kokaDie DDR rekapituliert

Anja Meyer schrieb in der taz am 23. Juni 2015 anläßlich des Ablebens des Alexander Schalck-Golodkowski einen Artikel, aus dem man sehr gute Schlüsse auf die politische Ökonomie der DDR ziehen kann. Im folgenden die Eräuterungen, die der Text als solcher nicht bietet:

"Nun hat das Schweigen wirklich ein Ende. Der, der hätte erzählen können, lebt nicht mehr. Alexander Schalck-Golodkowski, der am Sonntag in München gestorben ist, hätte viel zu sagen gehabt. Doch der Mann mit dem Westgeld schwieg sich lieber aus."

Nicht daß man seine Autobiografie lesen könnte oder müßte, die Taten sprechen — das werden wir gleich sehen — doch für sich.

"Gemessen an dem Haß, der dem Ostberliner bis zuletzt entgegengeschlagen war, wunderte das nicht. Schalck-Golodkowski galt in der DDR als schlimmer Finger, als Beschaffer von so ziemlich allem. Und das in einem Land, das zwar die »sozialistische Planwirtschaft« zur Staatsdoktrin erhoben hatte — aber an ebendieser permanent zu scheitern drohte."

Fragt sich nur, was sich die DDR unter »sozialistischer Planwirtschaft« verstand und inwiefern das dann zu einem Malheur geriet. Auch das wird sich gleich aufklären.

"Die Werktätigen brauchten Kinderwagen für ihren zahlreichen Nachwuchs? Schalck-Golodkowski kaufte im Westen die fehlenden Schrauben und Muttern. Die Jugendlichen lechzten nach Salamander-Schuhen? Schalck-Golodkowski regelte die Lizenzproduktion. Die DDR drohte pleitezugehen, weil Staatschef Erich Honecker gegen jede [kapitalistische!] Vernunft darauf bestand, daß Mieten, Brot und Milch »stabile Preise«, also Minibeträge kosteten? Schalck-Golodkowski besorgte beim damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß einen Milliardenkredit."

Doch erstmal der Reihe nach:

"Alexander Schalck-Golodkowski war ein Vertreter jener Aufbaugeneration der DDR, die dem neuen Staat eine Menge zu verdanken hatte und ihm deshalb umso ergebener diente. 1932 in Berlin in einfachen Verhältnisse geboren, trat der gelernte Mechaniker mit 23 Jahren der SED bei. Er holte das Abitur nach und stieg rasch auf. Er studierte Wirtschaftswissenschaften, 1970 promovierte er über die »Vermeidung ökonomischer Verluste und Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen« [Doktorvater war übrigens kein geringerer als der in der BRD so verhaßte Staatssicherheitschef Erich Mielke].
Genau das wurde sein Job im Wirtschaftsapparat der DDR: Waren zu Devisen machen. Und da war er nicht wählerisch. Als Staatssekretär im Außenhandelsministerium war er für den Bereich »Kommerzielle Koordinierung« zuständig. Die Abteilung, launig mit »Koko« abgekürzt, machte mit verdeckten Geschäften alles zu Westgeld, was nur ging. Antiquitäten und Kunstschätze wurden verschoben, eigentlich in der DDR benötigte Waren wurden billig in den Westen exportiert."

Vorausgeschickt sei, daß die Realsozialisten der Meinung waren, sie könnten mit ihrer Rechnungsweise ihrer Wirtschaft die Gewinne abringen, die dann zur Verteilung unter die verehrten Bürger pardon: Volksgenossen zur Verfügung stünden. Ihr nicht kapitalistisches Geld wäre dafür das probate Verteilungsmittel. Mit eben dieser Rechnungsweise würden sie den Systemvergleich gewinnen, weil sie sich als viel effektiver erweisen würde, gleichgültig dagegen, daß eine kapitalistische Ökonomie gar nicht die Versorgung der Bevölkerung als seinen Zweck kennt. Dies ist der Ausgangspunkt, den man kennen muß, wenn man sich anschaut, wozu sich die DDR in ihren Nöten gezwingen sah und worauf sie sich eingelassen hat.

