekt zollte, weil sie deren staatszuträgliche Notwendigkeit schlechterdings nicht bestreiten konnte. Nicht von ungefähr ergab sich so für die SPD schon bald die Option, mit ihren bisherigen Konkurrenten, den Unionsparteien zu paktieren. Mit dezidiert rechten Parteien paktiert sie umso lieber, als sie sich, gemeinhin als links gebrandmarkt, damit von eben jenen als nationaler Verantwortungsträger Anerkennung verspricht: Sie möchte es ein für allemal unterlassen haben, in welchem Zusammenhang auch immer als antinational angepinkelt zu werden.
Undankbare Neonationalisten profitieren vom SPD-Kurs und die Gegenoffensive der SPD
Doch wie das politische Leben so spielt: Kaum erweckt die sozialdemokratische Führungselite gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner durch die nonchalante Abarbeitung der staatlichen »Herausforderungen« den Schein, es in ihrer nationalen Verantwortung an Konsequenz, an Radikalität fehlen zu lassen — ein Schein, welcher im wesentlichen in der Frage des Umgangs mit nichtdeutschen Flüchtlingen aufkam —, schon erblüht nationale Kritik, die an der Politik das Nationale, die konsequente Durchsetzung des nationalen Interesses nach Innen wie nach Außen, überhaupt vermißt. Eine solche Haltung ist attraktiv für eine schier unfaßbar devote Masse, die ihrerseits ihre Anerkennung als braves, unabdingbar zur Nation gehörendes und somit zu bevorzugendes Volk zu verlieren glaubt, nach der es zwecks Kompensation all der ihr aufgebürdeten Zumutungen umso mehr lechzt. Insbesondere wildert solch Volk mit seiner Allzweckwaffe, dem Stimmzettel, bei den bislang mit an der Spitze nationaler Radikalität stehenden Sozialdemokraten. Einzelne aus dieser Masse heraus werden gar zu Mördern.
Die Konkurrenz mit einer neuen nationalen Bewegung gedenkt die SPD wie vor 1933 erneut auszufechten und nun eben zu gewinnen. Diesmal nämlich findet sie sich in einer durchdringender denn je staatstragenden Position, welche sie nicht einfach aus der Hand zu geben gedenkt.
»Es geht darum, ob sich große internationale Firmen, die Arbeitsplätze schaffen, noch in den Bundesländern ansiedeln, in denen die AfD stark ist. … Die Politik der AfD vernichtet Arbeitsplätze.« (SPD-Funktionär Klingbeil, AZ, 13.08.2019) Den Vorwurf der neuen Opposition, eine die Nation spaltende Politik zu betreiben, weist die SPD entschieden zurück und wirft den Neonationalisten vor, in ihrer Konsequenz selber Spalter zu sein, indem sie Arbeitsplätze vernichten. Welch exquisite Debatte unter Nationalisten: Sie bezichtigen sich gegenseitig einer völlig untragbaren Spaltung der Nation! Doch nichts lächerlicher, als Anhänger einer neonationalistischen Partei mit einem Programm zur Rettung alter und Schaffung neuer Arbeitsplätze ködern zu wollen: Jene nationalistischen Schreihälse haben längst von jedem Schein einer sozialen Frage — den die geheuchelte Rücksicht auf die Belange der Arbeitskräfte als Arbeitskräfte ausstrahlt — Abstand genommen! Sie haben diese Frage in eine für nötig befundene viel radikalere nationale Antwort übersetzt: Sie leugnen jeden Gegensatz von Staat und Manövriermasse respektive Verwertungsmasse, an welchen solch ein Programm erinnert! »Wir (= das Volk) sind der Staat« und an den Staat gerichtet: »Wir sind das Volk!« und nicht internationale Konzerne! — das ist ihr »antikapitalistisches« Glaubensbekenntnis, welches umstandslos auf die einstige Maxime »Ein Volk, Ein Reich, Ein Führer« rückführbar ist und — nicht minder! — an der entschieden harschen Zurückweisung des zitierten Vorwurfs anknüpft, mit der der SPD vermeintlich ein Stich gegen diese ihre Gegner gelingt.
