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 Was ist eigentlich los in »unserer« Ukraine?

Seit Tagen, ja Wochen wird in Kiew demonstriert —  gegen eine Regierung, die — so der Vorwurf  — den Wünschen ihrer Untergebenen nicht nachkäme. Anders als im »freien Westen«, wo meist Sozial- oder Umweltbelange Anliegen besorgter Bürger sind, wenn sie schon mal auf die Straße gehen und ihrer Unmut Luft machen, geht es in der Ukraine um Höheres: Es geht um die Ausrichtung der Staatsräson als solcher. Gegenstand der Sorge ist wie überall in den früheren Ostblockstaaten die Nation, ihr Erfolg, ihr Erfolg im Ranking der Staaten. Der amtierenden Regierung wird vorgeworfen, den Erfolgsweg der Ukraine verkannt zu haben, der sich mit dem Angebot der EU eröffnet habe: Nur so, nicht aber mit Moskau sei ein unaufhaltsamer Aufstieg der Nation programmiert. Der Wohlstand für die Bürger falle dann automatisch mit ab, so der Wahn, den die demonstrierenden Nationalisten vorstellig machen.
Sicher, eine gewisse Ignoranz ist dafür allerdings vonnöten, man braucht ja nur mal über die Schengengrenze hinauszublicken und sehen wie sich jenseits davon innerhalb von nur 25 Jahren allüberall die in Aussicht gestellten blühenden Landschaften eingestellt haben. Soviel Ignoranz gehört sich freilich für die früheren Realsozialisten: Sie bleiben ihrer Tradition treu und nehmen sich die Freiheit heraus, die Welt so zu interpretieren, daß sie in ihr Weltbild paßt. Da zählt die mittlerweile mit der nun allüberall existierenden kapitalistischen Rechnungsweise hergestellte Realität brutalster Verarmung breiter Volksschichten einfach überhaupt nicht.
Und es nützt erst recht nichts, wenn jemand darauf hinweist, was die Ukraine als (assoziiertes) Mitglied von EU-Europa zu erwarten hätte:
"In den nicht abflauenden Protesten spielt allerdings die Frage nach den politischen und sozioökonomischen Folgen eines Assoziierungsabkommens mit der EU praktisch keine Rolle. Dabei könnte beispielsweise die geplante Schaffung einer Freihandelszone zwischen EU und der Ukraine innerhalb weniger Monate zu einer gravierenden Verschlechterung der ukrainischen Außenhandelsbilanz führen, was die Währungsreserven schmelzen ließ und sich zweifellos auf die ohnehin instabilen [! — gemeint ist wohl: desaströsen] Lebensbedingungen vieler UkrainerInnen auswirken würde." (analyse & kritik, 590, 21.01.2014)
Der Übergang zur puren Gewalt liegt angesichts von soviel Fatalismus auf der Hand. Die Alternative »Vaterland oder Tod« ist eine reaktionäre sondergleichen. Dazu fällt einem eigentlich nur die Devise der Bremer Stadtmusikanten ein: "Etwas Besseres als den Tod findest du überall." Freilich, dazu müßte man sich schon aus dem Zusammenschluß seiner Existenz mit dem (s)einer Nation losmachen.
Guter Rat ist bekanntlich teuer und oftmals nirgendwo abzusehen: "Während das Staatsfernsehen die Proteste geflissentlich ignoriert oder diskreditiert, berichten die Sender der Oligarchen im großen & ganzen positiv über die Ereignisse auf dem Maidan oder haben sich gar offen auf die Seite der Opposition geschlagen. Das betrifft sowohl den Kanal Ukraina von Achmetow, als auch Inter des Multimillionärs Dmitrij Firtasch, dessen Vermögen auf Gasimporten und der Herstellung von Chemiedünger basiert. Den abtrünnigen oder zumindest nicht mehr ganz loyalen Oligarchen dürfte es jedoch weniger um die viel beschworenen »europäischen Werte« wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehen, als vielmehr darum, ihre Besitztümer vor einer Übernahme durch Jakunowitschs Familienclan zu schützen. Dabei ist die Orientierung in Richtung EU für diejenigen, die auf gute Geschäftsbeziehungen mit Rußland angewiesen sind, nicht unproblematisch." (ebenda)
Selbst dem könnte man freilich entnehmen, daß die Süppchen, die gekocht werden, andere sind, als sich die Demonstranten einzubilden erlauben. Man wird ja geradezu mit der Nase auf die eigene sozialen Lage gestoßen: Doch: "Aus der oppositionellen Führungsriege zeigt niemand Interesse daran, das soziale und ökonomische Desaster in der Ukraine jenseits der Kritik an Janukowitschs Bereicherungspolitik und Korruption einer tief gehenden Analyse zu unterziehen." (ebenda)
Und die Demonstranten eben erst recht nicht: "Die Linke befindet sich in der Defensive und zeigt auf dem Maidan kaum Präsenz, auch die Kommunistische Partei hält sich fast gänzlich zurück." Und das liegt daran, daß die Linken sich einem (»recht verstandenen«!) Nationalismus nie verweigert haben, weder in und mit der Sowjetunion noch vermittels einer kritischen Bilanz in deren Nachfolgestaaten, jetzt freilich, wo ihnen schwant, wie der Hase läuft, sich ihm verweigern müßten!
Nationalismus ist niemand anderem als eben den imperialistischen Mächten von Nutzen, in Europa hauptsächlich dem deutschen Staat, der nach der Weltkrieg-II-Niederlage schon längst wieder und immer noch frecher sein Haupt erhebt, sich überall einmischt, als gehöre nun endlich — dem demokratischen! — Deutschland die ganze Welt, und wenn schon noch nicht die ganze, so doch zumindest schon mal EU-Europa und die Ukraine: Nationalismus ist das erfolgreiche Patentrezept, mit dem der neue deutsche Imperialismus  (— natürlich ebenso wie dessen imperialistische Konkurrenten —) sich andere Staaten zu Vasallenstaaten herzurichten gedenkt: Indem man Nationalismus in jenen schürt und ihm die Richtung weist; mitunter so gar ganze Staaten in handhabbarere Einzelteile zerlegt. Die KPdSU hat mit ihrer Nationalitätenpolitik dafür im eigenen Land die Grundlage gelegt und — mittels ihrer Satellitenparteien — in ganz Osteuropa; die Tito-Kommunisten in Jugoslawien haben das ganz eigenständig übrigens ebenfalls hin- und zu einem blühenden Ende gebracht. Das ist die Kacke, die — nun in Kiew — zum Himmel stinkt.

Noch was: So nützlich solch aufgerührter Nationalismus ist, so wird er dann zum Argument gegen ihn erhoben, wenn er auch nur den Anschein erweckt, mit materiellen Ansprüchen (von unten) verknüpft zu sein: Rumänische und bulgarische Staatsbürger werden bekanntlich einzig & allein als billiges Arbeitsvieh in der BRD willkommen geheißen, ansonsten können und sollen sie in ihren Heimatländern in Armut verrecken. Das spricht dann gegen ihre Nation und — so besonders konsquente deutsch-demokratische Denker — gegen ihre Rasse. Da wollen beste Demokraten Faschisten überhaupt nicht widersprechen.

(25.01.14) 

bluete