»Vermeidung ökonomischer Verluste« — wie erklärt sich nun das?
Die DDR war angesichts der umfangreichen Reparationen, die dieser Nachkriegsstaat an die Sowjetunion erbringen mußte, in ihrem wirtschaftlichen Aufbau sehr behindert. Im Grunde fehlte ihr alles, was zu einem Aufbau gebraucht wurde. Sie war gezwungen, äußerst sorgsam mit dem umzugehen, was noch übrig war. Diese Lage führte zu dem Gedanken, an die eigene Arbeiterklasse höhere Anforderungen zu stellen, also die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft zu steigern. Das wiederum führte zu dem Arbeiterunruhen im Jahre 1953, welche dann bekanntlich von der BRD propagandistisch ausgeschlachtet wurden.

Der andere, naheliegende Einfall war, sich das, was man nicht hatte, im Ausland zu beschaffen. In der Sowjetunion war das schlecht möglich, denn die hatte selbst als die das Hauptleid des Krieges tragende Nation so gut wie nichts, was sie veräußern konnte. Im Westen einzukaufen, das freilich ging, denn die BRD wurde von den Westalliierten unter Führung der USA zum Frontstaat gegen die Sowjetunion aufgebaut, wirtschaftlich nicht geschädigt, sondern neu kreditiert. Der Morgenthauplan, der Westdeutschland in ein Agrarland verwandelt hätte, wurde schneller zu den Akten gelegt, als es der Sowjetunion lieb sein konnte. Für die DDR wiederum hieß es, das Beste aus der Lage machen, zumal ja mit dem westlichen Programm ein einheitlicher deutscher Staat in weite Ferne gerückt war. Sich Sachen in der BRD zu besorgen, war freilich nicht einfach, denn dazu brauchte es deren hartes Geld: Und wie kam die DDR dazu? Eben mit der »Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen« (damals, 1970 wurde der Devisenbestand als zu gering erachtet). Das »zusätzlich« kann auch auf die Wirtschaft der DDR ganz allgemein bezogen werden, denn Devisen (= Westgeld) mußten, so sah es die Staatsspitze, unabhängig von der Höhe der Summe allenthalben beschafft werden.

Um eine Ware im Westen kaufen zu können, war die DDR also gezwungen, ein adäquates Tauschmittel dafür zu haben. Dies war die DDR-Mark nicht, denn in ihr steckte nicht der Gebrauchswert, den die kapitalistische Welt am Geld so schätzt und der in nichts anderem besteht als in ihrem Tauschwert, den eine erfolgreiche Verwertung von Arbeitskraft erbracht und — welch Zauber! — sogar vermehrt hat. Sieht man mal von dem alten Krempel ab, der sich verhökern ließ, sah sich die DDR also gezwungen, selber eine Warenproduktion aufzubauen, ihre Arbeitskräfte zu verwerten, ausschließlich zu dem Zweck, das Ergebnis dieser Produktion, die Waren, in den Westen zu verkaufen. Sobald jemand im Westen diese Waren kaufte, honorierte er damit die Ausbeutungsleistung, die die DDR für ihn erbracht hatte. Das wiederum hatte für die DDR zwei Seiten. Zum einen gelangte sie so an wirkliches, Tauschwert haltiges Tauschmittel, hartes Geld eben, mit dem sich ihrerseits benötigte Ware im Westen einkaufen ließ; zum anderen aber stand damit eine gehörige Anzahl von Arbeitskräften gar nicht mehr unmittelbar für die eigene Wirtschaft zu Verfügung. Das war insofern ein entscheidender Nachteil, als der Zweck dieses sozialistischen Staates ja an sich nicht eine Produktion zur Erzielung von Tauschwert, von Kapital war, vielmehr eine von Gebrauchswerten für die eigene Bevölkerung.
Theoretisch war das den DDR-Verantwortlichen sicher nicht klar [1], praktisch gemerkt haben sie es jeden Tag. Wie gesagt: „Eigentlich benötigte Waren wurden billig in den Westen exportiert.“ Daß in der DDR ganz gehörig nicht bloß — an sich schon schlimm genug — Ausbeutung von Staats wegen stattfand, sondern darunter subsumiert ganz stinknormale kapitalistische Ausbeutung — weil für notwendig erachtet [2], das hat die DDR nie zugegeben: Im Gegenteil: Die Einheit von Volk und Führung wurde umso mehr zelebriert, je mehr die ökonomische Grundlage dafür fehlte. Übrigens: Daß es angesichts fortschreitender kapitalistischer Ausbeutung in der DDR seit 1953 nicht mehr zu Aufständen kam, verdanken die BRD und ihre in der DDR involvierten freien Wirtschaftsunternehmen übrigens maßgeblich dem oben erwähnten, so zu Unrecht verhaßten Erich Mielke.