Wer die deutschen Weltmachtansprüche verinnerlicht hat, der zieht daraus selbstredend auch außenpolitisch Konsequenzen. Er sieht Deutschland an Seite der USA nicht länger wirklich gut aufgehoben. Auch dafür leistete und leistet die SPD allen anderen Nationalisten Vorschub. Sie hat den mit dem zweiten Weltkrieg keineswegs abhanden gekommenen Antiamerikanismus stets zu pflegen getrachtet. Immer wieder gab es Vorbehalte wie bei der »Nachrüstung« (»die BRD als Schlachtfeld der USA kommt nicht so ohne weiteres infrage!«) oder beim Irakkrieg (»nicht vorher konsultiert«) oder bei den Sanktionen gegen den Iran etc.; ganz zu schweigen von der US-Politik unter Trump. »Wo immer die Zusammenarbeit [mit den USA] auf Augenhöhe möglich ist, stehen wir [SPD = stellvertretend für Deutschland] bereit. Wo bloße Gefolgschaft gefordert ist, nicht. … Souveränität heißt, daß wir selbst in der Lage sind, frei zu entscheiden, wo und wie wir mit den USA zusammenarbeiten. Davon aber sind wir [leider] ziemlich weit entfernt.« (Ex-Außenminister Gabriel, SPD; AZ, 04.06.2019) Deutlicher als eben so kann man das Thema »Souveränität« den neuen Nationalisten nicht präsentieren: Die SPD gibt dem Einwand jener Nationalisten im Prinzip Recht, nach dem Deutschland unter nichts so sehr leide wie unter us-amerikanischer Herablassung und Bevormundung, also »fehlender Souveränität«. Allein die zugehörige Heuchelei macht einen in der Sache gegen Null gehenden Unterschied klar: Wir, die SPD, machen die realitätsnahe, seriöse Politik von Deutschland für Deutschland, während die anderen »Populisten« sind, politikunfähig allenthalben, einzig gewollt, auf einen fahrenden Zug schwarzfahrend aufzuspringen oder, anders ausgedrückt, die nationalen Aufgaben allein zu ihrer parteipolitischen Profilierung zu mißbrauchen, anstatt eben die SPD als befugten und erprobten Obwalter nationaler Belange dankend anzuerkennen.
Hinter das apodiktisch antiamerikanischen Projekt EU und dessen Anti-Dollar Währung Euro warf die SPD all ihre Kraft und läßt auf dieses Unterpfand deutscher Weltgeltung nichts kommen. Schließlich ist ja nicht von der Hand zu weisen, daß Deutschland der Hauptnutznießer dieses Projekts war und ist. Es war ja gerade diese »Einsicht« aus dem zweiten Weltkrieg, daß die deutsche Staatsgewalt zwar gegen die USA ankommen will, aber das nicht allein kann, gerade weil und solange dafür ihm die ökonomische Grundlage fehlt. Daher sollen so viele Staaten wie möglich für die Etablierung und Erstarkung deutscher Weltmacht in die Pflicht genommen werden. Ausgerechnet dies wird die SPD nicht müde, den neuen Nationalisten vorzurechnen: Ihnen ermangele es ganz entschieden an »Realismus«, weshalb diese Nationalisten ihrer nationalen Verantwortung in internationalen Fragen nie und nimmer gerecht werden können.
Nichtsdestotrotz versuchen jene Neuen ihrerseits, dieses supranationale deutsche Projekt als Verrat an der Nation darzustellen: Kontrafaktisch vermissen sie die deutsche Dominanz in Europa: Ein deutscher Nationalismus, der sich Europa buchstabiert, ein deutsches Wir, das in einem europäischen Wir aufgeht, ginge das denn überhaupt? Ja sicher, kontert die SPD und zwar wie folgt: Seinerzeit wurde der SPD-Bundeskanzler Willy Brandt von der italienischen Journalistin Oriana Fallaci, die noch wußte, wie man jemand auf den Zahn fühlt, befragt: »I keep wondering, Chancellor Brandt, if deep in your heart or rather your mind, you‘ve not more European than German.« Und Brandt gab sich auch einer Ausländerin gegenüber keine Blöße, indem er antwortete: »Well… It would be too much to expect a German chancellor who‘s almost sixty years old to admit to that. Especially knowing that Europe hasn‘t moved as far as it should have. No, you can‘t ask me to feel and behave more like a European than a German. One shouldn‘t even ask me to give that impression. So let‘s say I try to be a good European when I assume the responsibilities of a German. To answer your question: no, I‘m German.« (zitiert nach O. Fallaci, Interview with History, Boston, 1976, S. 217f)
Wer nun die Neonationalisten wieder heim ins Reich der SPD holen möchte, der wird ihnen nichts wirklich Grobes vorwerfen wollen, der tut im Gegenteil alles dafür, ihnen gewissermaßen in allem, was ein deutsch-nationales Herz bewegt, mit dem Hinweis zu entsprechen, daß Anliegen, die von einer wirklich seriösen Sorge um die Nation getragen sind, allein bei ihr ihre politische Heimstatt finden. Etwa so:
Deutschen Autofirmen möchte die SPD keineswegs zu nahe treten, obschon diese deutsche Gesetze vorsätzlich hintergangen haben. Hingegen möchte die Partei gerne us-amerikanische internetbasierte Firmen zur Kasse bitten — hierfür warb sie bei den letzten Europawahlen. Der Scheidung des internationalen vom nationalen Kapital, des raffenden vom schaffenden Kapital, des schlechten vom guten Kapital — ein Bestandteil faschistischer Ideologie — ist mit den SPD-Vorstellungen der Boden bereitet, wenngleich die Partei ganz im Gegenteil meint, entzogen.
Die Neonationalisten können voll auf die alte SPD aufbauen, wenngleich sie diese gründlich, ignorant wie ihr Nationalismus es nun mal erfordert, einfach nicht verstehen wollen.
Auch »links« gibt es nationale Abweichler
Die Linkspartei interpretiert die SPD nicht weniger in ihrem Interesse, dem nationalen Vorankommens Deutschlands in Europa und in der Welt, nur eben ein wenig anders. Die Linkspartei pflegt unbeirrt ein altes Vorurteil hinsichtlich der SPD weiter. Während die SPD in ihrer Karriere alles tat, zu widerlegen, daß sie in irgendeiner Weise ernstzunehmend sozialistisch sei, hält die Linkspartei, die es offenkundig scheut, Geschichtsbücher aufzuschlagen und logische Schlüsse aus Fakten zu ziehen, weiterhin felsenfest daran fest, daß eine sozialdemokratische Partei doch irgendwie einen sozial-moralischen Kern haben müßte. Dies wiederum fußt auf der Vorstellung, ein kapitalistischer Staat wäre doch irgendwie sozial oder zumindest sozial gestaltbar, und zwar anders und besser als der Staat als ideeller Gesamtkapitalist, als ein über den Klassen stehender Klassenstaat, es gerade (noch) für ökonomisch nötig hält. Die SPD steht auf dem Standpunkt, daß zuviel Sozialstaat die Wirtschaftsproduktivität lähmt: Der Staat leide unter den Soziallasten, von denen er entlastet werden muß! Sie fordert, Arbeitslose wieder in den Verwertungsprozeß der Wirtschaft zu bringen und kreiert jede Menge Anreize fürs Kapital zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Verhinderung von deren Abschaffung. Auch die Ausweitung der Lebensarbeitszeit möglichst bis ins Grab ist mit ihr locker zu machen. Usw. usf. Nur als verwertete Arbeitskräfte nämlich kann der Staat von ihnen profitieren: Man denke nur an den dicken Brocken Lohnsteuer — ein unmittelbarer Abzug vom Wert der Arbeitskraft —, der direkt in die Staatskasse fließt und gar nicht genug fließen kann. Und dieser Abzug ist der staatlichen Schröpfung nicht genug, wie jeder weiß.
Auf der anderen Seite möchte die SPD — ebenfalls ihrem fundamentalistischen Deutsch-Nationalismus gemäß — brach liegendes nicht benutztes Geld für jene Anreize und sonstige, höhere Staatsaufgaben wie den immerzu aufzustockenden Militäretat flüssig machen. »Seit ich Bundesfinanzminister bin, hat sich der Verteidigungsetat so stark erhöht wie lange nicht.« (SPD-Friedenspolitiker Scholz, AZ, 20.04.2019) »Ich bin nicht gegen eine Erhöhung des Wehretats, aber ich befürchte, daß die Erhöhung der Verteidigungsausgaben solange nichts bringt, solange die Bundeswehr im Zustand organisierter Unverantwortlichkeit bleibt.« (Gabriel, AZ, 02.08.219). Da braucht es halt die SPD: Die CDU kriegt es einfach nicht gebacken und die neonationalistische Konkurrenz findet ein Einfallstor!