"1983 war das [der Milliardenkredit]. Der Kredit des CSU-Politikers zögerte das Ableben der DDR um weitere sechs Jahre hinaus. Und dem Genossen Schalck-Golodkowski wurde sowohl der Karl-Marx-Orden verliehen als auch – fast schon ironisch – der als »Held der Arbeit« ."
"Ab 1981 standen auch Waffen und Ausrüstungen auf Schalck-Golodkowskis Verkaufsliste.  

Allein zwischen 1987 und 1989, das gab Schalck-Golodkowski später zu Protokoll, habe seine KoKo 3 Milliarden Valuta-Mark erzielt. Die Hälfte davon ging direkt an den Staat, die andere Hälfte wurde gegen Zinsen auf Auslandskonten und bei Außenhandelsbanken angelegt. Insgesamt soll er 27 Milliarden Westmark beschafft haben.
Menschen, Waffen, Waren – das klingt dubios und war es auch. Schalck-Golodkowskis Geschäfte konnten aber nur florieren, weil es auch Kunden gab. Und die saßen vornehmlich in Westdeutschland."

Franz-Josef Strauß hatte damit nichts anderes gemacht, als für die BRD Wirtschaftsförderung zu betreiben [3]. Die Billiglohnstatus der DDR ergab eine verbesserte Konkurrenzlage für die davon profitierenden deutschen Konzerne auf dem globalen Markt und drückte auf ihre Lohnkosten erheblich. Das Ansteigen der Arbeitslosenzahlen hingegen tangierte Herrn Strauß wenig, zumal er die einer angeblich verfehlten Politik der bis 1982 SPD-geführten Bundesregierung anzulasten nie verlegen war. Dabei war er es, der mit dem Milliardenkredit die Früchte der Ostpolitik in den vorangegangenen Jahren, welche die Abhängigkeit der DDR vom Westen zementiert hatte, eingefahren hatte. Im Grunde muß man sagen, daß der Milliardenkredit die ökonomische Existenz der DDR wesentlich verkürzt hat!

"So nahm es nicht wunder, daß Alexander Schalck-Golodkowski sich unmittelbar nach dem Mauerfall der westdeutschen Justiz stellte. In der BRD kannte er einflußreiche Leute; der Gerichtsbarkeit seines einst so geliebten Vaterlandes traute er offenbar nicht. Er sollte recht behalten. Die Westberliner Justiz nahm Schalck-Golodkowski in Untersuchungshaft, ein Überstellungsersuchen aus Ostberlin lehnte sie ab. Fünf Wochen darauf wurde der Delinquent entlassen. Dem Bundesnachrichtendienst gab Schalck-Golodkowski hernach sein umfangreiches Wissen über das Geschäftsgebaren der KoKo preis. Sein Deckname: »Schneewittchen«.

Im März 1993 folgte die Einstellung der Ermittlungen wegen Veruntreuung von Milliardenbeträgen durch Überweisungen ins Ausland. Auch der Vorwurf der Steuerhinterziehung wurde später fallen gelassen. Ein eigens eingesetzter parlamentarischer »Schalck-Ausschuß« des Bundestages konstatierte in seinem Abschlußbericht 1994, man habe zur Aufklärung nichts Wesentliches beitragen können. Mitte der 1990er Jahre wurde Alexander Schalck-Golodkowski schließlich wegen illegaler Waffengeschäfte und Embargovergehen zu Bewährungsstrafen verurteilt. Da lebte er längst in Bayern, genauer in Rottach-Egern und gründete die Firma Dr. Schalck & Co. Er kannte seine Rechte.
Für Unruhe bei seinen alten Weggefährten sorgten Berichte über die vielfältigen Kontakte des KoKo-Chefs mit prominenten westdeutschen Unternehmern und Politikern. Aber auch diese Ermittlungen verliefen äußerst zäh. So zäh, daß der damalige Justizminister Klaus Kinkel (FDP) sich 1991 genötigt sah, Vorwürfen entgegenzutreten, die Justiz schaue bei dem Ostdeutschen nicht so genau hin.
Alexander Schalck-Golodkowski selbst war sich keiner Schuld bewußt. Ein ums andere Mal beteuerte er seine Unschuld. 1991 sagte er gegenüber dem Fernsehsender RTL, er habe »alles anständig und korrekt abgewickelt« und nach bestem Wissen gehandelt, in der Absicht, »der DDR und den Menschen zu dienen«."