Und so soll brachliegendes Kapital auch für viele andere Bereiche nutzbar gemacht werden: Für die Grundlagenforschung, einer Gratishilfe für das deutsche Kapital; für noch mehr Autobahnen und sonstige Infrastruktur natürlich direkt wie indirekt für das deutsche Kapital; Hilfen zwecks Energiewende, natürlich allein für das deutsche Kapital etc. Deshalb fordert der regierungsamtliche SPD-Nationalismus u.a. die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Bei den »kleinen Leuten« ist leider nicht mehr allzuviel herauszuholen: »40 % der Haushalte in Deutschland können von ihrem Einkommen nichts zur Seite legen und Vermögen [!] aufbauen, zum Beispiel für die Ausbildung der Kinder [von wegen eine Staatsaufgabe!], Wohneigentum [für das Geschäft derer, die darauf spekulieren!] oder die eigene Altersvorsorge [daß das keine Staatsaufgabe ist, sondern als Kapitalanlage zusätzlichen Lohnabzug bedeutet, auf diesen famosen Gedanken kam nicht zufällig ebenso ein SPD-Kopf namens Riester wie bei der Kostenminimierung von Sozialhilfeempfängern einer namens Hartz]. Sie fragen sich: Können wir uns die Pflege unserer Eltern leisten? Was heißt Klimaschutz für mich? Wie teuer wird Autofahren für mich als Pendler? Was bedeutet die Digitalisierung für meinen Beruf…?« (Ein abgrundtiefes Verständnis heuchelnder SPD-Funktionär namens Pistorius, AZ, 04.09.2019) Damit die mündigen Untertanen nicht auf einen abwegigen Gedanken kommen, nämlich den, nicht der SPD anzuhängen, ist die Funktionalität des Klassenstaates reibungsloser als bisher zu gewährleisten. Das ist der höhere Zweck des Hörens auf die Sorgen der kleinen Leute! Die Frage, wodurch und durch wen Reibungen überhaupt verursacht worden sind, ist nicht am Platze.
Ebenso selbstverständlich findet in der SPD jeder Gedanke eine politische Heimat, der einen staatsfernen Gebrauch von Kapital aufspießt. Das deutsche Kapital habe zum deutsch-nationalen Welterfolg beizutragen und nicht, diesem abträglich zu sein, den Standort Deutschland vielleicht gar noch in ein schiefes Licht zu rücken. So sah sich ein deutscher Autokonzern kürzlich mit einer Verstaatlichungsdrohung durch einen ambitionierten SPD-Jungfunktionär konfrontiert. So wenig diese Äußerung in praktischer Hinsicht ernst gemeint war oder gar irgendetwas mit Sozialismus zu tun hat, so hat sie einzig mit dem von der Partei vertretenen Nationalismus zu tun: Ein deutscher Konzern hat nicht allein an den Profit zu denken, sondern darüber hinaus an seinen nationalen Standort! Während demokratische Medien natürlich sofort einen, wenn auch noch so matten, verbalen Anschlag auf die Freiheit — die des Kapitals, versteht sich — witterten und sich darüber ereiferten, schöpften (utopische) Linke sofort wieder Hoffnung: Die SPD bzw. zumindest einer ihrer Flügel, besinne sich auf ihre uranfänglichen, sozialistischen Wurzeln…. Auf solche Weise bestätigen solche Interpreten noch den Vorwurf an die SPD von der anderen Seite, die von einem »Griff in die sozialistische Mottenkiste« quakt, so oft es ihr in den Kram paßt, die SPD schlecht zu machen.
Das nur ein Beispiel. Ein weiteres wäre die Thematisierung eines Geldwäschegesetzes und in diesem Zusammenhang eines Umbaus der Grunderwerbssteuer. Illegale (d.h. nicht be- und versteuerte) Gelder fließen Erhebungen zufolge vorzugsweise in »Betongold«. Für die SPD ein nicht länger hinzunehmendes Vergehen des im Immobiliensektor angelegten Kapitals: Der Staat werde umgangen, das sei staatsschädlich und damit per se kontraproduktiv. Und mit den Mieten geht es weiter. Es kann ja der SPD zufolge nicht sein, daß das im Immobiliensektor angelegte Kapital die Lohntüten der Beschäftigten quasi monopolisiert auffresse, nichts mehr für die anderen Abteilungen des Geschäftemachens übrig bleibe, die ihren Profit aus den Revenuen der lohnabhängiger Mieter ziehen. Gar nicht zu reden von den staatlichen Lohnabzügen, die so unantastbar sie sind, nicht mehr bei Bedarf nach oben flexibel wären. Nach SPD-Ansicht sind für die Mieten nicht etwa die Löhne viel zu niedrig, vielmehr störe die Mietpreisspekulation den nationalen Zusammenhalt: Denn so könnte ein Klassengegensatz zur Sprache kommen, oh weh! Eine nationale Volksgemeinschaft liegt der SPD offenkundig nicht weniger am Herzen als den Faschisten. Ein ums anderemal beklagt diese Partei — und mit ihr ihre Nebenorganisationen, die im DGB vereinigten deutschen Gewerkschaften — eine »Spaltung der Nation«. Ganz so, als läge die nicht schon mit eben diesem Staat und seiner Wirtschaftsform in vollendeter Ausführung vor. Der Übergang von einer institutionalisiert funktionellen Klassengesellschaft (SPD) zu einer offensiv als solche existierend dementierten (Faschismus) besteht allein in der Dosis der angewandten staatlichen Gewalt, die divergierenden Interessen dieser von Staats wegen frei gesetzten Gesellschaft zusammenzuhalten.
In all den Punkten, die die SPD aufwirft, wird der fundamentalistische (Standort-)Nationalismus, dem sich diese Partei verschrieben hat, deutlich: Die Wirtschaft ist, so sehr sie auf der staatlichen Garantie des Eigentums ausgehend kapitalistisch eingerichtet ist, so nichts anderes als die Wirtschaft des Staates. Über den Bilanzen der einzelnen Kapitale steht die Gesamtbilanz eines Staates, hier eben des deutschen Staates. Dessen hervorragendster Anwalt zu sein, ist die raison d‘être dieser Partei. Von den alternativen Nationalisten möchte sie sich keinesfalls ein weiteres Mal die Butter vom Brot nehmen lassen. Und linke Abweichler möchte sie auf ihren staatsaffirmativen Standpunkt festnageln, dem — so ihr gebetsmühlenhaft wiederholtes Dogma — niemand ausweichen könne.
Die Verwechselung des Nationalismus mit Sozialismus
Daß unter wie auch immer links orientierten Leuten und Parteien die Verwechslung von Staatsaffirmation mit Sozialismus Tradition hat — durch die etwa 70 Jahre dauernde Existenz eines »Realsozialismus« erst recht in die Hirne eingefleischt — macht die Kritik des Staates und der ihm verpflichteten demokratischen Parteien inklusive der SPD, keineswegs überflüssig, ja verlangt, diesen fatalen Irrtum endlich aus der Welt zu schaffen. Die Verwechselung besteht in der Gleichsetzung des propagierten, parteiamtlichen Nationalismus mit — einer somit gelösten — sozialen Frage, mit Sozialismus. Faktisch war in den realsozialistischen Staaten lediglich die Manövriermasse des Staates einer kapitalistischen Verwertung entzogen (sieht man vom ideologisch inspiriertem Westhandel einmal ab — er sollte Frieden stiften). Im Realsozialismus war die Wirtschaft unmittelbar staatlich betrieben, also dem nationalen Interesse unmittelbar — und nicht mittelbar wie in den demokratischen Staaten — unterworfen. Wenn beispielsweise eine Sahra Wagenknecht heutzutage den Staat als den Ordnungsfaktor gegen das unverfrorene Auftreten der Kapitalfraktion einfordert, dann gibt sie sich als Anhängerin eines fundamentalen Nationalismus zu erkennen, einem mit Prädikat sozialistisch. Es versteht sich von selber, daß solch Nationalismus nichts mit der Kritik staatlicher Verhältnisse an sich, mit einer Kritik des real existierenden, demokratischen Nationalismus zu tun hat; er ist ja lediglich der Vorwurf, ein Faktor, eine die Klassen zusammenhaltende Klammer, die nämlich, welche die sozial Schwachen an den Gesellschaft bindet, sei vernachlässigt worden. Einerseits soll auf diese Weise die Gemeinsamkeit mit der SPD beschworen werden. Andrerseits kann an dieser Stelle ein allenthalben national gesonnener Staatsbürger ebenso gut und schnell von einer Linkspartei zu einer Partei wandern, die verspricht, konsequenter durchzugreifen, den Zusammenhalt der Gesellschaft per Gewalt herzustellen.