Also warum sollte der auch mehr behelligt werden, als es zur Beschwichtigung antikommunistischer Hardliner nötig war? Reichte es nicht, ihn in ein Haus am Tegernsee einzuweisen, einer ausgesprochen proletarischen, ja subproletarischen Gegend in Oberbayern? Das mußte Strafe genug sein!

Daß er selber nach bestem Wissen und Gewissen der DDR gedient hatte, indem er ihren Ausverkauf betrieben hat, das kann man einem opportunistischen Dummschädel — von Imperialismus, vorzugsweise von »imperialistischer Störtätigkeit« zu schwadronieren (siehe seine Dissertation), ohne eine blaße Ahnung zu haben von dem, was Imperialismus ist und wie er geht! — lässig abnehmen. Ebenso wie man Strauß abnehmen kann, mit dem Milliardenkredit die BRD nicht ans sozialistische Ausland verraten zu haben: So dumm wie seine nationalistischen Kritiker — allen voran das in Sachen Strauß [4] berühmt gewordene Hamburger Nachrichtenmagazin, welches Strauß mit Häme dessen parteiinterne Kritiker vorgehalten hat — war der denn nun nicht.

(04.07.15)
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[1] Die Berufung auf Marx war stets völlig hohl, in Schalcks Dissertation fehlt denn so unwillkürlich wie konsequenterweise dieser Name.
[2] Interessant hierzu eine Fußnote in Schalcks Dissertation: "In den letzten Wochen haben sich westdeutsche Publikationsorgane verstärkt mit der Gründung von Gemischten Gesellschaften im Ost-West-Handel beschäftigt. So wurden unter dem Titel »Kapitalgesellschaften in Osteuropa« und »Gemischte Gesellschaften im Ost/West-Handel« Tendenzen zur Entwicklung solcher Eigentumsformen in den sozialistischen Ländern dargestellt.
»Obwohl es gar nicht ins ›sozialistische‹ System paßt, setzt sich in den europäischen Staaten langsam aber sicher die Erkenntnis durch, daß man Geld arbeiten lassen kann und daß der Preis für Geld wieder Geld ist, möge dieses Zinsen, Dividende oder sonstwie heißen.« (Weltwirtschaft – Ein- und Ausfuhrdienst Nr. 172, S. 5, vom 09.09.1969)" [S. 133f] Aus diesem Können ein Müssen und aus dem Müssen ein Können zu machen, war der Anspruch Schalcks, seiner DDR zu dienen.
[3] Die CSU stellt es heute so dar: "Die wirtschaftliche Lage in der DDR war prekär, durch den Kredit aus dem Westen sollte ein Staatsbankrott des kommunistischen Nachbarn mit harten Einschnitten für die ostdeutsche Bevölkerung abgewendet werden." Strauß mußte immer wieder beteuern, daß »kein Pfennig Zinssubvention, kein Pfennig Risiko, kein Pfennig Haftung des Bundes, ein rein kommerzieller Kredit mit einer hundertprozentigen Absicherung durch Abtretung von Forderungen« (Interview ZDF-Magazin, 27.07.1983) bestand und es sich nicht um einen Kredit aus dem Bundeshaushalt, sondern um den Kredit eines westdeutschen Bankenkonsortiums an die Ost-Berliner Deutsche Außenhandelsbank handelte. [siehe Website ihrer Parteistiftung] Strauß dazu in der Parteizeitung Bayernkurier: "Die Belastung des Steuerzahlers der Bundesrepublik Deutschland ist gleich Null. Damit unterscheidet sich dieser Kredit grundsätzlich von dem leichtfertig gewährten und großzügig subventionierten Polenkredit [der SPD-Vorgängerregierung, 1975] sowie von anderen Krediten, z.B. dem Kredit an Jugoslawien. Der Kredit belastet nicht den deutschen Kapitalmarkt, sondern wird am Euromarkt [!1983!] abgewickelt." (16.07.1983) Schon Strauß wußte glasklar, wohin die BRD ihre Risiken zu verlagern hat, wer in jedem Fall profitieren sollte und wer nicht! Diese Überlegung war ein Ausgangspunkt bei der Gründung einer Gemeinschaftswährung und der Behauptung, der Euro werde so hart wie die DM werden.
[4] Als der Spiegel seinerzeit, 1962, die BRD vorwärtsverteidigte, indem er ihr Militärpotenzial als inadäquat zu entlarven glaubte zu müssen, wurde ihm glatt Landesverrat vorgeworfen! (Strauß war damals BRD-Verteidigungsminister) 

bluete