»Links« eingestufte Personen und Parteien liefern somit sehr gute Grundlagen für immer wieder aufkeimenden Faschismus. Sie halten nämlich eine der Nation verantwortliche Gesinnung ebenso für das Allerverständlichste wie das immerzu noch Vervollkommnungswürdige: Aus einem tiefen Sich-Heineindenken in die Belange der Nation ersprieße, so reimen sie sich das zusammen, ihr sozialer Charakter. Sie düngen so den Boden, auf dem die Front der Ge-täuschten als eben von der Nation überhaupt nicht wirklich Ent-täuschten aller politischen Couleur wachsen kann. Niemand will sich den Vorwurf zuziehen, er verkenne die Interessen der Nation. Die Unzufriedenheit über den eigenen Stand in der Nation mündet denn auch regelmäßig in eine Unzufriedenheit mit der nationalen Führungselite: Diese mache nicht richtig Staat, komme also ihrer Aufgabe nicht oder nur unzureichend nach. Positiv ausgedrückt: Die Kritik verlangt nach richtig durchgreifenden Führern. Niemand findet das faschistisch. Das — und nichts anderes — ist nämlich die gängige und durchaus erwünschte, zumindest aber erlaubte — bekanntlich wurde von den nationalen Verantwortungsträgern (u.a. vom SPD-Chefideologen Gabriel: »Es gibt ein demokratisches Recht darauf, rechts zu sein oder deutschnational.« zu PEGIDA in stern, 04.02.2015) und von besonders kritischen Talkshow-Moderatoren immer wieder mal eine Lanze für faschistische Meinungsäußerungen gebrochen! — Sorte demokratischer Kritik, die als politisches Barometer erachtet regelmäßig in Meinungsumfragen abgefragt wird. Die Konkurrenz von Nationalisten gehört zum demokratischen Staat und Staatsleben. Solch politischer Wettstreit, solch erwünschte Lebendigkeit des Politikwesens soll ja quasi automatisch die Interessen der Nation voranbringen. Die Konkurrenz von Nationalisten ist allerdings, wie beschrieben, eine ebenso erlesene wie erbitterte! Dabei hat sich die SPD eine Meinungsführerschaft erobert, was sich bezeichnenderweise in der Verortung der Bundeskanzlerin ausdrückt: Sie sei aufgrund des SPD-Einflusses mit ihrer CDU nach links gerückt! Daß gerade die SPD der Sache nach ganz schön weit rechts steht und stehen möchte, will ja wirklich niemand wahrhaben! Objektiv betrachtet müßte man feststellen, daß die SPD die Bundesrepublik ganz schön weit nach rechts gerückt hat! Ja, geradezu den Neonationalisten in die offenen Arme.
Die chronische Beschwörung der Unverbrüchlichkeit ihres nationalen Kurses
Wie hieß doch mal ein charakteristischer Wahlspruch der SPD?
»Weiter arbeiten am Modell Deutschland.« (1976 – 101 Jahre nach »Gotha«!)
Zu ihrem Leidwesen ist sie dabei nie konkurrenzlos: Allen anderen fehlt einfach das Verständnis für ihr so überaus geniales nationales Wir! (Flenn‘ doch, SPD, wie einst Dein Otto Wels, vielleicht hilft‘s diesmal!)
(26.10.2019)